Faksimile 0471 | Seite 463
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Fliehen
Flīēhen; floh, flöhe; geflohen: 1) intr. (ſein):
ſich ſchleunig entfernen, zurückweichen von einer Stelle,
nicht da bleiben ꝛc.: Joſeph floh von Potiphar’s Weib;
Aus dem Kerker f.; Das Meer ſahe und flohe, der Jordan
wandte ſich zurück. Pſ. 114, 3; Meine Tage ſind geflohen
[hingeſchwunden]. Hiob 9, 25; Der Menſch fleucht [ver-
geht] wie ein Schatten und bleibet nicht. 14, 2; Das ird’-
ſche Leben flieht | und die Todten dauern immer. Sch. 53b;
Seit aus der ehernen Welt f–d die Liebe verſchwand. 75a;
Zähren, | die ſchamhaft von den Wangen fliehn [fließen].
Gellert 1, 235 ꝛc. Nam. oft: um ſich zu retten, aus
Angſt oder weil man den Platz nicht zu behaupten wagt,
ihn verlaſſen: Der Feind, das Wild flieht ꝛc. Oft mit
Präp. örtl. zur Bez. des Woher und Wohin: Aus der
Schlacht, vom Schlachtfeld, von dannen, davon f.; auf
das Gebirg, ins Thal, in die Stadt, hinter die ſchirmende
Mauer f. ꝛc. Auch z. B.: Auseinanderflieht die furcht-
entſeelte Schaar. Sch. 30b. Der Ggſtd. aber oder die
Perſ., vor denen man ſich fürchtet und denen man zu
entgehen ſtrebt, ſteht meiſt mit ,,vor“, wie die Perſ.,
bei der man Schutz (Zuflucht) ſucht, mit „zu“: Vor
dem Schwert, vor dem Feind f.; Die Haſen f. vor den Hun-
den; Vor der Sünde wie vor einer Schlange f. Sir. 21, 2;
[Das Herz] möchte vor ſich ſelber fliehn. G. 4, 22 ꝛc.
Man beachte den Unterſch. des „vor“ und des örtlichen
„von“: Jakob floh vor ſeinem Bruder zu Laban, ſpäter
aber mit deſſen Töchtern auch von Dieſem ꝛc. Dichteriſch
findet ſich zuw. ſtatt ,,von“ u. „vor“ der bloße Dat.:
Sämmtliche Böſen | ſind [vor] ihm geflohn. Baggeſen 2, 341;
1, 84; Alle flohen [von, verſchwanden] dem Auge. H. 15,
149 ꝛc., vgl. 2 und Anm. 2) tr.: Einen, Etwas f.,
ſich davon, weil man davor Scheu hat, entfernen, zu-
rückziehn, vgl.: „meiden“, welches nur bez.: ſich aus
dieſem Grunde von Etwas fern halten: Meide den
Kampf, ſolang du es kannſt, friedfertig zu heißen, | doch nie
fliehe den Kampf, feige ſonſt heißt du mit Recht; Der uns
zu meiden, ja zu fliehen ſcheint. G. 13, 98; Er meinet zu
entrinnen, | zu f., den Niemand fleucht [dem Niemand ent-
flieht]. Opitz 2, 68; Erfindung, | die des Dichters Bruſt
entflammt und kalte | Herzen flieht. Platen 4, 285; Seit
jenem Tag verfolgt mich ſein Vertrauen | in gleichem Maß
als ihn das meine flieht. Sch. 353a; V. 4, 100; Th. 6, 17
ꝛc., vgl. 1 und Anm.
Anm. Es iſt eine Art Verſchmelzung von 1 und 2,
wenn auch das tr. zuw. mit „ſein“ abgewandelt wird: Ich
bin ihr Wirken geflohen. Gutzkow R. 9, 339; 6, 299 ꝛc.
Ahd. fliohan ꝛc. Das Präſ.: Du fleuchſt, er fleucht
und Jmperat.: Fleuch noch oft in der gehobnen Rede:
B. 187 v. 173; Chamiſſo 4, 189; Platen 4, 294 ꝛc., bei
Áltern auch: Er fleuhet. Eppendorf 66; 77; 97 u. o.
Impf.: Die fluhen. Stumpf 305b. Vgl. Flucht, flüchten,
Anm. Ungewöhnl. das Part. ohne Vorſilbe [Ent- oder
Ge-]: Flohene Freuden. G. 8, 117 ꝛc. Urſpr. Eins mit
fliegen, vgl.: Fleugt es ſeiner [flieht es vor ihm]. Hammer
RH. 256 ꝛc. Die hochfliehenden Vögel. Zinkgräf 2, 54;
Daß uns Solches alles nicht angeflohen, ſondern angeboren
ſei. Luther 6, 381b; Die Vogel waren .. aus geflohen.
