Faksimile 0375 | Seite 1197
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stehlen
Stêhlen, stahl (stohl), stöhle (stähle); gestohlen; stiehlst, stiehlt; stiehl! tr., auch ohne Obj. oder intr. und rcfl.:
1) heimlich und unvermerkt Etwas nehmen:
a) eigentlich von Dieben (s. d.): fremdes Eigenthum entwenden, vergl. rauben 1a (und Sch. 325a); 1e etc. —: S. wie die Raben (s. d. 1e); was die Augen sehn oder: mit den Augen; Einem Etwas s., z. B. auch: Einem die Zeit (Hagen Nor. 156, vergl. b; c); einem Schriftst. Gedanken (s. Plagiator), seine Sprache (Luther 5, 140a); Der Taglöhner stiehlt manche Stunde [seinem Herrn]. Möser Ph. 1, 25 (s. b); sprchw.: Woher nehmen und nicht s.?; Jemand (König Jer. 1, 109 etc.) oder Etwas (Scheffel Tr. 274) kann mir gestohlen werden, erscheint in meinen Augen ganz werthlos etc., s. auch e; f. Ferner übertr., z. B.:
b) Dem lieben Gott die Zeit s. (s. Tagedieb, versch. a; c); Sie werden .. | dir Einen um den Andern [deiner Anhänger] listig s. [entziehn]. Sch. 361betc.
c) ohne gehässigen Nbnsinn, z. B.: Stiehl, aber laß Jedem das Seine. Sprchw., eigne dir von Andern Kenntnisse, gute Eigenschaften etc. an; Das Bild ist wie aus dem Spiegel (s. d.) gestohlen etc.; Ich nahm oder vielmehr ich stahl [ergriff gegen ihren Willen] ihre Hände. Pfeffel Pr. 9, 75; Musst du nicht jeden Blick von ihren Augen s.? G. 7, 4 etc.; [Ich] muß s. meine Klag. Opitz 2, 144 [darf nur heiml. klagen]; Genöthigt, ihre Andacht zu s. Sch. 831b etc.; Ich muß die Zeit dazu förmlich s. oder sie mir ab-s. [sie andern Beschäftigungen abbrechen, versch. a; b]; Warum ich .. einige Stunden der Erholung dem öffentlichen Geschreibe über dieses Buch stahl. H. R. 7, 73 etc.; Da er endlich den Augenblick stahl [unvermerkt wahrnahm]. W. 10, 251 etc.; Gestohlne [heimliche] Freuden. Voigts H. 84 etc.; Einem das Herz s. (oder ab-s.), es unvermerkt für sich gewinnen (s. 2 und nam. Wernike R. 8), auch (s. d): Sein Leid stahl mir das Herz. Kinkel 17; Mit einer herz-s–den Anmuth. W. 19, 333 etc.
d) auch mit sachl. Subj., z. B. (Schiff.): Ein Segel stiehlt dem andern den Wind, entzieht ihn auffangend; Der Ton, der mir oft Thränen stahl [entlockte]. Göckingk 2, 147; Der faule Baum .. stiehlt Licht und Luft dem jungen Leben, das etc. Hölderlin H. 1, 47; Die Hecke, | die mir ihn stiehlt [meinem Blick entzieht]. L. Nath. 2, 4; Der peinlichen [Arbeit], die mir die Jugend stahl [mich darum brachte]. Sch. 336b; Begann .. ein matter Farbenton | dem Glücke ’was von seinem Glanz zu s. W. 12, 35; 229 etc.
e) tr., refl. mit Angabe der Wirkung, nam. zu a: Den Garten leer (B. 90b); sich zum Krösus (Pfeffel Fab. 2, 153), sich selbst nicht reich, mich aber arm (Hagedorn 1, 79), eine Seele an sich (Cham. 4, 270) s. etc.
f) veralt. (s. essen, Anm.): Ungestohlen. Logau (L. 5, 149), akt.: ohne gestohlen zu haben.
g) Stehler, gw. in der Reimverbind. mit Hehler (s. d.), seltner sonst: Tieck Viel Lärm 2, 1 (= V. Sh. 1, 386); Schaf- stehler (neben: Schafdieb). W. Luc. 5, 257 etc.
2) refl.: Sich woher, wohin s., heimlich und unvermerkt begeben, schleichen etc., z. B. eig. von Pers. B. 306b; G. 1, 237; 6, 381; 231; Sch. 19a; 373a etc., auch: Sich in Jemandes Vertrauen (419a), Gunst (334b), Herz (vgl. 1c) s. etc.; Gestohlen hab ich mich in die Welt, ein Bastard. Gutzkow R. 9, 476 etc., auch mit sachl. Subj.: Es stiehlt sich ein Strahl ins Heiligthum (G. 14, 7); ein Jugendschimmer (Hölderlin H. 2, 74), ein Seufzer aus der Brust; kein Gräschen durch die Spalten (Thümmel 2, 183); ein Stück des Kragens aus der Kravatte (Waldau N. 3, 151); ein Gäßchen zum Steinbruch (Freiligrath SW. 6 338), ihr Weg durchs Gebirge (W. 20, 56) etc.
