dichten
II. Dichten, intr. (haben) u. tr.: 1) ſeinen Sinn
auf Etwas richten, auf etwas zu Erreichendes, Hervor-
zubringendes ꝛc. denken, oft bibl.: Alles D. und Trachten
ihres Herzens. 1. Moſ. 6, 5; 8, 21; Was Fleiſch u. Blut
dichtet iſt ja bös Ding. Sir. 17, 30; Er dichtet [iſt in Sin-
nen vertieft] od. hat zu ſchaffen. 1. Kön. 18, 27; Spr. 15,
28; Jeſ. 59, 3; 13; Klag. 3, 62; 1. Chron. 28, 9; Röm.
1, 21 ꝛc.; Nimmer haſt | du mir dein D. willig kundgethan.
B. 148b; Ging auch ihr ganzes D. und Trachten dahin.
Forſter R. 1, 249; Was du auch ſahſt, die Heimath war dein
D. Freiligrath Garb. 114; Deren D. und Trachten Jahre
lang dahin geht, wie ꝛc. G. 14, 77; Hebel 3, 27; Je mehr
ich darüber dicht’ und denk. Muſäus Ph. 1, 109; Jch, deren
ganzes D. nur allein | darauf gerichtet war, ihn zu erfreun.
HLNicolai 2, 23; Hier ſitzt er und dichtet, an welchem von
ſeinen Freunden er ſich zuerſt rächen will. Rabener 4, 366;
Ja — und Jahre ſchon dicht’ ich darauf: es ſoll anders wer-
den. Sch. 133b; Das Herz, .. das .. auf Pracht und Schätze
dichtet. JESchlegel 1, 320; Entfernt man ſich von Dem, dem
man zu ſchaden dichtet? 258, worüber L. (11, 639) be-
merkt: D. mit dem Infin. für „denken, trachten“ braucht
Schlegel im Kanut nicht gut. — 2) denkend, durch Thätig-
keit der Phantaſie ſchaffen, wie Dies zumal der Poet
thut: Geiſtliche Lieder gedichtet. Sir. 44, 5; Ich will ſingen
und d. Pſ. 106, 1; 71, 24; Jede ſchöne Kunſt iſt in ihrer
Art Poeſie, d. h. ſchaffende Kunſt; jede geht vom D., d. h.
demjenigen Denken aus, in welchem Verſtand und Phantaſie
ſchöpferiſch zuſammenwirken ꝛc. Bouterweck Äſth. 2, 19; Der
Maler dichtet in Farben, der Komponiſt in Tönen, wie der
Poet in Worten; Dem Denken und D. mit der bloßen Em-
pfindung, welchem Klopſtock fröhnte. Danzel 403; So wird
von Tag zu Tag ein Traum gedichtet. G. 6, 27; Stört ihn
[Taſſo], wenn er denkt und dichtet | in ſeinen Träumen nicht.
13, 107; Frei will ich ſein im Denken und im D., | im Han-
deln ſchränkt die Welt genug uns ein. 183; Wie du ſonſt
zur Freude | von Andern dichteſt, leider dichteſt [3] du | in
dieſem Fall ein ſeltenes Gewebe, | dich ſelbſt zu kränken. 189;
Auch ließ der Künſtler mit klug-d–dem [3] Wahrheitsſinne
eine Höhle merklich werden. 18, 277; So will ich alles Den-
ken, D., Trachten und Schreiben aufgeben. 31, 21; Das D.
..iſt die eigenthümliche Handlungsweiſe des menſchlichen
Geiſtes; Dichtet und trachtet nicht jeder Menſch in jeder Mi-
nute? Novalis 1, 114; Meine wild zuſammengewürfelten
Noten .., als meinen erſten d–den Verſuch [Verſuch in der
Kompoſition]. Tieck Nov. 4, 40 u. o. — 3) Daran
ſchließt ſich d., durch Thätigkeit der Phantaſie Et-
was ſchaffen, im Ggſtz. zu dem in Wirklichkeit Vor-
handnen, vorſpiegeln, gw. er-d.: Lügen d.: Wer mag
wohl Dem von uns ’was d., | der Herz und Nieren prüfen
kann? Günther 907; Die Betrüger, künſtlich-d–d. G. 13, 80;
189; 18, 277 [2]; Ihr glaubt vielleicht, ich ſcherze oder
dichte. W. 12, 298; Eine Antwort d. 20, 288. — 4) un-
gw. von nicht denkenden Weſen: Der Staar .. lernet
Alles nach, er dichtet gern, machet allen Vögeln ihr Geſchrei
nach. Fleming J. 149a.
Anm. Wohl zum ſelben Stamm gehörend wie „den-
ken“ (vgl. Impf. dachte, däuchten ꝛc.), wovon es nur eine
Nüance iſt, wenn gleich der Anlaut in der ältern Spr. ab-
weicht, ahd. tihtön, mhd. tihten (denken ahd. denchan, mhd.
denken), wie z. B. noch: Daß ſie falſche Armuth .. wi-
der die Wahrheit des Evangelii tichten [3]. Lüther 5, 12a;
Tichten = ein Buch verfaſſen, Tichter = Verfaſſer. 1, 462a ꝛc.,
vgl.: Weil es nicht meine Feder iſt, ſondern mein Dichten
[von mir diktiert, ſ. d.]. Br. 4, 349 u. o., nam. noch in der
alliterierenden Verb.: Tichten und Trachten. Vgl. goth. deigan,
bilden, ſchaffen (ſ. Röm. 9, 20).
