Faksimile 0234 | Seite 226
Faksimile 0234 | Seite 226
Faksimile 0234 | Seite 226
Faksimile 0234 | Seite 226
Bruder
Brūder, m., –s; Brüder; Brüderchen, lein; -:
1) eigentl. ein männliches Geschwister, männliche Person, insofern sie mit Andern die Eltern beide oder eins davon gemeinsam hat; im erstern Fall leiblicher, vollbürtiger, rechter B., Voll-B., im andern Halb-B., Stief-B.; ferner: Zusammengebrachte [s. d.] Brüder. B. und Schwester; Er hat für mich gesorgt, eiy leiblicher B. hätte nicht mehr thun können; Unter Brüdern [wo Keiner dem Andern zu nahe tritt] seine 1000Reichsthaler werth. Engel 1, 94; W. 12, 75; Eine entsetzliche Ohrfeige, die allein 2 Dukaten unter Brüdern werth war. Hebel 3, 128; Lichtwer 154; Meinen eignen B. überfrag’ ich. Immermann M. 1, 258. S. auch, wo von den geschlechtlichen Beziehungen abstrahiert wird: Schwester! Du bist entweder nicht mein B. oder ich deine Schwester nicht, sonst wir uns leichter verständen. Julienne schien vom Vorwurf des Geschlechts betroffen zu sein. IP. 24, 181; Der Einfall, Henrietten manchmal B. Heinrich zu nennen. Jacobi Woldem. 1, 65. 2) in weitrem Sinn aber gilt B., die Gleichheit und Gemeinschaft mit Andern in andrer Beziehung als grade auf Eltern (oder Stiefeltern) zu bez., vgl. „verwandt“; so steht z. B. Brüder für Verwandte: 1. Mos. 31, 32; 37; Galat. 1, 19 u. v.; so sagt Christus: Wer den Willen thut meines Vaters im Himmel, Derselbige ist mein B. Matth. 12, 50 etc.; so sind im weitesten Sinn „die Menschen alle Brüder“; Alle Menschen werden Brüder, | wo dein [der Freude] sanfter Flügel weilt. Sch. 19a; Die Noth, die dem armen B. [Mitmenschen] bevorsteht. G. 5, 15 u. v.; so nennen Glaubens- und Stammverwandte, Amtsgenossen, Kameraden, Leute, die einer Genossenschaft angehören etc., im Gefühl des sie umschlingenden, einigenden und gleichstellenden Bandes einander Brüder (Schwestern), z. B.: Fragen alle sich die Brüder [Freimaurer], | was sie ohne Schwestern wären. G. 6, 5; Segne die Brüder der Jagd [Jagdgenossen, Kameraden]. 2, 51; Herr B. [Anrede eines Ehemanns an den andern]. Sch. 26b; Der herrnhutischen Gemeinde ... Unter den Brüdern. G. 17, 144; Böhmische, mährische Brüder; B. in Gott. Talvj 1, 125 (s. verbrüdern); in Christo [Mitchrist]; in Apollo. L. 4, 161 (= Dichterkollege); Sie urtheilen von meiner Abhandlung wie ein B. in Leibnitz. 13, 121 (aus seiner philosophischen Schule) etc.; Du trauter B. meiner Seele! Pfeffel Po. 3, 60; Ja, Sire, wir waren Brüder! Brüder durch | ein edler Band, als die Natur es schmiedet. Sch. 301b etc. So auch: Die Heuchler oder falschen Brüder. Luther 8, 13b; Zwingli 2, 5 u. o. (die sich fälschlich für Freunde u. Genossen ausgeben). 3) wie die Mönche eines Ordens einander Brüder nannten, wurden sie auch von Andern so genannt, so daß alsoB. = Mönch ist: „Ein Mönch! Wo kommt Der noch her? Ehrwürdiger Vater!“ ... Dank euch, edler Herr, und bin vor der Hand nur demüthiger B. G. 9, 10; Der Teufel ist Abt in der Welt und seine Brüder sind allzumal B. Rausch [s. 5]. Luther 6, 351b; Ging in der Barfußen-Kappen .. und trug den Sack -.., aber sein Gesell B. ging neben ihm ledig. 9b; Sch. 551a; Weidner 210; Ritter- und Brüdergebäuden. G. 25, 133 u. o., namentl. in Bezug auf die Bettelmönche auch B. = Bettler. Stalder 1, 233; ferner: Barmherzige (s. d.) Brüder. Sch. 547a etc. 4) ähnlich auch z. B. von den schmauselustigen Kalandsbrüdern. Auf diese oder auch auf die Bettler (s. 3) bezieht sich wohl die sprchw. Wendung: Hier ist nicht Viel zu brudern = zu schmausen etc. (schwzr. brudern = betteln). Viele Trink- und Zechlieder beginnen: Auf Brüder, lasst uns lustig leben! Ausw. der Lied. 235 etc.; 408, wo sechs mit „Brüder!