Faksimile 0092 | Seite 90
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gelehrt Gelehrtheit
Gelêhrt, a. (~heit, f.):
eig. das Partic. von lehren (s. d., auch Anm.), namentl.:
1) Rechtsspr.: G–er Eid, s. lehren 2a.
2) (s. lehren 6 und 11) nur veralt.: allgem. (s. 3) in Etwas unterrichtet, erfahren, geschickt, klug etc.: Eine g–e Zunge, daß ich wisse, mit den Müden zur rechten Zeit zu reden. Jes. 50, 4; G–er [klüger] als das Vieh. Hiob 35, 11; Zum Himmelreich g. [es fördernd etc.]. Matth. 13, 52; Bildner künstlicher Gefäße | hoch-g. [sehr geschickt etc.] in Erz und Thon. Sch. 56a; Die g–este [geschickteste] Fertigkeit in ihrer Kunst. W. 22, 18; G–er [erfahrner, kundiger] über diesen Punkt zu werden. 74; Wo Alles .. auf Täuschung hinausläuft, muß man die Zuschauer nicht gar zu nahe kommen oder zu g. werden lassen. 34 etc.
3) (vgl. 2) Gelehrsamkeit (s. d.) habend und: darauf bezüglich, davon zeugend, theils in lobendem, theils in tadelndem Sinn, insofern Gelehrsamkeit, wenn nicht der Geist durchdringend sie beherrscht und in Beziehung und Anwendung aufs Leben erhält, als drückende Last den Geist verschroben, ihren Besitzer, ihn dem Leben entfremdend, praktisch ungeschickt macht und dabei noch oft mit dünkelhafter Ver- achtung der „Nicht-G–en“ erfüllt, vgl. Pedant etc.: G–e Männer, Arbeiten, Werke, Schriften, Beschäftigungen; G–er Hochmuth, Dünkel, Zopf (s. d.); Die g–e Krankheit [Hypochondrie]; G–e Sprachen [deren die G–en sich gw. bedienen, Latein, Griechisch] etc.; Sprchw.: Je g–er, je verkehrter; Die G–en, die Verkehrten. H. Ph. 10, 355 etc.; Bis an den Hals (s. d. 1) g.; G. mit doppeltem e [also „geleert“ oder leer, d. h. ohne Wissen] etc. Hoch, tief, schwer (Brückner 243), gründlich, scharf (Luther SW. 63, 283), seicht (HSachs G. 2, 44), flach, oberflächlich g. etc.; J. Böhme war ein gelernter (s. lernen 1e) Schuster und ein g–er Philosoph; Der g–e Forscher des nordischen Alterthums. Cham. 4, 203; G. ist er vorlängst gewesen | .. vernünftig wird die Zeit ihn machen. Cronegk 2, 280; Daß der Übergang der Schriftstellerei einer Nation aus der g–en in die lebende Sprache eine Epoche des Verfalls der wahren gründlichen Gelehrsamkeit bei sich führe. Fichte 8, 13; Wie reich ist die g–e Welt | an Wissenschaft und großen Geistern! Hagedorn 3, 158; Die Bücher würden mich wohl g., aber nimmermehr zu einem Menschen machen. L. 12, 5 etc.
4) substantivisch zu 3 (vgl. Bedienter, Anm.): Der G–e, Mz.: Die G–en; Ein G–er, Mz.: G–e, veralt.: Es sind G–en, die etc., scherzh. verkl.: Man nennt Sie ein junges G–chen. L. 1, 298 etc., in Zsstzg. z. B.: G–en-Stand, -Stolz etc.; Versteh ich gleich Nichts von lateinischen Brocken, | so weiß ich den Hund doch vom Ofen zu locken. | Was ihr euch, G–e, für Geld nicht erwerbt, | Das hab’ ich von meiner Frau Mutter ererbt. B. 67a; Studenten sollten sie sich nennen, die Redlichen, die da das unerreichbare Ziel sich vorgesteckt haben und sollten Denen den Namen „G–e“ lassen, für die die Welt mit Brettern vernagelt ist oder die sich selbst vernagelt haben. Cham. 5, 147; Ich glaube, daß einige der größten Geister, die je gelebt haben, nicht halb so Viel gelesen hatten und bei Weitem nicht so Viel wußten als manche unserer sehr mittelmäßigen G–en. Lichtenberg 2, 275; Vor allen G–en waren gerade sie es, die am bereitwilligsten mit dem Zopf und der Perücke des G–en auch den g–en Hochmuth abwarfen etc. Ule Nat. 4, 44c etc.; Seine Alte wäre keine Gelehrtin. IP. 3, 166; Polko NNov. 6 etc.
a) Bursch.: Ein G–er, bei der Bierfehde ein Quantum von einem halben Glas, s. Vollmann 200; Wo er ... 10 G–e, 3 Päpste und sternenhafte Kognaks getrunken. Kladderadatsch 11, 39.
5) Zu 3: Zwar die Gelehrtheit feilscht hier nicht papierne Schätze. Haller 26; Gelehrtheit, die nicht den Mädchen geziemt. . .. Männergelahrtheit (s. Anm.). Kosegarten Dicht. 1, 95; Eine mehrere Kenntnis von Dem, was man die feinere G–heit heißt zu erwerben. W. 1, 5 etc., vgl. Gelehrsamkeit.
