Faksimile 0492 | Seite 1314
Faksimile 0492 | Seite 1314
Faksimile 0492 | Seite 1314
Thräne
Thrǟne, f., –n; Thränchen, lein; –n-:
1) die im Auge von den Thränendrüsen abgesonderte Feuchtigkeit, von der die vordre Fläche des Augapfels und die innre der Auglieder fortwährend benetzt wird (s. Bock An. 713 ff., Oken 4, 102), bes. insofern diese Feuchtigkeit in Tropfen aus dem Auge heraustritt (s. Perle 2c), z. B.: Wenn man das Auge drückt, so gehen „Threnen“ heraus. Sir. 22, 23 etc. Jnsofern die T–n durch Erregung des Gemüths hervortreten, heißen sie auch, nam. im gehobnen Stil, Zähren (s. d.), z. B.: Von ihnen [den Augen] kommen die „zäher“ des Mitleidens .., von ihnen kommet das Weinen und die „trähen“, so über die Backen herablaufen. Eppendorf 206 (s. Anm.); Diê „Zehern“ und „trenen“ der armen Wittwen. Luther 6, 457b etc.; T–n (oder Zähren) des Schmerzes, Jammers, Mitleids, der Rührung, Wehmuth, Angst, Reue, Buße, der Freude, Wonne, Bewundrung etc. Ohne Zusatz bez. T. gw. T–n des Schmerzes oder des Mitleids etc.: Bittre, blutige, dicke, heiße, helle, salz(ig)e, sanfte, stille T–n etc.; als Subj., z. B.: Die T–n sind Einem nah oder nicht weit (G. 20, 204), näher als das Lachen, werden Einem los (s. d. III3c); treten, fallen (Pestalozzi4, 135), schieren, stürzen Einem ins Auge etc.; quellen, rinnen, fließen, strömen, stürzen sich, ergießen sich in Strömen etc. aus den Augen; stürzen, schleichen sich die Wange herab etc.; rollen in den Bart etc.; stehn, blinken, schimmern etc. im Auge; trüben das Auge, den Blick; beströmen, benetzen, bethauen Etwas; versiegen etc.; als Obj.: T–n (über oder um Etwas) weinen, vergießen etc.; Ugw.: Sie musten .. die T. hinstürzen: „Fehlt uns“ etc. Kl. Gel. 248, weinend ausrufen; Etwas entlockt Einem T–n; komisch: T–n, die der Schmerz | ihr aus dem Aug gemolken. Blumauer 2, 85 etc.; Das wird noch T–n kosten etc.; Einem, seinem Schicksal T–n widmen, weihen etc.; Die T–n verschlucken, herunter-, einschlucken, verbeißen, verhalten etc., zurückhalten, hemmen etc., trocknen etc., auch bildl.: Jemandes T–n trocknen, abwischen, seinen Kummer lindern etc.; im Genit.: Laß rinnen der T–n | vergeblichen Lauf. Sch. 49a; Der Quell der T–n; Der T–n Ursache etc.; abhängig von Präpos.: Die mit T–n säen, werden mit Freuden ernten; Ohne T–n; Einen bis zu T–n rühren; Durch, in, unter T–n lächeln und so abhäng. vom Zeitw., z. B.: In T–n ausbrechen, zerfließen, zergehn, zerschmelzen etc.; Die Augen schwimmen in T–n; fließen, rinnen von (mit) T–n etc.: zuw. auch mit abhängigen Präpos. (vgl. weinen): Deren T–n um ihre .. Freundin so bald nicht versiegen werden. W. 24, 21; T–n über den Verlust etc. Leicht zu mehrende Zsstzg., bes. nach dem weinenden Subj. oder der die T–n verursachenden Gemüthsbewegung, z. B.: Abschieds- (oder Scheide-)T., beim Abschied geweint; Bewundrungs-T–n. Platen 1, 243; Buß-T. Bahrdt 3, 128; L. 12, 53 etc. Dinten- T–n. IP. 13, 140, die vergossen zu haben Jemand schreibt; Erinnerungs-T–n. KMayer 96; Freuden- T. Kl. M. 5, 159; Stahr Rep. 1, 291 etc.; Freundes- T–n. Grün Gd. 208; Das mitleidige Auge voll Freundschafts-T–n. IP. 9, 148; Mit heißen Herzens-T–n [aus Herzensdrang geweint]. G. 1, 2; Heuchel-T–n. Freiligrath V. 30, heuchlerische; Inbrunst-T–n. Kosegarten Rh. 1, 57; Krokodils-T–n, s. Krokodil; Lach- T–n. Gotthelf U. 2, 128; Liebes-T–n. H. R. 9, 392; Hölderlin H. 2, 120; W. 10, 147 etc.; In die Augen treibt die Wuth | uns selten Männer-T–n. Freiligrath Pol. 1, 53; Mannes-T–n. Kinkel 255; Mitleids-T–n für die Leidenden. Kretschmann 5, 175; Mutter- T–n. Kinkel 18; Thau gerinnt als Perlen-T. (s. 2b). Platen 1, 126 etc., T. von Perlenreinheit etc., s. T.-Perle; Mit heißen Reue-T–n. Sch. 80b; Schauder-T. Kürnberger Am. 269; T–n und Schleim-T–n [von schleimiger Konsistenz]. H. Merck 1, 17; Segens-T–n. Echtermeyer 597; Schon den ersten Scheidezähren | drängt sich die Sorgen-T. nach. Hungari 1, 489; Waisen-T–n. Hausbl. (62) 3, 369; Thoren, | die eine falsche Weiber-T. schmelzt. Sch. 408a; Wollust-T–n. Heinse A. 1, 202; Wonne-T–n. Cham. 6, 259; W. 20, 333 etc.; bildl. (s. 2b): Die hübschen Blümlein weinen Wonne-T–n. Heine 16, 54 etc. 2) nach einer mehr oder minder hervortretenden Ähnlichkeit mit 1, z. B.:
a) Drüsen.. unter dem innern Augenwinkel der Hirsche und Antilopen, welche . . T–n heißen. Oken 4, 331; Hirsch-T–n, -Bezoar. Laube Br. 262; Döbel 1, 17b.