“ beginnende verzeichnet sind; so auch: Der Mittag führt nasse Brüder her. Lichtwer 193; Voller B. Uhland V. 595; Volle Zapfen oder trunkene Brüder. Weidner 394; Im Kloster zu den dürren Brüdern. Musäus M. 1, 99, m. Anm.: „So nennt B. Waldis scherzhaft den Galgen“ (s. 3); Rundgesang fröhlicher Brüder beim Becherklang. Danzel 44; L. 1, 13; Lustige Brüder und alte Bekannte von ihm. Sch. 747b; G. 4, 203; Fideler, flotter B. (vgl. Bursch, Kumpan, Gesell etc.); Des Herrn B–s Taschen. Hebel 3, 266 [mit dem er sich Brüderschaft s. d. getrunken, vgl. auch bruderander] etc. Man beachte auch die Bez. „warmer B.“ = Präderast. Heine Reis. 3, . . . 5) Oft folgen so auf B. Eigennamen, z. B. Berlichingen zum Mönch: Ein Glas, B. Martin! u. o.; so nennen sich und heißen zumal Handwerksgesellen oft nach ihrer Heimath: B. Stettiner, B. Schlesier etc.; Gott grüß dich, B. Straubinger! | ist gut, daß ich dich sehe etc. So solgen denn auch, gleichsam wie Eigenn., andre Hw. od. Ew., z.B.: Wer seid Ihr, B. Lustig? Wolfg. Müler (DM. 5, 1, 28); Grimm M. 265; Ich habe diese Reise fast wie ein B. Sorgenlos gemacht. Arndt Erinn. 78; Meine Base keinem B. Liederlich zur Frau geben. Sch. 651a; vHorn Schmj. 140; Jmmer der alte B. Hitzig. Spindler Stadt 3, 31; Du sollst mir helfen, B. Schlau. Körner 249b etc., etwa Einer, der der großen Verbrüdrung, Verbindung (vgl. Hansa und Hans) der lustigen, sorgenlosen, liederlichen Brüder oder Gesellen, Kumpane angehört (vgl. z. B. Hans Liederlich etc. = liederlicher Kerl etc.). In solchen Fällen wird B., wie ähnliche Titel etc., nicht dekliniert, vgl.: Dankmar besaß nicht seines B–s Siegbert Weichherzigkeit. Gutzkow 2, 225; Zu des Bundesbruder Pero Wohnung. Talvj 2, 181 v. 260; Weil vielleicht das Gesicht nicht so hübsch ist als das eines B. Leichtfuß. vHorn Schmj. 139. Hierzu gehört z. B. außer B. Rausch (s. 3) u. häufigen Personifikationen (Halt nicht ubernacht .. den B. Zorn. Ringwald lautr. Wahrh. 365 u. o.; so auch B. Jonathan als Personifikation der nordamerikanischen Freistaaten, herrührend von einem Wort Washington’s, der ,,B. Jonathan“ [Trumbull, den damaligen Gouverneur von Konnektikut] behufs der Anschaffung von Vertheidigungsmitteln fragen zu müssen erklärte, auch die häufige Anrede: B. Herz! z. B. Merck’s Br. 1, 126; Sch. 127bu. v., etwa = Herzensbruder, theurer Freund, oft als ein Wort geschrieben, doch durch die Betonung (– ⏑–) verschieden von der eigentl. Zsstzg. (–⏑–) im Sinne: Herz eines Bruders. 6) auch der bekannte Pfingstvogel (Oriolus galbula), dessen Ruf wie „Bier hol!“ erklingt, heißt eben danach als Saufbruder auch B. Bierhol; bei Nemnich auch B. Berold, B. Hultrof, vielleicht aus dem plattd. Holz-Rabe, wie denn auch der Häher Corvus glandarius etc. unter seinem aus Reineke Fuchs bekannten Namen als B. Markolf erscheint; den Schweizerhirten heißt die bärtige Ziege (s. 3) B. u. ä. m. 7) auch sonst gilt B. von Thieren, um ihre gemeinsame Abkunft zu bez., gew. nur in einer Art Personifikation, so in Fabeln etc., z. B. wenn in Gleim’s „Berathschlagung der Pferde“ der junge Hengstruft: Entreißet, Brüder, euch der niedern Sklaverei, U. v.; so ferner von eigentl. leblosen Dingen und abstrakten Wesen, z. B.: Pfenning ist Pfennings B. (Sprchw.). Schottel 1129b (wo Geld ist, kommt Geld zu etc.; vgl. den Wunsch in Bezug auf ein Geldstück, „alle seine Brüder“ zu haben); An so einen Baum, der .. in einer Reihe mit seinen Brüdern steht. G. 23, 179; Die Treue | und den Frieden, ihren B. Göckingk Lieb. 152; Zieht Blitz und Strahl aus Staub und findt dem Donner Brüder. Haller 54; Ein B. des Frühlings war uns der Herbst voll milden Feuers. Hölderlin H. 2, 3; Der Staub, des Schlammes durst’ger B. WHumboldt 3, 49; Ihrem B. Tode zuzuspringen [pflegt] | offnen Armes Schwester Lüsternheit. Sch. 2b; Einen Bolzen verloren ..., schoß seinen B. den gleichen Weg. Schlegel Kaufm. 1, 1 etc. 8) so heißen euphemistisch auch die Hoden Brüder. Reineke Fuchs 4, 8; BWaldis Äs. 3, 34 etc.; ferner z. B. (s. 5): Er soll keinen Grölz im Munde behalten, sondern den gefangnen B. loslassen. Gervinus Lit. 3, 144.
