Faksimile 0830 | Seite 822
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irr Irre
I. Irr(e), a.: vom rechten Wege (eig. u. übertr.)
abgehend oder ableitend, irrend, das Recht verfehlend
ꝛc.: 1) mit Zeitw.: a) der Bewegung: J. gehen, fah-
ren, reiten ꝛc. (ſ. Irren 1), gehend ꝛc. vom rechten Wege
abkommen: I. führen, leiten, vom rechtem Wege abbrin-
gen, verurſachen, daß man vom rechten Wege abkommt
ꝛc.: Verlaſſen den richtigen Weg und gehen i–e. 2. Petr. 2,
15; Wo iſt Jemand, ſo er i–e gehet, der nicht gerne wieder
zurecht käme? Jer. 8, 4; Zu beweiſen, daß wir recht glauben
und ſie ganz i–e gehen in dieſem Artikel. Luther 8, 63a; So-
gar wenn wir am i–ſten gehen, | führt eine Wolkenhand uns
ungeſehn einher. W. 11, 161; Der edle Hirſch hat über Berg
und Thal | ſo weit uns i. geführt, daß ich mich ſelbſt, | ob-
gleich ſo landeskundig, hier nicht finde. G. 13, 229; Vexier-
räthſel, die den Rathenden abſichtlich i–e zu leiten [i–e zu
machen, ſ. b, zu irren] ſuchen ꝛc. Zuweilen auch mit
„von“ zur Angabe Deſſen, wovon man abkommt, ſtatt
darauf zu bleiben oder ſich ihm zu nähern, z. B.: Sie
ſind vom Glauben i–e gegangen. 1. Tim. 6, 10; Sie ſind
von mir i–e gegangen nach ihren Götzen. Heſ. 44, 10;
Warum den Odyſſeus .. Poſeidon | .. i–e treibt von der
Heimath. V. Od. 1, 75 ꝛc. Andrerſeits bez. aber i.
zuw. auch nur: unſtät, „hin und her wankend“ ꝛc.:
Die i–e gingen in der Wüſte .. und fanden keine Stadt, da
ſie wohnen konnten. Pſ. 107, 4; Fliegen i–e, wenn ſie nicht
zu eſſen haben. Hiob 38, 41. Daran ſchließt ſich: Es gehe
irre [um] im Schloſſe und wohne ein Spukgeiſt darin. Muſäus
M. 4, 55. Ferner veralt. und mundartl.: Etwas i.
gehn, es vermiſſen. Hammer Roſenöl 2, 265 No. 135; Als
er das Gold . . zählete, befand er gar keinen Abgang, allein
ſeines Vaterlands ging er irr. Schaidenreißer 56b ꝛc.
b) J–e ſein (ſ. Jrren 1), im Irrthum, nicht das Rich-
tige meinend: Da ſind Sie ſehr i–e. König Kl. 3, 143;
Der Verliebte ſieht, | nicht minder i., die Schönheit Helena’s|
auf einer äthiopiſch braunen Stirn. Schlegel Sommern. 5, 1
ꝛc.; ferner: wirre, verwirrt, ſo daß man nicht weiß,
woran man iſt, was man zu thun hat ꝛc.: Und war die
Gemeinde i–e und der mehrere Theil wußte nicht, warum ſie
zuſammenkommen waren. Ap. 19, 32; Ich bin i–e an euch
[„Jch weiß nicht, wie ich mit euch dran bin“. Eß].
Gal. 4, 20; Ich kann mich nicht zurechtfinden, ich bin ganz
i–e ꝛc., ſ. c. So auch: J–e werden, verwirrt; von
Dem, was man wollte oder ſollte, abgelenkt, ſo daß
man ſich nicht zurecht finden kann; unſchlüſſig, rath-
los; nicht wiſſend, was zu thun, oder woran man iſt;
veralt. auch (z. B. Judith 15, 1; Ap. 2, 12 ꝛc.): be-
ſtürzt: Ich ſuch’ und bin wie blind und i–e geworden. G. 8,
33; Sie wird ſonſt i–e und verdrießlich. 15, 28; Ich ward
manchmal mitten im Recitieren i–e und konnte mich nicht wie-
der zurechtfinden. 22, 218; Unſicher aber blieb die Ausübung
.. und es war Keiner . ., der nicht augenblicklich i–e gewor-
den wäre. 331; Die Mitlebenden werden an vorzüglichen
Menſchen gar leicht i–e. 33, 169; Wenn Jemand aus dem
Sonnenſchein ſich ins Finſtere begiebt, ſehen die vor großem
Glanz i–e gewordenen Augen Nichts. 39, 85; Die Freunde
zweifeln, werden i. an dir. Sch. 340a ꝛc. Ferner ebenſo:
J–e machen: Etwas macht mich i–e, irrt (ſ. d. 2), irri-
tiert (ſ. d.) mich; Der i–e Geführte (ſ. a) kommt vom
rechten Wege ab, weil er falſcher Spur folgt, der i. Gemachte
iſt in ſich ſelbſt ſchwankend, wem er zu folgen, was er zu thun
hat ꝛc.; Haben euch mit Lehren i–e gemacht und eure Seelen
zerrüttet. Ap. 15, 24; Dieſe Menſchen machen unſere Stadt
i–e. 16, 20; Die Menge macht den Künſtler i. und ſcheu.
