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nießen
Nīēßen, noß, nösse; genossen; nießest (neußest), nießet (neuß), nieß! (neuß!), tr.:
vralt., mundartl. st. ge-n. (s. d.), z. B.: Dem Menschen schädlich zu n. Büchsenmeisterei 7; Wer Hofegunst geneußt und nimmt Taback in Brauch, | Dem bleibt zum meisten Asch und, Das er neußt, ist Rauch. Logau 2, 5, 65; Wer der Arbeit Mark will n., | muß ihr Bein zu brechen wissen. Ders. (L. 5, 134); Wer durch Dichten Ruhm will haben, kann ihn n. (191, vgl. 303); Daß man des Brots und Weins nieße mit Essen und Trinken, gleich wie man der Taufe Wasser neußt. .. So neußet ihr [beider Gestalt des Sakraments] doch alle Tag die Priesterschaft. Luther 1, 201b; 333b; SW. 64, 298 etc.; Feuchte Speis n. Ryff Sp. 26a; So man sie kalt und frisch neußt. 47a; 92a; 96a; 146a; 162a etc.; Welches sie für Hunger und Durst n. Schaidenreißer 36a; Daß sie verboten Speis nit noß. Schwarzenberg 158, 2; Damit sie meine Werke besser verstehen und n. könnte. W. Merck 2, 87; Wenn doch. nur Merck itzt bei uns wäre und Das auch sehen und n. könnte. 113 etc. Am häufigsten noch mit dem Obj. „Nutz“ zu einem neuen (schwachformigen) Transit. verschmelzend, s. nutz-n. Dazu: Nießer (selten, s. Zsstzg.) u.: Durch glaubige Nießung des Leibs und Bluts Christi. Mathestus Lthr. 59a; Bei Nießung desselben [des Salats]. Olearius Reis. 77b; 162b; Schottel 977; Im Besitz aller damit verbundenen Nutzungen (s. d.) und Nießungen. W. 27, 163, vgl. Nießbarkeit und Nutznießung, wofür auch —: Fruchtnießung.
Anm. Goth. niutan, ahd. niozan, mhd. niezen u. zsgstzt. ge-n., goth. ganiutan ahd. kiniozan, mhd. geniezen. Urbed. wohl: fangen, vgl. goth. nuta, Fischer, ahd. nuzzi, Netz. Ob das weidm. ge-n. (s. d. 3a u. b) mit niesen zusammenhängt?, vgl. pfneischen. Ableit. außer den unmittelbar vor- u. nachstehnden Wörtern nam.: Genuß (s. d.); Nutz (ahd. nuz, mhd. nutz) u. Genoß, ahd. kan⏑, mhd. genz, eig.: der mit genießt (s. Gefährte, Anm. u., etwa aus niederl. genoot entstanden, Knote 2), mit Fortbild., wie auch Noß, ahd., mhd. nóz; smalenô3 (Schaf).
Zsstzg.: Áb-: (vralt., Rechtssp.) den Nießbrauch von Etwas haben, dazu: Abnießung = Nießbrauch od. „Abnutz“ (s. d.). Haltaus 1, 6.
Be-: nur weidm., im Partic. von Hunden: auf die Jagd einer best. Wildart begierig gemacht, s. Genieß 2, z. B.: Man nehme einen Fuchs oder Dachs, grabe eine Rinne in die Erde und decke sie mit Brettern und Erde zu, lasse den Fuchs hin- ein und alsdann die Dachshunde darhinter. Dadurch werden sie benossen und lernen auch nachhero in die Baue kriechen. Döbel 1, 121a; So man auch zugleich Hetzhunde mit hat, daß sie erst eine Sau mitfangen und der [Sau-]Finder benossen werde. 108a etc., s. ge-n. 3.
