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Mund
I. Múnd, m., –(e)s; –e etc.:
M., welches wie sattsam bekannt den Schutz bedeutet. Möser Osn. 1, 343 etc., ein ganz veraltetes Wort, das aber noch in einigen Zsstzgn und Ableit. (s. Anm.) fortlebt, so: Achter-: nur als scherzh. Ggstz. zu Vor-M. = Mündel, in dem Sprchw.: Der Vor-M. nimmt also Viel, daß der A. Nichts überkömmt, z. B. Agricola (1529) Nr. 667; Schottel 1139a etc., vgl. in andrem Sinne, wortspielend mit Mund II: Der Vor-M., der überhaupt ein Nach-M. [nachsprechender Jabruder] war, sagte dazu Ja und Amen. Holtei Jahr. 2, 247. Bál-: s. unter B. Bêde-: s. Bede, Anm. Kūr-: die Kur oder freie Wahl des Munds oder der „Hode“ (s. d. I): Haben „Churmund“ oder die Wahl der Hode. Möser Ph. 3, 313, vergl.: Sie heißen „Churmündige“ oder Kur-Echten, weil sie sich ihre Hode, mundium, oder Echte (s. d.) nach Gefallen wählen können. 341 etc., s. Anm. 4c. Vōr-: Jemand, der von Rechtswegen dazu bestimmt und eingesetzt ist, die Jnteressen einer wirkl. oder moralischen Person, welche sich rechtlich nicht allein vertreten kann, schirmend wahrzunehmen und sie zu vertreten, am gewöhnlichsten in engrem Sinn: die nach dem Tode des Vaters für minderjährige Kinder (für Unmündige) als Verwalter des Vermögens und Vertreter ihrer Inter- essen eingesetzte Pers.: Sprchw.: Ich brauche keinen V., bin mein eigner V. etc.; Gott ist der Albren V. [sorgt schirmend für sie]. Schottel 1144b etc.; Wie das Glück sehr oft der Narren Fürmund ist. JGMüller Lind. 1, 144 etc., ferner z. B.: Er war ein Vormünd Hadassa .., denn sie hatte weder Vater noch Mutter. Esth. 2, 7; Lysias, des Königs Vormünde und Vetter. 2. Macc. 11, 1; So müßte da sein ein Vorweser oder Fürmünd, der alle die Armen kennet etc. [Armenpfleger]. Luther 1, 307b; Ein Vorweser oder V. SW. 21, 335; Ich dachte, der Mann wäre des Weibes kriegischer [s. d.] V. Weise Js. 45, der sie im Proceß Vertretende etc.
a) Die Mz. selten: Die V–e oder: die Vormünde. L. 3, 247 und veralt.: Die V–en. Matthesius Lthr. 139a und: Die Ältesten und Vormünden. 2. Kön. 10, 5; 1; Der Erbe, so lang er ein Kind ist, ist unter den Fürmünden und Pflegern. Gal. 4, 2; Die Vormünden. Luther SW. 61, 248, kurz vorher: die Vormünder, welches als Ez. veralt., z. B.: Ich würde am Ende Vormünder über euren Buben. Spindler J. 1, 299 etc. in der Mz. die heute gw. Form ist, z. B. Börne 2, 359; So wäret ihr wahre Vormünder der unmündigen Menschheit geworden. Fichte 6, 97; Glück Pand. 4, 518; 5, 39 ff.; Klinger F. 379; L. 1, 480; 585; 3, 141; 7, 318; JvMüller 1, 341; Niebuhr Nachg. 132; Leb. 3; Rabner Br. 5; Die Oberhäupter und Vormünder des Staats. Sch. 705a; Stolberg 9, 154; Sich zu Vormündern der Nation aufzuwerfen. W. 8, 268; Unsre politischen Vormünder. 32, 225; 35, 144 etc. Daran schließt sich für das Femin.: Vormünderin von Unmündigen, selbst noch minderjährig, fühlte sie [die Herzogin] etc. G. 27, 417; 22, 398; Lewald Leb. 4, 40; Möser Ph. 3, 70; IGMüller Lind. 4, 292; Palleske Sch. 1, 246; Raimund Nov. 5, 40; VWeber 2, 206; W. 21, 99; 23, 10 etc. Seltne Verkl.:. V–chen. Görner Alm. 4, 12. Zsstzg. z. B.: Der Bei-V. vHorn rhD. 2, 102, gw.: Mit-V., der das Amt des V–s mit Andern verwaltet; ferner: Ober-V., über die Vormünder zur Beaufsichtigung etc. gesetzt, auch: Die kritische Obervormünderin. Börne 3, 46 etc. Dazu:
b) Einen bevormunden: sein V. sein oder sich als solcher behaben, ihn als solcher beaufsichtigen, nicht selbständig walten lassen (vgl. bemuttern etc. und Anm. 2a und 3): Mit dem Beding, daß der Pfarrer des Kirchspiels dich bevormunde. Musäus M. 2, 76; Es muß die Welt von der Schreibstube aus bevogtet und bevormundet werden. Jahrhundert 2, 404 etc. Selten ohne die Vorsilbe „be“: Die unter der Mutter drückenden Aufsicht | als Vormündete seufzen. H. 11, 30 etc. Versch.: Durch emsige Fürmündung der Grafen .. begnadet. Stumpf 220a = Fürsprache.
