Faksimile 0071 | Seite 69
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lebendig
Lebéndig, a.:
lebend als Ew. (s. Leben I 1o): 1) von Leben, und zwar von einem höhern als dem bloßen Pflanzenleben, erfüllt, vgl. belebt, beseelt: L–e Geschöpfe, Wesen; L–e Junge gebären; Blumen sind nicht l. (s. 2a); Den l–en Blumen im Luftreich [den bunten Schmetterlingen]. Brockes 9, 331; Was ist doch ein L–es [wie die Seeschnecken etc.] für ein köstliches, herrliches Ding! Wie abgemessen zu seinem Zustand, wie wahr, wie seiend! G. 23, 106; Die ganze Kunst als ein L–es (́cον) anzusehen, das einen unmerklichen Ursprung, einen langsamen Wachsthum etc. .. wie jedes andre organische Wesen darstellen muß. 31, 26; Statt der l–en Natur | umgiebt . .. dich Thiergeripp und Todtenbein. 11, 20; Oft möchte ich auf deine [Maler-] Kunst zürnen, daß die Zauberin, die dem bloßen gefärbten Schatten so viel Lebenähnliches geben konnte, ihm nicht auch Das, was zum Leben noch fehlt, zu geben vermochte . . . Unwillig reiß ich mich dann von diesen Bildern los und kehre doch immer wieder zurück, als ob ich hoffte, sie nun l–er zu finden. W. 23, 314 etc. L–es Fleisch, im Ggstz. zum todten oder wilden (worin kein Gefühl ist), so auch: Hat man dir das L. troffen? HSachs G. 2, 155, die schmerzende Stelle berührt etc. Stehende Verbind.: Keine l–e Seele [Niemand]. Sch. 598a etc.; Mehr todt als l. G. 19, 243; Platen 4, 401 etc.; Bei l–em Leibe. Immer— mann M. 1, 41; Tieck N. 1, 21 etc.; L. todt, lebend, aber doch so gut wie todt, z. B.: Ein Sarg l–er Todten [der nach Sibirien Verbannten]. Cham. 4, 52; L. todt für alle Welt. W. 11, 170 etc., vgl.: Jesus! Da hätt’ ich den l–en Tod gehabt. Gutzkow R. 5, 205. Dazu:
a) aus Lebendem bestehend (vgl. 2c und d), z. B.: [Der Jgel1 richtet aus sich selber gleichsam | lebend’ge Palisaden auf [von den Stacheln]. Brockes 9, 302; Mann an Mann | steht mauergleich des Grafen Bann. ... So schütze Habsburg fort und fort | lebend’ger Mauer starker Hort. Simrock (Echter— meyer 95); so weidm.: L–e Wehre, von Menschen statt vom Zeug gebildet etc.; L–es Geleit, aus Pers. bestehnd, im Ggstz. zum schriftlichen (todten) etc.; Er ist ein l–es [sprechendes] Zeugnis, ein l–er Beweis dafür, vgl.: ein l–er Zeuge; Die Jugend, diese l–e Poesie. IP. 1, XXXIX; Er ist ein l–es Konversationslexicon; L–er (oder Blut-) Zehend, von Thieren gegeben etc. Auch: Die Brüste .., | der l–e (– ⏒, s. Anm.) Schnee. Rachel 7, 328.
b) von Leben (s. d. II 7i), von regem, bewegtem Treiben erfüllt, z. B. scherzh.: Er frisst l. (⏑ ⏑) Speck [das von Würmern wimmelt]. 4, 127 (s. auch Wackernagel 2, 451 Z. 19); L., milbig Korn. Fischart B. 67a; Der Käse ist l. etc.; ferner namentl.: Es wird schon auf den Straßen l.; An Markttagen ist die Gasse viel l–er; Bei Tage ist es weit l–er als in der Nacht; Das Herz, es ist munter, es regt sich, es wacht, | es lebt den l–sten Tag in der Nacht. G. 10, 270.
c) mit Lebenskraft erfüllt und sie zugleich ausströmend, lebend und belebend: Der Herr ist ein l–er Gott. Jer. 10, 10 etc.; Gott als Welt- urheber, d. i. als einen l–en Gott, als ein freies Wesen, das aus eigner freier Willkür, ohne irgend einen Zwang, der Welt ihr Dasein gegeben. Kant phRel. 13; Das l–e Wort Gottes. 1. Petr. 1, 23; Ich bin das l–e Brot. Joh. 6, 51, „das Brot des Lebens“ (48); Der Herr blies ihm ein den l–en Odem. 1. Mos. 2, 7; Der l–e Hauch ist verschwunden. G. Merck 2, 183 etc.
