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rauh
Rāūh, a.:
–est:
1) Ggstz. von glatt (s. d. 1, vgl. rauch 1 und hier die Anm.): R–es glätten; R–e Steine; In der Kälte springen die Hände auf und werden r.; Wenn eine Dame den Hut abnimmt, so wird sie das r. gewordne Haar wieder glatt streichen (bürsten, kämmen); R. um den Kopf aussehn etc.; Wie könnt ihr sie [die Hand] nur küssen? | sie ist so garstig, ist so r.! | Was hab ich nicht schon Alles schaffen müssen! G. 11, 133; Lässt man ein poliertes Silber durch Scheidewasser dergestalt anfressen, daß die Oberfläche gewissermaßen r. werde. 37, 132; Der Probierstein durch .. r.-glatte Eigenschaft seiner Oberfläche. 22, 377; Von der r–en [oder rauchen, s. Anm. und 5: Sch. 1046b] Seite seiner Gnade soviel herauszukehren als er nur konnte. Gutzkow 11, 138; Jakob vermummte .. seine glatten Hände, daß sie r. [rauch] wurden wie Esau’s Hände. Hebel 4, 31; Die r–en Stämme runden | zierlich sich in ihrer Hand [s. 8; 12]. Sch. 56b; 55b; Ein Stein .. | ist grau und r. von altem Moos. Stilling 2, 25; Des r–en Geranks Brombeer. V. Ov. 1, 10 etc. Hieran schließen sich die folgenden vielfach in einander spielenden Anwendungen und Übertragungen:
2) R–e Wege etc. im Ggstz. der glatten, ebnen, dem Wandelnden keinen Anstoß bietenden Bahn etc.: Meine zarten Kinder mußten gehn auf r–em Wege. Bar. 4, 26; Er wählte [zur Wallfahrt] sich die r–sten Stege. Ramler F. 3, 267; Muß sie den zärtlich weich gewöhnten Fuß | nicht auf gemeinen r–en Boden setzen? Sch. 405b; Wege, | r., öde, wild und völlig unwirthsam. Streckfuß Rol. 8, 19; Ich werde dich auf keinen so r–en und steilen Pfad weisen. W. Luc. 6, 5 etc.
3) (s. 2 und
4) R–e Gegenden, un- eben (bergig etc.) und wild, im Ggstz. zu dem Milden, Lieblichen, Anmuthigen etc.: Ziehen .. durch raues“ Land und Meer. Fleming (Wackern. 2, 343²⁴); R. ist die Insel von Wald. V. Od. 1, 51; Was du für öde, r–e Wildnis hältst. W. HB. 1, 195 etc. 4) (s. 3 und
5) von der Luft, dem Wetter, Klima etc., im Ggstz. zu milde, lind, von eindringender Schärfe: Kein r–es Lüftchen vertragen können; In einem r–en Klima, unter einem r–en Himmel gelegen; Du kannst nicht ausgehn, es ist heute sehr r., r–es Wetter; Mit deinem r–en Winde, nämlich dem Ostwinde. Jes. 27, 8; Der wilde Süd, des Nordens r–e Macht. Sch. 33b; 29b; Die r–e Herbstzeit. 973a; Man wird uns worfeln mit so r–em Wind. Schlegel Sh. 6, 307; Deren Atmosphäre zu r. für diese zarteste Blüthe des menschlichen Daseins ist. Dram. 2, 2, 137 etc. 5) (s. 4) Ggstz.: zu milde, sanft etc., in Bezug auf das Gefühl, des dadurch Berührten, von Sitte, Benehmen, Wesen; von der Art, wie man gegen Jemand auftritt und ihn behandelt etc.: Sie will zart geworben sein, | die den R–en flieht. G. 4, 13; Durchs r–e, milde Leben. 27; 6, 373; Mein Vater war ein strenger, r–er Mann. 8, 16; 13, 4; 169; Sie [die Faunen] kommen roh, sie kommen r. 12, 50; Auch diese Stunden gingen vorüber: Zeit und Stunde rennt durch den r–sten Tag. 25, 77; Versetzte ihm mit Fäusten und Füßen so r–e Stöße. 28, 209; Wenn die Schicksale der Welt und der Kunst das Unternehmen nur einigermaßen begünstigt hätten; doch jene waren zu r. und diese zu weich. 30, 404; Dieses .. Nationelleist hart, r., widerborstig. 33, 308; Seitdem der r–e Sinn des Königs mild durch deinen . . Rath sich bildet. 34, 158; Auch das schroff erscheinend R–e, Wilde | umkleidet lieblich sich mit sanfter Milde. WHumboldt 3, 390; Auch Dies ist noch r. und barsch, aber wahr ist’s. Kl. Gel. 126; O der r–en Tugend! L. Gal. 2, 5; Nath. 2, 5; Daß der r–e Soldat das zärtliche Kind so bald in dir ersticke. Philot. 5; Der sonstso weichherzige, milde Mann wurde schroff und r. gegen sie. Prutz Mus. 2, 49; Die Hand des Schicksals liegt | auf meinem Nacken r. und roh. Rückert Mak. 1, 101; Ungesellig, r. Sch. 23b; In einer so r.-klingenden Sprache. 28b; Selbst der r–e Orkus weint. 54b; 406b; In dieser r. barbar’schen Wirklichkeit. 453a; Sein Mund spricht r–e Worte, doch sein Herz | ist treu. 456b; Den Prinzen r. anzulassen. 797a; In der r–en Schule des Krieges erwachsen. 1046b; Seinem gründlichen innern Werth die r–e Außenseite zu vergeben. ebd.; Als sie in einem sehr r–en Ton anfingen deutsch zu reden. 1086b etc.; Weiber sind sanft, mild, mitleidsvoll und biegsam, | du starr, verstockt, r., kieselhart. Schlegel Sh. 8, 218; Andre Weiber fuhren ihre Männer mit r–en . . Worten an. Schwab Volksb. 1, 314; Diese harsche, r.-tönende Antwort. W. Luc. 1, 84; Da ich gute und r–e Worte, Bitten und Drohungen .. anwandte. 6, 174 etc.
