Faksimile 0973 | Seite 1795
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Züge Zügel zügeln
Züg~e, f.:
s. Zieche.
~el, m., –s; uv.; –chen, ein; -:
(s. Zeug, Anm. 3):
1) die am Zaum (s. d. und Gezäum) befindlichen Riemen zum Lenken des Reit- oder Zugthiers, eig. und bildl., z. B.:
a) als Subj.: Der Z. ist straff; wird schlaffer (Gerhard W. 1, 137) etc.
b) als Obj. (alphab. nach dem Zeitw.): Den Z. abschütteln (W. Luc. 6, 203), abwerfen (Tiedge Ur. 2, 71); Ein Götterkind, das sie mir Wahrheit nannten, | .. hielt meines Lebens raschen Z. an. Sch. 20b; Dem .. gelegentlich ausschweifenden Geist Wilhelm’s Z. und Gebiß anzulegen. G. 16, 66; H. Ph. 10, 267 (s. Zaum 1); Lewald NRom. 1, 143 etc.; Daß ihr die Z. der Wirthschaft ohne Gefahr anvertraut werden konnten. Prutz Ob. 1, 130; Die Z. scharf, straff anziehn; Nachdem unser Held die Z. der allgemeinen deutschen Bibliothek mit starken Händen wieder ergriffen. Fichte N. 28; Voigts H. 142; Fasset straff in einer Hand den Z. Gerhard W. 1, 180 etc. (vgl.: So straff den Z. in der Hand, kann man .. keine Geschichte schreiben. L. 10, 52); Die Z. der Regierung künftig selbst zu führen. W. 7, 125; Er hat für seine Trägheit einen Sporn (s. d. 1b), für seine Leidenschaft einen Z. Engel 4, 19; Die Z. in den Händen haben (Sch. 114a), halten (W. 6, 308; 32, 112); Dem Pferd den Z. lassen. Schlegel Sh. 6, 192 etc.; Wer so der Zunge lässt den Z., | reißet auch der Ehre Zaum. H. Cid. 68; L. 12, 179; Der beste Trost: der Zeit den Z. lassen. Mühlpforth 2, 29; Allen Gelüsten (Sch. 557b), seiner Neugier (W. 2, 120), seinen Launen und Unarten (21, 58) den Z. lassen etc., vgl.: Den oder die Z. schießen lassen dem Pferd; seiner Aufgeregtheit (Devrient 3, 210); allen schnöden Begierden (Mendelssohn Ph. 1, 39); seiner Eifersucht (Kriegk 2, 327); der Einbildungskraft (W. 4, 197); seiner Laune (G. 22, 45; Prutz Ob. 2, 128); seinen Leidenschaften (Platen 4, 330); seiner Natur (Gutzkow R. 8, 31); seiner Phantasie (W. 14, 208); dem Volk (31, 57); seiner Wuth (5, 240) etc., vgl.: Lässt den Ungedulds-Z. schießen. Olearius Ros. 88b; Mit verhängtem (s. d. 1c) Z. W. 11, 116 etc.; Seinen Leidenschaften den Z. zu verhängen. 2, 88 etc.; Zerriss’ er | mit den Fesseln der Furcht nur nicht die Z. der Scham. Sch. 76b etc.
c) im Genit., z. B.: Wenn die geistliche Hand der weltlichen Z. sich anmaßt. G. 5, 64; Die unbändigen Leidenschaften des Volks, gleich soviel stampfenden Rossen, mit dem weisen Spiele des Z–s zu zwingen. Sch. 162a etc.
d) im Dat., z. B.: Er folgt dem Z. und duldet den Sporn. W. 30, 296 etc.