d) (s. c) reges Leben habend und demgemäß wirkend, nam. im Jnnern des Menschen: Eine l–e [lebhafte] Erinnrung, Phantasie; Ich kann mir Das recht l. denken, vorstellen; Die l–e [innige] Überzeugung, Hoffnung haben, daß etc.; Die niemals ganz erloschne Liebe ward dadurch wieder recht l. in ihm; [Da] ward die Sünde wieder l. Röm. 7, 8; Wiedergeboren zu einer l–en Hoffnung (s. o.). 1. Petr. 1, 3; Die Jdee ist ein selbständiger, in sich l–er und die Materie belebender Gedanke. Fichte 7, 55; Einem Hintergrunde, aus welchem diese Rosse . . . sich mit der l–sten [lebhaftesten] Wirkung abhoben. Gutzkow R. 5, 371; Mit der Stimme des l–sten Gefühls. Heinse A. 1, 119; Unterschied zw. l–em und todtem Glauben . .. L–en Glauben nennet er, da gute Früchte folgen etc. Luther 1, 406a. 2) (s. 1) zuw. auch von Pflanzen im Ggstz. des Abgestorbnen, Welken etc.: L–e Pflanzen. G. 27, 193, im Ggstz. zu den „eingelegten Zweigen“, so auch z. B.:
a) L–e Blumen, wirkliche, natürliche, im Ggstz. der künstlichen. ETAHoffmann Ausgw. 7, 336; Kühne Fr. 300 etc.
b) L–es Holz (Laubholz), das, abgehaun, aus der Wurzel wieder ausschlägt, Gegensatz todtes (oder Schwarz-) Holz.
c) L–e Hecken (s. d. I 1), Zäune, vergl. 1a und: Lebende (s. I. Leben 1o) Arkaden.
d) Eine Menge auf botanische Art aufbewahrte Kräuter heißt eine l–e Sammlung. Göckingk 2, 37. 3) zuweilen auch von Leblosem: in reger Bewegung, z. B.: Die Freude wird mir . . die Feder l. erhalten [zum Briefschreiben]. G. 14, 198; Ein frischer Nordwind ward mit dem Tage l. 203 etc., so (Schiff.): Die Segel l. erhalten, sie hin und her wappern, killen (s. d.) lassen. 4) in Verbind. mit best. Hw. (alphab.):
a) L–er Brunnen, mit immer frisch fließendem Wasser. Spr. 10, 11; 16, 22 etc., s. i.
b) L–e [natürliche] Bühne, s. m.
c) In den l–en Felsen eingehauen. Kohl E. 1, 106, der Fels in seinem natürlichen Wachsthum, unbearbeitet, nur frei gemacht von dem Sand und dem verwitterten Gerölle etc., s. l.
d) L–es Gefälle, bei unterschlächtigen Wassermühlen das Gefälle, welches das Gerinne unter den Rädern zum Schuß bekommt.
e) L–er Kalk, ungelöschter (s. f).
f) L–e Kohle (G. 12, 93 etc.), brennende.
g) L–e Kraft, wirkende, nam. Mechan.: die wirklich Bewegung hervorbringt, Ggstz. todte [ruhende] Kraft.
h) L–er Merkur. Sch. 722b; L–es Quecksilber oder L. Silber. G. 6, 77, Quecksilber (s. d.) in seinem metallischen, flüssigen Zustande.
i) L–e Quelle (s. a). Ps. 36, 10; G. 27, 80; Ich fühle die l–e Quelle nicht in mir, die durch eigene Kraft sich emporarbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen aufschießt, . . k) L–er Schwefel (s. leben I 1o). V. Ov. L. 7, . . 1, 171; L. (– ⏒) wird der genennet, | den man gräbt, der rein und weich. Brockes 9, 36. l) Die Wände rauchgehöhlt | sind von l–em Stein. Nicolai 1, 246, s. c. m) Auf einem l–en Theater, unter freiem Himmel. Devrient 2, 107, s. b. n) Einen Brunnen l–en Wassers (s. a u. i). 1. Mos. 26, 19; Der Quell l–en Wassers. Cham. 4, 220; 3, 327; G. 23, 61 etc. o) L–es Werk (Schiff.): der sich im todtes, der sich außer dem Wasser befindende Theil des Schiffs, s. Todtholz.
Anm. Ahd. lëbentig, mhd. lëbendec, mit betonter erster Silbe, wie noch mundartl. Schon bei Opitz mit schwankendem Ton: Du bist todt l. (– ⏑), ich bin l. (⏑– ⏑) todt. 1, 182; Schon vor dem Tode todt und l. (– ⏑⏒) begraben. 139, vgl. die Stellen aus Rachel: 1a und b und Spate 2, 18 etc. S. lebig und Elend III, Anm.
Zsstzg. z. B.: Fülle der all-l–en Welt. Hölderlin H. 1, 10; Des lieb-l–en [liebebewegten] Herzens. G. 6, 99; So markt-l. und bevölkert. Kohl Irl. 2, 432; Ein rasch- l–es Auffassungstalent. Wurm Spr. 73; Die Gegenwart der stumm-l–en Natur. G. 22, 132; Bändige | .. über-l–e, | heftige Triebe. 12, 213; 3, 301; Auf diese nur äußere unl–e Grundlage gebaut. Steffens Erl. 5, 362; Prutz GschTh. 114 etc.; Den voll-l–en Strom .. einzuschlürfen. Kosegarten Po. 2, 366.