c) Vormundschaft, f.; –en; –s-: das Amt eines V–s: Haben je Vormünder der Völker sich ihrer V–schaft freiwillig begeben? Börne 3, 403; Er war minorenn an Verstand oder an Jahren, unter der V–schaft seiner Mutter oder seiner Frau. G. 9, 45; 10, 172 etc.; Die Ober-V–schaft, auch ein Kollegium, das sie auszu- üben hat.
d) Vormundschaftlich, a.: zur V–schaft gehörig; darin begründet, daraufbezüglich etc.: Für die Erziehung v–schaftliche Sorge tragen. Börne 5, 372; Eine Zierde der ober-v–schaftlichen Hofhaltung. G. 35, 339.
Anm. Über das veralt. Mund (mlat. mundium) und dessen fragl. Abstammung vergl. Schm. 2, 596 ff.; Graff 2, 813 ff.; Benecke 2, 236; Haltaus 1371; Wackernagel 1, 189 Z. 11 ff.; 190 Z. 27 und dazu das Glossar etc. Hierzu gehören (s. nam. Schm.) außer Zsstzg. wie mundtodt (s. d.) etc.:
1) mundbar, a.: (veralt.) mündig; im Stande, sich selbst zu vertreten, keiner Tutela oder Schutzherrschaft unterworfen; Ggstz.: unmundbar.
2) Mündel, m., n., –s; uv.; f.; –n; –chen: eine minorenne unter Vormundschaft stehnde Pers., z. B. masc.: Meinen M. Hanswurst. G. 34, 311; Rabner 3, 53; Sch. 1078b etc.; neutr. Bode Empf. 3, 53; 57; L. 4, 143; Zelter 2, 189 etc. und von einer weibl. Pers. fem. Börne 5, 248; Iffland 5, 1, 71 ff.; Tieck DBl. 2, 71; 233 etc. In manchen Fällen ohne sicher zu bestimmendes grammat. Geschlecht: Princessin Sophronie als M. erzogen. G. 19, 108; Sie prassen | von Ihres M–s anvertrautem Gut. Sch. 251b etc. und in weitrer Bed.: Sankt Anton’s fette M. W. 20, 48, die unter dieses Patrons Schutz stehende Mönche. Seltner dafür: Ein Volk, das immer Kind | und Mündling bleibt. Stolberg; Es lässt verdächtig, wenn ein roher Mündling [unmündiger Knabe etc.] eben da die größte Klarheit entdeckt, wo die Bayle zweifeln. Sturz 1, 178, während in der ältern Spr. mundelinc den Schutzherrn, Vormund bez.
a) Dazu: Bemündeln, tr.: Einen bevormunden, als Mündel und unmündig behandeln; Wir Deutschen sind 300 Jahr in Vormundschaft geblieben, | bemündelt von der ganzen Welt. Scherenberg Gd. 100.
3) munden, (veralt.) tr.: beschirmen, refl.: sich in Jemandes Schirm oder Klientel begeben, so auch: Sich vermunden. Schm.
