Faksimile 0079 | Seite 71
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Balg
Bálg, m., –(e)s; Bälge; Bälgchen, lein; –en-:
1) eigentlich: die einen Körper außen umſchließende.
weiche Hülle deſſelben, ſo: z. B. die Hülſe der Erbſen,
Weinbeeren ꝛc.; Bot.: auch die unterſten Blättchen
eines Grasährchens, der Graskelch (gluma, calyx glu-
maceus), ſ. G. 36, 53. a) Die Haut aller Thiere,
welche ganz (d. h. ohne unter dem Bauch aufgeſchnit-
ten zu werden) abgeſtreift werden, z. B. bei den Jägern
u. Kürſchnern. Biber-, Eichhorn-, Fiſchotter-, Fuchs-,
Hamſter-, Haſen-, Iltis-, Kaninchen-, Katzen-, Luchs-, Mar-
der-, Wolf-, Zobel-B. bei Döbel u. v. a., auch von
Vögeln: Krähen-, Raben-, Faſanen-B. ꝛc.; Hirſch-, Elend-
u. Biberbälge. Sealsfield. Leg. 1, 30; Warf mir den B. [des
Löwen] um die Glieder. V. Theokr. 25, 178; Eh ließ er
[d. Diener] ſich den B. vom Leibe ſtreifen [ſ. 3]. W. 20,
246. Auch von den ſich häutenden Thieren, z. B.:
Schlangen-B. Ryff Th. 254; Auch: B. der Läuſe, Wanzen,
Seidenwürmer ꝛc.; auch = Geburts-B., Glückshaut (ſ. d.),
Nachgeburt. Tabernaemontanus 46 ꝛc. Sprchw.: Einem
wacker den B. ſtreichen [ſchmeicheln]. Gotthelf U. 2, 293.
Der Fuchs ändert den B. | u. behält den Schalk. Ein
jeder Fuchs verwahre, hüte ſeinen B. Ihnen gilt das
„Stirbt der Fuchs, ſo gilt der B.“ nicht bloß zum Troſte,
ſondern auch zur Aufmuntrung, ſie tödten den Fuchs, damit
der B. gelte. Börne 2, 173; Auch Name eines Spiels.
G. 1, 11. Der Löwenhaut den Fuchs-B. annähen [wo
Stärke nicht ausreicht, Liſt anwenden] ꝛc. Fuchs-B.
(vgl. 2.) Bez. eines liſtigen Menſchen. Tieck Nov. Kr.
4, 49. b) B. eines Menſchen, die Haut, der Bauch,
der Leib. Wenn die Glut in Aſche ſank, | die ihm gewärmt
den B. entlang. V. 4, 152; Wir müſſen uns .. mit
dem alten B. ſchleppen . ., bis wir .. geiſtlich Fleiſch wer-
den. Luther 6, 350b. (ſ. 1. Kor. 15, 44); Damit er
einen ſaubern u. glatten B. hätte, wenn er nacket kämpfen
wollte. Mattheſius Sar. 120a; Einem den alten B. wohl zer-
ſchlagen. Friſch 1, 52a (ſ. 5). c) = Blaſebalg (ſ. d.):
Ihr Bälge blaſt, ihr Funken ſprüht empor! Geibel; Als Bälge
noch nicht athmeten, der Orgel Mund noch ſchwieg. Ramler;
Der Funke ſprüht, die Bälge blaſen. Sch.; Der püſternde
Balg hauchet die Flammen auf. V. d) (Vgl. 3 u. 4)
Ausgeſtopfte Körper, z. B.: bei den Vogelſtellern ein
ausgeſtopfter Vogel, um Vögel zu fangen (vgl. Bal-
bahn, vielleicht verderbt aus Balghahn); Puppen-B.,
der aus Leder gefertigte ausgeſtopfte Leib einer Puppe
ohne Kopf u. Bekleidung ꝛc. 2) dient B. auch als
verächtl. Bez. von Menſchen, zumal von feilen Weibs-
ſtücken u. von unartigen Kindern, doch auch von Män-
nern (ſ. 3). Der urſprüngliche Sinn der Verachtung
tritt zuw. (ſ. 4), wie öfter bei ſolchen ſelbſt als
Liebkoſung gebrauchten Scheltworten (ſ. Aas) zurück:
a) = Weibsſtück, das Menſch, Hure ꝛc.: Schickt er einen
alten B. zu dem Weib, die bracht ihr zu Ohren. Luther 5,
361a; 379b; Nero ... der ſeinen B. Poppä’n ſo ſchätzbar
hat verbrannt. Mühlpforth Leich. 145; Loſe Bälg und loſe
Buben. Zinkgräf 1, 270 ꝛc. Der abſcheuliche, hochmüthige
Lügen-B. [das herrſchſüchtige Weib]. Paalzow Th. 1, 292.
Huren-, Schand-B. ꝛc. b) = Kind (verächtlich):
Der Knabe. Der B. der! G. 7, 87; Jhre .. Stief-
tochter . ., von ihr der B. zubenannt. Muſäus M. 1, 78;
Sich mit den Bälgen tagtäglich zu ſchleppen. 2, 69; 82;
Bei ihnen wird [in der Ehe] nichts mehr erziehlt als Bälge
| und Bettelpack. Schlegel Cymb. 2, 3; Mein Stiefbruder,
der Mami ihr B. [meiner Mutter verzogener Bengel].
