Faksimile 1064 | Seite 1056
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künsteln
Künſteln, tr. u. intr. (haben): mit Kunſtarbeiten:
1) ohne tadelnden Nebenſinn: Am Wilhelm [Meiſter]
habe ich hier und da eingeſchaltet und am Stile gekünſtelt,
daß er recht natürlich werde. G. Stein 3, 57; Homer läſſt
den Vulkan Zierrathen k. L. 6, 483; Es verſteht ſich, daß
ich auf keine Übergänge zu k. habe; die Übergänge werden
unſer Einem nicht ſo leicht als den Leſſings. 13, 2 (Mendels-
ſohn) ꝛc., vgl. „Der Kobelt iſt ein Tauſendkünſtler, er hat
deines Jungen Geſtalt an ſich genommen.“ Es hat ſich
(ſ. d. †) wohl gekünſtelt .., der arme Schelm iſts ſelber.
Weiſe Jſ. 139; u. mit durchſchimmerndem Sinne v. 2:
Du haſt, nicht abhold k–der Beſchränkung, | zwei Vierling’
und zwei Dreiling’ uns gereimet? V. 4, 170 (vgl. G. 2,
229). Hierzu: Künſtler (ſ. d.). 2) gw. mit mehr
od. minder hervortretendem tadelndem Nebenſinn, entw.
des allzuſichtbaren Beſtrebens der Kunſt, des Geſuchten
oder des nicht Natürlichen, Echten, Wahren oder des
Kleinlichen: Er künſtelte nicht zur Unzeit mit kleinlichen
Schnörkeleien. Börne 5, 221; Windmüllerei iſt die durch-
leuchtige Kunſt, die einſt berühmte, welche Staaten künſtelt.
Dingelſtedt 264; Dem zu gekünſtelten, in zu regelmäßige
Form gezwungenen Garten. Engel 1, 221; G. 40, 387;
[Man ſieht] Frauenzimmer bisweilen .. einen männlichen An-
ſtand künſteln, um Hochachtung einzuflößen; was man aber
wider den Dank der Natur macht, Das macht man jederzeit
ſehr ſchlecht. Kant SchE. 79; Wenn ſie Mienen zu k. geübt
ſind, die Dem, was ſie thun widerſprechen. Anthr. 279;
Wenn wir nun die Bemühung zu gefallen gar zu deutlich
merken und alſo mehr die Übereinſtimmung der Mittel zum
Endzweck als ihre natürliche Verbindung unter einander wahr-
nehmen, ſo ſagen wir, es ſei zu ſehr gekünſtelt. Mendelsſohn
4, 2, 213; So entbindet der griechiſche Dichter ſeine Men-
ſchen ... von allen froſtigen Anſtandsgeſetzen, die an dem
Menſchen nur k. u. die Natur an ihm verbergen. Sch. 1126b;
Je einfacher ihre Mittel ſind, je weniger ſie daran künſtelt,
deſto beſſer für den Leidenden. W. 29, 158 ꝛc. 3) dazu
nam. oft im adjekt. Partic.: Einmal iſt der Stolz über-
haupt ein unnatürlicheres, ein gekünſtelteres Laſter als die
Eiferſucht. L. 7, 135; Wahre Staatskunſt ... Sieche, ge-
künſtelte Politik. Sch. 787b; Eine gekünſtelte Wendung. W.
5, 142 ꝛc. und im Ggſtz.: Der Kunſtgriff .. iſt [erſcheint]
ſo ungekünſtelt [natürlich]. L. 13, 23 (Mendelsſohn); Ein
ſo ungekünſteltes, ja ſo nothwendiges Erzeugnis ihres Jahr-
hunderts. Sch. 1030b ꝛc.
Zſſtzg., vgl. die von Kunſt, z. B.: Scheide-K.
(Chemie treiben). Lavater (Gervinus Lit. 5. 307); Beifall
meiner Gelehrten vers-k–den [ſich mit der Verskunſt abge-
benden] Zeitgenoſſen. B. 324a ꝛc., ferner mit Vorſ.,
z. B.: Án-: künſtelnd anfügen: Die Politik iſt .. eine
angekünſtelte Idee, die den Staat ewig nach außen beſchäftigt.
Waldau N. 3, 270. Āūf-: 1) künſtelnd aufheften,
an-k.: Stand ſeine Geſtalt im Widerſpruch mit der Haltung,
die er ihr aufkünſtelte. OLudwig Himm. 79 ꝛc. 2) empor-k.
Āūs-: künſtelnd oder künſtlich geſucht ausklügeln,
heraus-, hervorbringen: Auf eine ſo hämiſche, ſo geſuchte,
ſo recht ausgekünſtelte [raffinierte] Art. Engel 12, 37;
Haben Fremdheiten ergrübelt, verwirrte Schalldinge ausge-
künſtelt. Jahn V. 374; Daß ihn die Natur recht dazu ausge-
künſtelt habe. L. 3, 7; Der ausgekünſteltſten Sinnlichkeit. W.
4, 56; Sein Weſen ausgekünſtelt, heuchleriſch. Zſchokke 1,
330 ꝛc. Be-: mit Künſteleien verſehn, ver-k. ꝛc.:
Leichter, dieſen künſtlichen Zuſtand immer mehr zu b. als zu
dem einfachen zurückzukehren. G. Zelt. 4, 286. Em-
pōr-: künſtlich emporbringen oder -ſchrauben, hin-
auf-k.: Um eine ſolche Induſtrie raſch möglichſt emporzukün-
ſteln. Kürnberger Am. 169. Er-: künſtelnd erzeugen,
hervorbringen: 1) [1]: Um Blumen der Au geſchäftig |
und den Kranz Feldnymphen zum Dank e–d. V. H. 1, 228.
