Faksimile 0451 | Seite 449
Faksimile 0451 | Seite 449
Faksimile 0451 | Seite 449
Faksimile 0451 | Seite 449
nöthigen
Nȫthigen, tr.:
1) in Umstände versetzen, so daß man nicht anders kann als Etwas thun, es thun muß (vgl. zwingen, gewaltsam n.): Einen Etwas zu thun n.; Ich bin (od. sehe mich) genöthigt, zu widersprechen etc.; Einen zu Etwas n.; auch mit ausgelaßnem Infin. (vgl. Zsstzg.): So dich Jemand nöthiget, eine Meile [mit ihm zu gehen], so gehe mit ihm zwo. Matth. 5, 41; Ich ward genöthiget, mich auf den Kaiser zu berufen. Apostg. 28, 19; Auf daß dein Gutes nicht wäre genöthiget, sondern freiwillig. Philem. 14; An deren .. Religionsübungen ich Antheil zu nehmen veranlasst, ja genöthigt wurde. G. 22, 169; Du nöthigest mein Herz zur Dankbarkeit. 35, 279; Weil die Vorbilder .. von Andern als n–d befolgt und beibehalten werden. 30, 28; Ein Begriff, zu dessen Annehmung uns die Vernunft nöthigt. Kant phR. 85; Sich nie wieder in eine solche Situation [zu kommen] n. lassen. JKinkel Ib. 2, 323; Der eintretende Winter nöthigte die Belagerer in die Sanders, deutsches Wörterb. II. Winterquartiere [zu ziehn]. Sch. 1001b; Also vollendete sie’s, zwar ungern, aber genöthigt. V. Od. 2, 111; [Daß er] genöthigt ward, das Schloß bei Nacht heimlich zu verlassen. Zinkgräf 1, 253; Durch das Aufziehn des Kolbens wird die Luft genöthigt, sich auszudehnen etc. 2) (s. 1) Jemand durch (dringende) höfliche Bitten zur Annahme von Etwas, nam. von Speis’ u. Trank od. einer Einladung bewegen od. zu bewegen suchen, ihn bitten, einladen etc.: Einen zum Essen, Trinken n.; Lassen Sie Sich nicht n., greifen Sie zu!; Gäste zu einem Mahl, zu einem Ball, zur Hochzeit n.; Einen ins Haus [zu treten] n.; Nöthige sie, hereinzukommen. Luk. 14, 23; 1. Mos. 19, 3; 33, 11 etc.; Aus was Ursache dieses Weib mich so außer- ordentlich nöthigte. G. 29, 117; So spricht mich euer förmlich N. los | von jeder Makel. Schlegel Rich. III. 3, 7 etc. 3) dazu: Nöthigung, f.; –en:
a) (s. 1) So eigensinnig widersprechend ist der Mensch. Zu seinem Vortheil will er keine Nöthigung, zu seinem Schaden leidet er jeden Zwang. G. 3, 174; Wenn äußere Nöthigungen ihn nicht unwiderstehlich bestimmen. 255; Gewalt wollte man nicht brauchen, aber ohne Nöthigung wäre man gar nicht vorwärts gekommen. 21, 199; Nöthigung Anderer zu seinen Gedanken. 24, 191; 23, 257; 39, 3; Glaub ja nicht an Nothwendigkeit und Schicksal, | an Nöthigung vielleicht nur etc. Schefer Laienbr. (1852) 239 etc.
b) (s. 2) Es bedarf keiner besondern Nöthigung, ich komme ohnehin etc.
