Faksimile 0612 | Seite 604
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Gnade
Gnāde, f.; –n; –n-: 1) das von einem weit Hö-
hern Einem unverdient zu Theil werdende Wohlwollen,
Neigung, Gunſt, z.B. bibl.: Die G. Gottes, namentl.
inſofern ſie den Menſchen ohne deſſen Verdienſt erleuch-
tet und ſelig macht: Nach der Wahl der G–n. Jſt es aber
aus G–n, ſo iſt es nicht aus Verdienſt der Werke, ſonſt würde
G. nicht G. ſein. Röm. 11, 5 ꝛc.; Als ich in mich ſchlug und
von der G. erleuchtet wurde. Tieck N. 6, 151 (ſ. G–n-
Bild) ꝛc.; Durch Gottes G.; Gott gebe ſeine G. dazu;
Walte Gottes Gnad’ hie! Rückert Mak. 1, 63; Wir von
Gottes G–n König ꝛc. (Titel von Fürſten); Ein Poet von
Gottes G–n. Heine Rom. 225; 221; Die Meiſter | von
eignen G–n Könige [die es keinem Andern zu danken ha-
ben]. Prutz Woch. 122 ꝛc.; G. vor Einem finden, bei ihm
erlangen; Bei Einem in (großer) G. ſtehn; Deſſen G. verlie-
ren, verſcherzen, aus ſeiner G. fallen; Wieder in G., zu G–n
kommen; Einem G. geben, thun, ihn mit G–n anſehn ꝛc.;
Von Jemandes G. [Barmherzigkeit, vgl. Gnadenbrot ꝛc.]
leben. Sch. 456b [ohne zu Fordrungen berechtigt zu ſein,
von ſeiner Willkür abhängend], auch ohne „von“:
Leibnitz Erm. 9; Muſäus M. 5, 114; Sich Einem auf G.
ergeben, auf G. und Un-G., ohne Bedingung, ſein Schick-
ſal dem Sieger überlaſſend; Ich wollte mich auf Ihre G.
und Un-G. zu Ihren Füßen werfen. Tieck N. 5, 203 ꝛc.
Als Höflichkeitswendung: Wollen Sie die G. [Gewo-
genheit] haben? Halten Sie’s zu G–n [nehmen Sie’s nicht
ungütig, nicht ungnädig auf] ꝛc.; Noch ſpricht die G.,
ſchreit die Rache gleich. Chamiſſo 4, 134; Ihre Gunſt bleibt
immer G. G. 1, 35; Ein Wörtchen nur zur G. [wenn Sie
die Gewogenheit haben wollen]. Thümmel 5, 43 ꝛc.
2) eine aus unverdientem Wohlwollen Einem zu Theil
werdende Gabe, Gunſt: Eine G. Gottes; Sich eine G.
ausbitten; Einem eine G. gewähren; Im Athemholen ſind
zweierlei G–n. G. 4, 5; Hat Allah .. der G–n vier ver-
liehen. ebd.; G–n und Herablaſſungen dieſer Art muß man
ſo nehmen, wie ſie geboten ſind. Gutzkow R. 5, 378; Was
man an dieſem Hof die Austheilung der G–n nannte. W. 7,
120; Daß eine eigne G. [Gabe] dazu gehört. 12, 35 ꝛc.
Namentl. ohne Artikel die Erlaſſung oder Mildrung
der verdienten Strafe, Begnadigung: G. für Recht er-
gehen laſſen. Sch. 537a; 711b; Um G. bitten; Einem G.
zu Theil werden laſſen ꝛc. 3) als Ehrentitel, früher
von Fürſten, jetzt namentl. Adliger und zumal in Oſt-
reich der höhern Stände überhaupt: Mit Verlaub von
Ew. [Euer] G–n. G. 11, 15; Ew. G–n beſſere Einſicht.
15, 32; Wann befehlen Ihro G–n die Pferde? 9, 56; Ihr
G–n irren ſich. Lichtwer 98; Ihre G–n. Ramler F. 3, 105;
Daß er Sie vertrete bei Ihro G–n. Sch. 106b. Vgl.:
Wo eine Kavaliers-G. einſpricht, kommt mein bürgerliches
Vergnügen in gar keine Rechnung. 182b; Soll ich Euch noch
G. Junkern dazu heißen, anbeten und unterthänig danken.
Luther 1, 372, vgl. Friſch 1, 359c u. Gnädig 2.
Anm. Ahd. ginâda, und ſo dreiſilbig Genade z. B.
noch Opitz 1, 11; Schaidenreißer 4 ꝛc. Auch ohne die Vorſ.:
Die Sonne geht zu Naden (Kaiſersberg Poſt. 208), zu Gna-
den, vgl. plattd.: zu Kehre. Brem. Wörterb. 2, 761, =
neigt ſich (ſ. Schm. 2, 680), woraus die Grundbedeutung
und der Zuſammenhang mit „Nah“ (ſ. d.) erhellt, vgl. nei-
gen, nieder.
Zſſtzg. z. B.: Nachdem ich theilhaft bei den Auferſte-
hungs-G–n. Mühlpforth Geiſtl. 21 ꝛc.; Kavaliers-G. [3]ꝛc.;
ferner: Góttes-: Name mehrerer Heilkräuter, z. B.:
Gratiola officinalis; Geranium Robertianum ꝛc.
Un-: Ggſtz. von Gnade, die abgeneigte Geſinnung,
der Unwille einer Perſon gegen Jemand, an deren Huld
und Gnade ihm gelegen iſt: In U. fallen, gerathen ſein:
Laß ab von deiner U. über uns. Pſ. 85; Die U. des Königs.
Spr. 19, 12; In Sünden und Erb-U–n ſtecken. Luther
6, 381a ꝛc.