Fliehen
Flīēhen; floh, flöhe; geflohen:
1) intr. (sein): sich schleunig entfernen, zurückweichen von einer Stelle, nicht da bleiben etc.: Joseph floh von Potiphar’s Weib; Aus dem Kerker f.; Das Meer sahe und flohe, der Jordan wandte sich zurück. 114, 3; Meine Tage sind geflohen [hingeschwunden]. 9, 25; Der Mensch fleucht [vergeht] wie ein Schatten und bleibet nicht. 14, 2; Das ird’sche Leben flieht | und die Todten dauern immer. 53b; Seit aus der ehernen Welt f–d die Liebe verschwand. 75a; Zähren, | die schamhaft von den Wangen fliehn [fließen]. 1, 235 etc. — Nam. oft: um sich zu retten, aus Angst oder weil man den Platz nicht zu behaupten wagt, ihn verlassen: Der Feind, das Wild flieht etc. Oft mit Präp. örtl. zur Bez. des Woher und Wohin: Aus der Schlacht, vom Schlachtfeld, von dannen, davon f.; — auf das Gebirg, ins Thal, in die Stadt, hinter die schirmende Mauer f. etc. Auch z. B.: Auseinanderflieht die furcht- entseelte Schaar. 30b. — Der Ggstd. aber oder die Pers., vor denen man sich fürchtet und denen man zu entgehen strebt, steht meist mit ,,vor“, wie die Pers., bei der man Schutz (Zuflucht) sucht, mit „zu“: Vor dem Schwert, vor dem Feind f.; Die Hasen f. vor den Hunden; Vor der Sünde wie vor einer Schlange f. 21, 2; [Das Herz] möchte vor sich selber fliehn. 4, 22 etc. — Man beachte den Untersch. des „vor“ und des örtlichen „von“: Jakob floh vor seinem Bruder zu Laban, später aber mit dessen Töchtern auch von Diesem etc. Dichterisch findet sich zuw. statt ,,von“ u. „vor“ der bloße Dat.: Sämmtliche Bösen | sind [vor] ihm geflohn. 2, 341; 1, 84; Alle flohen [von, verschwanden] dem Auge. 15, 149 etc., vgl. 2 und Anm. —
2) tr.: Einen, Etwas f., sich davon, weil man davor Scheu hat, entfernen, zurückziehn, vgl.: „meiden“, welches nur bez.: sich aus diesem Grunde von Etwas fern halten: Meide den Kampf, solang du es kannst, friedfertig zu heißen, | doch nie fliehe den Kampf, feige sonst heißt du mit Recht; Der uns zu meiden, ja zu fliehen scheint. 13, 98; Er meinet zu entrinnen, | zu f., den Niemand fleucht [dem Niemand entflieht]. 2, 68; Erfindung, | die des Dichters Brust entflammt und kalte | Herzen flieht. 4, 285; Seit jenem Tag verfolgt mich sein Vertrauen | in gleichem Maß als ihn das meine flieht. 353a; 4, 100; Th. 6, 17 etc., vgl. 1 und Anm.
Anm. Es ist eine Art Verschmelzung von 1 und 2, wenn auch das tr. zuw. mit „sein“ abgewandelt wird: Ich bin ihr Wirken geflohen. R. 9, 339; 6, 299 etc. — Ahd. fliohan etc. Das Präs.: Du fleuchst, er fleucht und Jmperat.: Fleuch noch oft in der gehobnen Rede: 187 v. 173; 4, 189; 4, 294 etc., bei Áltern auch: Er fleuhet. 66; 77; 97 u. o. — Impf.: Die fluhen. 305b. Vgl. Flucht, flüchten, Anm. — Ungewöhnl. das Part. ohne Vorsilbe [Ent- oder Ge-]: Flohene Freuden. 8, 117 etc. — Urspr. Eins mit fliegen, vgl.: Fleugt es seiner [flieht es vor ihm]. RH. 256 etc. — Die hochfliehenden Vögel. 2, 54; Daß uns Solches alles nicht angeflohen, sondern angeboren sei. 6, 381b; Die Vogel waren .. aus geflohen. 3, 129 und so selbst noch 13, 424. — Dazu: Der Feind, der Flieher. 2, 16.
