Faksimile 0357 | Seite 355
Faksimile 0357 | Seite 355
müßig
Müßig, a.:
1) (vralt., mundartl.) freien Spielraum darbietend, leer, unbesetzt, s. müssen, Anm. und Schm. 2, 638, z. B. noch hochd.: So findet er’s das Haus] „müssig“, gekehrt und geschmückt. Matth. 12, 44. 2) (s. 1 und Muße) frei von Geschäften, unbeschäftigt:
a) von Pers. oder z. B. von Thieren, die der Mensch in seinem Dienste beschäftigt etc. = feiernd (s. d.), zumeist mit dem Nebenbegriff, daß sie beschäftigt sein sollten, so nam. da, wo es sich von einem längre Zeit oder immer währenden M.-Sein handelt: M. gehn (s. d. 2b); M. leben; Immer m. sein; Sein Amt lässt ihm wenig Augenblicke, in denen er m. sein kann; M–e Pflastertreter; Die Pferde stehn m. im Stall, es ist Nichts für sie zu thun; Ihr wollt sie noch feiren heißen von ihrem Dienst? . . Sie gehen „müssig“, drum schreien sie. . . Ihr seid „müssig, müssig“ seid ihr, darum sprecht ihr: Wir wollen hinziehen und dem Herrn opfern. 2. Mos. 5, 5 ff.; Lässest du den Knecht „müssig“ gehen, so will er Junker sein. Sir. 33, 28; 30, 13; Er ging aus um die dritte Stunde und sahe andere [Arbeiter] an dem Markte „müssig“ [unbeschäftigt] stehen. Matth. 20, 3 ff.; Die vollen „müssigen“ Hengste. Jer. 5, 8; Mästet die Kirche nicht . . viel Legion m–er, siebenfüderiger Schmerbäuch und Barrenhengst? Fischart B. 38a; 26a; Pflegte zu sagen, er sei niemals weniger m., als wenn er Muße habe. Garve Pfl. 1, 172; Den [aktiven Mann] sah ich auf einmal . . m–er als einen alten Jungge- 45* sellen. G. 9, 60; Nicht grade sehr beschäftigt, aber doch auch nicht ganz m. Monatbl. 2, 443b; Einen Mann erblickend, | welcher m. in einen Kahn gestreckt lag. Platen 4, 296; M. [ohne thätiges Eingreifen] sieht er seine Werke | und bewundernd untergehn. Sch. 78b; Sieht er m. | des Reiches Noth und seiner Städte Fall? 450b etc. Selten mit Genit. zur Angabe der Beziehung (vrsch. 3): Der Thaten zwar, nicht der Gedanken m., | war er sich selbst, war Alles ihm verhasst. Mosen Ah. 139.
b) (s. a) metonym., in Bezug auf Pers., nam. von der Zeit, z. B.: Mein Amt lässt mir doch manche m–e [oder Muße-] Stunde, die ich meiner Lieblingsbeschäftigung widme; M–e Augenblicke; Ein m–es [müßiggängerisches] Leben führen; Daß sie die Geister der Menschen aus einem langen Behagen, aus einer m–en Ruhe herausrissen. G. 39, 224 etc.
c) (s. a) in gehobner Rede auch von Etwas (gleichsam person.), das in seinen Funktionen feiert, z. B.: „Müssige“ Zähne [die Nichts zu essen haben]. Am. 4, 6; M. liegt dein Eisen [Schwert] in der Halle. Sch. 1a; Der müß’ge Panzer hing an der berußten Wand. Zachariä etc. Häufiger, selbst in der gw. Rede, von Etwas, das keinen Nutzen bringt, da, wo es ist, nutzlos und überflüssig, eitel, leer, unwirksam, wirkungslos etc., z. B.: Sein Geld m. liegen lassen, das Zinsen bringen sollte; Liegt Ihnen [dem Juwelier] das Halsband nicht schon ein Jahr m.? G. 10, 44, unverkauft und keinen Nutzen bringend etc.; M–e Reden, Klagen, Thränen, statt thätig eingreifender Handlungen; Ein m–es [nichtssagendes, bedeutungsloses] Beiwort, Epitheton etc.; Laß den Leichtsinn, laß die Träume fahren | und verstör uns m. [unnöthig, nutzlos] nicht die Nächte. Cham. 6, 249; Bloßer m–er Zierrath, leerer musikalischer Überfluß. Engel 8, 351; Das M–e, Undeutliche [in der Erzählung]. Gellert 1, 305; Hundert m–e oder unauflösliche Streitfragen. Gentz Rev. 63; Wenn die Frage .. wunderlich und m. scheint. G. 39, 130; In seiner Nähe darf Nichts m. sein, | was gelten soll, muß wirken und muß dienen. 13, 119; [Das Wort] kehret nicht m. zu mir zurück, | es verrichte denn, was ich gewollt. Mendels- sohn 4, 1, 186; Nicht eine müß’ge Neugier führt mich her. Sch. etc. 3) (veraltend) M. gehn (stehn) mit Genit., z. B.: einer Sache, einer Person, ohne dieselbe sein, sie entbehren, meiden, sich ihrer enthalten etc.: Daß der gemeine Mann solcher Bibeln gar wohl m. gehen könnte. L. 11, 529; Menget .. sich in Sachen, der[en] er billig „müssig“ ginge. Luther 6, 146a; 8, 380; HSachs 2, 3, 57c, Denk des Baums „müssig“ zu gehn. G. 2, 181; Geh meines Haus müssig gar. 1, 63; Schaidenreißer 4a; Heißt sie nun seines Haus m. stehen. 1a; Spate XVIII; Sie können Stehlens nicht „müssig“ gehen. Zinkgräf 1, 75; Scherer, treibe dein Handwerk, aber gehe der Leute müssig. 162; 2, 94 etc., s. Zarncke Br. 409b u. Schm. 2, 638.
Zsstzg.: Un-: (alterthüml. und mundartl.) beschäftigt, geschäftig, unruhig etc.: Jst also der Teufel zu beiden Seiten fast sehr unmüssig und hat Viel zu thun. Luther 6, 154b; Simrock Gudr. 137; 180; So sind sie mit Fantasieren [die Murmelthiere mit Possen etc.] ganz unmüssig und geschäftig. Stumpf 610a; Die Absicht und Reflexion ist u., will stets aufs Neue zeigen, daß etc. Vischer Ästh. 2, 266 etc., auch: An dem Pfarrer wurde nach und nach eine prickelnde U–keit [Unruhe] sichtbar. Möricke N. 439 etc., ferner ohne Uml.: Grade jetzt sei die unm u ßigste Zeit. Gotthelf Sch. 163, die beschäftigste etc., s. Schm. u. Stalder.