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Leid
II. Lēīd, n., –(e)s; 0; -:
1) (s. I 2) Etwas, womit man Einem schadend, verletzend, kränkend zu nahe tritt: Einem ein, kein, alles L. thun, anthun, zufügen, seltner: Dem Öl und Wein thu kein L. [Schaden]. Off. 6, 6 etc.; Sich sein L. anthun. JP. 22, 94 etc.; Einem geschieht, widerfährt ein, kein L. etc. (s. 2a) und veralt. (wegen Verwechslung mit I 3) ohne Artikel etc.: Wir haben Niemand L. gethan, wir haben Niemand verletzt. 2. Kor. 7, 2; Richt. 18, 7; Sir. 42, 22 etc.; Deinem Volke L–e [s. I Anm.] thun. 36, 11; Ps. 78, 49; Wohlthun Denen, die uns L–e thun. Luther 8, 19b; Rächete Den, dem L–e geschah. Ap. 7, 24 etc., —: Einem Etwas, Nichts, Alles zu L–e thun; Es geschieht Einem Etwas, Nichts, Alles zu L–e; Keinem zu L–e und Keinem zu Liebe [unparteiisch]; Ob sie es den biblischen Schriften zu Trotz und zu Leid thäten. Fischart B. 14a; Jene braute Seim zur Labe, Diese Gift zum L–e. Rückert 2, 453; Zu Schimpf und Ernst, zu Lieb und L. etc. Zinkgräf 1, 211.
2) Unglück, Betrübnis, Gram, Schmerz, Jammer, Wehe, und dessen Ausdruck: Klage, Wehklage (vgl. II. Leiden 9): Einem sein L. klagen; In, vor L. vergehn; In L. und Freud; Nach der Freude kommt L. Spr. 14, 13; Der Herr gebe dir Freude für L. Tob. 7, 20; Schmerzen mit Grämen und L. Pred. 2, 23; Qual und L. Off. 18, 7; Ruhe von deinem Jammer und L. Jes. 14, 3; Die Tage deines L–es sollen ein Ende haben. 60, 20; Vor L. krank. 1. Macc. 6, 8; Es kam zwiefältig L. über sie. Weish. 11, 13; Gott hat mir großes L. zugeschickt. Baruch 4, 9; Ich werde mit L. hinunter in die Grube fahren. 2. Mos. 3, 7; Doch sind der Menschen Last und L. verschieden. Cham. 4, 32; Was ist das L.? ein Ocean. Was ist die Lust? die Perle drin. Hartmann Pet. 177; Ah meines L–s! Luther 5, 318a; Das Gute sprießt aus L. und Leiden. Rückert Erb. 2, 145; Es schnob der Sturm des L–es. Mak. 1, 20 etc. So auch:
a) (vergl.
1) Einem geschieht, widerfährt ein L. etc.; Einem das gebrannte L. thun, anthun (Luther 6, 483a; SW. 60, 256; 61, 133 etc., s. brennen. B 8), heute gewöhnl.: Herze- L. b) L. (oder veralt., bibl. oft: L–e) tragen, trauern, um, über Etwas etc.; L. tragende Nachtigallen. V. Mosch. 3, 9 etc.; Wer trug L–e mit dir? Jes. 51, 19 (vgl. Mit-L.). Am häufigsten: Um einen Todten L. tragen, s. c und d. c) mundartl.: Leichenbegängnis: In L–e gehn; Das L. begleiten; Ein vornehmes, ein Männer-, ein Weiber- L. etc. d) (mundartl.) Trauerkleidung: Es haben mir das Frauenzimmer das L. abnehmen wollen. Schweinichen 3, 281; Im L–e gehn; Das volle, das Halb- oder Klein- L. etc. Bei Spate fem.: Eine Leide auf dem Hut etc. e) veraltend: das Gefühl, daß Einem Etwas leid (s. I 3) ist: Über die Sünde Reue und L. empfinden; David bekennet seine Sünde und hatte L. darum. Luther 8, 20a etc.
