Faksimile 0635 | Seite 1457
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Wähne wähnen
Wǟhn~e, f.; –n:
s. Wahn, Anm.
~en, intr. (haben), tr.:
(s. Wahn) glauben, meinen, denken, dafür halten etc.:
1) allgem. (vgl. 2), nam. noch im gehobnen Stil, z. B.: Ap. 27, 27; Wir w., | du hast Thränen, | bittre Thränen noch genug, armes, armes Vaterland! Glaßbrenner Gd. 78; Wie irrig wähnest du, | aus Liebe gehöre das Mädchen dir zu. G. 4, 34; Niemand wähnet’s Sünde (s. 2d). H. R. 7, 57; „Mich dünkt, ich wähn, ich mein, ich halt“ | thut oft der Wahrheit groß Gewalt. Rollenhagen Fr. 459; Den ich den schönsten wähne (s. 2d), | der Schmuck. Roquette W. 76; Über diese Welt zu flüchten | wähn’ ich, mich in Himmelmaienglanz zu lichten, | wenn dein Blick in meine Blicke flimmt. Sch. 3a; Säh ich nicht der Wonne Zähren | deiner Mutter Blick verklären, | wähnt’ ich dich ein Götterkind (s. 2d). Schlegel Gd. 1, 227; Den man den Stifter des [salischen] Gesetzes wähnet (s. 2d). Sh. 7, 17; Wir sind unliebe Gäste, wähn’ ich, hier am Rhein. Simrock N. 1013; Drum wähn’ ich auch, daß selten des Königs Sorge sich legt. 1135; 848; Die sich den ersten Stamm Europa’s w. (s. 2d). Werner Lthr. 45 etc.
2) gw. (s. Wahn 2), insofern man das Meinen, Denken etc. als ein irriges, unbegründetes bez. Die leicht zu mehrenden Belege zuw. auch an 1 grenzend ordnen wir nach grammat. Beziehungen.
a) absolut, ohne abhäng. Vhe: Diese sind nicht trunken, wie ihr „wehnet“. Ap. 2, 15; Jmmer wähnest du arg. B. 149a [hast du Argwohn, s. d.]; Ich träume nicht, ich wähne nicht. G. 14, 145; Briefe, welche .. der .. bedächtige von R. .. an den .. meinenden und w–den von V. schrieb. 40, 130 etc.; substant. Inf.: All mein W. (vgl. 1). Arndt Gd. 170 etc.
b) mit allgem. sachl. Fw. als Obj.: Was, Das, es, Viel etc.; bes. auch: Was man über die Phänomene phantasiert, gewähnt, gemeint etc. G. 37, XVIII; 22, 167 etc.; substant. Jnfin.: Daß Ergebenheit | in Gott von unserm W. (s. 1) über Gott | so ganz und gar nicht abhängt. L. Nath. 3, 1 (Sch. 704b) etc.; in einer Art Zeugma z. B. auch: Mehr wähntet ihr und zanktet | um Gottes Eigenschaft. V. 3, 217 etc.
c) mit abhäng. Satz: W., daß etc. Matth. 5, 17; 10, 34 u. v.; 183 Nicht anders wissen noch ,,wänen“, denn daß etc. Stumpf V etc.; ferner: Daß nicht Jemand ,,wehne“, ich sei thöricht. 2. Kor. 11, 16; Kosegarten Rh. 1, 46; Simrock N. 434; 468 u. o.; ferner mit Jnfin. und zu: 884; Ihr wähnet, euren Vortheil klar zu sehen. G. 13, 264; 349; Ein Andres je zu werden, wähne nicht! Platen 2, 16 etc.; dagegen selten so (vgl.
d) mit Acc. und Infin.: Du wähnst so sicher dich und klug zu sein. 25; H. 16, 124 etc. d) (s. c, Schluß) häusig etwa mit zu ergänzendem zu sein etc. mit einer zum Obj. hinzutretenden Best. Dessen, was oder wie, wo etc. dies ist (Prädik. etc.): Sie wähnt sich’s von Gott geheißen. B. 43b; Wir sind noch hier und w. uns da. Cham. 3, 228; Der mißversteht die Himmlischen, der sie | blutgierig wähnt. G. 13, 23; 26; Was wähnst du gleichen Fall? 44; Einem Unternehmen, das .. ich der ganzen Welt nützlich und interessant wähnte. 25, 267; Ewig gewähnter Male, | welche schon jetzt .. Trümmern sind. Kl. Od. 2, 50; Er wähnte sich Gott. Kosegarten Rh. 3, 7; Daß sie sich bereits landflüchtig und am Bettelstab wähnte. Lewald W. 3, 179; Sch. 28b; Tieck N. 5, 118; Uhland 315; Dr. 21 etc.
