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herrschen
Hérrschen, intr. (haben), selten tr.:
1) als Herr über etwas Abhängiges, Untergeordnetes, Dienendes schalten und walten: Durch mich h. die Fürsten; Über ein Land, ein Volk, über Leute h.; Der Reichsverweser herrscht vom Thron. G. 34, 322; Du musst h. und gewinnen | oder dienen und verlieren. 1, 104; Jndem er das Abgeleitete für das Ursprüngliche, das Untergeordnete für das H–de in seinem Weltsystem gestellt. 39, 235; Wer wagt ein H–des zu leugnen, das | sich vorbehält, den Ausgang unsrer Thaten | nach seinem einz’gen Willen zu bestimmen. 13, 265; Die Frau soll h. und der Mann regieren; denn die Neigung herrscht und der Verstand regiert. Kant Anthr. 293; Übrigens wollen wir h. und regieren nie für gleichbedeutende Wörter gelten lassen: die Natur hat die Menschen nicht zu Sklaven in die Welt gesetzt, sie müssen regiert, geleitet, berathen, nicht beherrscht werden. W. 31, 433 etc. Veralt. mit Genit., so noch neben „über“: Über eure Brüder soll Keiner des Andern h. 3. Mos. 25, 46, ferner tr., z. B. wie: „Einen Kampf kämpfen“ etc.: Und die Herrschaft herrschten [gw.: führten] sie also mit Macht. Droysen Ar. 1, 310; ferner: Unglück herrschet [gw.: beherrscht] so die Welt. Logau (L. 5, 214); Daß sie mir meine Gäste schlügen und ausstießen, das Gesind ihres Gefallens herrschten. Schaidenreißer 67b [16, 109]. Ungewöhnl. mit über und Dativ: Über des Menschen | Leben, dem köstlichen Schatz, herrschet ein schwankendes Loos. G. 1, 257.
2) örtlich, über Andres hervorragen: Der Johannisberg herrscht über Alles. 26, 204, s. be-h. 2.
3) in |hervorragendem Maße vorhanden sein, sich so geltend machen und seine Einwirkungäußern, walten, sein Wesen treiben: Es herrscht Zweifel, ein Vorurtheil, eine Mode, ein Geschmack, Finsternis, ein Sturm, ein rauher Wind, scharfe Kälte, Schrecken, gute Laune, Freude, Lust etc.; Lasset die Sünde nicht h. in eurem sterblichen Leibe. Röm. 6, 12; Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie [die Frauen] | und wo die Frechheit herrscht, da sind sie Nichts. G. 13, 132; Tiefe Stille herrscht im Wasser. 1, 54; Es ist ein kleiner Schacher-, kein großer Handelsgeist, der dort herrscht. Gutzkow R. 6, 379; In den Zimmern herrschte durch grüne Fenstervorhänge eine leichte anmuthige Dämmerung. Hackländer Hdl. 2, 10; So herrschte sie [die Spinne] im ganzen Haus | und Niemand stört’ und trieb sie aus. Zachariä etc.
4) das Particip zu 1 und namentl. zu 3: H–de Vorurtheile, Moden etc., die allgemeine Geltung haben etc.; Eine solche Sitte, wenn sie überhand nimmt und h–d wird. Fichte 6, 463; Eine Meinung, von energischen Männern ausgehend, verbreitet sich kontagios über die Menge und dann heißt sie h–d . .. Staat und Kirche mögen allenfalls Ursache finden, sich für h–d zu erklären. G. 19, 164 etc., dafür ungewöhnl.: Wenn gar keine Idee des Glaubens und der Regierungsweise herrschsam existierte. Laube Frz. Lustsch. 3, 18, und Zsstzg.: All-h–d waltet Schwere. 3, 143; Ein frei-h–der [1, unumschränkter] König. Leibnitz; Der Geist schafft aus der Vollkraft der selbst-h–den [1] Phantasie willkürliche Gebilde. Auerbach SchV. 25 = autokratisch, von Keinem abhängig etc.; Der weit-h–den [1] Aphrodite. W. 23, 261.
5) (schwzr.) befehlen: Der Landvogt hat über das Städtchen Nichts zu h. Bluntschli, namentl. aber: herrisch gebieten: „Hier komm her!“ herrschte der Blinde, „hier mach Mores“. Gutzkow R. 7, 320; „Vollende, Auguste!“ herrschte er. Lewald W. 3, 100 etc. und mit Obj.: Herrscht mit großer Bewegung den Takt über die Bühne. König Leb. 2, 85 etc.
Anm. Ahd. hêrreson, hêrisôn, mhd. hërsen, wozu in 5 eine neuere Ableitung von herrisch tritt. Selten Herrschung: Bei welchem die Herrschung steht. Schaidenreißer 4b; Bis auf die Alleinherrschung Theodosius’. JvMüller 1, 1 etc. S. Herrscher.
Zsstzg. z. B.: Án-: tr. [5], herrisch anfahren, anrufen: „Schnell, Herr, steigen Sie aus!“ herrschte der Kondukteur ihn an. Kinkel E. 298.
