Faksimile 0294 | Seite 292
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Menschheit menschheitlich
Ménschheit, f.; 0:
1) das Mensch-Sein, das menschl. Wesen, die menschl. Natur, die Wesenheit und das Eigenthümliche des Menschen als solchen (vgl. Volkheit etc., Menschlichkeit), mit ebenso versch. Nüancen wie das Wort „Mensch“ (s. d. 1) selbst, z. B. theolog.: Also haben sie Das .. von seiner [Christi] Gottheit ausgelegt, .. so doch Das nach der M. gesagt ist. Luther 1, 98b; Johannes beschreibet die Gottheit und M. des Herrn Christi, daß er Gott und Mensch sei. SW. 46; 356 etc., vgl. Lichtwer XXV, wo Gottsched (1757) dem Dichter, der ein Gedicht: Recht der M. (s. 2) oder Recht der Natur genannt, schreibt: Die M. klingt bei uns im Deutschen so fremd, daß man sie bloß im theologischen Verstande bei der M. Christi als ein theolog. Kunstwort leiden will etc., heute aber gilt das Wort allgemeiner, vgl. 2, welche Bed. oft hier schon mit hineinspielt, z. B.: Seine [des Negers] M. zu bezweifeln. Burmeister gB. 2, 135; Sie haben die M. abgelegt und kennen nur noch die Bedürfnisse des Körpers [die thierischen]. Forster Jt. 1, 41; Michel Angelo hat Gottheit und M. nahe zusammengerückt. 107; Alles beruht hier [in der griech. Mythologie] auf allgemeiner gesunder M., welche sich in verschiedenen, abgesonderten Charakteren neben einander als die Totalität einer Welt darstellen soll. G. 33, 83; Die ihre Augen nach dem Alterthum wenden, wo ganz allein für die höhere M. (s. 2) und Menschlichkeit reine Bildung zu hoffen und zu erwarten ist. 40; Der Paria kann füglich als Symbol der herabgesetzten, unterdrückten, verachteten M. aller Völker gelten. 32, 361; „Sobald du [Löwe] willst, bist du ein Mensch, wie wir.“ | .. So thöricht bin ich nicht, die M. gönn’ ich dir; | ich bleibe, was ich bin. Hagedorn 2, 203; Bis, wann er itzt entfernt von irdischen Begriffen, | im weiten Ocean der Gottheit wagt zu schiffen, | Vernunft, der Leitstern, fehlt und er aus M. irrt. Haller 67, aus menschl. Schwäche, spätre Lesart: aus Blindheit; Jeder Mann tauscht die M. mit der Viehheit, der Mannheit und Mannlichkeit durch die Kraft der Zuchtthiere und Beschäler zu beweisen wollüstelt. Jahn V. 413; Um den vollkommenen Bock aus mir [den zum Bock Gewordnen] her- auszulecken .. und jeden Funken widerstrebender M. mir abzulecken. Immermann M. 2, 147; Hier wird die Natur im Menschen noch vor seiner M., also in ihrer Allgemeinheit, sowie sie im Thier thätig ist . ., vorgestellt. Kant SW. 1, 650; Wurde die M. (s. 2) | jemals also entmenscht? Kl. Od. 2, 172; Einem guten Menschen, in dem so viel reine M. ist. Lavater (G. 22, 385); Das ohnedem geringe Gefühl seiner M. L. 4, 257, vom Herkules, der sich mehr als ein Mensch fühlt; Jetzt fiel der Thierheit dumpfe Schranke | und M. trat auf die entwölkte Stirn | und der erhabne Fremdling, der Gedanke, | sprang aus dem staunenden Gehirn. Sch. 24a; Der M. [s. 2] Würde ist in eure Hand gegeben. 25b; Der Mann . .. | verliert die schöne Mitte, | wo die M. fröhlich weilt. | Aber . . in des Weibes verklärter Gestalt | .. leuchtet der M. Vollendung und Wiege, | herrschet des Kindes, des Engels Gewalt. 81b; Der Tod hat eine reinigende Kraft, | . . das Sterbliche zu läutern und die Flecken | der mangelhaften M. zu verzehren. 514b; Die Könige .. eines Corneille . .. vergessen ihren Rang auch im heftigsten Leiden nie und ziehen weit eher ihre M. als ihre Würde aus. . . Alles aber, was nicht M. ist, ist zufällig an dem Menschen . . . Die Helden sind [bei den Griechen] für alle Leiden der M. so gut empfindlich als Andere. 