Ge-: gw. st. des im Allgm. vralt. Grundw., u. wie dies nam. in gehobner Rede mit (partitivem) Genit. st. des Obj., seltner mit „von“, zuw. auch ohne Obj., mit mehrfach in einander übergreifenden Nüancen: 1) Etwas essend od. trinkend zu sich nehmen: Speise und Trank g.; Ich habe heute noch Nichts genossen; Wollen Sie nicht auch (Etwas) von dieser Speise g.?; Die Suppe ist nicht zu g. (s. ungenießbar); Genießt jetzt der einfachen Kost, am ländlichen Herde zubereitet. G. 6, 327; Wir g. des guten, frischen Wassers, des köstlichen Weines. 19, 192; 16, 251; 25, 142; 26, 215; Daß man jedes Abendmahl g. möchte als ein Abschiedsmahl. Gotthelf G. 115; Die Kräuter zu g. zwang ihn Hungersnoth. Simrock Gudr. 83; Tischlied: Gesund und frohes Muthes, | g. wir des Gutes, | das uns der große Vater schenkt. V. 3, 100; Erschlugen sie Stier’ und genossen des Mahles. V. Il. 7, 456; Zur Erkundung, | welcherlei Sterbliche dort die Früchte der Erde genössen. Od. 10, 101 etc. 2) (s. 1 u. essen a): a) empfänglichen Sinns für das Angenehme aus Etwas, das für Einen vorhanden ist (sich ihm darbietet, ihm zu Theil wird) Freude und Behagen schöpfen; sich Dessen erfreuen, daran laben, z. B.: Ein ganzer, großer Eindruck füllte meine Seele, den, weil er aus tausend harmonierenden Einzelnheiten bestand, ich wohl schmecken und g., keineswegs aber erkennen und erklären konnte. .. Diese himmlisch-irdische Freude zu g. G. 31, 8; Er rastete unter Brombêersträuchen, Kühlung, Ruhe und Speise [1] zugleich g–d. Kinkel E. 13; Ein Vergnügen, den Becher (s. d. 1) des Vergnügens bis auf die Neige g., vgl. auskosten; Eines Vergnügens (W. 2, 85; 8, 115), ein Glück (G. 15, 8), eines Glücks (10, 5; 13, 247), der Ruhe, des milden Schlafs (G. 2, 31), der Gemächlichkeiten (W. 13, 76), der Seelenruhe, des innren Friedens etc., sein Leben, des Lebens (Haller 99; Sch. 532a; W. 6, 89; Platen 2, 67), der Zeit (ebd.; Hagedorn 3, 89), seine(r) Jugend, die Ferien, den Frühling, den fröhlichen Sommer (G. 15, 10), den Tag, des flüchtigen Tags (Cham. 4, 210), jedes Tages (G. 2, 170), des erquickenden Morgens (L. 10, 253), eine schöne Gegend, eines schönen Anblicks (W. 12, 301), einer schönen Aussicht (G. 23, 45), den Sonnenaufgang (14, 78), die Abendsonne (19, 134), die Natur (Schwegler 46 282), die freie Luft, der frischen Luft (G. 24, 65), der Morgenluft (W. 13, 150) etc. g., recht, rein, ungestört g. etc.; Etwas geistig g.; Einen Schriftsteller, ein Gedicht, ein Kunstwerk g.; Jemandes Umgang, seines Umgangs (W. 23, 217, vgl. b), seiner Vortrefflichkeiten, ihn g., z. B.: Solange die besten Menschen leben, genießt man sie nicht und, wann sie sterben, gafft man ihnen nach. G. Merck 2, 226; Jene, die jetzt so voll und satt sind und doch Niemand ihr[er] g. kann. Luther 5, 355b; Sie genossen sich selbst in reiner Unbefangenheit. FSchlegel Fl. 75; Er fand . . | sein Herz getheilt und hätte gern alle Beide genossen. W. 15, 39 etc., auch (vrsch. b): Die Liebe einer Frau, ihre Gunst (Nicolai 2, 94) g.; Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten, | Das ist der süße Leib, den ich genoß. G. 11, 183; Daß ein Pfaff eines andern Manns Hausfrau „geniese“. Fischart B. 168a (vgl. naschen, Näscher) etc. Wir fügen noch einige leicht zu mehrende Belege mit sachl. Obj. od. Genit. bei: [Wenn] Gott ihm doch nicht Macht giebt, Desselben zu g., sondern ein Andrer verzehret es. Pred. 6, 2 etc.; Genieße, was dir Gott beschieden! Gellert; Kein kranker Mensch genießt die Welt. G. 6, 58; Der letzte [Tag] rein genoßnen Friedens. 13, 282; Du konntest nicht in süßer Sanders, deutsches Wörterb. II. Trunkenheit | der blendenden Befriedigung g. (b). 249; Werde ich künftig der Sonne und der Welt, der Gesellschaft oder irgend eines Glücksgutes g.? 17, 353; Wenn er ihres Andenkens rein g. wollte. 