Anm. Vralt. z. B. auch = nothzüchtigen (s. d.), vgl.: Sie n. die Weiber in ihrer Krankheit [zum Beischlaf]. Hes. 22, 10 etc., dazu: Jungfraun-Nöthiger. V. Sh. 2, 245 etc.; ferner: in Noth und Drangsal bringen; Erhaltet den Bedrängten und Genöthigten. Hutten (Wackern. 3, 219 Z. 21); Zogen sie ab und ließen das Schloß fürder ungenötiget [von Belagrung unbedrängt]. Stumpf 693b etc.; auch refl.: sich quälen, sich zu Etwas zwingen, es mit Überwindung seiner selbst übernehmen, z. B.: Weltlich Regiment hat für sich genug zu thun, darf sich nicht n., mit unnöthigem Regiment zu beladen. Luther 6, 352b. Ältre Nbnf.: nöthen (s. goth. nauthjan, ahd. nôtan, mhd. noeten, neben dem spätern ahd. nôtegón, mhd. nótigen) = zwingen etc., noch mundartl. und in gehobner Rede, z. B.: Uns anzugreifen, zu nöthen und zu pfänden. Berlichingen 268; Wie sie sich nöthen [quälen, abarbeiten] müssen. SClara EfA. 2, 618; Poeten, | die wahr G’schicht in falsch G’dicht nöthen. Fischart (Wackern. 2, 141 Z. 8); Sein göttlich Wort ist .. frei, auch nit in den Nothstall, Zwinger und Winkel der Schrift genöthet, verfasst, eingeschlossen. SFranck (3, 347 Z. 15); Nöthete (2) sie das Ehepaar in die Stube. Gotthelf G. 173; Wie sie es [das Mädchen] nötheten (1), sich mit ihm anzulassen. 175; Die ärgste Noth ist die, die gar zu lange nöthet [quält]. Logau (L. 5, 334); Der Tod kann Keinen [zu gehn] nöthen, | den ihr .. | nicht lassen wollt von hinnen. ebd.; Beim Tone der Flöten, | der Felsen kann nöthen | zu springen mit Ach. Rückert Mak. 1, 100; HSachs G. 2, 14; Schaidenreißer 53a; Er muß noch heut | das Fräulein nöthen, Paris zu verlassen. W. 10, 233; Zwingli 2, 26; Schm. 2, 719 ff. u. Stalder 2, 244, z. B. = (dringend) an Etwas gemahnen u. intr. (haben): eilfertig thun und knapp leben; dazu: Der Nöther etc. Ferner: nothen, in Noth stecken etc. Radlof Tr. 70.
Zsstzg. vgl. die von zwingen, z. B.: Áb-:
1) [1] (Einem) Etwas a., es ihm durch Nöthigung abgewinnen od. abnehmen, abzwingen; ihn dazu nöthigen, treiben etc.: Des Wüthrichs Niederträchtigkeit | .. nöthiget Empörung | selbst feigen Herzen ab. Alxinger D. 327; Un- annehmlichkeiten, die uns den .. Wunsch abnöthigten, daß wir endlich in eine bessere Lage kommen möchten. Forster R. 1, 69; Gellert 3, 53; Ein abgenöthigter Widerruf. G. 3, 287; Daß er eine Erklärung dir abgenöthigt. 9, 294; Furcht | vor größerm Übel nöthiget Regenten | die nützlich ungerechten Thaten ab. 13, 304; Uns ein mitleidiges Lächeln a. 15, 165; Jch weiß nicht, was mir die Verwegenheit abnöthigte; ich weiß nicht, wie ich es wagen konnte. 18, 226; Diese dem geübten Kunstauge abgenöthigten Betrachtungen. 16, 226; 33, 327 etc.; Was in der Taucherglocke man dem Meere | hat abgenöthigt. Platen 3, 70; Sch. 312b; Schlegel Sh. 6, 74; Der milde Einfluß seines Gestirns nöthigte dem unhöflichen Drescher den Hut ab. Thümmel 7, 173; 5, 36; V. Il. 19, 262; Eine stillschweigende Einwilligung a. W. 4, 197; Da sie ihm zu ihrer abgenöthigten Rechtfertigung gestand. 6, 82; Ein Ballett, das ihm einen flüchtigen Blick abnöthigte. 9, 284; 15, 193; 16, 108; 19, 190; 21, 157; 22, 135; HB. 2, 189; Ich lasse mir keinen Frieden abpochen oder a. Zinkgräf 2, 82 etc., auch: Abgenöthete Gegenwehr. 1, 323 etc.
2) vralt.: Einen a., von Etwas abzustehn nöthigen, z. B. von einer Belagerung. Stumpf 164b; 268a etc., ferner: Sich a., sich abquälen, abmühn. Simplicissimus 2, 305 etc. Āūf-:
1) (Einem) Etwas a. [1; 2], durch Nöthigung es ihm aufdrängen, aufzwingen, s. ein-n.; Dieses so oft von der Welt aufgenöthigte Verfahren. Auerbach Ab. 47; Willst du mir als Sinnenmenschen die Gottheit so gebieterisch a.? JFalck G. 279; Aufgenöthigte Angewöhnungen. G. 26, 337; Schafmilch, die er als höchste gesunde Nahrung pries und aufnöthigte. 27, 188; Der ihm Theilnahme an dem unseligen Familiengeschick aufzunöthigen gedenkt. 30, 461; Daß ihm Urtheil und Handlung mehr aufgenöthigt worden, als daß sie sich aus ihm selbst entwickelt hätten. 31, 74; Platen 2, 192; Das Volkslied .. nöthigt selbst dem Schulgesang der Meister einen kräftigern Takt auf. Prutz GschTh. 78; Der Drang der Umstände nöthigte ihm eine vorübergehende Größe auf. Sch. 775a; 450a etc.; Ein langes historisches Einschiebsel. . . Diese historischen Aufnöthigungen. Augsb. Zeit. (44) 2249b etc.
