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Ruthe Schwingen
Rūthe, f.; –n; Rüthchen, lein; –n-:
1) Gerte (s. d. 1), biegsamer Zweig, Schößling: Die R–n (grünen Reben) sind sämmtliche junge Triebe des Weinstocks und heißen solange R–n, als sie noch grün sind. Kecht 13; Die Bachweide . . R–n rothbraun .. Die Trauerweide mit grünlichen überhängenden R–n etc. Oken 3, 1533; Körbe aus Weiden-R–n flechten; Hasel-R–n abschneiden; Die Wieg’ aus brüchigen Schilfes-R–n. Kinkel 16; Lorbeer-R–n, | die eure weiche Hand sich brach. 349 etc. Auch bildl.: Es wird eine R. aufgehen von dem Stamm Jsal und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Jes. 11, 1 etc. S. das Folg. 2) (s. 1) bes. oft als Züchtigungsmittel, sowohl von der einzelnen R. (so z. B. Hasel-R.), als auch nam. von zusammengebundnen, so bes. Birkenreiser (s. Birkenhänschen) für Kinder (Kinder- R.), dann auch von ähnl. Strafwerkzeugen für Verbrecher (s. Henker-, Spieß-R.) und übertr. (vgl. Zucht-R.), z. B.: Ein Kind verdient, bekommt die oder Etwas mit der R.; ihm die R. geben; es unter der R. halten; es mit der R. schlagen, hauen, züchtigen; Noch, nicht mehr unter der R. stehn; der R. entwachsen sein etc.; Einen Verbrecher mit R–n streichen, aushauen; Einen mit R–n ausleuchten (s. d.) etc. Sprchw.: Jemand mit seiner eignen R. schlagen (Fischart B. 99b etc.); Sich selbst eine R. binden, aufbinden, auf den Rücken (Buckel, Arsch) binden etc.; Gottes R. ist nicht über ihnen. Hiob 21, 9; Ich bin ein elender Mann, der die R. seines Grimmes sehen muß. Klag. 3, 1 u. o.; Muß unser Herrgott die R. nehmen, die Menschen klopfen etc. Gotthelf Sch. 77; Er empfand es, wie im Übermuth eine R. sitzt, die unbarmherzig geißelt. G. 223; Wie Deutschland durch soviel unschuldigs Blut-Vergießen . . eine scharfe R. verdienet. Luther 6, 316b; Den Kometen steckt er wie eine R. | drohend am Himmelsfenster aus. Sch. 324b; Als .. die schwere Hand des Allmächtigen .. die R. zuckte und schrecklich auf ihn zuschlug. Stiling 4, 15 etc., auch von Pers., insofern durch sie Jemand gestraft ist (s. Geißel2): Der Luther sei der Pfaffen R. [objekt. Genit.]. Luther 5, 281a; Zum Gebet wider die R. Gottes [subj. Genit.], den Türken. 8, 170b; Ein böses Weib .., die schrecklichste der R–en, | womit der Himmel straft. Ramler F. 3, 226; Attila .., der sich nannt eine R–n Gottes. Stumpf 65a Und zuw. in dichter. Belebung eines geschlagnen sachl. Obj. (vergl. peitschen 1c etc.): Von des Herbststurms scharfen R–n | aufgepeitscht, mit wilden Fluthen | schäumt die dunkle Adria. Kinkel 10 etc. 3) (s. 1) eine Gerte, oder ein Körper von ähnl. Form, auch von anderm Stoff und zuw. von großen Dimensionen, vgl. Stange, Stab etc., so z. B. vom Hirtenstab: Zehnten von Rindern und Schafen und was unter der R. geht. 3. Mos. 27, 32 [,Die Zehnten von Rindvieh und Kleinvieh so wie es unter dem Stabe durchgeht.“ Mendelssohn], ferner z. B. Peitschenstock; Stangen der Windmühlflügel; beim Ziehbrunnen sowohl die Stange, woran der Eimer hängt, als auch der Baum oder Schwengel, woran die Stange befindlich; die Stange in der Mitte von Getreide-, Heuschobern etc.; am Strumpfwirkerstuhl die die
Schwingen durchbohrende Eisenstange; die dünnen Messingstäbe, worüber der Pohl des Sammts und ähnlicher Gewebe gebildet wird; die (vorn gekrümmte) Eisenstange, womit dem Feuer in der Esse Luft gemacht wird; der durch Charnierbänder gehnde, sie zusammenhaltende Metallstift u. ä. m., s. die Zsstzgn (statt deren oft das Grundw. genügt), z. B. Angel-, Besahn-, Leim-, Meß-, Stak-, Wünschel-, Zauber-R. etc. 4) (s. 3) eine Meß-R. von best. Länge, ein (nach Ort und Zeit versch.) Längenmaß, so bes.:
Die rheinländische R., nach der Decimal- oder Duodecimaltheilung = 10 oder 12 Fuß (s. d. 4), dazu als Flächenmaß: Quadrat- (Flächen-, Geviert-) und als Körpermaß: Kubik- (Körper-, Würfel-) R., s. Maß 1a. In manchen Gegenden auch R. als Flächenmaß, z. B. in der Lausitz = ¹ Hufe, und als Körpermaß, s. Schacht-R. 5) (s. 3) R–n nennt man im Würtenbergischen die zum Holländerholz gehörigen eichenen Stämme von 40“ und mehr Länge und meist 13“ im mittlern Durchmesser Stärke. FBWeber 468b. 6) weidm. = Schwanz, bes. vom Fuchs (s. Döbel 1, 40d) und Wolf (36b, vgl. Standarte): Seinen langen wie eine Fuchs- oder Wolfs-R. dicht behaarten Schweif. Laube Band. 1, 5 etc. 7) das männl. Glied (s. d. 3), penis bei Menschen und Thieren, und entsprechend: Die weibl. R., clitoris (s. kitzeln 6a).
