Faksimile 0758 | Seite 750
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herrschen
Hérrſchen, intr. (haben), ſelten tr.: 1) als Herr
über etwas Abhängiges, Untergeordnetes, Dienendes
ſchalten und walten: Durch mich h. die Fürſten; Über ein
Land, ein Volk, über Leute h.; Der Reichsverweſer herrſcht
vom Thron. G. 34, 322; Du muſſt h. und gewinnen | oder
dienen und verlieren. 1, 104; Jndem er das Abgeleitete für
das Urſprüngliche, das Untergeordnete für das H–de in ſeinem
Weltſyſtem geſtellt. 39, 235; Wer wagt ein H–des zu leug-
nen, das | ſich vorbehält, den Ausgang unſrer Thaten | nach
ſeinem einz’gen Willen zu beſtimmen. 13, 265; Die Frau
ſoll h. und der Mann regieren; denn die Neigung herrſcht
und der Verſtand regiert. Kant Anthr. 293; Übrigens wollen
wir h. und regieren nie für gleichbedeutende Wörter gelten
laſſen: die Natur hat die Menſchen nicht zu Sklaven in die
Welt geſetzt, ſie müſſen regiert, geleitet, berathen, nicht be-
herrſcht werden. W. 31, 433 ꝛc. Veralt. mit Genit.,
ſo noch neben „über“: Über eure Brüder ſoll Keiner des
Andern h. 3. Moſ. 25, 46, ferner tr., z. B. wie: „Einen
Kampf kämpfen“ ꝛc.: Und die Herrſchaft herrſchten [gw.:
führten] ſie alſo mit Macht. Droyſen Ar. 1, 310; ferner:
Unglück herrſchet [gw.: beherrſcht] ſo die Welt. Logau (L.
5, 214); Daß ſie mir meine Gäſte ſchlügen und ausſtießen,
das Geſind ihres Gefallens herrſchten. Schaidenreißer 67b
[16, 109]. Ungewöhnl. mit über und Dativ: Über
des Menſchen | Leben, dem köſtlichen Schatz, herrſchet ein
ſchwankendes Loos. G. 1, 257. 2) örtlich, über And-
res hervorragen: Der Johannisberg herrſcht über Alles.
26, 204, ſ. be-h. 2. 3) in |hervorragendem Maße
vorhanden ſein, ſich ſo geltend machen und ſeine Ein-
wirkungäußern, walten, ſein Weſen treiben: Es herrſcht
Zweifel, ein Vorurtheil, eine Mode, ein Geſchmack, Finſter-
nis, ein Sturm, ein rauher Wind, ſcharfe Kälte, Schrecken,
gute Laune, Freude, Luſt ꝛc.; Laſſet die Sünde nicht h. in
eurem ſterblichen Leibe. Röm. 6, 12; Wo Sittlichkeit regiert,
regieren ſie [die Frauen] | und wo die Frechheit herrſcht, da
ſind ſie Nichts. G. 13, 132; Tiefe Stille herrſcht im Waſſer.
1, 54; Es iſt ein kleiner Schacher-, kein großer Handelsgeiſt,
der dort herrſcht. Gutzkow R. 6, 379; In den Zimmern
herrſchte durch grüne Fenſtervorhänge eine leichte anmuthige
Dämmerung. Hackländer Hdl. 2, 10; So herrſchte ſie [die
Spinne] im ganzen Haus | und Niemand ſtört’ und trieb ſie
aus. Zachariä ꝛc. 4) das Particip zu 1 und namentl.
zu 3: H–de Vorurtheile, Moden ꝛc., die allgemeine Gel-
tung haben ꝛc.; Eine ſolche Sitte, wenn ſie überhand nimmt
und h–d wird. Fichte 6, 463; Eine Meinung, von energiſchen
Männern ausgehend, verbreitet ſich kontagios über die Menge
und dann heißt ſie h–d . .. Staat und Kirche mögen allen-
falls Urſache finden, ſich für h–d zu erklären. G. 19, 164
ꝛc., dafür ungewöhnl.: Wenn gar keine Idee des Glau-
bens und der Regierungsweiſe herrſchſam exiſtierte. Laube
Frz. Luſtſch. 3, 18, und Zſſtzg.: All-h–d waltet Schwere.
3, 143; Ein frei-h–der [1, unumſchränkter] König. Leib-
nitz; Der Geiſt ſchafft aus der Vollkraft der ſelbſt-h–den [1]
Phantaſie willkürliche Gebilde. Auerbach SchV. 25 = auto-
kratiſch, von Keinem abhängig ꝛc.; Der weit-h–den [1]
Aphrodite. W. 23, 261. 5) (ſchwzr.) befehlen: Der
Landvogt hat über das Städtchen Nichts zu h. Bluntſchli,
namentl. aber: herriſch gebieten: „Hier komm her!“
herrſchte der Blinde, „hier mach Mores“. Gutzkow R. 7,
320; „Vollende, Auguſte!“ herrſchte er. Lewald W. 3, 100
ꝛc. und mit Obj.: Herrſcht mit großer Bewegung den Takt
über die Bühne. König Leb. 2, 85 ꝛc.
Anm. Ahd. hêrreson, hêrisôn, mhd. hërsen, wozu
in 5 eine neuere Ableitung von herriſch tritt. Selten Herr-
ſchung: Bei welchem die Herrſchung ſteht. Schaidenreißer
4b; Bis auf die Alleinherrſchung Theodoſius’. JvMüller 1,
1 ꝛc. S. Herrſcher.