2) [2]: Ohne eine muntere Miene erkünſtelt zu ha-
ben. Geßner 4, 104; G. 31, 12; Schlimm, mit einem
Autor zu thun zu haben, der keine Ordnung kennt; noch
ſchlimmer aber mit dem, der eine Unordnung erkünſtelt, um
ſeichte oder falſche Sätze unbemerkt durchſchlüpfen zu laſſen.
Kant SW. 1, 405; Klinger F. 189; Den nahen hoffnungs-
vollen Lenz ſollt’ ich | vertilgen, einen lauen Sonnenblick | im
Norden zu e.? Sch. 767b; Schleiermacher 3, 2, 211; Tieck
Cymb. 3, 3; Eine Scheinwahrheit zu e. W. 5, 253; Daß
er, um ſeine Verlegenheit zu verbergen, eine Laune e. mußte
ꝛc. 21, 100 ꝛc. Nam. oft [3] im Partic.: Die erkün-
ſtelten Talente. G. 3, 89; Einen erkünſtelten Kitzel der Phan-
taſie. Klinger Teutſch. 53; Erkünſtelte Begeiſterung. Sch.
1017; 1114a; Erkünſtelte Tugenden. W. 9, 25; V. erkün-
ſtelten Begriffen und falſcher Wiſſenſchaft. 16, 66 ꝛc.; ſeltner
im Ggſtz.: Ihre Tugend unerkünſtelt, ungefärbt [echt]. 8,
208; In unſern unerkünſtelten Empfindungen. H. 4, 79 ꝛc.
Auch Doppelzſſtzg.: Uns die Sitten wünſchen oder lieb-
haberiſch nach-e. H. 9, 404, ſ. nach-k. ꝛc. Hêr-,
hín- ꝛc.: Welcher Tod erſt durch allmähliche Verringerung
ſeines Grades zum Leben heraufgekünſtelt werden müßte.
Fichte 7, 55; Um ſpäte Sinnbildnerei in ogygiſche Urzeiten
hinauf-zu-k. V. Ant. 1, 79 ꝛc. Aus den unſchuldigſten
Äußerungen ſchwere Staatsverbrechen heraus gekünſtelt.
Enſe (DMuſ. 1, 2, 665); Immermann M. 4, 246; Kant
SW. 1, 414; W. 21, 284 ꝛc. Das in die Welt hin-
eingekünſtelte Gift einer Formelreligion. Waldau N. 1, 73.
Jene Überſchwänglichkeit des Gefühls, die Jean Paul her-
vorkünſtelte. Marx Beth. .. Zu den hergebrachten For-
men und Formeln der Poeſie künſtelten ſie höchſtens eine und
die andere dürftig hinzu. Gervinus Lit. 3, 172 ꝛc.
Nāch-: 1) künſtelnd nachmachen: Alſo künſtelten Andre
ſein Arkanum nach. Muſäus Ph. 1, 70; M. 3, 102; Dem
Antikiſchen, was bloß die Form der Alten nachgekünſtelt.
Schlegel Lit. 2, 130 ꝛc. 2) nachträglich an Etwas kün-
ſteln, künſtelnd nachbeſſern. Über-: allzuſehr kün-
ſteln: Überkünſtelte Einbildungskraft. (Klinger Giaf. 265),
Bereitung. (Rumohr Kochk. 21) ꝛc.; Komplikation und Überkün-
ſtelung. G. 38, 86. Ver-: künſtelnd verderben, verbil-
den ꝛc.: Er verkünſtelte die alte Muſik. Droyſen A. 3, 90; G.
39, 343; Jedweden Zank in Zorn zu ver-k. Jahn M. 62; Als
ſie ſich zu Affen und Papageien verkünſtelten, ihre eigene Sprache
aufgaben. V. 373 ꝛc; nam. oft im Partic.: Seitdem löblich
nur heißt, was ſtimmt mit verkünſtelter Sitte. Baggeſen 1,
11; Fichte 8, 75. Wie ein Dichter von ſo ſchlichtem Sinn
... in dieſe verkünſtelte Kunſt kam. Gervinus Sh. 1, 65;
Zeitkultur, die uns in allen unſern Verhältniſſen und Lagen
ſo verkünſtelt (nach bizarren Regeln einer falſchen Kunſt ver-
dorben). Peſtalozzi 4, 320. Bei dieſem verkehrten und ver-
künſtelten Weſen. FSchlegel Luc. 188 ꝛc.; Ggſtz.: Ein ge-
rader und unverkünſtelter Bauersmann. Hebel 3, 312; Sie
iſt ſo ſchlecht und recht, ſo unverkünſtelt, | ſo ganz ſich ſelbſt
nur ähnlich. L. Nath. 5, 6; Ungebildeten, aber dafür auch
unverkünſtelten“ Menſchen. W. 18, 3; 24, 8; Einer unver-
künſtelten Einfalt, Aufrichtigkeit. 31, 503 ꝛc. Auch: Einige
neuere Krieg-Verkünſtler. Pz 1, 34 ꝛc. Zū-: kün-
ſtelnd zuſtutzen: Seine nun beflügelte und zugekünſtelte
Einbildungskraft. Klinger F. 6. Zuſámmen-: kün-
ſtelnd zuſammenſetzen: Mit mehr Sorgfalt .., als ſo einen
Schelmenfabrikant aus kleinen ... Anzeigen und Umſtänden
ſich endlich einen ſtrohlumpenen Vogelſcheu zuſammenkünſtelt.
G. 9, 201; Was Newton zuſammengekünſtelt hat, um ſeine
falſche Theorie zu beſchönigen. 39, 313 ꝛc.