Faksimile 0894 | Seite 886
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Kehr
I. Kêhr, f.; –en: das Kehren (ſ. d.), doch außer
Zſſtzg. nur in einzelnen, größtentheils mundartl. An-
wendungen (ſchwzr. meiſtens masc.): 1) Wendung:
Thüren viel und unbedacht K. [unerwartete, überraſchende
Wendungen, Umbiegungen], | Abgäng, Durchgäng’ und
Irrung mehr [im Labyrinth]. Zwingli 3, 246; Du muſſt
mit dem Wagen einen K. machen; Die Sache wird eine(n)
andere(n) K. nehmen. Stalder; Brem. Wörterb., ſ. EWagner
10, 31; Die Sonne geht zu K–e, vgl. Gnade, Anm. und
Gold 3. a) Ackerb.: K., K–e, Kahr, das Umwenden
mit dem Pflug und der Ort desſelben zu Ende des
Ackers, Pflug-K., Pflug- oder Anwende, Anwand ꝛc.
b) Turnk.: Kehre, die Bewegung oder Übung, wobei in
ihrer Mitte in ſitzender Stellung Geſäß und Rücken dem
Turngeräthe zugekehrt ſind. Jahn Turnk. 71, vgl. Wende.
2) die Reihe, wie ſie ſich wendend an Einen
kommt, ihn trifft: Er hatte die K., d. h. die Reihe war an
ihm, das Waſſer auf ſeine Matte zu laſſen. Gotthelf U. 2,
336. a) In die K–e kommen. Sch. 198 = in die
Reihe kommen, d. h. rechtzeitig mit Etwas zu Stande
(zu Wege, ſ. 4) kommen und fertig werden (eig.: ſo,
daß wenn Einen die Reihe trifft man nicht zu-
rückzubleiben braucht). b) = mal: Die erſte, zweite
K. Brem. Wörterb.; In zwei K–en, gleichſam in zwei Wen-
dungen oder Abſätzen; Dieſen, einen andern K., dies-,
ein andermal. Stalder; K. um K., ein Mal ums andre,
wiederholt. Gonhelf G. 294. c) ,,beim Tanzen, Spie-
len und andern Handlungen, die nach Abſätzen vorge-
nommen werden, le tour, die Partie: In die K. ſpielen,
nach einzelnen Partien“. Schm. d) der Einſatz bei
jeder einzelnen Partie im Spiele: Die K. einziehen.
Schm., vgl. Bete 2. 3) eine Fahrt ꝛc., vgl. Partie,
Tour und 2c, z. B.: Auf der vorigen K., als allein er die
Reiſ’ in das Hochland | macht’. Baggeſen 1, 111; Wenn jetzt
am künftigen Sonntag | ihnen wir gönnten die K. 10; 13;
Jetzt in der dritten begonnenen K. .. | lenkt er im Umgehn
ein. 212; Auf der vorigen K. vierjährigen Umlaufs | in der
unendlichen See. 2, 324; 4, 95; 144; Auf gewohnter K. |
zog eine Hexenelfe ihn neckiſch kreuz und quer. Reithard 378;
verkl.: Ein Kehrli machen, ſpazierengehen. Gotthelf G. 246 ff.,
vgl.: Einen K. machen. Stalder. 4) Richtung, Lauf,
Weg: Aus der Kehre fahren, gehen, reiten, einen Umweg
machen; Etwas liegt ganz aus der K., iſt weit gefehlt.
Brem. Wörterb. und Schütze; In die K. kommen, ſ. 2a.
5) Deichb. (ſ. 4): die grade Richtung eines Damms
der Länge nach.
Anm. Ahd. chêra, mhd. kêre (fem.) und kêr (masc.),
ſ. Benecke 1, 799. Das masc. nam. ſchwzr., doch ſ. Ab-K.
(2), hochd. (masc.) üblich nur noch in Verkehr (zuw. auch
neutr., ſ. II.).
Zſſtzg. z. B.: Áb-: 1) das Sich-Abkehren, Weg-
wenden von Etwas: Tiefe Verſtimmung und völlige A. von
allem äußeren Leben. Gervinus Gſch. 1, 331; Seine poetiſche
A. von der Wirklichkeit. Schwegler 2, 493 (Strauß); Droyſen
Y. 1, 20; Franck Par. 82b; 157a ꝛc. Daher: 2)
(niederd.) dem fremden „Averſipn“ entſprechend =
Abſcheu: Daß du den Tod | nicht mit gar zu großer A.
ſcheuſt und fürchteſt. Brockes 9, 585; als masc. Brem.
Wörterb. 3) (veralt.) = Kehrab (ſ. d. 2). Weidner
64. Án-: (mundartl.) ſ. Schm. 2, 323; Grimm
Weisth. 1, 740 (masc.) und Ein-K. 1. Āūs-:
die Auskehrung, Ausfegung: Die A., Bach-A. Schm.;
Die Zeit der Schnee-A. oder des Lawinenfalls. Kohl A. 3,
33 ꝛc. Veralt. (m.) = Auszug (z. B. aus Agyp-
ten). Keiſersberg bei Grimm. Be-: (veralt.) Bekeh-
rung. Schm. Eīn-: 1) die Einkehrung und der Ort
derſelben: Hatte ich unterwegs Ausſicht auf die angenehmſte
E. G. 25, 167; Gotthelf Sch. 11; Dem Glück und was ihm
folgt die E. abzuſchlagen. Hagedorn; Kurz Sonn. 249;
Manch ſchlecht Wirthshaus hat E. und Zulauf. Muſäus Ph.