Anm. Der uv. Genit. (s. Benecke 1, 271a) ist jetzt gewöhnlich nur in der unter 5 angeführten Wendung; auch: Des Brudern Flucht. Günther 1069; Fleming 138; Des Herrn Brudern Name. Opitz 2, 64; Euerm Brudern. Weckherlin 337; Viel falscher Brüdren. Zwingli 2, 5 u. ä. m. Über das „N“ im Dat. d. Ez. ohne Artikel s. „N“. Die Verklein. zuw. auch Brüderle. B. 466b etc. Als Bestimmungsw. erscheint zuweilen mit einer Nüance die Mz., z. B. ist eine Brudergemeinde eine durch Gleichheit mit einer andern verbundne Gemeinde; Brüdergemeinde eine Gemeinde von Brüdern, zumal bei den Herrnhutern; doch im Allgem. die Ez., vgl. z. B.: Reißt er [der Quell] seine Bruderquellen mit sich fort. G. 2, 43; Eigne Kraft und Bruderkräfte. 10, 277; Ein Bruder-Engel. H. 15, 165 etc. Seine Brüder-Bauern. Kohl (Monatbl. 1, 440b) = Mitbauern, Kameraden etc. Abstammung des weitverbreiteten Worts (goth. bróthar, vgl. lat. frater, slaw. brat, skr. bhrâtri etc.) unausgemacht.
Zsstzg. vielfach, z. B.: Älter-: A. Mensch ihr [der Thiere] Vormund. H. 15, 326.
Ámts-: Amtsgenosse, Kollege. G. 22, 78.
Bástard-: Kebs-B.: Sein [des Champagners] verrufener B. von Grüneberg. Stahr Jahr. 1, 5. Bêt- [3]: Frömmler. Auerbach Leb. 1, 237; Lichtenberg 2, 80 etc. —, Béttel- [3]. Bīēr- [4].
Blótz-: Art barmherziger Brüder: „die Kreuzritter, so Schwerter getragen“. Frisch 1, 112b.
Blūts-: leiblicher Bruder. V. Sh. 1, 92.
Búndes-: durch einen Bund Verbrüderter. Chamisso 5, 63; Hölderlin H. 2, 88; Talvj 2, 176, vgl. 1, 282.
Būsen-: Busenfreund. Seume Gd. 16.
Dóppel-: Zwillings-B. Hippel Leb. 1, 44.
Dūz-: durch die brüderliche Anrede des „Du“ verbunden. Immermann M. 1, 21; s. Brüderschaft, Schmollis. Fástnacht- []: Weidner 197.
Gēīstes-: Schiller, der G. Kant’s. Herrig 16, 279, geistig nah verwandt.
Gílde-: Mitglied einer Gilde. Möser Ph. 1, 30. Glāūbens- [2]. Börne 3, 138. Hálb- [1]: Jahn M. 69. Hándwerks- [2]: Mendelssohn 4, 2, 348. Hēīlands- [3]: Betbruder. Zschokke 1, 300.
Hérz(ens)-: herzlich geliebter Freund. Sch. 117a.
Innungs-: s. Gilde-B.
Jā-: der zu Allem Ja sagt. Weidner 191. Jākobs- [3]: Pilger nach Compostell zum Grab des heiligen Jakob: Hie sind die Muscheln, sagt der J. Fischart B. 42b; dann auch von vagabundierenden Schelmen. Kaisersberg Narrensch. 37b.