Āūs-: zu Ende herrschen. Be-, tr.:
1) [1] die Herrschaft über Etwas haben, ausüben: Ein Land, Volk, den Geldmarkt, die Börse, seine Leidenschaften, Launen, sich b.; Dich b. der Begierden Mächte. Chamisso 4, 165; Welcher feindselige Dämon itzt unsre Schauspieler beherrscht. Engel 7, 59; Er beherrscht | so wenig seinen Mund als seine Brust. G. 13, 176; Ich beherrsche mich | nicht länger, fasse kühn sie in die Arme. Sch. 346b; Männer-b–d. W. 23, 303 etc.
2) [2] Etwas örtlich überragen, so daß man es von dort aus überblicken, oder (Kriegsk.) beschießen kann etc.: Hier beherrscht ein gesundes Auge die mannigfaltigste fruchtbarste Gegend. G. 26, 213; Weil hier ein vortheilhafter Posten die ganze Gegend überschaute und einen Theil derselben beherrschte. 202; Über dem Haupteingange, der zwei kleinere zur Seite beherrscht. 31, 8; Neue Schanzen aufwerfen, von denen aus die ganze Länge des Stroms beherrscht werden könnte. Sch. 865b etc.
3) (zu 1) Beherrschung; Selbstbeherrschung etc. Den Beherrschern ihres Bodens. Chamisso 4132; Vor des Beherrschers Thron. Ramler Fab. 2, 433; Englands Beherrscher brauchen Nichts zu scheuen. Sch. 407b etc. Den stolzen alten Selbstbeherrscher [Tyrann]. W. 24, 250, gw. Selbstherrscher (s. d.). I. Durch-, tr.: durchaus, von einem Ende bis zum andern be-h.; überall darin herrschend walten: Die Fluth durchherrschte der Wallfisch. Baggesen 2, 351; Der Anfang | weiterer Reiche, die Satan durchherrscht. Kl. M. 2, 251; Der Stadt weitkreisende Mauern durchherrscht sie [die Pest]. V. Ov. 2, 41; Also durchherrscht’ er das Heer, ein Waltender. Il. 2, 207, durchging es herrschend [5]. II. Dúrch-, intr.: wie I, aber ohne Obj., wohl aber mitAccus. der Zeitdauer: Doch überwiegt hier das Streben nach Verständlichkeit und Planheit, das hier durchherrscht. Gervinus Lit. 3, 243; Geboren zu Anfang des Jahrhunderts hat er .. die ganze erste Hälfte desselben durchgeherrscht. Heinse A. 1, 241; Auch im bunten Spiel der Erscheinungen eine d–de Gleichförmigkeit. Zschokke 1, 73 etc. Eīn-, refl.: sich in die Herrschaft eingewöhnen, festsetzen etc., im Partic. auch ohne „sich“ (s. d. †): Ein allmählich e–des Herkommen. Jahn V. 132. Hêr- etc., tr. [5]: herrisch, gebietrisch kommen heißen etc., s. weg-h.: [Er] herrschte die Gläser herbei und füllete wieder. V. 1, 144. Mít-: Liebe ist die m–de Bürgerin eines blühenden Freistaats. Sch. 756a etc. Ob-: über Etwas herrschen, herrschend obwalten, s. vor-h.: Als sollte sie der ganzen Welt | o. und gebieten. Daumer 1, 259; Es herrschte dabei etwas Dämonisches ob, dem nicht zu widerstehen war. Eckermann G. 2, 317; Seit mit Kron’ und Zepter ihr obherrscht diesem Land. Grün R. 100; Schelling 2, 2, 624. Über-, tr.: über Etwas herrschen, es herrschend überragen, übertreffen: Dieser zufällige Nebenjuwel im Kranz des Gedichts überherrscht an Glanz und Kostbarkeit Alles, was man bis jetzt auf dem englischen Theater gehört hat. Tieck N. 6, 200; Diana, welche den Aventinus | überherrscht. V. H. 1, 297. Veralt. statt überwiegen: Daß das Blut eine ü–de Feuchte bei sich habe. Ryff Sp. 187a. Vōr-: herrschend vorragen [1 und 2]; vorwiegend gelten und walten [3]: Drei weit v–de Bäume. Baggesen 1, 21; In dem Bild herrscht das Roth vor; V–der Geschmack; V–de Ansicht etc. Vorán-: herrschend an der Spitze stehen, vorangehn: Diesen herrschte voran der streitbare Protesilaos. V. Il. 2, 698; 13, 53 etc. Wég-, tr. [5]: durch herrisches Gebot wegschaffen, s. herbei-h.: Das .. Deutsch herrschet nun einmal und kein Elsässer .. wird es mehr w. B. 343a. Zū- [5]: herrisch gebietend zurufen: Der Frevler werd’ in Ketten weggeführt! | herrscht er den Sklaven zu. W. 20, 317; Denen er nur seinen Willen zuzuherrschen brauchte, um die unbedingteste Unterwerfung von ihnen zu erwarten. 9, 256 u. ä. m.