Zſſtzg. z. B.: Án-: tr. [5], herriſch anfahren,
anrufen: „Schnell, Herr, ſteigen Sie aus!“ herrſchte der
Kondukteur ihn an. Kinkel E. 298. Āūs-: zu Ende
herrſchen. Be-, tr.: 1) [1] die Herrſchaft über
Etwas haben, ausüben: Ein Land, Volk, den Geldmarkt,
die Börſe, ſeine Leidenſchaften, Launen, ſich b.; Dich b.
der Begierden Mächte. Chamiſſo 4, 165; Welcher feind-
ſelige Dämon itzt unſre Schauſpieler beherrſcht. Engel 7,
59; Er beherrſcht | ſo wenig ſeinen Mund als ſeine
Bruſt. G. 13, 176; Ich beherrſche mich | nicht länger, faſſe
kühn ſie in die Arme. Sch. 346b; Männer-b–d. W. 23, 303
ꝛc. 2) [2] Etwas örtlich überragen, ſo daß man es
von dort aus überblicken, oder (Kriegsk.) beſchießen
kann ꝛc.: Hier beherrſcht ein geſundes Auge die mannig-
faltigſte fruchtbarſte Gegend. G. 26, 213; Weil hier ein
vortheilhafter Poſten die ganze Gegend überſchaute und einen
Theil derſelben beherrſchte. 202; Über dem Haupteingange,
der zwei kleinere zur Seite beherrſcht. 31, 8; Neue Schan-
zen aufwerfen, von denen aus die ganze Länge des Stroms
beherrſcht werden könnte. Sch. 865b ꝛc. 3) (zu 1) Be-
herrſchung; Selbſtbeherrſchung ꝛc. Den Beherrſchern
ihres Bodens. Chamiſſo 4132; Vor des Beherrſchers Thron.
Ramler Fab. 2, 433; Englands Beherrſcher brauchen Nichts
zu ſcheuen. Sch. 407b ꝛc. Den ſtolzen alten Selbſtbeherr-
ſcher [Tyrann]. W. 24, 250, gw. Selbſtherrſcher (ſ. d.).
I. Durch-, tr.: durchaus, von einem Ende bis
zum andern be-h.; überall darin herrſchend walten:
Die Fluth durchherrſchte der Wallfiſch. Baggeſen 2, 351; Der
Anfang | weiterer Reiche, die Satan durchherrſcht. Kl. M.
2, 251; Der Stadt weitkreiſende Mauern durchherrſcht ſie
[die Peſt]. V. Ov. 2, 41; Alſo durchherrſcht’ er das Heer,
ein Waltender. Il. 2, 207, durchging es herrſchend [5].
II. Dúrch-, intr.: wie I, aber ohne Obj., wohl aber
mitAccuſ. der Zeitdauer: Doch überwiegt hier das Streben
nach Verſtändlichkeit und Planheit, das hier durchherrſcht. Gervi-
nus Lit. 3, 243; Geboren zu Anfang des Jahrhunderts hat er ..
die ganze erſte Hälfte desſelben durchgeherrſcht. Heinſe A. 1,
241; Auch im bunten Spiel der Erſcheinungen eine d–de
Gleichförmigkeit. Zſchokke 1, 73 ꝛc. Eīn-, refl.: ſich
in die Herrſchaft eingewöhnen, feſtſetzen ꝛc., im Partic.
auch ohne „ſich“ (ſ. d. †): Ein allmählich e–des Her-
kommen. Jahn V. 132. Hêr- ꝛc., tr. [5]: herriſch,
gebietriſch kommen heißen ꝛc., ſ. weg-h.: [Er] herrſchte
die Gläſer herbei und füllete wieder. V. 1, 144.
Mít-: Liebe iſt die m–de Bürgerin eines blühenden Frei-
ſtaats. Sch. 756a ꝛc. Ob-: über Etwas herrſchen,
herrſchend obwalten, ſ. vor-h.: Als ſollte ſie der ganzen
Welt | o. und gebieten. Daumer 1, 259; Es herrſchte dabei
etwas Dämoniſches ob, dem nicht zu widerſtehen war. Ecker-
mann G. 2, 317; Seit mit Kron’ und Zepter ihr obherrſcht
dieſem Land. Grün R. 100; Schelling 2, 2, 624. Über-,
tr.: über Etwas herrſchen, es herrſchend überragen,
übertreffen: Dieſer zufällige Nebenjuwel im Kranz des Ge-
dichts überherrſcht an Glanz und Koſtbarkeit Alles, was man
bis jetzt auf dem engliſchen Theater gehört hat. Tieck N. 6,
200; Diana, welche den Aventinus | überherrſcht. V. H. 1,
297. Veralt. ſtatt überwiegen: Daß das Blut eine ü–de
Feuchte bei ſich habe. Ryff Sp. 187a. Vōr-: herrſchend
vorragen [1 und 2]; vorwiegend gelten und walten [3]:
Drei weit v–de Bäume. Baggeſen 1, 21; In dem Bild herrſcht
das Roth vor; V–der Geſchmack; V–de Anſicht ꝛc.
Vorán-: herrſchend an der Spitze ſtehen, vorangehn:
Dieſen herrſchte voran der ſtreitbare Proteſilaos. V. Il. 2,
698; 13, 53 ꝛc. Wég-, tr. [5]: durch herriſches
Gebot wegſchaffen, ſ. herbei-h.: Das .. Deutſch herrſchet
nun einmal und kein Elſäſſer .. wird es mehr w. B. 343a.
Zū- [5]: herriſch gebietend zurufen: Der Frevler
werd’ in Ketten weggeführt! | herrſcht er den Sklaven zu.
W. 20, 317; Denen er nur ſeinen Willen zuzuherrſchen
brauchte, um die unbedingteſte Unterwerfung von ihnen zu er-
warten. 9, 256 u. ä. m.