b) bildl.: Thauperlen auf Pflanzen etc.: Bis ein .. Zephyr deinen Busen .. aufküsst und Aurorens | frühe T–n, gleich Perlen ihn umschimmern. Matthisson A. 11, 27; Die erschrockne Erde .., der noch die hellen T–n in allen ihren Blumenaugen zitterten. IP. 21, 144; Die thau’gen T–n möcht ich weg vom Boden. Schlegel Rich. III. 5, 3, s. 1: Perlen-, Wonne-T.
c) T. ist die gw. Benennung eines zähen Ausflusses von Bäumen und Blumen etc. . .. Die Blumen-T. wird [von den Bienen] zu Wachs verarbeitet. V. Ländl. 4, 791; Die Narcissus thrän’. 693 etc.; bes.: T., Reb(en)-, Wein-T–n, das aus den beschnittnen Reben (s. d. 2: Uhland) tröpfelnde Naß etc.
d) eine kleine Quantität, gleichsam ein Tropfen von Etwas: Nachdem er in die Tasse nur eine T. Rahm geträufelt. Hackländer Erl. 1, 75.
e) Threnen heißt er alle weiche Früchte, da man Saft und Trank von machet, als da sind: Weintrauben, Öle. Luther Randgl. zu 2. Mos. 22, 29.
f) Ein eigenthümliches süßes Getränk aus rothem oder weißem Wein bereitet, Hippokras oder poetische Braut-T–n genannt, stehet [in Holland] stets bereit, um die Besuchenden [der Braut] zu bewirthen. Büchner Leb. 67; 99.
g) in manchen Fällen: rundliche Körperchen, z. B.: Mastix kommt in Gestalt .. rundlicher Klümpchen und T–n im Handel vor. Karmarsch 2, 626 etc., ferner z. B.: Es kommen in der Glasmasse mit- unter harte Klümpchen (T–n) vor, welche, wenn sie nicht beseitigt werden, Fehlstellen in der Glastafel bedingen. 155 etc., so auch: Glas-T. = Springglas (s. d.) 225; Die bekannten Bologneser Flaschen, Glas-T–n und Glaswürmer. M. 2, 888; Gehler 2, 499 („Glastropfen“).
h) die Blüthenkätzchen, Palmen an Eichen, Nußbäumen etc. Adelung („Dröne“).
i) in Zsstzg. als Pflanzenn.: Coīx lacryma, T–n-Gras, Hiobs-T–n, woraus man Rosenkränze macht. Oken 5, 1534; 3, 399 etc., auch: Christus-, Moses-, Marien-T–n. Nemnich, das Letzte auch Bez. für Lithospermum officinale. Ders., vgl. (s. Anm.): Marienträher. Fischart B. III; schwzr.: Trän, Frauenträn, m.: Orchis mascula. o
Anm. Entsprungen, wie Zähre (s. d.) aus der Mz. eines masc., ahd. trahan, trân, mhd. trahen, trân, Mz. trehene, trêne, Nbnf. trehere, vgl. noch nhd.: Thrän, m. Opitz (bei Adelung); Stalder (= Tropfen); Mz.: Threne, Luther 6, 1b; 8, 344a; Trähen. Eppendorf (s. o.); Zu trähern bewegt. Schaidenreißer 68b, vergl.: Mit träherenden Augen. 42b; Traurig und träherende. 45b, s. thränen, ahd. trânjan, mhd. trehenen. Zu der allgemeinern Bed. von T. gehört auch wohl Thran, s. d., vgl.: [Harz von Weißtannen] wird von Etlichen genannt Tranbäch [Pech]. Stumpf 606b; Lässet ihn mit Ruthen über den ganzen Leib .. hauen, bis der Thron und das helle Blut über den Leib abläufet. Mylius TürkPr. 45 etc.