6) = heiser, vom Klang der Stimme (vrsch. 5 von Worten etc., insofern sich darin die Gesinnung des Sprechenden gegen den Angeredeten kund giebt): Weiberstimm’ge Knaben mühn sich, r. zu sprechen. Schlegel Rich. II 3, 3; Welche Stimme, r. und heischer! Uhland 192; Kalte, feuchte Luft macht den Hals r. Adelung; R. (od. roh, s. d. 2) auf der Brust sein etc.
7) (s. 5) mund- artl.: herbfür den Geschmack: R–er Wein, s. Adelung.
8) (s. 1) von Arbeiten, die nur erst aus dem Groben gefertigt sind und nun noch der feinern Ausarbeitung, der Glättung und Politur bedürfen: An dem neuen Hause war alle r–e Arbeit vollbracht. G. 15, 135; Der Block, woraus die Landeshoheit gebildet wird, aus dem R–en [od. Rohen] gearbeitet. Möser Osn. 1, XXVII etc., s. rauhwerken und 9b; 10b; 12.
9) Hüttenw.:
a) (s. 1) Die r–e Gare (s. d. 2) des Kupfers, die in dem Garbruch kleine Zacken zeigt.
b) R–es (rohes, R.-) Eisen, wie es aus dem Hohofen abgestochen ist ohne weitre Ver- arbeitung. 10) Landwirthsch.:
a) R–es Futter (s. R.-Futter), im Ggstz. der (glatten) Körner als Futter; R–es Getreide, mit Acheln, Grannen etc. (Gerste, Hafer), im Ggstz. zum glatten und so auch: Ein andere Sester für glatte Frucht, ein andern für r–e. Hebel 3, 470 etc.
b) (s. 8 und
1) Den Weinberg r. brachen (s. d.) im Ggstz. zu zwiebrachen; (schwzr.): Die Wiesen r. machen, mit der Hacke etc. aufbrechen; Ein Feld aus r–er Wurzel, ein gerodetes. 11) Münzw.: Eine r–e Mark (s. d. II 5) = brutto (s. d.) Mark, im Ggstz. zur feinen Mark, eine mit der Legierung beschickte. 12) Schiff. (s. 8): Mast aus dem R–en (oder Raugen, plattd. rugen): ein Baúm zu einem Mast, von dem nur erst die Rinde abgeschält ist, s. Bobrik 555a. 13) Das r–e Haus (niederd. dat ruge hus), Name von Besserungsanstalten für verwahrloste Kinder, ursprünglich in Hamburg, wo eine solche in einem Haus gegründet wurde, dessen früherer Besitzer Ruge hieß.
Anm. S. Räude, Anm., doch ist Berührung von r. und roh unverkennbar, vgl. Schm. 3, 76. Über das Verhältnis zu rauch s. d. I und z. B.: Unsere rauge Wasserhunde. Olearius Reis. 298a (s. 12); R–e oder, wie wir’s Pommern ausreden, ruge Leute. Micrälius 1, 87 etc. Mundartl. Steigrung mit Uml., nam. schwzr., z. B. räuher. Kohl A. 2, 33 (dagegen r–er. 3, 83); Stumpf 600b; 607a; 609b; Das allerhöchste, räuheste und wildeste Alpgebirg a; Daß er gröber und rüher wider mich geschrieben. Zwingli etc.
Zsstzg. z.B.: Die dorn-r–e[2] Straße [der Tugend]. Butschky Patin. 907; Ein dornig-r–es [3] Land; Kraus- r–e Wolle. Fischart Garg. 159b; Über-r. [5] in ein armes mißhandeltes Leben eingegriffen. Gerstäcker Äq. 1, 195 etc.