18, 263; Wo ich einigemal des sanften Bades genoß. 22, 133; Das Gewonnene zu g. 39, 129; Eine Vorfreude der Weihnacht genossen. Gutzkow R. 7, 408; Deiner [der Freiheit] zu g. Hagedorn 1, 41; G–d eines eitlen Tandes. Platen 2, 93; Laß mich der neuen Freiheit g.! Sch. 425a; Nichts auch geneußt man | mehr von der Freude des Mahls. V. Od. 18, 403 etc. Auch ohne best. Obj.: Wer früh genießt, entbehrt in seinem Leben | mit Willen nicht, was einmal er besaß. G. 13, 112; Zum erstenmal genießt der Geist, | erquickt von ruhigeren Freuden etc. Sch. 23b; Ich genoß nicht bloß, sondern ich fühlte und genoß auch den Genuß. FSchlegel Luc. 9; Die griechischen Hetären genossen, indem sie gewährten. GrR. 259; Im vollen Strom geistigen G–s. Schlichtkrull Lat. 302; Wer genießt, Der grüble nicht zu viel! | Der Genuß kann selten Licht vertragen. KSchmidt Werk. 1, 477 etc. Ferner: Der erste Abend der Freiheit ließ sich mir sehr g. [bot reichen Genuß]. Knebel 1, 118. b) Jemand genießt Etwas, etwas Vortheilhaftes, Ersprießliches wird ihm zu Theil, kommt ihm zu Gute, insofern dabei ein Streben des Subj. nach dem Obj. (od. Genit.) und dessen Besitz hervortritt, an a grenzend; andrerseits ohne daß ein solches Streben hervortritt oder ohne Bezug auf eine durch das Obj. in dem Subj. erregte Empfindung, u. so selbst mit sachl. Subj.: Etwas g., sich desselben erfreuen (s. d. 2b), es (als etwas zu Theil Werdendes, Gezolltes) haben etc., z. B. doppeldeutig (vgl. a): Jemand genießt [hat] die Gunst, die Liebe der Frauen etc.; Große Achtung, Verehrung g.; Jemandes Umgang g. (vrsch. a); Guten Unterricht g., aber Nichts lernen; Eine(r) gute(n) Erziehung g.; die Früchte seines Fleißes, die Zinsen eines Kapitals, manche Vortheile, viele Wohlthaten, viel Gutes von Jemand, viel Freundlichkeit in Jemandes Hause, einen Trost g.; Ein Schriftsteller, sein Werk genießt [erfreut sich] eines großen Rufs; Seine Romane g. eine große Verbreitung; Es soll der Ackermann, der den Acker bauet, der Früchte am ersten g. 2. Tim. 2, 6; Sir. 6, 20; Der Gottlose wird arbeiten und Deß nicht g. Hiob 20, 18; Pred. 4, 9 etc.; Herr Menzel, der in dem schulbübisch censierten Deutschland alle mögliche Freiheit genießt (versch. a), die Franzosen zu verlästern. Börne Frzfr. 57; An Stücken, welche damals die höchste Beliebtheit genossen. Devrient 2, 290; Wenn diese nämlich einer so wohlthätigen und freien Regierung genösse. Forster R. 1, 30; Wer mit diesem außer- ordentlichen Manne nur irgend in Verhältnis gestanden hatte, genoß Theil an der Glorie, die von ihm ausging. G. 22, 135; Wo er hoher Verehrung genoß. Jacobs Phil. 10; Indeß der Ältere des Throns genösse. Sch. 236b; Er eignete sich meine Verdienste zu und genoß die Früchte davon. W. 6, 90 etc. 3) weidm.: a) (s. 1) Der Hund genießt die Fährte, greift mit der Nase in die Fährte ein, fällt sie an. b) (s. a und be-n.) Daß vielleicht Wodan, der bisher nur Sauen gejagt hatte, an dem Hirsch für Rothwild genossen [begierig] gemacht werden könne. GHammer (Gartenl. 9, 150b); Genossen machen: vom Aufbruche des Wildes dem Hunde Etwas zu fressen geben. Laube Br. 257 (s. pfneischen, passen 7); Der Hund erhält etwas Schweiß, um ihn immer mehr genossen zu machen. Winkell 1, 197 etc. und: Einen Bracken, der so genossen hat, | daß er des Wildes Fährte spüre durch den Tann. Simrock Nib. 875, ganz entsprechend im Urtert; Ein trabender Leithund ungenossen | und ein zeltender Wind, | Das sind eines Herrn sein unnützes Hofgesind. Döbel 3, 155a. 4) dazu: a) das Partic. Präs., verschmelzend mit Obj. (s. 2a): Die allerwärmende, allbelebende, all-g–de Mutter [Natur]. H. Ph. 3, 104; Wo Alles lebt und lu st-g–d wimmelt. G. 12, 60 etc. b) das adjekt. passive Partic., s. 3b; ferner (1 und 2a): Die genossenen Speisen etc., Freuden etc.; Halbgenossen glitscht die Freude | über meinem Herzen hin. Blumauer 1, 28; Dieses Glas soll ungenossen verschäumen. G. 17, 240; Den Kredenztisch ungenossen mit dem Rücken ansehen [vgl.: ungegessen etc.]