Faksimile 0176 | Seite 174
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Luder
Lūder, n., –s; uv.; –chen, lein; -:
1) vralt. (s. Anm.): Lockung, Lockspeise, Köder, so nam. noch weidm.:
a) das Federspiel zum Zurücklocken des Falken, der „Vorlaß“ (s. d. 1), auch „Lur“ (z. B. Laube Br. 252): Wann der Vogel im Herzukommen richtig parieret, kann man ihn endlich ledig fliegen lassen .. und ihm die an der Seite habenden Flügel oder sogen. L. vorzeigen. Fleming J. 322a; Zum Vogeln gehöret .. der Handschuh, die L. Garzoni 603b etc.
b) eine Lockspeise, nam. in Fäulnis übergehndes oder übergegangnes Fleisch, s. 2, Aas 2b und 1c, vgl. ludern. 2) (s. 1b) Aas (s. d. 2b, auch über den Untersch.), Fleisch, das von Menschen nicht gegessen wird etc., zumal Fleisch von gefallnem Vieh, nam. insofern es schon in Fäulnis und Verwesung übergeht u. das krepierte, verwesende Vieh: Stinken wie L.; Da liegt ein L.; L. wird das Aas genennet von gestorbenem zahmen Vieh. Fleming J. Anh. 109a; Die Hunde mit L., namentlich von Pferden (s. 3) füttern; [Der Hund] hat zu viel L. gefressen, als unsere schönen Pferde verreckten. Hebel 3, 73; L., der nach Abhaun des Specks, der Barten und der Kinnladen als unbrauchbar ins Meer geworfne Körper eines Walfisches etc., so: Schind-L. (s. d.), wie es abgedeckt auf dem Schind- anger liegt. 3) (s. 2) niedrig auch: das Fleisch von lebendem Vieh, das gw. nicht gegessen wird, zumal von Pferden: Das L. fällt dem Pferde vom Leibe, es magert ab; es bekommt L., setzt L. an, wird fett; Wie er dürre Pferde durch Aufblasen in beleibte umsetzet, als wäre Wind L. JP. Fat. 2, 66 etc. 4) (s. 2 und 5 und Aas 2c und d) etwas Abscheu, dann auch Zorn, Unwillen Erregendes: Das ist unter allem L., von etwas sehr Schlechtem etc., so nam. als gemeines Schimpfwort für Pers.: Verfluchtes, verdammtes L.!; Ein L. von einem [ein liederliches] Weibsstück!, verstärkt: So ein Schind-L.! etc., auch, indem der Sinn des Beschimpfenden zurücktritt, theils auch in den des Bedauerns, Mitleids, ja selbst nam. vrkl. in den der Liebkosung (wo die Bed. 1 viell. noch durchschimmert) übergeht, von Personen, Thieren und Sachen, s. nam. Schm. 2, 442, der u. A. anführt: So seind die Lüderinnen, die Hexen! Buchner Charf. Proc. 165, z. B.: Man weiß, das [Frauens-] Volk taugt aus dem Grunde Nichts | und dennoch tanzt man, wenn die L. pfeifen. G. 12, 130; Dem L–chen den Text zu lesen. | Das rührt den Leichtsinn [die leichtsinnige Pers., nämlich die Schönheit, person.] nicht einmal. 2, 218; Entweder ist sie eine Gans sich zu fürchten oder ein L–chen [schlimmer Schelm etc.]. Ders., s. Riemer 2, 664; Das L. von [der infame, verfluchte] Weg dreht sich nicht anders. Grabbe Herm. 7; Das L. [von Pferd] fühlt wie ein andrer Mensch. 64; Wie gescheit das L–chen [der Hund] seine Nase an Josephinens rothe Lippen drückt! König Kl. 1, 292; Das L. von einem elenden Beschäler [Hengst]. IP. 1, 22; Daß so ’n armes L. [Pferd] die Würmer kriegt. Schlegel Sh. 6, 41 etc., auch: Wehmüthig lächelnd rief er: Da bin ich armes Schind-L–chen wieder marode! Heine Reis. 1, 110 etc. 5) ungebundnes, ausgelaßnes oder Lotterleben, lockres, faulenzendes, liederliches, wüstes Leben, Schlemmerei und Spiel, s. Belege Frisch 1, 626b und Benecke 1, 1053a etc.; War ich der Arbeit heftig gram, schlug dieselbig aus und gerieth ins L. Gryphius Fr. 262; Lauf nicht allen L. aus. HSachs G. 1, 103; Nachdem Ihr Fürstl. Gn. als wohl wir Diener eine Zeit lang im L. gelegen, haben wir Alle auch eins fromm werden wollen. Schweinichen 3, 92 etc., vgl.: Der Atheīst, der l.-mäßig starb. Naumann (L. 3, 172), liederlich (s. d. und Anm.), L.-Leben, ludern.
Anm. Mhd. luoder in Bed. 1, nam. auch 1a (s. Benecke 1, 1053a) und 5, zunächst wohl nur, wie noch schwzr.: ausgelaßne Fröhlichkeit (s. Stalder 2, 182), auch: Ein L. haben, ungebunden lustig sein, und Schm. 2, 442, auch: Wie’s L. oder luderisch, ludermäßig [unbändig] tanzen, spielen, trinken, sich freuen etc., wozu sich aber allmählich, nam. im Nhd., der Begriff von 2 u. 4 einmischte, ebenso wie lüederlich eig.: anmuthig, lockend, reizend, sich zugleich mit liederlich (s. d.) mischend einen tadelhaften Begriff annahm, nam. auch den: wüster Schlemmerei ergeben. Zu vgl. ist Lotter etc. Zu 1a gehört auch (s. Diez 207) das gleichbed. frz. leurre, engl. lure, vgl. z. B.: As falcon to the lure away she flies. Shakesp., bei Freiligrath Ven. 64: Wie Falken auf ihr Lockspiel, fliegt sie hin etc., mit der Fortbild.: allure, anlocken etc., s. Brem. Wörterb. 3, 101. Grundbed. viell. das „Spiel“ (vgl. lat. ludere, spielen), wie denn Frisch einen Beleg giebt für: Sein L. [Spiel] mit Jemand treiben, vgl.: Schind-L. spielen, vgl. zu 1a: Feder-, Lockspiel, und zu 5 die mhd. Zusammenstellung: luoder u. spil, wie auch: Luderer, Lotterer = Spieler, Gaukler etc. (s. plattd.: Lūribumm, Lotterer, Müßiggänger, Liederjan etc., ebenso Lulei, Lulapp, Lullhack etc., s. Anm. zu lullen), ferner: Ludem, m., freie oder Spielzeit der Schüler. Frisch; Ludrum (n. und f.), die Pause, die der Falke zwischen zweien Bewegungen des Übersichschwingens und Herabschießens macht. Ryff Th. 121; 122. S. auch Lachs 1 und I. Loden, Anm.
Zsstzg. nam.: Schind-: s. [2] und [4], auch sprchw. [Anm.]: Sch. mit Einem spielen, treiben (Gotthelf 35), schändlichen Muthwillen mit ihm treiben, ihm schändlich mitspielen etc.