e) abhäng. von Präpos.: Die Freude führ’ ich an der Schönheit Z., | die [zu beziehn auf Freude] gern die zarten Grenzen übertritt. Sch. 555b etc.; Die Pferde im Z. halten. 238a; Meine Einbildungskraft kürzer im Z. zu halten. W. 14, 215; Was die wollüstigen Begierden im Z. hielt. Luc. 6, 248 etc.; Dem Pferde [dessen Z. der Fuhrmann verloren hat; das zügellos ist] in die Z. fallen, fassen, greifen; Die Karre war verfahren, als man mich in die Z. greifen ließ. Gotter 3, 228 etc.; Gezügelt bist du ohne Z. | und ohne Sporn gespornt. Rückert Morg. 1, 57 etc.
f) Zsstzg. z. B.: Aufsetz-Z., s. aufsetzen 3d; Die Stifter ,dieses Reichs, | die auch dem Weib die Herrscher-Z. gaben. Sch. 418a; Kreuz-Z., kurze kreuzweis in die Stangen des Zaums eingeschnallte Riemen; Das freie Roß gehorcht dem Sklaven-Z. Körner 1, 74; Ungedulds-Z., s. b etc.
2) (s. 1) Tuchscher.: s. Zaum 2c.
3) (s. 1) Lorum, der Z.: So heißt bei verschiedenen Vögeln eine nackte Linie, welche sich wie ein Bändchen von den Augenwinkeln bis an die Wurzel des Schnabels erstreckt. Nemnich 447.
4) (bair. etc.) Der Z.: die Zucht, d. h. sowohl das Ziehen, Erziehen, als das Gezogene, Erzogene, die Race etc. Schm. 4, 237; Roß-, Schaf-, Vieh-Z., -Zucht. ebd.
5) in mundartl. Zsstzg.: Ab-Z., s. Abzug 13; An-, Auf-Z., s. Anzieher 2b; Ein-Z., s. ausziehen 5e etc.
~eln: 1) tr.:
im Zügel (s. d. 1 und Zaum
1) halten und lenken, eig.: Schlegel Gd. 1, 177 etc. und bildl.: Seine Lust z. Alexis H. 1, 1, 216; Die gezügelte Zurückhaltung. Auerbach Tag. 183; Länger zügelt nicht | die bleiche Furcht, von diesem Kerker [Napoleon’s] aus, die Welt. Cham. 4, 185; Sie zügelte ihren Schritt. Gartenl. 13, 81b; Der Gedankenflug des Schriftstellers wird gezügelt. Monatbl. 2, 227a; Ein Andrer mag es [das Reich] z. | mit Händen minder schlaff. Platen 1, 224; Ist die faulende Gärung nicht durch den Kalk gezügelt, so kommt die ganze Küpe .. in Fäulnis. Prechtl 2, 208; Den Übermuth . . zu z. Prutz Ob. 2, 234; Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt | ihren [der Zeit] Lauf, wenn sie enteilt. Sch. 88b; Was zugleich | euch spornt (s. d. 1b) und zügelt. Tieck Cymb. 1, 7; Wer zügelt diesen Drang? Tiedge Ur. 3, 101 etc.
a) mit einem Zügel versehn (vgl. zäumen), nam. im Partic. pass.: Das Roß hat Ohr im gezügelten Maul nur. V. H. 2, 272 etc.; Die goldgezügelten Rosse. Il. 5, 720 etc.
b) Die tollsten Launen, der ungezügeltste Witz. D Mus. 15, 1, 213; Die Orgien dieser ungezügelten Schwärmer. W. 23, 403 etc.
c) Daß die Masse des Zügels und der Zucht nicht entbehren könne und daß diese ihr unerläßliche Zügelung ihr von dem protestantischen Pfarrer nicht angelegt worden sei. Lewald Gschl. 3, 224.