Anm. Goth. stilan, ahd. stëlan, mhd. stëln, dazu ahd. stâla, mhd. stâle, diepstâl, Diebstahl; urverwandt wohl (mit dem Grundbegriff des Heimlichen) still, ahd. stilli, mhd. stille etc. Für die Abwandl. vgl. II fehlen, Anm., z. B. Impf.: stolen. Luther 6, 88b, wie noch gw.: stöhle. Alexis H. 2, 2, 121; Rückert 1, 171; V. Ar. 3, 256 etc. (neben: stähle. G. 29, 240; H. R. 9, 139 etc.); vereinzelt Imperat.; stehl! Pestalozzi 1, 81; bestehl! Klinger Seid. 32; bestehle! Börne 2, 452 etc.; über: „stile st“. Röm. 2, 21; „stilet“. Spr. 6, 30, s. Sanders Orth. 69, vgl. stielen.
Zsstzg. z. B.: Áb-:
1) [1] Einem Etwas a., eig. und übertr., z. B.: das Herz und Vertrauen (Hebel 3, 340 etc.); Liebkosungen (W. 12, 310); ein Geheimnis (L. 12, 47); eine Kunst (ablernen. Gotter 2, 295); der Natur nachahmend den Schatten (Sch. 23b), die Züge eines Menschen (D Mus. 1, 2, 562), vgl.: Reize, welche man nur von der Natur a. könne; W. 6, 205 etc.; Wie Vielen hat der Wein das Leben abgestohlen! Abschatz (WhMüller B. 6, 192); Sich die Zeit zu Etwas (Danzel 437); sich ein paar Augenblicke (Gutzkow R. 5, 164) a. [1c].
2) [2] veralt.: Eppendorf 130; Luther 6, 506a. Án- [1e]: Sich ein Vermögen a. Āūs- [1] stehlend ausplündern. Gervinus Lit. 3, 282; Luther 4, 402b; Musäus Ph. 4, 288 etc. Be-: Einen b. L. 1, 518 etc., um Etwas. Sch. 213a; 310a etc.; Die Reusen b. Freytag B. 1, 252; Wie die Tagediebe ihre Pflicht b.! Sch. 52ab etc. Davón- [2]: Schlegel Sh. 8, 187. Dúrch-:
1) [2] Mich zwischen beide Klippen durch-zu-s. L. 7, 92 etc.
2) [1] Das Dasein (WHumboldt 1, 389).
3) Sich d. (Auerbach Barf. 101), mit Diebstahl fristen etc. Eīn- [2]: Sich durch eine Öffnung mit (L. 3, 208); in Jemandes Haus (W. 23, 394), Herz (10, 235; 11, 156 etc.), Seele (7, 67), Gunst (Sch. 713b) e. etc. Ent-:
1) [1] Einem Etwas e. B. 106a.
2) [2] s. 1: Sich dem Auge der Welt e. Sch. 111b. Er- [1e]: Etwas e. Hebel 4, 130; H. 8, 365; 16, 59; L. 1, 102; Pestalozzi 1, 226. Fórt-: hinweg-s.:
1) [1].
2) [2] Möricke N. 351; Ramler 309. Hêr- etc.:
1) [1] Einen Bürger aus dem Kreise seiner Familie heraus-zu-s. Sch. 791a; Keller gH. 3, 8 etc.; Sachen unter den Händen hinweg-s. Olearius Reis. 259b; Mohnike Fr. 43 etc.
2) [2] Sich wo hin- (Uz 2, 63); die Treppe hinab (Freiligrath SW. 4, 201); hinaus- (Cham. 4, 21); hinein- (Musäus M. 4, 161); hinüber- (ESchulze 3, 227); hinweg- (Sch. 124a) s. etc. Ver-:
1) [1]:
a) veralt. statt des Grundw. Spr. 9, 17; Stumpf 215a; 381b etc., Schm., heute gw. nur Partic.
b) zuw. (vergl.: vergeizt, verlogen) dem Diebstahl ergeben: Ein sehr verstohlenes Volk. Freytag DW. 190; SClara EfA. 1, 449; 111; Wackern. 3, 759 ¹⁵ etc.
c) bes. oft: heimlich etc.: z. B. Ew.: G. 16, 14; 16; Mendelssohn Morg. V. etc.; Adv.: Sch. 75a; 167a; 495a; 528a; W. 11, 224; 239 etc., vergl.: verstohlnerweise. 195; 17, 120; L. 7, 249 etc.; Ggstz.: Unverstohlen [offen] soll’s auf der Stirn ihm stehn. Rückert 2, 109.
d) (zu b; c) Verstohlenheit. 2) [2] veralt.: Das Volk verstahl sich weg . ., wie sich ein Volk verstiehl(e)t. 2. Sam. 19, 3.
Wég-:
1) [1] eig.; übertr.: Forster R. 1, 200; Möricke N. 36; Sch. 262a; W. 11, 41; 19, 341 etc.
2) [2] G. 1, 311; 16, 92; Sch. 303b; W. 4, 196; 27, 251 etc. Zū-:
1) [1] stehlend hinzufügen. 2) [2] Sich auf die Hütte etc. z. Sealssield Leg. 2, 2; 70. Zurück- [2]: Sich ins Schloß z. Spielhagen Pr. 4, 152 etc. Zusámmen- [1e]: Thümmel Kil. 25 etc.