Anm. Zu 3—5 alterthümelnd oder altfränkisch (vgl. Lehre, Anm.), namentl. in Titeln etc.: Bei den Weisen, Ge- lahrten. G. 5, 220; 9, 168; Der gelahrte Mann. Grün Sch. 133; Gelahrter Innungen Zöglinge. V. 3, 57 etc.; Hochgelahrt. Beck Heim. 103; Cham. 3, 60; 3, 287; G. 11, 42; 12, 17; Novalis 1, 8 etc.; Ruf der Gelahrtheit. Alexis H. 1, 2, 36; Hielten mich für einen grund-g–en Mann. .. Diese meine Gelahrtheit. G. 22, 155; Weil sich die Gelahrtheit überhaupt nicht wohl ohne Polyhistorie und Pedanterie denken lässt. 258; Rachel 8, 422; Sturz 1, 64 etc.; daneben: Gelahrheit. L. 3, 141; Lichtwer 129; Rückert 6, 136 etc. und ganz veralt.: Gelehrtigkeit. Bode Empf. 4, 80; Weidner 132; 153; 158; 235; 368 etc.; Hochgelehrtigkeit. Luther 6, 24b.
Zsstzg. außer mit adverb. Best. wie Hoch-g(–heit), s. 2 und 3, nam. nach der Wissenschaft oder dem Fach der Gelehrsamkeit zu 3—5, z. B.: Arznēī-: So sprechen wir, zwar nicht a. Schlegel Rich. II. 1, 1. Brōt- [4]: der nur ums Brot der Gelehrsamkeit obliegt (s. Brotstudium): Zu Allem, was der B–e unternimmt, muß er Reiz und Aufmunterung von außen her borgen. Sch. 1003b etc.
Būch-: eine aus Büchern erworbne Gelehrsamkeit besitzend, s. schrift-g.: Der B–e. Börne 2, 108; Wie b. er auf die Bücher wüthet! V. Sh. 2, 410. Dách- [4]: (vgl. Stuben-g.) in einer Dachstube wohnend. JP. 54, 132.
Erz-: grund-g., sehr gelehrt.
Fách-: in einem best. Fach gelehrt: Dies zu beurtheilen überlasse ich den F–en.
Góttes-: theologisch und [4] ein Theologe: Jeden G–en zum Pfaffen herabgewürdigt. L. 10, 11; 3, 151; Sich der Gottesgelahrtheit [Theologie] widmen. 145; 11, 27; Doktor der Gottesgelahrtheit. 1, 258 etc.
Grúnd-: gründlich, tief gelehrt: Ein g–er praktischer Jurist. Gentz 1, 58; G. 22, 155 etc.
Hándwerks-: das Studium wie ein Handwerk treibend, s. Brot-g.
Kúnst-: eine gelehrte Kenntnis der Kunst oder einer Kunst habend und beweisend, auch z. B.: Gedichte, wodurch Shakespeare sich ebenbürtig in die Reihe der k–en Dichter [gelehrten Kunstdichter, im Ggstz. der volksthümlichen] gestellt.
Réchts-: juristisch und [4] Jurist: Einer der beredtesten | und r–sten Männer. W. HB. 1, 141 etc.; Ergab sich der R–heit. G. 33, 205; Die Rechtsgelahrtheit.
Sách-: gelehrt als Sachkenner, im Ggstz. zu wort-g.
Schēīn-: dessen Gelehrsamkeit nur Schein ist.
Schríft-:
1) buch-g.: Unser ganzes Zeitalter ist ja ein solches buchmäßiges und sch–es, wie es das alexandrinische war. Gutzkow R. 3, 303.
2) nam. ein in der heiligen Schrift Gelehrter, oft bibl., auch: Ich forsch’ in den Gesetzen, darüber sprech ich auch | mit andern Sch–en. Cham. 3, 328 etc. Dafür absichtlich verdreht: „Unsere Schriftgeliederte“. Fischart B. 10a. Sprāch-: Gelehrsamkeit in Sprachen habend, philologisch; ein Philologe. Stóck-: pedantisch, Pedant (s. Stock): Darum ist Lessing ebensowohl vollkommen ein Gelehrter geblieben, als auch niemals, auch nur im entferntesten, zum St–en geworden. Danzel 36. Stūben-: nam. [4] der seine Gelehrsamkeit ausschließlich in der Studierstube erworben, ohne Kenntnis des praktischen Lebens: Als ein grüner St–er erscheinen. Hartmann Unst. 2, 310; Gutzkow R. 4, 308 etc. Über-: überstudiert (s. d.), in Folge allzu großer Gelehrsamkeit verdreht: Die seltsamsten ü–en Hirngespinnste. Volger EE. 176. Un-: ohne Gelehrsamkeit: Das isländische Lied in einer leichten Verdeutschung den Laien und U–en vorzusagen. Cham. 4, 203, s. über die Betonung V. Ländl. 1, 33; U–heit. JvMüler 14, 32. Wēīn-: scherzh. weinverständig, vgl. weingrün: Ihr, der Trauben Kenner, | w–e Männer. Hagedorn 3, 47. Wórt-: s. sprach-g. und sach-g.: Haben die W–en | den Werth des Worts nicht erkannt. G. 4, 24; Sie überlassen das Wortgezänk den W–en. H. Ph. 3, XVII. Zópf-: pedantisch, Pedant (s. Zopf): Schrecken unter den alten Z–en. Jahrhundert 2, 116 etc. Zúnft-: einer Gelehrten-Zunft angehörig. V. Georg. V.