Faksimile 0635 | Seite 1457
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Wahn
Wāhn, m., –(e)s; (–e, Wähne); -:
1) (veralt.) Glaube, s. Schm. 4, 80 und z. B. noch: Durchleuchtest mir das Herz mit heil’gen W–en, | zum Stolz der Tugend meine Kraft zu mahnen. Arndt Gd. 42; Daß dein [Venus’] Sohn sei ohne W. und Witzen. Opitz 1, 316; Dein Wort ..bringet Viel’ auf einen rechten W. Ps. 119; Dies ist, nach meinem W., | kein leichtes Ding. Ramler F. 3, 202; Solches ist wider den gemeinen Wohn und Lehr der natürlichen Philosophie. Ryff Th. 263 etc.; ferner, wo schon die gw. Bed. 2 durchbricht, z. B.: Es dörft’ auch argen W. erwecken | in der Geliebten Brust. Gryphius Fr. 348; Dem gemeinen Mann böses Blut und argen W. machen, als sei etc. Luther 5, 124a, argen, schlimmen Verdacht (s. Argwohn); Was man soll glauben, da muß man gewiß sein . .; sonst bleibt da Nichts denn ein ungewisser W. und Wankelglaube. 226a; 529b etc.; Wie? bildest du dir ein, daß etc.? Dein W. ist falsch. Gryphius Fr. 464; Wahres Unglück bringt der falsche W. Sch. 351b etc.; Den Dünkel des irrigen W–es. G. 5, 224 etc.; Die Treue, sie ist doch kein leerer W. Sch. 63a etc.
2) nach heutigem allgem. Gebrauch: eine ungegründete, irrige Meinung; falscher Glaube, s. 1 Schluß und z. B. Luk. 3, 15; Simrock N. 722 etc., ferner schärfer hervortretend: Trug (s. d.) und W. etc.; Zu sichten .. | den Glauben von dem W–e. Cham. 3, 326; Dein blöder W. 4, 81; Kranken W. G. 1, 190; 11, 184; Alles, | im W. das Meine, dir anheimzugeben. 12, 194; 13, 127; Schatten, die der W. erzeugte. 13, 135; Der W. hat, so lang er dauert, eine unüberwindl. Wahrheit. 18, 262; Da ich in dem W. stand, Denen .. sei es um die Phänomene zu thun. 39, 456; Die .. der Dinge wahren Werth und nicht den W. betrachtet. Haller 160; Der W., unentbehrlich zu sein. H. Ph. 13, 158; Macht dann | der süße W. der süßern Wahrheit Platz. L. Nath. 1, 1; Sch. 88a; b; 425b; 482a etc.; Ein W., der mich beglückt, | ist eine Wahrheit werth, die etc. W. 12, 230; 16, 187; Ist’s W., o laß ihn mir, die Täuschung ist so süß. 20, 85; 24, 37 u. o. Bsp. der seltnen Mz.: Viele W–e verschwanden, welche sonst noch die Köpfe verdunkelt. Arndt Br. 289; Allen seinen W–en antworten. Luther 1, 155a; Sie mengen ihre W. und Ketzerei mit in ihre Kommentarios. Mathesius Lthr. 170a etc.; Was muß man für Wähne im Kopf haben .., um zu denken, man könne etc.? Rahel 1, 243.
Anm. Goth. vêns, ahd., mhd. wân, dazu goth. vênjan, ahd. wân(j)an, mhd. wenen, wähnen (vgl. schwzr.: Einem entwähnen, Hoffnung auf Etwas machen); versch. er- (veralt.: ge-) wähnen, ahd. giwahinan, giwahan, mhd. gewahen. Veralt. (vgl. Mohn etc.) Wohn (Brant N. 29²; Mathestus Pr. 166; Schaidenreißer 57b; Stumpf V; Uhland V. 477; Wackern. 3, 613¹; Zinkgräf 1, 330; 359 etc.), wie gw.: Argwohn (vgl. Argwahn. Franck Par. 7; Luther 4, 533b; Simplicissimus 1, 643 etc.). Personific.: Wonolff [mhd. wânolf, s. Benecke 3, 494b] Betriegolf’s Bruder. Brant N. 67⁶⁴. Wackern. Gl. 574 siellt W. zusammen mit goth. vans, ahd., mhd. wan (vgl. lat. vanus), noch im ältern Nhd. wahn = leer, z. B.: So wahn und leer. Luther 5, 226b; Je wahner oder lediger ein Pferd ist. Ryff Th. 43, s. Wahn-kantig, -schaffen, -Sinn, -Witz und verakt., mundartl. Zsstzg. Schm. 4, 79 und Adelung, vgl. Wähne, Wehne = fehlerhafte Erhöhung, Beule, z. B. schwzr. in Metallgefäßen; nach dem Brem. Wörterb. = Fiekbeule (s. d.) und z. B. in Meklbg. etc.: fleischiger oder schwieliger Auswuchs, Balg-, Fettgeschwulst, Überbein etc., engl. wen wozu Wackern. dann auch die mhd. Partikel wan rechnet als „negative Beschränkung eines posit. Satzes“ = ausgenommen; außer; nur nicht etc.; nach Komparativen = als etc. (s. wann), doch s. Benecke 3, 479b; Schm. 4, 78 etc. Zsstzgn leicht zu mehren und zu verstehn nach folg. Bsp.: Im Ausschließungs-W. verfestet und verstockt. Rückert 6, 149 etc.; Ein übelverstandener Ehren-W. Kant 3, 66; Auch du erwähnest solchen Ursprungs Fabel-W. G. 10, 295; Keine leeren Phantasien, | kein Fieber-W. Pfeffel Po. 3, 69; Sch. 21a; 431a etc.; Sie in diesem berauschenden Freiheits-W. nicht stören. W. HB. 1, 121; Wackern. 2, 1530¹⁰ etc.; Verzweiflung floh vor wonniglichem Gaukel-W. G. 10, 269; In ihrem trunknen Glückes- W–e. Sch. 392a; Sein [des Dichters] Halb-W. G. 32, 345 (Aberglaube etc.); Wenn sie ein solcher Heuchel-W. betäubt. 35, 171; Unter die Botmäßigkeit jedes Irr-W–s gegeben. Immermann M. 1, 4; Alexis H. 2, 2, 173; Oppen- heim 10, 296; Pz 1, 10; Vogt Köhl. XXV etc.; Der Liebes-W. des Alters verschwindet in Gegenwart leidenschaftlicher Jugend. G. 18, 264; Rückert 2, 65; Weder wirkliches [Glück] noch vorgespiegeltes in Luft-W. G. 10, 273 (s. Fata Morgana); Lügen-W. Luther SW. 26, 292; Wider seine [Gottes] Wahl will unser Maulwurfs-W., will stolze Blindheit Recht behalten. Uz Theod. (Str. 7); Menschen-W. Platen 4, 259; Die Zwei .. betaumelte keine Mode-W. L. 1, 98; Pöbel-W. Heine Lind. 212; Priester-W. V. 3, 214; In angsterfülltem Rettungs- W. Oppenheim 11, 366; Reißt | ein Taumel-W. den Tapfern und den Feigen | gehirnlos fort. Sch. 463b; Nach einem Volks-W. V. Ländl. 4, 757 etc.