Zſſtzg. vielfach z. B.: An-, tr.: 1) Einem Etwas
a., dichtend [3], erdichtend, beilegen, zuſchreiben, z.B.:
Forſter Anſ. 2, 34; 320; G. 13, 23; 143; 22, 276 u. o. —
2) Einem Etwas dichtend anpaſſen, für ihn Paſſendes
dichten, ſo auch refl.: ſich Einem a., dichtend anähn-
lichen: Für die Bühne zu ſchreiben und Ihnen eine Rolle „an-
zudichten“. Lewald Ad. I; Weil er ſich den Griechen gewiſſer-
maßen nur andichtete. G. 27, 434. — Aūf-: veralt.
an-d. Phil. 2, 471; ſt. er-d. Spate 297. — Aūs-: 1)
tr.: dichtend ausdenken, ausſinnen: Welch ein Märchen
hatte die Baronin über ihn ausgedichtet? Auerbach Leb. 2,
177; Tieck Nov. 6, 142 ꝛc. — 2) zu Ende dichten. —
Dúrch-: Der einen großen Theil des 18ten Jahrhunderts
durchgedichtet [durch g.] hat, ohne Dichter zu ſein. G. Lav.
89. — Eīn-, tr.: dichtend einverleiben, einfügen:
Durch gelegentliche Eindichtung in den Wilhelm Meiſter. G.
Stein 3, 269; refl. = ſich hinein-d., ſ. I. — Er-: 1)
dichtend [3] erſinnen: Ein Hiſtörchen trägt ſich zu, eine
Fabel wird erdichtet. L. 5, 371; Die Geſchichte, | die ich er-
zähle, nicht erdichte. Ramler F. 2, 541; Wie ihre Liſt er-
dichtet. Sch. 28b ꝛc. — Die Wahrheit iſt oft ſinniger als die
Erdichtung. Hebel 3, 502. — 2) (ſelten) dichtend er-
werben: Er hat ſich Ruhm und ein ſchönes Vermögen erdich-
tet. — Herāūs-, tr., refl.: Hatte eine ſo entſetzlich reiche
Phantaſie, er konnte ſich faſt aus ſich h. Waldau Nat. 1,
213, dichtend aus ſich ſelbſt herausverſetzen ꝛc.: Dichten
wir unſre Schäfer .. nicht in dieſes Land [Arkadien] hinein
oder aus ihm heraus? Gellert 1, 326 ꝛc. — Hín-, tr.:
Haſt .. uns unſres Lebens einz’gen Mai | zum Kuckuck hin-
gedichtet. B. 39a, durch Dichten dahin-, fortgebracht. —
Hinēīn-, tr.: dichtend in Etwas hineinverſetzen:
Ein H. in ein fremdes Koſtüm. Danzel 44; Daß dieſe [Lie-
der] geradezu in die Weiſe jener hineingedichtet ſind. 125;
Inwiefern Goethe ſein Ich in den Werther hineingedichtet ꝛc.
— Hinzū-, tr.: dichtend Etwas hinzuthun ꝛc. —
Mít-, intr. u. tr.: So daß auch ein ſtumpfer Leſer mit-
zudichten gezwungen wird, indem du ihm vordichteſt. HVoß JP.
106. — Nāch-, intr. u. tr.: dichtend Etwas nach-
bilden: Griechen und Römern ganz auf ihre Weiſe n. Tieck
DrBl. 2, 228. — Nēū-, tr.: dichtend neugeſtalten:
Eine Neudichtung des alten Stoffs. — Sínn-: Sinn-
gedichte machen. Heinſe K. 1, 38. — Úber-, tr.: mund-
artl. = überdenken. Goltz 1, 20; auch: etwas Gedich-
tetes noch einmal dichtend überarbeiten: Eine ſolche
lyriſche Überdichtung. Pröhle (D. Muſ. 1, 2, 609). —
Úm-, tr.: dichtend umgeſtalten: Den tragiſchen Stoff
zu einem luſtigen um-d. Grabbe Hann. 43; Die Umdichtung
in amerikaniſche Formen. Kürnberger Am. 392; DMuſeum
1, 2, 289; Umdichter. Grimm Altd. Wäld. 2, 154. —
Ver-, tr.: dichtend verbringen, z.B. die Zeit, ſ. I. —
Vōr-, tr.: [Du haſt] das Wunderbarſte keck uns vorgedich-
tet. Schwab 137. — Wīēder-, tr.: dichtend wieder-
erzeugen: Den alten Stoff in ſich verarbeiten u. w. ꝛc.;
verſch.: Er hat wieder einige Balladen gedichtet ꝛc. — Zū-,
tr.: hinzu-d.: Einem Etwas z., andichten. Gotthelf U. 1,
221. — Zuſámmen-, intr. u. tr.: gemeinſchaftlich
dichten; tr.: dichtend zuſammenſtellen ꝛc.: Er hat’s zu-
ſammengedichtet aus vorhandenen Geſichtern. Lavater 1, 100;
Von dieſem Scherz weder Konzept noch Abſchrift vorhanden
... Jch muß daher es wieder auf’s Neue z. G. 22, 208.
Work in progress
Die Arbeiten am Wörterbuch sind noch nicht abgeschlossen. Beachten Sie daher folgende Hinweise:
- Artikel können falsch segmentiert sein.
- Lemmata können falsch aufgelöst sein.
- Die Struktur, v. a. von Lesarten, kann falsch ausgezeichnet sein.
- Falsch erkannte Zeichen sind nicht auszuschließen.
- Faksimiles können fehlen oder falsch beschnitten sein.
- Das generierte TEI/XML kann invalide sein.