Zsstzg. vgl. fliegen und laufen, z. B.: Án-, tr.: veralt.: Einen, Etwas a., als Zuflucht angehen: Opitz 1, 81; 2, 69; 73 u. o. [s. auch Anm.] weidm.: An- flohen, vom Wild, das fliehend irgendwo anprallt (anfliegen). Behlen 1, 66. — Āūf- [1]: in die Höhe, empor fliehn: Lange schon floh sie auf | zu der reineren Schaar hoher Olympier | sie, die Göttin Gerechtigkeit. Matthisson A. 11, 22. — Aūs- [1 und Anm.]: aus einem Ort, aus einander fliehn: Die Schwestern flohn .. nach allen Seiten zagend aus. Uhland 265; V. 722 etc.; Der Teufel der Hoffahrt war gar allda ausgeflohen [los]. Schweinichen 3, 23. — Dahêr- etc. [1]: Wie mit Flehen zu uns dein Vater daherfloh. V. Od. 16, 379; Flieht seines Lebens leichter Hauch dahin. Sch. 24b; Davon-f. etc. — Durch-, tr.: fliehend durcheilen. EKleist 1, 154. — Empōr- [1]: auf-f.: Mein Herze schlägt und scheint emporzufliehen. Jacobi Jr. 3, 148; Meine Seufzer fliehn empor. Platen 6, 3; V. 3, 43 etc. — Ent- [1]: Einem, einer Sache e., sich durch die Flucht entziehn, fort-f.: Jch fühle, daß ich noch der Welt gehöre, | e. konnt’ ich, ihr mich nicht entreißen. G. 8, 111; Da floh, wer entfloh, mit Weh und Ach. Rückert Nal 145; In des Waldes Geheimnis entflieht mir auf einmal die Landschaft. Sch. 75a; Manchem .. entflöhn [vergingen] die Gedanken der Hochzeit. V. Od. 3, 224 etc. — Hinweg entflieht das irdische Verlangen. Tieck 2, 268. — Entgêgen- [1]: Die mit heißem Liebesgeize | deinem Kuß entgegenflohn [entgegenflogen]. Sch. 10a. —
Fórt-: Schlegel Gd. 1, 87. — Hêr-, Hín- etc. [1]: Er floh zu mir her; So fliehen meine Tage, | wie die Quelle, rastlos hin. Sch. 49b; Dann flöhn die Ungeheuer | erschreckt zur Höll’ hinab. G. 6, 56; Hinauffliehen .. in das Land der Sehnsucht. Klencke Parn. 1, 284; Sobald aus dem weißen Gebein das Leben hinwegfloh. V. Od. 11, 221; 4, 396; 8, 203 etc. — Nāch- [1]: einem Fliehenden folgen: Entschluß des Liebhabers, dem Mädchen nachzufliehen. L. 7, 440; Du schmeichelst dir doch wohl, sie sei so schwach, | dir nachzufliehn? W. 3, 9. —
Nīēder-: hernieder-f., herunterfliegen: Da sieht sie aus der Höhe n–d | ein Krucifix. Tieck 2, 212. — Um-, tr.: fliehend um Etwas herumlaufen: Er umfloh die Mauer. — Ver- [1]: verfliegen: Wie Dem, der den Olympus sieht, | der Menschen Pracht in Nichts verflieht. Haller 131. — Vorbēī- etc. [1]: Wenn sie schon ihn vorbeifliehn konnte. V. Ov. 2, 197; Lachend fliehen an mir die reichen Ufer vorüber. Sch. 75a. — Wég- [1]: fort-, ent-f.: Eh die Glücksgestalt mir wieder wegflieht überm Haupt. Sch. 360b. — Zū- [1]: Einem z., zu ihm fliehn etc.: Übrigens will ich Büchern mehr ent- als zufliehen. IP. HV. 2; Ewig „fliehn sich unsre Herzen zu. Sch. 8a; Dir wäre besser, Bube, du flöhest der Hölle zu. 202a etc. —
Zurück-: V. Il. 7, 217 etc.
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