Sealsfield Leg. 3, 60. Schmeichelbälge nennt Chamiſſo 5, 71
Gedichte [geiſtige Kinder], womit die Herausgeber eines
Almanachs ſich gegenſeitig bekomplementieren ꝛc., ſ.
Wechſel-B. c) Hinab mit dem B.! [alter Kerl]. Sch.
136a; Den Schlummer-B. [den immerſchlafenden Kerl].
Immermann Münch. 3, 239. d) ohne hervortretenden
verächtlichen Nebenſinn: Sie lief auf nackten Sohlen, |
mit ihren Bälgen [Kindern] das Brot zu holen. Beck Arm.
247. Ein Paar verliebte Bälge [Geſchöpfe]. JP. 27, 87;
Die Bälger [Mädchen] tanzen alle gern. Freitag Soll 1, 202.
Will ich’s mit einer von unſern Bälgern [Mädchen] ver-
ſuchen. 3, 146 ꝛc.
Anm. 1. Hier findet ſich auch das neutr.: Ungerathenes
B.! Görner Kind. Th. 43; Das B. ſollte geſchwind aufhören,
ihre-Mutter zu quälen. Holtei Lammf. 1, 138. Iſt ſie nicht
ein widerſpenſtiges B.? Klencke Gſp. 1, 250. Und daran
ſich ſchließend die Mz.: Die ungezogenen Bälger. Paalzow
Th. 1, 293 (ſ. 4).
3) veralt. = Streit, Kampf: Wer Pulver riechen
kann, | auf B. u. Roß beſteht. Fleming 111. Im Katzbalg
liegen. Wernſtreit Kr. 45., ſ. Friſch 1, 32c.
Anm. 2. In der Bed. 1. dazu auch das veralt. B. =
Schlauch u. Schwert-B. = Scheide, ſ. Friſch u. Schmeller,
wie Bulge (ſ. d.) unbeſtritten zum Stamm belgen ſchwellen.
Vgl. lat. Follis (Balg) u. engl. belly (Bauch). Für
Bed. 2. vgl.: Eine gute Haut ꝛc., das lat. scortum (Fell u.
Hure) ꝛc. Für die Bed. 3. vgl. Benecke 1, 125, belge
= erzürne u. z. B.: Sei nicht ſo gar verbolgen [trotzig,
zornig]. Rachel 7, 557, wohl inſofern dem Zornigen die
Adern ſchwellen ꝛc., ſ. Stalder 1, 126. Ueber Geſchlecht
u. Form der Mz. ſ. Anm. 1., doch findet ſich auch die Mz.
Balge: Sah Eſſe, Balg’ u. Tiegel. Reithard 50; Bei Blaſe-
balgen. Blumauer 2, 207; Oehlenſchläger Inſeln (1826) 3,
109. Als Beſtw. auch z. B.: Der Bälgentreter. V. 2,
51. V. 23 ꝛc. Man brachte auch das Ew. mit Partic.-
Form: ein weißgebalgtes = weißbalgiges Thier ꝛc.
Zſſtzg. ſ. o. Dazu z. B. noch Weiß-B. V. Th. 4,
45; 5, 147; Bez. eines Thiers mit weißem B. ꝛc.; u.
vgl. Windball. Ferner Blāſ(e)-: ein Werkzeug,
das durch ſeine Bewegung Wind erzeugt, in den Ham-
merwerken einfach Balg (ſ. d. I. 4) zur Anfachung des
Feuers (Schmiede-B.), in der Orgel (Orgel-B.) ꝛc.: Der
gewöhnl. Hand-Blaſebalg; in den Schmieden der größere
Doppelbalg. Karmarſch; Der von vier gekuppelten Spitzbälgen
erzeugte Wind Dſ. ꝛc.; Ein Nürnberger Kuckuckchen mit einem
Blaſebälgchen unter den Füßen. Börne; Der Blaſebälge Zug.
Sch. 56a; Blasbälge. G.21, 257 ꝛc. (vgl. Püſter).
Sāū-: [2.]; auch eine Pflanze Chenopodium ru-
brum, rother Gänſefuß. Schóß-: der Theil an
den Getreidehalmen, worin die Ahre vor ihrem Her-
vorkommen verborgen iſt. Wéchſel- [2.]: ein
von Heren oder Kobolden ausgetauſchtes Kind (vgl.
Kielkropf u. Wechſeling); ſcheltende Bez. eines häß-
lichen, ungezognen Kindes ꝛc., einer untergeſchobnen
Perſon od. Sache: Weil .. der Alp das Kind holt u. dafür
einen W. in die Wiege legt. Claudius 6, 64; Gewohn-
heit iſt die zweite Natur! ja wohl, aber dieſer W. der Natur.
Auerbach Ab. 153; Den W., den Unhold. W. 12, 11.
Seltner neutr.: Bis auf ein ſcheckig W., den Sohn, | den
ſie hier warf. Schlegel Sch. 3, 27.