G. 13, 110; Ein Mißverſtändnis, das Ottilien an dem Ar-
chitekten i–e gemacht hatte. 15, 201; Als wenn er getrachtet
habe, ſie i–e zu machen. 19, 7; Durch keine äußere Einwir-
kung i–e gemacht ..; denn ſelbſt vollkommene Vorbilder ma-
chen i–e. 39, 20; Erwiderte, ohne ſich i–e machen zu laſſen.
Hebel 3, 500; Eure Weisheit macht den i–en Geiſt noch
i–er. L. 1, 190 ꝛc., vgl.: Jch laſſe mich nicht i–e ſchreien
[durch Schrein i. machen]. G. 11, 192 ꝛc. Seltner im
eigentl. Sinn = i. gehn machen. Hiob 12, 24 ꝛc.
Ferner: J. ſchließen [einen irrigen falſchen Schluß ma-
chen]. G. 25, 94 ꝛc. c) geiſtesabweſend, geiſtig ge-
ſtört: Der Fieberkranke redet i–e [phantaſiert]; J–e (im
Kopf) ſein, milder Ausdruck ſtatt verrückt ꝛc.; auch: gei-
ſtes-i. und (ſ. 2a): Träumereien, die ihm den Ausdruck eines
i–en Menſchen geben. König Kl. 3, 256; Sein i–er Blick
[wie ihn ein Wahnſinniger hat]. Pfeffel Po. 3, 114;
Warf mit i–er Hand | hinaus den Stab der Herrſchaft. Gei-
bel (DMuſeum 5, 1, 27); Ich war nicht Ich | in jener un-
glückſel’gen Stunde, | Gram und Verzweiflung ſprach aus
meinem i–en Munde. W. 3, 43; J–e Reden, Worte ꝛc.; Ein
I–er; Die J–en. Kohl E. 1, 59 ꝛc., vgl.: J–en-Anſtalt,
-Arzt, -Haus ꝛc. 2) als attrib. Ew.: a) i. ſeiend,
i. (hin und her) gehend, ſ. 1c, ferner: In Wundern iſt
der i–e Menſch verloren. G. 18, 249; Giebt’s noch ein Land,
das nicht mein i–er Fuß durchſtrich? Gotter 2, 284; Die der
i–e Menſchengeiſt mißkennt. Hölderlin H. 2, 122; Wankt im
i–en Lauf ſein Fuß. WHumboldt 3, 101; In des Wandel-
daſeins i–em Schwanken. Son. 170; Führt ihn zuletzt ſein
i–er [ſchweifender] Fuß hierher [zu der Geſuchten]. W.
20, 238; Den i–en Flug dahin zu ſteuern. 232 ꝛc.
b) irre führend, oft nahe an a grenzend: Ich bin
aus i–en Fernen | in mich zurückgekehrt. Chamiſſo 3, 25; Auf
i–er Bahn. 4; Des Lebens labyrinthiſch i–en Lauf. G. 11,
3; Die i–en Lichter [gewöhnl. Jrrlichter]. 171; Ihr kom-
met um auf i–em Wege. Mendelsſohn Pſ. 2, 12; Dem i–en
Hang entſagen. Pfeffel Po. 3, 24; Auf deinem i–en Pfad
[auf deiner Irrfahrt]. Sch. 37a ꝛc.
Anm. Goth. airzis, ahd. irri, mhd. irre, vgl. die folg.
und lat. errare (irren). Veralt. Ableit. z. B.: Der Irr
[Irrthum ꝛc.]. Friſch; Wenn zwiſchen Freunden Unfried wird |
und unter ihn’n entſpringt ein Irt („irdt“). Stumpf 274a
= Irrung, Zwiſt ꝛc.
Zſſtzg. z. B. zu 1c: Geiſtes-i.; Sinnes-i. Rank
Arm. 121: Mit trunken-i–en Blicken. Immermann M. 3,
75; Mit ſeinen liebes-i–en Blicken. Gutzkow R. 5, 145
ꝛc.; auch: Un-i–en Augs erblicken. Storm Gd. 159 ꝛc.