. 20, 192; Odysseus | zeugte den Einzelnen mich, den er ungenossen daheim ließ. V. Od. 16, 120 [„ließ mich einzig zurück im Palast nicht meiner g–d.“ Wiedasch]. Bes. zu bem. ist die Wendung: Einem Etwas für genossen ausgehen (s. d. 4b) lassen, wofür es in gleicher Bed., doch in veränderter Auffassung auch heißt: Er habe es Keinem u ngenossen ausgehen lassen, der etc. Musäus Ph. 4, 64; Ungenossen soll es ihnen nicht hingehen. W. Luc. 1, 64; 99; Att. Mus. 2, 3, 12 etc., s. mhd. genozzen = unverkürzt, ohne Schaden (Wackern. Gl. 407; Adelung; Benecke), wofür es umgedeutet heißt: Darf Jemand diesen Mann gewaltsam zu erschlagen, | von Straf’ und Jammer frei und ungenossen wagen? IESchlegel 1, 455. c) Genießung, selten, s. Genuß, z. B.: Zwischen den Gaukelgenießungen ihres sinnlichen Wohlbehagens. Pesta- lozzi 4, 48; In sinnlichen Lebens genießungen. 354 etc. d) Genießer, zu 1 und nam. 2a: Es ziemt, des Tags Vollendung | mit Genießern zu g. G. 4. 12; Immer lässt die Natur neue Genießer erwachsen, unersättlich, sich mitzutheilen. 40, 386 etc. und Fortbild.: Man ging in leckerhafter Kunstgenießerei bei allen Nationalitäten zu kosten. Auerbach SchV. 80, vergl. Schmeckerei. 5) Doppelzsstzg. zu 1 und nam. 2a, z. B.: a) Haben die Bienen so, durch die Grasfelder wandelnd, Alles abgenossen und in Honig verwandelt. Kohl Südr. 2, 172 etc. b) Wollen Sie das Glück des Lebens nun nicht aus-g., weil ein düstrer Zwischenraum sich unsern Hoffnungen eingeschoben hatte? G. 9, 278, zu Ende, erschöpfend g.; Keller gH. 4, 161; IP. Fat. 2, 57 etc.; Sind Sie noch nicht des zwecklosen Spiels müde? Wir dachten, Sie hätten es längst ausgenossen [den Genuß erschöpft], in Täuschungen zu schwärmen. JKinkel Ib. 1, 305; W. 12, 32 etc. c) durch-g., von Anfang bis zu Ende, vollständig g.; Nach durchstürmter, durchgenoßner Tageslust. G. 10, 269; Die ganze Schöpfung sollte durchgenossen, durchgefühlt, durchgearbeitet werden. H. Ph. 3, 113; IP. 43, 142; Tieck A. 1, 71 etc. d) Mit-g., mit Andern gemeinsam. Ense Denkw. 6, 45; Die Unsterblichen . . wollen ihm .. ihres .. Himmels | mitg–des fröhliches Anschaun | .. gönnen. G. 13, 24; Des Festes mit-g. 6 212; 38; 1, 112; 12, 198; 15, 169; 22, 90; 23, 280; Sch. M. 1, 74 etc.; auch iron. von etwas Schlimmem: Wer mit Zwietracht das Volk vergiftet, | Der bekommt sie mit-zu-g. Rückert Erb. 2, 151 etc. e) Nach-g., Etwas nachträglich oder in seiner Nachwirkung g.: Die Wärme nach-zu-g. Gutzkow Zaubr. 1, 244; Die letzten in Weimar gefeierten Tage konnte ich .. mit- und nach-g. Reinhard G. 281. f) Vor-g., im Vor- aus: Vorgenossen, nachempfunden. Arnim 389; Erwartung, Freunde, verlängert den Genuß | und auch getäuscht hat man doch Etwas vorgenossen. W. 11, 210 etc., vgl.: Das Paradies so vorausgenossen. Gutzkow Z. 4, 124; Alle Belohnungen im Geist voraus-g. Klinger F. 99; W. 21, 45 etc. g) Dinge, die in der Jugend, frisch wie reife Früchte, weggenossen werden müssen. G. 21, 215. h) Brot zug., zum Fleisch etc. u. ä. m.
Nútz-: s. o., eig. Verschmelzung mit dem Obj., doch als neues tr. (vergl. nießbrauchen, schwachformig, vgl. rathschlagen etc.) mit einem zweiten Obj.: Heuchlerinnen, die die Vortheile des Hetärenstandes mit der Achtung, die dem Frauenstande gebührt, zugleich n. wollen. W. 22, 121 etc. Dazu: Von einem bloßen Nutznießer oder Isufructuario fremder Gedanken .., aber von dem Eigenthümer. Creuz 1, 230; Gutzkow R. 2, 58; W. 31, 532 etc.; Lebenslänglich die Nutznießung derselben haben. 9, 194; Sie in aller ihrer Sinnen | Nutznießung und Gebrauch zu setzen. 3 ¹90; 14, 20; 17, 100 etc., auch: Fruchtnießung, Nießbrauch.