Anm. Ahd. ruota, mhd. ruote, niederd. rod(e), s. Brem. W. 3, 511, auch: Radschiene; Labmagen. Über R. = Fensterscheibe (in Mecklenburg etc.) s. Raute 1c. Zstzg. (s. Spate), z. B.: Ángel- [3]: Ruthe, Stab, woran die Schnur mit der Angel zum Fischen hängt, und die gesammte Vorrichtung: Wir setzten uns mit ein paar A–n an eine schattige Stelle, wo .. manches Fischlein sich hin und her bewegte. G. 18, 330; Eine spielende A. für Den, der sie ausgiebt, ein haltender Haken für Den, der sie empfängt. Lewald W. 1, 73; Ein Fischer mit ragender A. V. Od. 12, 251 = Wenn ein Fischer .. eine Angel an einer langen Ruthen in das Wasser herablässt. Schaidenreißer 52b; Wie der Fischer empor zum Gestad, der Ruth’ und des Fadens | leises Zucken gewahrend, schnellt das zappelnde Fischchen. Pyrker 106 etc. Ánker- [3]: Anker-Schaft. Bāūm-:
1) [1] Ggstz. Strauch-R.
2) [3] Web.: ein dünner Stab, womit die Kette in der Fuge des Garnbaums befestigt wird. Bérg-:
1) Wünschel-R. (Bergmanns-R.).
2) (schwzr.) = Wiesenraute (s. d.). Stalder 1, 157. Besāhn(s)-: In frühern Zeiten war die Besahn .. gespannt . . an einer Art von großer lateinischer Rah, welche die B. oder Ruthe hieß. Bobrik 575b. Bêsen- [1]: Besenreis. Bírken- [1]. Bránd- [3]:
1) Feuerbock (s. d.).
2) Metallstab zum Schüren des Feuers im Kamin etc. Bacher Soph. 2, 16. Brücken- [3]: die Balken, worauf die Bohlen oder Bretter einer Holzbrücke liegen. Brúnft- [7]: das männl. Glied beim Hirsch. Laube Br. 245, s. Zimmel und Pinsel 1. Brúnnen- [3]. Dēcimal-, Duodēcimal- [4]. Eumenīden- [3]: womit die Eumeniden oder Furien geißeln, eig. und übertr.: E–n deine Küsse! Sch. 5b. Féld- [4]: zum Feldmessen, davon versch. an einigen Orten die Wald-R. etc. Fēūer-: Brand-R. 1; 2. Fischer- [3]: wie sie der Fischer braucht, s. Angel-, Stak-R. Flächen- [4]. Flítter- [2]: mit Flittern geschmückte Ruthe, s. Kindel-R. Fúchs- [6]. Gevīērt- [4]. Glücks-: s. Wünschel-R. Hánd- [3]: an Peitschen und nam. an Dreschflegeln (Krünitz 9, 562) der Stiel, den man in der Hand hält (vergl. Ruthenkappe etc.). Hāsel- [1]. Héngst-:
1) [7]. 2)[3] Ruthe des Ziehbrunnens, vgl. Hengst 4. Hénkers- [2]: womit der Henker Verbrecher aushaut, Ggstz. Kinder-R. Kétten- [3]: (Web.) die Kettenfäden in Unter- und Oberfach (s. d.) sondernd, Pfahl-, Lese-R. (vgl. einlesen 1b). Kindel- [2]: Ruthe (gw. Flitter-R.) zum Kindeln (s. d. 2a). Kínder- [2]: s. Kindel- und Henker-R. Klêb-: s. Leim-R. Kōhlen- [3]: zum Schüren der Kohlen, s. Brand-R. 2. Körper- [4]. Krúmm- [3]: weidm.:
1) eine starke Stange der Vogelsteller mit Windleinen, dem Schirm gegenüber.
