Faksimile 0654 | Seite 652
Faksimile 0654 | Seite 652
Räthsel
Rǟthsel, n., –s; uv.; –chen, ein; -:
1) etwas in Dunkel Gehülltes, dessen Sinn und Bedeutung zu treffen (zu rathen), Aufgabe des Scharfsinns ist, eig. von einer durch absichtlich verhüllende Darstellung zum Errathen gestellten Aufgabe (s. a), und übrtr. (s. b): Einem ein R. (zu rathen) aufgeben, aufzurathen (s. d). geben, vorlegen etc.; Etwas in R. hüllen (G. 31, 23), ein R. unter Etwas verhüllen (21, 134) etc.; Etwas oder Jemand ist (G. 13, 260 etc.), bleibt (W. 11, 246) Einem ein R., wird Einem zum R. (L. Nath. 1, 6; Zelter 2, 163) = unbegreiflich etc.; Das ist für mich kein R. G. 15, 14; In R–n sprechen (Cham. 6, 247), reden (Sch. 294b); R. (W. Luc. 6, 155) Einem (Sch. 202b) oder für Einen (W. 11, 196) R. sprechen; Ein R. (er)rathen, treffen, (auf)lösen, aufschließen (G. 19, 149; W. 12, 229 etc.); hinter das R. kommen (G. 21, 134) etc.; Das R. wird gelöst (26, 212) oder löst sich (39, 269), klärt sich auf (Forster R. 1, 290; Gentz Rev. 101) etc.; Die Auflösung oder das Wort des R–s (vgl. a.: Wort-R.) etc.; Der Schlüssel (s. d.) zum R. etc.; Schwere, leichte, unerrathbare, unlösbare, unentwirrbare, dunkle R. etc.; Ich will euch ein „Retzel“ aufgeben; wenn ihr mir das errathet und trefft. Richt. 14, 12; 1. Kön. 10, 1; Hes. 17, 2 etc.; So leget der Dichter ein R. | künstlich mit Worten verschränkt, oft der Versammlung ins Ohr. | Jeden freuet die seltne, der zierlichen Bilder Verknüpfung; | Aber noch fehlet das Wort, das die Bedeutung verwahrt. G. 1, 243; So deutet das Chor [aller Pflanzen] auf ein geheimes Gesetz, | auf ein heiliges R. O, könnt’ ich dir .. | überliefern sogleich glücklich das lösende Wort. 2, 291; 38, 93; 39, 395; Die unauflöslichen R. der Mißverständnisse, denen oft nur ein einsilbiges Wort zur Entwicklung fehlt. 16, 92; „Hier ist das R.!“ rief sie, als sie das Kind zur Thüre hereinzog. 111; Sich das R. seiner Tage zurechtlegen und ausbilden. 22, 291; Daß manche wissenschaftliche R. nur durch eine ethische Auflösung begreiflich werden können. 39, 290; 31, 134 u. v.; [Ihr] wähnt, kein R. sei vorhanden, | sobald in euch ihr keinen Schlüssel findet. Platen 1, 301; Sch. 20b; 703a etc.; Aufschlüsse, die er durch die .. Diokleen über das große R. des weiblichen Herzens erhalten zu haben glaubte. W. 17, 121; Um die Leser nicht länger mit R–n aufzuhalten. HB. 2, 177 etc. Auch in Zsstzg., z. B.:
a) eig.: Diese ältern R., die R. des Volks, sind wahrhafte Sach-R. [wobei es sich um zu rathende Sachen handelt] . ., während unsere jetzigen Taschenbuch-R. [wie sie in Taschenbüchern sich finden, ähnlich: Almanach-, Kalender-R. etc.] höchstens Wort-R. [wobei es sich nur um ein zu rathendes Wort handelt], oft auch nur Silben- oder Buchstaben-R. [s. u.], leichtere .. Waare sind. Sanders Gspr. 49; Die eigentlichen Volks-R. [wie sie im Munde des Volks leben] sind alle in gedachter Weise von dem der Sphinx (s. d.) her etc. 47; Kinder-R., wie man sie Kindern aufgiebt; Vexier-R., wobei es auf ein Vexieren abgesehn ist; Jenachdem in einem Räthsel das zu rathende Wort als ein ungetheiltes Ganze oder nach seinen Bestandtheilen (Silben, Buchstaben) aufgefasst wird, unterscheidet man das eigentliche Wort-R. von dem Sil- ī ben-R. (der Charade) oder dem Buchstaben-R. (dem Logogriph); ferner z. B. Bilder-R. = Rebus (s. d.): Brech-R. Hebel 3, 480, vgl. 474, die durch das „Abbrechen“ (Setzen der Interpunktion) zu lösen sind; Rücklauf-R., Palindrom (s. d.) u. ä. m.
b) übrtr.: Hier tritt nun ein ethisches Haupt-R. ein etc. G. 39, 294; Dein fürstlich Dasein löst den Knoten | seiner verworrenen Lebens-R. Platen 2, 155; G. 6, 59 etc.; Das große Sphinx-R. des Menschengeistes zu lösen. Oppenheim 2, 83 (s. a und Sphinr) etc. 2) Daß in manchen Provinzen die in der Mitte zusammengewachsenen Augenbrauen eines Menschen ein R. heißen. Tieck NKr. 4, 132; Daß er ein „Räzel“ war, d. h. daß seine Augenbrauen über der Nase zusammenstießen. G. 21, 177; Seine dichteren Augenbrauen mit einem gebrannten Korkstöpsel mäßig nachzuahmen und sie in der Mitte zusammenzuziehen, um mich bei meinem räthselhaften Vornehmen auch äußerlich zum R. zu bilden. 277; Schücking Gschw. 1, 274 etc. 3) s. Rade, Anm.
Anm. In Bed. 1 ahd. râtissa, râtisca von râtiscón, errathen (von râtan, rathen). Ältre, mundartl. Formen s. Schm. 3, 150 und z. B.: Ein Räters. Wackernagel 1, 1062²; Daß Homerus solchen Räthers nit kunnt auflösen. Schaidenreißer XI; Ich lege euch eine Räthersche vor. Eck (Richt. 14, 12) etc. und Mz.: Prophecein sind eitel Räthseln etc. Luther SW. 61, 367.