nuchter
Nuchtern
I. Nǘchter, ~n, a.:
1) (ohne Steigrung) in dem Zustand, wie man sich des Morgens vom Schlaf erhebt, ehe man Etwas genossen: Noch n–n sein; Die Arznei auf n–nen Magen nehmen; „Wieviel Eier konnte der Riese Goliath n–n essen?“ Eins, denn das zweite aß er nicht mehr n–n. Ich habe diesen Morgen von 8 Uhr bis jetzt n–n an der Thüre . .. gestanden. 28, 343; Daß man euch [zu]vor ein Frühmahl gebe; denn es ist nicht gut, n. fern zu reisen. 63b; N–n und ungegessen. Jl. 19, 206; N–n und ungespeist. ebd., auch: Sich vernüchtern, Etwas fürs N–ne oder gegen die Nüchternheit genießen. 1, 189; Mal ein Bischen fürs N–n. Lind. 4, 407 etc., wo es freilich auch als Zeitw. (= n–n sein) gefasst werden kann und schwzr.: Für den N. nehmen, das Fürnüchter essen = frühstücken. (vgl. engl. breakfast ,,Fastenbrechen“ und frz. déjeüner, s. 176). —
2) (s. 1) im Ggstz. zu trunken: frei vom Rausch: Nie n–n [immer betrunken] sein; Er [der Betrunkne] ist da n–n geworden fast. 3, 191; Mitten im Schenkhaus n. Last. K. 1a; Wenn sie recht lange saßen, tranken sie sich wieder n–n. Jahr. 2, 53; Ihr seid der einzige N–ne und Verständige von der ganzen Kompanie. M. 4, 151; Der Mittag, der ihn noch mit n–m Hirn erblickt, | führt nasse Brüder her. 193; Was der Türke trunken angelobet, | setzt ins Werk er, als er n–n wurde. 2, 227 etc., s. 3 u. 4. —
3) (s. 2) mäßig, im Genuß von Trank und Speisen. 2, 2; Mäßig und n–n im Kosten. B. 269b; Die Excesse der Tafel und das Trinken über Bedürfnis und Vermögen, das unsern biedern Vorfahren von den n–nen Ultramontanen ehedem so sehr vorgeworfen wurde. 34, 127; Er wolle lieber ein n–es unfruchtbares, denn ein Wein trinkendes fruchtbares Weib haben. 1, 50 etc. —
4) übertr. zu 2 (u. 3):
a) lobend, in Bezug auf Geist und Sinn = ganz bei sich seind; klaren Geists und Blicks; besonnen; verständig; vernünftig; „frei von Wahn und Verblendung“ 3, 208 ff.!!), z. B.: 1. 5, 6 ff.; Werdet doch einmal recht n–n [,kommet recht zu euch selbst“. und sündiget nicht. 1. Kor. 15, 34; Ob sie wieder n–n würden [„,daß sie wieder zu sich selbst kommen“. aus des Teufels Strick. 2. 2, 26; Seid mäßig und n–n zum Gebet. 1. 4, 8; 5, 8 etc.; Die Folgen eines solchen Schrittes fielen ihm nun bei der Rückkehr n–ner Gedanken lebhaft auf. 18, 254; Daß er .. mit n–nem Sinn sich ernstlich mit uns unterrichten wolle. 26, 316; N–ne Mäßigung des Gemüths war ihnen die Zunge dieser Wage. 11, 414; Halbträume des Instinkts von dem n–nen Tagesscheine des Verstandes entscheucht. M. 1, 326; Da ist dem Trunkenbold ein n–n Wort entfahren. 5, 299b; Wer heute, vom Strome fortgerissen, sich vergisst, | wird n–n werden [zur Besinnung kommen]. 341a; Bin ich der einzig N–ne und Alles | muß um mich her in Fiebers Hitze rasen? 463b; Der Glückliche wird n–n [erwacht aus seinem Glücksrausch]. 705b; Konnte er hoffen, daß eine so grobe Jllusion von langer Dauer sein werde? daß seine Mitbürger nicht über Nacht n–n genug werden könnten, um zu merken etc. HB. 1, 120. —
b) tadelnd: ohne Das, was über das prosaische Alltagsleben hinaushebt; ohne den begeisternden Rausch und den ,schönen Wahnsinn“ der Poesie; begeisterungs-, geistlos; abgeschmackt; schal; prosaisch; philisterhaft; nichtssagend etc. (zuw. noch an a grenzend): N–ne Bacchanten der Vernunft, die . uns alle Ehrfurcht aus der Tiefe unserer Herzen herausdisputieren möchten. Sal. 1, 84; Eine einzige ununterbrochene Masse, so hoch hinaufgegipfelt, wäre zu n–n und leblos gewesen. gR. 112; Göttlichen Wahnsinns voll ..., während sie n–nen Muths etc. Dicht. 1, 99; Der n–e Sinn ringt [in den Kirchengemälden der Reformierten] zu sehr mit dem gläubigen Geiste. 1, 576a); Unter allen n–n und schalen Papiersudlern. 10, 211; Wehe der kleinen n–nen Seele, die in den großen Epochen der Geschichte Nichts als ein Auflehnen wider das Bestehende zu erblicken weiß. 5, 31; Die Welt von gestern war für Adrian eine romantische gewesen, die Welt von heute war eine n–ne. DeutschE. 1, 169; N–e Epigramme, ungesalzne (s. c). —
c) (s. b) auch von Speisen und Getränken: ohne Das, was sie pikant macht, ihnen Würze und Feuer, Saft und Kraft giebt, z. B. ungesalzen, schal, kraftlos etc.: Ich liebe weder n–ne noch versalzne Speisen; N–es Kalbfleisch (von einem zu jungen Kalb); Der Wein auf dem Reisbrei | n–n und kahnig. 1, 6 etc. —
d) selten (s. 1): Einem das leere, n–ne Nachsehn lassen. A. 2, 59 etc.
Anm. Ahd. nuohturn, nuohter, mhd. nüehter(n), aus goth. uhtvo, ahd. uohta (Morgen), mit vortretendem n, s. 2, 675; Gl. 413 etc. oder ob aus lat. nocturnus (nächtlich)? vgl. 3, 208 ff. und: die lange [s. d. 2c] Nacht der Juden etc. Über die Form n–n neben dem veraltenden n., vgl. alber und so auch Nüchterkeit G. 1, 150; 1, 359; s. 3, 233 Z. 10) st. Nüchternheit (s. d.). Veralt.: nüchterling (1) adv. 7 etc.
Zsstzg. z.B.: Er war noch bier-n–n [1; 2]. HSmidt Devr. 55, er hatte heute noch kein Bier getrunken; Von dem verstandes-n–nen [4b] Zeitalter der „Auf- und Abklärung“ ab. Gervinus Jahrh. 1, 340 u. ä. m.
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