2) (vralt.) Etwas aufnöthen, aufsprengen, mit Gewalt öffnen. Fischart Garg. 286b etc. Āūs-:
1) (Einem) Etwas a., ab-n. 1. Mathesius Lthr. 27a etc.
2) [2] Einen a., ihn (aus seinem Hause fort) zu sich einladen. Be-:
1) (vralt.) Einen b., ihn in Noth bringen, in die Enge treiben, bedrängen, zwingen: [Die Stachelschweine] so sie von den Hunden benöthiget werden. Eppendorf 69; SFranck Chr. 265a; Wie er mit .. tyrannischem Gewalt von den Romanisten an Leib, Gut und Ehr beschwert und benöthiget werde. Hutten (Wackern. 3, 211); Mich nicht dringen noch b., . . zu widerrufen. Luther 1, 118b; 376a; Die Pfalzgrafen wurden aufs äußerste benöthiget. Stumpf 113a; Pipin benöthiget sie dahin, daß sie versprachen etc. 225b; Die, so sie mit dem Schwert in ewige Knechtschaft benöthiget hatten. 308b; 372a; Ein Jud .., zum Tauf benöthiget. 398b; 578a; 675a etc., auch: benöthen. Spate etc.
2) Etwas b., es nöthig haben, bedürfen; Was irgendwo eine griechisch-christliche Gemeinde wünschen, was sie b. mochte. Prutz DM. 4, 1, 603, gw. nur im Partic.: Benöthigt sein, mit Genit.: Kant SW. 1, 221; Ich bin deiner Dienste benöthigt. W. 1, 37; Mein Vermögen stand Jedem zu Dienste, der dessen benöthigt war. 5, 75; 6, 91; 102 etc., aber auch mit Acc., nicht bloß der allgm. Fw. (s. Das 4; Es 9 etc.), z. B.: Das Alles werden wir benöthigt sein. G. 19, 227; Wenn ich einmal Etwas von eurer Waare benöthigt bin. Hebel 3, 342 etc., sondern z. B. auch: Wozu er das Geld benöthigt sei. 148; Sollten Sie mehr als beikommende 25 Exemplare benöthigt sein. L. 12, 122 etc., ferner adjekt. = nöthig: Die benöthigte Summe. Engel 12, 130; Benöthigten Falls. L. 12, 261; Das benöthigte Geld. Platen 4, 36; Die benöthigte Stelle. Thümmel 2, 165; Das Benöthigte. W. 9, 117; Luc. 6, 21. Eīn-: vgl. auf-n. (1): Seinen Gästen ein Mittagessen e. IGMüller Lind. 3, 73; Nachdem sie der Dame die Chokolade eingenöthigt hatte. Paalzow Th. 1, 337; Gleichnisse, denen er die spätere Anwendung einzunöthigen weiß. V. Ant. 1, 151 etc. Hêr-, Hín- etc.: Wodurch man zu wahrer Theilnahme hingenöthigt [hingetrieben] wurde. G. 27, 237; Wenn ich aus meiner gleichmüthigen Heiterkeit herausgenöthigt werde. 19, 85; Wollte gern Handwerksmann bleiben, so daß ihn Herr Sp. aus seinem Stand heraus-n. mußte. Stilling 127; Er lasse sich in das trügerische Geschäftsleben gar nicht ein oder her- einbitten, herein-n. JvMüller 15, 1; Er nöthete [2] diese hinein [zu kommen]. Gotthelf G. 181; Übrigens nöthigten ihn die Chikanen bald hinweg [zu gehn]. Gervinus Lit. 5, 536 etc., s. zurück-n. etc.; Brünstiges Beten zu Herannöthigung der Hilfe. G. 24, 181 etc. Zū-:
1) Sich Einem z., angreifend und bedrängend ihm zu Leibe gehn; Wie sie sich ihm aber aufs Neue zunöthigten, ging er ihnen mit Macht zu Leibe. Möser Osn. 1, 143. So: Zunöthigung = Angriff, um Einen in Streit zu verwickeln; Beschuldigung. L. 4, 88; Rabner 3, 55; 60 etc.
2) Einen z., ihn nöthigen (1; 2), so auch: Ganz von selbst, ohne äußere Zunöthigung [1]. Fichte 6, 373; Es bedurfte keiner Zunöthigung [2], die hungrigen 57 Gäste fielen wie gierige Wölfe über die Speisen her. Musäus M. 1, 103 etc.
3) [2] Noch Gäste z., hin-zu-n. Zurück-: Nöthigte er uns .. ins Alterthum zurück [zu gehen etc.]. G. 27, 272; Görres Ver. 12; Ihn in seine natürliche Gestalt z. W. 23, 174; Mich .. | von Neuem zu dem alten Spiel zurück | zu nöthigen. HBr. 1, 21 etc.