Jūgend-: Immermann M. 1, 54, Jugendfreund.
Káffe-: s. Schnaps-B. und Kaffeschwester. Kālands- [4]: ursprüngl. Genossen einer andächtigen, dann schwelgerischen Brüderschaft.
Kêbs-: vom selben Vater, aber von einem Kebsweib. Klōster- [3]: zumal die häuslichen Arbeiten im Kloster verrichtende Person.
Komȫdi-en-: wie er in Komödien gw. eine Rolle spielt. G. 9, 264.
Kórb-: ein von der Zunft als Meister zurückgewiesener Handwerker, s. Korb.
Krēūz-: die zu den Kreuzzügen Ziehnden, die ein Kreuz als Zeichen auf den Kleidern trugen; so auch die Geißler etc. Lāīen- [3]: weltliche Person im Kloster zur Bedienung der Ordensgeistlichen etc.
Lítzen-: Mitglied von der Jnnung der vereideten Packknechte und Ablader in norddeutschen Handelsstädten, z. B. Hamburg, von der Litze, zum Schnüren der Packete etc. Heine Verm. 1, 187; Lut. 2, 66 etc. Lōgen- (Loshen): Mitglied einer Freimaurerloge. Lóll- [3]: Frisch 1, 620 ff. Lǖgen- [5]: Lügner, Lügenkumpan. Rückert Mak. 1, 122.
Márkus-: burschik.: Bäcker.
Mílch-: der gleichzeitig dieselbe Amme gehabt, scherzh. auch Liebhaber von Milchspeisen; s. Schnaps-B. Mín-, Mínder-, Mínster- [3]: s. Minorit: Die Minores oder Minderbrüder, die Minimi oder Minsterbrüder. Fischart B. 25a; Minn(e)-B. 38a; Weidner 35; 247 u. v. Mít- [2]: Mitmensch, Nächster, Kamerad, Kollege etc. G. 29, 267; Thümmel 1, 13; W. HB. 2, 120.
Mútter-: Oheim mütterlicherseits. Rückert Morg. 1, 240.
Nāmens-: der denselben Namen hat, Namensvetter: Dein N., der herrliche Hyperion des Himmels. Hölderlin H. 1, 130. Nóll- [3]: s. Loll-B. und z.B.: Frisch 2, 20b; Stumpf377b; Zwingli 2, 10 etc.
Öfen-: der sich nicht vom Ofen trennt; Stubenhocker; s. Schnaps-B. Ordens- [3; 4]: Mitglied eines zumal geistlichen Ordens. Fischart B. 24a. Sāūf- [4]: Säufer.
Sāūg(e)-: Milch-B. Schnáps- [4]: Schnapssäufer: Kaffeschwestern und Schnapsbrüdern. Lichtenberg 5, 467; ähnlich in vielen Zsstzg. den Freund, Liebhaber eines Genusses bez., s.: Kaffe-, Milch-, Ofen-B. u. ä. m.
Schūl-: Schulfreund, Schulkamerad.
Schützen-: Mitglied der Schützen-Zunft, -Gilde.
Schwä́rm-: Mitglied schwärmender Gelage etc.
Schwêrt-: Mitglied eines alten lievländischen Ritterordens.
Sēēlen-: Herzens-B. etc. Merck’s Br. 2, 127.
Stáll-: Kamerad etc.: Frisch 2, 316a; Wunderhorn 117. Stīēf- [1].
Sǘnden-: Einer der Einem durch gleiche Sünde verwandt ist. Streckfuß Rol. 9, 2. Trínk- [4]: Weidner 286.
Tūgend-: durch gleiche Tugend verbunden. H. 15, 250.
Vāter-: Oheim väterlicherseits.
Vóll-:
1) [1].
2) scherzh.: Völler, Sauf-B. Wáffen-: Kampfgenosse, Kriegskamerad. G. 35, 51; W. 15, 43. Wāhl-: erwählter, im Ggstz. des durch Geburt Verbundnen. Talvj 1, 283; s. Bundes-B. und verbrüdern. Wáld- [3]: Einsiedler: Die Hütte des W–s. G. 22, 359; W. 9, 29; Stahr Weim. 24. Wáll- [3]: Die Pilgram oder Wallbrüder. Garzoni 743a. Zéch- [4]: Hebel 3, 227; Von den sieben Zechbrüdern. Uhland 365. Zúnft-: s. Gilde-B. Zwíllings- [1; 7]: Der Schlaf ist der Z. des Todes, u. v. ä.