2) eine starke Stellstange, die im Lauf an das Zeug gestellt wird, wo dies gebrochen oder in die Rundung gebracht werden soll. Kubīk- [4]. Lāūf- [3]: in der Ramme der Baum, längs dessen sich der Rammklotz bewegt. Scheuchenstuel 154. Lēīm- [3]: mit Vogelleim beschmierte Ruthen (Stäbe, Spindeln) zum Vogelfang, eig. und übertr.: Döbel 2, 219a etc.; Fouqué Dr. 1, 138; Thümmel 4, 76; 116 etc., auch: Mit Kleb- oder Leimrüthl[e]in. Stumpf 612a etc. und (veralt.): Die Meiskasten und Pech-R–n. Rollenhagen Fr. 326 etc. und oft das Grundw.: Lehrt ihr des armen Vogels, | der an der Ruthe klebt, Geflattre mich | doch kennen! L. Nath. 3, 10; Platen 2, 5. Lêse-: Ketten-R. Lórbeer- [1]. Mánn- [4]: das dem Mann zugemeßne Deichpfand (s. d.). Mánns- [7]: Garzoni 360b. Méß- [3; 4]: Meßstange. Hesek. 40, 5 etc.; Döbel 3, 143b; M. ist eine lange Ruth, hält 10 Schuch etc. Egenolph Abm. 5. Péch-: s. Leim-R. Pfāhl-: Ketten-R. Quadrāt- [4]. Quándel- [3]: Quandel (s. d.). Rūhr- [3]: Ruthe, Stange, woran die Ruhrvögel (s. d.) befestigt sind. Döbel 2, 258b; 259b etc. Schácht- [4]: ein körperl. Maß, ein Kasten (s. d. 2i), dessen Grundfläche eine Quadratruthe, dessen Höhe aber nur ein best. Theil (gw. o) einer Ruthe beträgt. Schílf(es)- [1]. Schlángen- [3]: ein von Schlangen umwundner Stab (Schlangenstab), wie ihn die griech. Mythol. dem Hermes (Merkur) zueignet: Mit Hermes’ Sch. Alxinger D. 198; Der Bote mit der Sch. Günther 164, vgl. (lat.): Den Kaduceus schwingt der zierlich geschenkelte Hermes. Sch. 83b. Schwéngel- [3]: Schwengel bei Pumpen etc. Schwing- [3]: Neben dem Strauche müssen auf beiden Seiten [des Vogelherds] lange „Schwig- Ruthen“ gestochen werden, damit das Garn nicht auf den Strauch falle und im Zurücklegen nicht dran hängen bleibe. Döbel 2, 213b. Seīten- [1]: Die S–n ldes Weinstocks], Ableiter, Geiz. Kecht 13. Spérr- [3]: (Web.) eine Stange am Webstuhl zur Ausspannung des Gewebes. Karmarsch 2, 220. Spīēß- [2]: eine spitz zulaufende Ruthe zum Schlagen, z. B.: Sp–n oder Peitschen, die Hunde zu bestrafen. Döbel 1, 119a; Mußte das Pferd mit Sp–n ermuntert werden, bis es in Gang kam. Schwab V. 1, 36 etc. und nam. von der Strafe beim Militär, wo ein Verurtheilter durch eine Gasse (s. d. 2) auf ihn mit Sp–n Einhauender hindurch muß: Ausreißer bekommen die Sp–n. Benedix 10, 149; Durch die Sp–n laufen, jagen, auch bloß: Sp–n laufen (Thümmel 4, 86), jagen (Hebel 3, 318) etc., übertr.: Sie hat ihn zehn Jahre lang durch lauter schnöde Anspielungen hindurch Sp–n laufen lassen. Kinkel Jb. 2, 250; Wo Bürger und seine Molly moralische Sp–n laufen mußten. OMüller Bürg. 292 etc. Daneben: Wenn er durch diese Spitz-R–n des Wahnsinns hindurchgejagt wird. G. 23, 303; Durch einen Truppen verliebt die Hände berührender Gecken [beim Tanz] Spitz- R–n laufen. Hamb. Theater 1, 3, 37 etc. und analog z. B.: Ihre Bekannten begrüßten sie mit .. Spottreden . .. Und so ging es immerfort durch diese Zungen-R–n. G. 25, 254 etc. Dazu: Der Soldat, wenn er Stehlens wegen