4) mündig, a.: mundbar (s. 1), nam. den Jahren nach; so daß man keiner Vormundschaft bedarf, sich gesetzlich selbst vertreten kann, Ggstz. un-m. (s. minorenn): Er ist m., wird nächstens m. [majorenn]; Einen m. sprechen, für m. erklären; Die Jahre der M–keit erreichen; Der Ausbund eines schönen Katers, | den Muth und Alter m. sprach. Lichtwer 57; Wer schon so früh der Täuschung schwere Kunst | ausübte, Der ist m. vor der Zeit. Sch. 420a; Mein General! du machst mich heute m.; | denn bis auf diesen Tag war mir’s erspart, | den Weg mir selbst zu finden und die Richtung. | Dir folgt’ ich unbedingt. 367b etc. Daneben (veralt.): Wann aber meine Tochter, ehe als sie mün- disch, stürbe. Schweinichen 2, 219, auch: mündlich. Schm. In Umdeutung (vgl. Mund II) auch zuw.: in dem Alter, wo man schon sprechen kann, redend, z. B.: So würde er vielleicht nicht ohne Glück, eins von den Kindern des Herkules, welche seine beiden Vorgänger nur stumm aufführen, m. machen können. L. 4, 254 und übertr.: Die sonst m–e Welt starrt in der Mundsperre. Jahn M. X.
a) Diese Bedeut. tritt öfter vor oder schimmert durch in dem Ggstz.: Un-m., schon bei Luther, wenn er „Un-M–e und Säuglinge“ zusammenstellt. Klag. 2, 11; Matth. 21, 16 etc. und nam.: Die Weisheit öffnete der Stummen Mund und machet der Un- m–en Zungen beredt. Weish. 10, 21 etc., wie denn auch die Unmündigkeit selbst in gesetzlichen Bestimmungen in engrem Sinne von der sonst gleichbedeutenden Minderjährigkeit oder Minorennität geschieden wird, jene die Zeit von der Kindheit bis zur Pubertät, diese die Zeit von da bis zur Großjährigkeit umfassend (s. Glück Pand. 2, 222 ff.; Preuß. Landr. I, Tit. 1. § 25 ff.), während in weitrem Sinne freilich selbst Großjährige, z. B. Blödsinnige, Verschwender etc., für un-m. erklärt werden können, d. h. gesetzlich nicht im Stande, sich und ihre Interessen selbst zu vertreten und deßhalb eines Vormunds bedürfend. Bsp.: So wäret ihr wahre Vormünder Sanders, deutsches Wörterb. II. der un-m–en Menschheit gewesen. Fichte 6, 97; Man hat die Menschen als freie un-m–e Wesen lehren, erziehen, zu reifen Wesen bilden sollen. Forster Br. 2, 76; Un-m–en Alters. G. 31, 128; Der Graf ist völlig ruiniert und bereits in Ungarn für un-m. erklärt [unter Kuratel gestellt]. L. 13 407 etc.; Unsere bürgerliche Unmündigkeit und unser großes Maul [s. o.] am Schreibtisch. Börne 1, XIX; Vor ihm [dem Christuskinde] nun beugen sich die Würdigen und Großen der Welt, unterwerfen der Unmündigkeit Verehrung, der Armuth Schätze, der Niedrigkeit Kronen. G. 26, 328; Behüt uns vor unbeholfner Unmündigkeit. Rückert Mak. 1, 4 etc.
b) Andre Zsstzg. (s. c) z. B.: Eides- (oder gerichts-) m.: in dem Alter, um einen gesetzlich gültigen Eid zu leisten, Ggstz.: Eidesunmündig, noch nicht in diesem Alter; Stücke, wie sie sich für Männer und Geistes-M–e ziemen. Börne 5, 332; Obgleich das Weib .. Mundwerks genug hat, sich und ihren Mann, wenn es aufs Sprechen ankommt, auch vor Gericht .. zu vertreten, mithin dem Buchstaben gar für über- m. erklärt werden könnte [s. II. Mund]. Kant Anthr. 134; Wie Einem Das hell und volks-m. aus jedem Paragraphen der Grundrechte des deutschen Volks entgegenklingt. Demokr. Stud. 217, einem m–en zur Selbstverwaltung reifen Volk gemäß oder ob: aus Volksmunde?
c) (s. b) Kur-m. [s. Kur-Mund], sich seinen Mund oder Hode wählen könnend, volontär-frei, im Ggstz.: zwang-m. oder zwangrecht, necessär-frei, „an eine namhafte Hode gebunden.“ Möser Ph. 3, 341; Osn. 1, 70 etc.
d) Dazu: Einen mündigen. Campe, ihn mündig machen, erklären, entmündigen, ihm die Mündigkeit nehmen, ihn für unmündig erklären; Einen Verschwender entmündigen; Wir aber hatten uns entmündigt, | das Salz der Erde wurde dumm. Schenkendorf(Wackernagel 2, 1500 Z. 36).