112b; So würde die Vernunft ihm [dem Naturmenschen] für eine M., die ihm noch mangelt und unbeschadet seiner Existenz mangeln kann, auch selbst die Mittel zur Thierheit [thierischen Eristenz] entrissen haben, die doch die Bedingung seiner M. ist. 1152b; Es ist auch nicht gemeine Sinnlichkeit . ., sondern die reinste und hellste M., die sich nicht schämt, weil sie sich nicht zu schämen braucht. Tieck 16, 388; Die M. ist des Menschen Ziel. | Der Hang zum Mehr [Engel etc.] macht uns zu Thoren, | das Minder macht uns Thieren gleich. Tiedge Ep. 1, 100; Das Jdeal der reinsten M., unter welchem ich mir die Person unsers ersten Meisters dachte. W. 17, 22; Er grüßt dich Göttin, wie dort Satan Even, | dich leichter um die M. zu betrügen. 26, 290; Wir sind hier Alle Nichts als Menschen und die M. ist das Einzige, was wir an einander hochachten und lieben. 27, 400; Daß Menschen sehr nahe zu den Thieren heruntersinken können . .. Um die M. wieder bei ihnen herzustellen etc. 29, 173; Sie sinkt aufs Lager hin .. Er siehts und länger hält die M. [der Zustand eines von sinnlichen Begierden beherrschten Menschen, der kein „Engel“ etc. ist] es nicht aus: | halb sinnlos nimmt er sie .. in seinen Arm etc. 20, 182: Der Ggstd. seiner Liebe konnte nichts Geringers als ein Engel sein, aber wehe dem „Engel“, wenn Mondor irgend einen dunkeln Flecken an ihm entdeckte! er mußte sich dann glücklich schätzen, wenn er in seiner Meinung und Zuneigung nicht tiefer als bis zur gemeinen Alltags-M. herabsank. 19, 295 etc.
2) die Menschen, ihre Gesammtheit, das menschl. Geschlecht, nam. oft (s. 1) insofern sie das Wesen des Menschen, frei und abgesondert von dem Zufälligen der Einzelwesen repräsentiert: Wahre Verdienste um die M. (s. 1). Bahrdt 1, 5; Die Gattung ist die unendliche Reihe der endlichen Wesen, die M. ist die Unsterblichkeit der sterblichen Menschen. Börne 3, 35; Hamlet kennt die M., die Menschen sind ihm fremd. 1, 385; 9; Gervinus Lit. 5, 133; Man sieht .. den Wald nicht vor Bäumen, die M. nicht vor Menschen. G. 39, 57; Die alle Gaben, | der M. Stolz zu sein, nur Menschlichkeit nicht haben. Gotter 2, 232; An dem die M. so große Unbill verübt. Gotthelf Sch. 332; Ein Vorurtheil, das die Juden nicht bloß zu rohen Menschen macht, sondern sie in der That weit unter die M. (1) setzt. L. 4, 219; Seitdem die M. Wasser lappt gleich einem Vieh. Prutz Woch. 20; Eine Clarissa, eine Byron oder eine Amalia ist die höchste Zierde der M., sie schwebt zwischen der englischen und menschlichen Natur in der Mitte. W. 29, 19 u. v. 3) (s. 2) zuw. auch nur: eine best. [nicht ,,die“] Gesammtheit von Menschen, eine Menschenmenge, z. B.: Der Himmel spannt sich glänzend blau und klar [an diesem Tage] über die vergnügte M. aus. Hackländer Erl. 1, 216; Es dauerte geraume Zeit, ehe und bevor die M. wieder recht nach dem Pastor hinhörte. Immermann M. 1, 261; Daß die chinesische Sprache gar keine Sprache ist, wie die chinesische M. kein Volk ist. Schelling 2, 2, 548 etc.; Reise- M., s. Reisemensch etc. 4) selten von einem einzelnen Menschen: Endlich gar eine M., ein menschliches Herz, nur in verschiedenen Stunden. H. (Wackernagel 4, 440 Z. 36).
~lich, a.:
auf die Menschheit bezüglich, ihr zugewendet oder gewidmet etc.: Ein lebendiges Abbild der ersten Stufe menschlicher und m–er Entwicklung. Auerbach SchV. 32; Leb. 2, 264; Kolumbus machte seine Entdeckung zu einer m–en Errungenschaft für ewige Zeiten. Frese G. 2, 188; Das m–e Problem sei im Faust nur hingestellt, nicht gelöst. 427; Kein andres Volksthum war dazu m. genug. Jahn V. 157; Welche Volksthümer sind die un-m–sten? 21; M. 3 etc.