2) (mundartl.) ziehen etc., z. B.:
a) Die Weinstöcke z., aus der Erde aufziehn. Stalder.
b) Den Wein zügelen, mittels eines Hebers („Züger“, m.) aus dem Faß abziehn (Das Zügeli: Zäpfchen oben am Faß etc.). c) zeugen (s. d. 4) und züchtend ziehn (s. d. 1v, vgl. Zügel 4; zielen 4; erzielen 2). Schm. (mit vielen Bsp.); Einen Gärtner, welcher allerlei schöne Blumengewächse zügelt. SClara EfA. 1, 446; Weil .. die Mannsbilder gar zu übermüthig die Haare gezüglet. 333; Aus .. Weichsilber und der Erden geschaffen und geziegelt. Mathesius Lthr. 200a; Dadurch der heil. Geist dies selige Hoffen und Harren in unsere Herzen ziegeln und pflanzen will. Pr. 177; Die herzlichen Gedanken in unsrer Seele . ., die in Kraft des heil. Geistes durchs Wort in unser gläubig Herz gepflanzet und geziegelt werden. 173; Dieser Adam fähet nun an und zählet und ziegelt Erben. Sim. 137; Wenn ihr nun die causam und Anfang und Zieglung der Sünde und Tod erkennet. 140. d) intr. (haben): die Wohnung ver- ändernd, ziehn; umziehn; den Umzug bewerkstelligen etc. und tr.: Etwas beim Umzug fortschaffen; dazu Züglete = Umzug, Umzugszeit: Stalder; Sie meinen es liege an den Dächern und merken nicht, daß sie das Ungeziefer mit z. . . So z. sie und darum ist’s so traurig, wenn man alle Straßen voll Zügelten sieht und bei jedem Wagen denken muß, die Hauptzügelten sei der alte Mensch mit seinem unfläthigen Kleide. Gotthelf Sch. 33; 34; Der ihnen gezügelt [beim Umzug geholfen] hatte. 35 etc. e) intr. (sein): fortziehen; sich fortbegeben etc. Stalder. f) tr.: Ich hab dir den Walt [Oswald] nicht zu verbieten, aber ins Haus sollst du ihn nicht z. [ziehen]. Spindler V. 4, 252 etc. Zsstzg. z. B.: Áb-: s. zäumen 4. Āūf- [2c]. Schm. Be- [1]: Indem sie die wilden Rosse .. mit fester Hand bezügelt. H.; Ein Herz, das wilde Lust bezügelt. Tiedge Ep. 1, 85. Eīn- [1]: den Zügel anziehnd, das Pferd etc. zum Stehn bringen: Er trabte noch rasch in den Thorweg hinein, ehe er den Braunen einzügelte. Gartenl. 12, 307a; Gerstäcker Äq. 1, 60; Mon. 1, 423 etc.; bildl.: Die Beiden wären dabei auch wohl manchmal an einander gerathen, hätte nicht der junge Gärtner stets zur rechten Zeit eingezügelt. Miss. 3, 273 etc. Ent- [1]: vom Zügel los, frei, zügellos machen (s. los-z.): Daß man die Einbildungskraft entzügelt. G. 30, 427; Die Furcht, welche damals nur das Wort entzügelte und die That zurückdämmte. Heine B. 208; Die entzügelte Leidenschaft. 266; Wär’ ich leidenschaftentzügelt, | eigenkräftig ihr genaht. Sal. 1, 178; Die selbtrunkenste Subjektivität, die weltentzügelte Individualität, die gottfreie Persönlichkeit. Ders. (DViertelj. 1, 1, 241); Meine kühnsten Lieder | e. sich wie ungestümer Strom. Körner 1, 306; Doch taugt sein Roß zum Laufe nicht: entzügelt, | scheint’s stätisch. Streckfuß Rol. 9, 72; V. Georg. 2, 364; Ov. 1, 327; Zunz (2. Chr. 28, 19) etc. Er- [2c]: Schm., vgl. erzielen. (s. ent-z.) Das Roß losgürten und l. Fouqué 8, 8. Nāch- [2e]: nach- oder hinterdrein ziehn (intr.), im Nachzug (s. d.), oder als „Nachzügler“ (s. d.): Die n–den Dichter. Gervinus Lit. 5, 724; Von einer n–den Kugel in die Brust getroffen. PHeyse NN. 3, 232.
Lōs-: Ver-:
1) [2c] tr.: übel ziehn (vgl. verziehn). Schm.
2) [2d] intr. (haben): sterben. Stalder.