2, 94; Gekommen .. zur E. der Särge und der Todten-
gebeine Herberge [Kirchhof]. Rückert Mak. 1, 81; Thümmel
7, 17 ꝛc. In Mecklenb. ſo auch: An-K., wenn es ſich
nur um ein kürzeres Verweilen handelt. 2) übertr.:
Die E. in ſich ſelbſt, ins eigne Herz, Gemüth, das In-ſich-
Gehn und die Abkehr von der Welt. Gotthelf G. 107;
H. Ph. 10, 180; Lewald W. 2, 409; Als ich ermattet
niederſank und E. halten wollte ꝛc. Gutzkow R. 5, 520; 8,
351 ꝛc., ſ. Heim-, Rück-, Um-K. Hēīm-: das
Heimkehren, auch übertr.: Dieſes Zurückfallen in den alten
Aberglauben, wie ſie meine H. zu Gott zu nennen belieben.
Heine Rom. 304, vgl. Ein-K. und Bekehrung.
Pflūg- [1a]. Rück-: das Zurückkehren, die Zu-
rückkunft, z. B.: Am Tage ſeiner R. G. 13, 37 u. v.,
auch übertr.: Bei einer R. auf ſich ſelbſt [wenn ſeine Be-
trachtung auf ihn ſelbſt zurückkam, ſich auf ihn ſelbſt
zurückwandte]. 19, 261; 229; 304; Verſuch der R. in
ſich ſelbſt. 39, 157 ꝛc.; Elvire (mit R.). Müllner 2, 64, mit
zurückkehrendem Bewuſſtſein, wieder zu ſich kommend
ꝛc., vgl. Zurück-K. Sónnen-: Als hätte nicht | ſo
manche Tagefahrt zu Land und See, | ſo manche S. ſich drein
gelegt. G. 4, 41, Jahr, als die Zeit, wo die Sonne
wieder an ihren frühern Ort zurückgekehrt, vgl. auch
Sonnenwende. Úber-: Die von den ausgedroſchenen
Körnern durch Ausfegen -oder Überfledern abgeſonderten Ab-
gänge werden die Ü. oder Rieſing genannt. Krünitz 9, 585;
Spreuer nebſt der Ü. Brockes 9, 151 ꝛc., auch: das
Überkehren. Um-: das Umkehren (ſ. d. 1), eig.
und übertr.: In Folge unſrer geiſtlichen U. und Ein-K.
Gutzkow R. 8, 351; Nirgend U. und Änderung der Gedan-
ken. H. R. 7, 325 ꝛc., ſ. Schm. Vōr-: Anſtalten
gleichſam als eine geſchickte Wendung —, die man in
Vorausſicht Deſſen, was für etwas Kommendes erfor-
derlich iſt, im Voraus trifft, gw. in Ez. und ohne Ar-
tikel: V. treffen, ſonſt meiſt Vorkehrung: Witterte Ge-
fahren .., konnte V–en treffen zu rechter Zeit. Gotthelf Sch.
185; Ihre verſuchte V. gegen das gewaltige deutſche Volk.
Jahn V. 444. Wīēder-: 1) Rück-K., eig. und
übertr.: Es iſt | an keine W. zu denken. G. 8, 107; Sch.
29b; V. Od. 1, 17 ꝛc.; Seine große Faſſung, die W. zu
ſich ſelbſt, zum höheren Sinne machen ihn der Bewunderung
würdig. G. 22, 226; Als der Erſchaffende von ſeinem An-
geſichte | die Menſchen in die Sterblichkeit verwies | und eine
ſpäte W. zum Lichte | auf ſchwerem Sinnenpfad ihn finden
hieß. Sch. 23a; Die Verführten ... ſoll Reu und W. | mit
Gott und mit der Kirche auszuſöhnen genugſam ſein. W. 28,
65 ꝛc. Auf Nimmer-w. fort, ſchwinden ꝛc. Benedir 8,
46; Prutz DM. 1, 1, 141 ꝛc., ſo daß nimmer W. zu er-
warten iſt. 2) (veralt.) das Hin- und Zurückgehn:
Dreimal die W–e hatt’ er nun genommen | bis an des Hee-
res Ende. Simrock N. 205; 553. 3) Weber: die
gegen einander gekehrte Richtung der Köperſtreifen.
4) Zimmermann.: das Zuſammenſtoßen zweier
Dächer in einem Winkel. 5) (veralt.) neutr.: Von
dem W., wenn das ganze Gedicht ſich reimt. Herrig 14, 64;
Ein kurzes W. Schottel 938 ꝛc. Ahnl.: Die W. = Re-
frain (ſ. d.). Campe. Zū-: Ggſtz. von Ab-K. 1
(ſelten). Zurück-: Rück-K. (ſ. d.), z. B.: Einer
momentanen Z. der Sprache bei Stummgewordenen. Schubert
Nachtſ. 354 ꝛc. u. ä. m.