e) (s. d) in seltnerer Fügung: Wenn ihr euer unselig Geschick | wolltet w. für Gut und Glück. G. 7, 190 etc.; Wirst du betäubt zu Nächten [ältre Lesart: Nächte] sie [diese Tage] w. und schlummern? Kl. Od. 1, 30 etc.
3) stammversch. (s. Wahn, Anm.) in Zstzg.: Er-, ge-w. Zsstzg. z. B.: Ent-: s. Wahn, Anm. Er- [3]: beiläufig, mit kurzen Worten eines Ggstds gedenken. Dieser steht: 1) im Genit.: So darf ich wohl eines bedeutenden Punktes im flüchtigen Vorbeigehen e. G. 15, 40; 21, 215; 28, 61; 38, 25 etc.; Wie ward der Königin erwähnt? Sch. 283b etc.; Du kannst lange passen, ehe ich deiner allerliebsten Kinder nur mit einer Silbe erwähne. Thümmel 4, 122; Des Schleiers wurde nur mit großer Behutsamkeit erwähnt. W. 27, 258; Quinktilian erwähnt seiner nicht unter den epischen Dichtern. HB. 2, 123 etc. 2) vereinzelt (als Gallicism etc.) mit von st. Genit.: Die Glückseligkeit . ., wovon er erwähnte. Bode Empf. 3, 39; Olearius Ros. 82b; Florian erwähnte von seinem Gang in die Kirche. Zschokke 8, 87 etc. 3) häufig mit Obj. st. Genit., vgl. nam.: Warum erwähnt er denn der Farben hier außer der Ordnung? warum erwähnt er das Gelbe nicht? .. warum erwähnt er des Grünen zuletzt? G. 38, 164, ferner z. B.: Auch du erwähnest solchen Ursprungs Fabelwahn. 10, 295; Ich erwähne Das, Dies, es, ihn etc.; bes. oft pass. Partic.: Die erwähnte, oben (oder ob-), erst-, vorher (oder vor-), oft, viel, mehr erwähnte Pers., Sache etc.; Die oben erwähnten Landschaften. Natur 13, 142a; Das vorhin Erwähnte von | dem Juden. L. 2, 304 etc.; Vorerwähnten großen Meistern folgten Nachahmer. G. 30, 247; Wackern. 2, 424¹¹; W. Luc. 5, 342 etc.; mehr mundartl.: Die Sache ist bereits einmal anerwähnt. Mantzel Bütz. Ruhest. 18, 50 etc.
4) Dazu: Erwähnung thun einer Sache, Pers. etc.; Es geschieht ihrer Erwähnung; auch: Von der Gefährdung pekuniärer Jnteressen that ich keine Erwähnung. Heine 14, 55; W. 7, 41 etc.; seltner: Das erste Mal, daß Melitta’s Namen unter den beiden Männern Erwähnung geschah [erwähnt wurde]. Spielhagen Pr. 3, 22. Ge- [3]: (veralt.) er-w.: Wenn ich seiner in meiner Rede thu g. etc. Schaidenreißer 59b [14, 145; 183]. Ver- [1; 2]: veralt. (s. Benecke 3, 498a), z. B.:
1) vermeinen: Daß wir nicht „verwenen“, die Juden etc. .. seien allein Narren. Franck (Wackern. 3, 336³d); Der „verwent“ Mann Maria. Keisersberg Post. 192 etc.
2) adjekt. Partic. Prät. = thörichtverwegen etc.: Verwähnte und freche Wort. Mathesius Lthr. 49b.
3) faktitiv zu 1: glauben machel: Er „verwonte“ die Leut, wie er .. auf dem Seil wollt gehen. Murner Ul. 6.