Schweinichen 3, 129 und ſo ſelbſt noch L. 13, 424. Dazu:
Der Feind, der Flieher. Rückert 2, 16.
Zſſtzg. vgl. fliegen und laufen, z. B.: Án-, tr.:
veralt.: Einen, Etwas a., als Zuflucht angehen: Opitz 1,
81; 2, 69; 73 u. o. [ſ. auch Anm.] weidm.: An-
flohen, vom Wild, das fliehend irgendwo anprallt
(anfliegen). Behlen 1, 66. Āūf- [1]: in die Höhe,
empor fliehn: Lange ſchon floh ſie auf | zu der reineren
Schaar hoher Olympier | ſie, die Göttin Gerechtigkeit. Mat-
thiſſon A. 11, 22. Aūs- [1 und Anm.]: aus einem
Ort, aus einander fliehn: Die Schweſtern flohn .. nach
allen Seiten zagend aus. Uhland 265; V. 722 ꝛc.; Der
Teufel der Hoffahrt war gar allda ausgeflohen [los]. Schwei-
nichen 3, 23. Dahêr- ꝛc. [1]: Wie mit Flehen zu uns
dein Vater daherfloh. V. Od. 16, 379; Flieht ſeines Lebens
leichter Hauch dahin. Sch. 24b; Davon-f. ꝛc.
Durch-, tr.: fliehend durcheilen. EKleiſt 1, 154.
Empōr- [1]: auf-f.: Mein Herze ſchlägt und ſcheint
emporzufliehen. Jacobi Jr. 3, 148; Meine Seufzer fliehn
empor. Platen 6, 3; V. 3, 43 ꝛc. Ent- [1]: Einem,
einer Sache e., ſich durch die Flucht entziehn, fort-f.: Jch
fühle, daß ich noch der Welt gehöre, | e. konnt’ ich, ihr mich
nicht entreißen. G. 8, 111; Da floh, wer entfloh, mit Weh
und Ach. Rückert Nal 145; In des Waldes Geheimnis ent-
flieht mir auf einmal die Landſchaft. Sch. 75a; Manchem ..
entflöhn [vergingen] die Gedanken der Hochzeit. V. Od. 3,
224 ꝛc. Hinweg entflieht das irdiſche Verlangen. Tieck
2, 268. Entgêgen- [1]: Die mit heißem Liebes-
geize | deinem Kuß entgegenflohn [entgegenflogen]. Sch. 10a.
Fórt-: Schlegel Gd. 1, 87. Hêr-, Hín- ꝛc.
[1]: Er floh zu mir her; So fliehen meine Tage, | wie die
Quelle, raſtlos hin. Sch. 49b; Dann flöhn die Ungeheuer |
erſchreckt zur Höll’ hinab. G. 6, 56; Hinauffliehen .. in
das Land der Sehnſucht. Klencke Parn. 1, 284; Sobald aus
dem weißen Gebein das Leben hinwegfloh. V. Od. 11, 221;
4, 396; 8, 203 ꝛc. Nāch- [1]: einem Fliehenden
folgen: Entſchluß des Liebhabers, dem Mädchen nachzu-
fliehen. L. 7, 440; Du ſchmeichelſt dir doch wohl, ſie ſei ſo
ſchwach, | dir nachzufliehn? W. 3, 9. Nīēder-: her-
nieder-f., herunterfliegen: Da ſieht ſie aus der Höhe n–d |
ein Krucifix. Tieck 2, 212. Um-, tr.: fliehend um
Etwas herumlaufen: Er umfloh die Mauer. Ver- [1]:
verfliegen: Wie Dem, der den Olympus ſieht, | der Men-
ſchen Pracht in Nichts verflieht. Haller 131. Vorbēī-
ꝛc. [1]: Wenn ſie ſchon ihn vorbeifliehn konnte. V. Ov. 2,
197; Lachend fliehen an mir die reichen Ufer vorüber. Sch.
75a. Wég- [1]: fort-, ent-f.: Eh die Glücksgeſtalt
mir wieder wegflieht überm Haupt. Sch. 360b. Zū- [1]:
Einem z., zu ihm fliehn ꝛc.: Übrigens will ich Büchern
mehr ent- als zufliehen. IP. HV. 2; Ewig „fliehn ſich unſre
Herzen zu. Sch. 8a; Dir wäre beſſer, Bube, du flöheſt der
Hölle zu. 202a ꝛc. Zurück-: V. Il. 7, 217 ꝛc.