ge- spießruthet wird. JGMüler Lind. 4, 388 etc. und (Wappenk.): Gespießrutheter Schild, durch eine Theilung in der Länge in zehn Plätze getheilt. Stā(ā)k- [3]: Ruthe oder Stange zum Ausschieben des Staknetzes. Preuß. Gesetzsamml. (1859) 460. Stēīn-: (Müller.) ein längrer beweglicher, sich an den Warzenring anlegender Stab, der das Verstopfen des Getreides im Läuferauge hindert. Karmarsch 2, 674. Strāf- [2]: Zucht-R. Strāūch-: s. Baum- R. 1. Vāter- [2]: Gott, deiner V. beug’ ich mich etc. Verfólgungs- [2]: Man fühlt [im Leben] die V–n | und wird durch eignen Schaden klug. Günther 226. Visīēr- [3]: Meß-R. zum Visieren (Eichen) von Fässern etc. (Visierstab) und dazu: Ein Faß etc. ruthen, eichen. Wáld-: s. Feld- R. Wánd- [3]: (Bergb.) die die Wände eines Schachts bildenden stehnden Jöcher. Karmarsch 1, 172; Scheuchenstuel 114. Wéchsel- [3]: (weidm.) dünne Stäbe zur Verbindung der zu wechselnden (s. d.) Tücher und Netze. Wēīden- [1]. Wólfs- [6]. Wünschel-: eine Ruthe, die in der Hand des „Ruthengängers“ (s. d.) durch ihr Zucken Erz- und Wasseradern kund thun soll, eig. und übertr.: W–n sind hier [im Buch], sie zeigen am Stamm nicht die Schätze; | nur in der fühlenden Hand regt sich das magische Reis. G. 1, 297; Lichtenberg’s Schriften können wir uns als der wunderbarsten W. bedienen, wo er einen Spaß macht, liegt ein Problem verborgen. 3, 296; Geognosie: Tief unten fühl ich das ersehnte Gute, | Erfahrung bleibt die beste W. 6, 24; 9, 91; 18, 321; Jene wunderbare Pers., welche mit ihren Gefühlen den Unterschied der irdischen Stoffe so wohl zu bez. wisse. . . Eine so bereite W. 19, 175; W–n-artig zog sich die Hand danach. 84 etc.; Heinse A. 2, 57; W–n, damit man Silber sucht. Luther SW. 61, 369; Die W. hier | in meiner Hand [die Peitsche], sie wippt gewaltig, sieht Er? Oehlenschläger Corr. 106; Mühlpforth Hochz. 132 (hindeutend auf [7], vgl. Schm. 4, 119); Schlegel Gd. 1, 224; Tieck N. 5, 49; D. (Jen. Liter. 1804) 1, 308 etc., daneben: Lernte Lobstäb und Wünsch-R–n schneiden und segnen. Aventinus Chr. 32 etc.; ferner: Berg(manns-), Glücks- (Spate) und Zauber-R. Zāūber-: zauberkräftige, magische Ruthe (Zauberstab, vgl.: Zauberer, | der murmelnd seine Ruthe dreht. Nicolai 6, 154). Grün Sch. VII; Dein [der Mode] Zepter .. hat sich in eine eiserne Zauber- und Zorn-R. verwandelt. Kretschmann 5, 419; Schwingst du [Mode] plötzlich deine Z. . . Alsbald verkehrt sich Anbetung in Haß. 424; Wie durch eine Z. in ihr Vaterland versetzt. W. 33, 331; Durch einen wahren Schlag der Z. 6, 159 etc., auch (s. Wünschel-R.): Die Z., die nach dem helleren Golde, | dem neuen Gedanken, zuckt. Kl. Od. 1, 282 etc. Zórn- [2]: Gottes Z.; JvMüller 7, 47; Eh sie ihre Z. gegen den bildlichen Steiß des Doktors hinter dem Spiegel vorholen. JP. 1, 86 etc., s. Zauber-R. Zúcht- [2]: Die schwere Z. des Despotismus hängt über ihm. Sch. 775b; Unter der eisernen Z. des Mönchthums erwachsen. 786b; Der Z. des Herrn Magisters untergeben. W. 27, 170 etc. Zúngen-: s. Spieß-R. etc.