Zsstzg. s. 2c und d, ferner die von Leiden II 9, z. B.: Bēī-: veralt. statt Mit-L. überh., z. B.: B. mit Einem haben (Fleming ¹ tragen (19) etc., gew.: die Einem bei einem Unglück, das ihn betroffen, nam. bei einem Sterbefall förmlich kundgegebne Theilnahme: Einem Leidtragenden sein B. bezeugen; Auch thut es mir wohl, daß ich mich Ihres B–es versichert halten darf. L. 11, 499; Du bedanktest dich bei den Herren für das herzliche B. Sch. 107b; Sanfter wäre sie unter dem allgemeinen B. vom Throne gestiegen. 869b etc. Férne- [2]: das Leid der Ferne, des Exils. Freiligrath Garb. VI. Hérze- [2]: tiefes, herzverzehrendes Leid: Einem alles H. (Grimm M. 68; Hebel 3, 169; Rückert 6, 350), das oder alles gebrannte [2a] H. (Claudius 4, 76; Kurz Sonn. 15; Stilling 2, 50 etc.) anthun etc.; Vor H. nicht schlafen können. Cham. 6, 248; Aus H. um dich gestorben. Spindler St. 1, 20 etc.; Es war Verzweifelung und H., sich so leichtsinnig in die Falle gestürzt zu haben, was ihm gewaltsamerweise das Leben nahm. Sch. 1090a etc.; Vor Jammer und Herzen-L. Pestalozzi 4, 201. Līēbes- [2]: L. und -Lust von Shakespeare etc.
Māß-: s. Über-L.
Mít-: Mitgefühl für Leiden und dessen Kundgebung, vgl. das oft damit gleichbedeutend gebrauchte Mitleiden, das aber auch den Zustand eines selbst Leidenden bez., insofern er ihm mit andern Leidenden gemeinsam ist, z. B.: Hier ist anstatt des M–s oder der Bekümmernis um Andrer Leiden, das Mit-Leiden, das bloße Mit-Erbeben der gleichgestimmten Saite untergeschoben. Danzel 363; Wir müssen unter eurer Schuld mitleiden und dies unser Mit-Leiden erstickt in uns jedes M. für euch etc., s. auch Erbarmen, Barmherzigkeit, Bedauern, Mitbetrübnis etc.: M. oder M–en mit Einem (Jer. 15, 5; 48, 7 etc.), über Einen (16, 5), mit sich selbst haben, insofern man die eigne Lage, z. B. die aus Etwas künftig hervorgehnde, objektiv beurtheilt und sein Verhalten danach einrichtet, um sich zu schonen etc.; M. oder Mitleiden mit Jemandes Banden (Hebr. 10, 34), mit seiner Schwachheit (4, 15) haben, auf die Schwachheit mitfühlend Rücksicht nehmen; M., kein M. fühlen, empfinden, kennen etc.; Spart denn wenigstens die Schmach | des M–s mir. Freiligrath SW. 5, 112; Der Mensch hat bei eignen und fremden Leiden nur drei Empfindungen, Furcht, Schrecken und M–en, das bange Voraussehen eines sich nähernden Übels, das unerwartete Gewahrwerden gegenwärtigen Leidens und die Theilnahme am dauernden oder vergangenen. G. 30, 317; M–en, innige, tiefe Erbarmung flößte sie mir ein. 9, 287; Da dachte ich nicht, daß mir ein gleiches Schicksal bevorstehe; aber mein Mitgefühl, so wahr und lebhaft, ist noch lebendig. Jetzt kann ich mein M. gegen mich selbst wenden. 15, 282; So durchbebte es Siegbert von M. um den Bruder und um sich. Ja, auch um sich! Giebt es denn nicht ein M. auch um sich selbst? Gutzkow R. 3, 409; Nach dem Grundsatze der Stoīker: der Weise erbarmt [s. d.] sich, hat aber kein M–en. Heinse A. 1, 263; Mir rennt das M. die Wang herunter. Kl. M. 6, 536; Die anschauende Betrachtung eines Andern Unglücks gebieret eine Unlust, die wir M–en betiteln. Mendelssohn (L. 13, 58); Der Geist der Rache milderte M. und Bedauernis. Musäus M. 2, 153; M. und Bedauern [s. d.] sind oft verwechselt und doch himmelweit verschieden. . . . M. steigert sich zu Sorgfalt, zu lebendiger Aufmerksamkeit, wir lieben endlich den Ggstd. unserer Sorgen schon um dieser Bemühungen willen. M. macht vertraut und vereint Getrenntes. Waldau N. 1, 128 etc., auch personif.: Ist M. nicht die Tochter eignen Wehs? CRudolphi NGd. 25; M.! Heil dir, du Geweihte! etc. Salis 13. Dazu das schwachformige bemitleiden, tr.: mit M. oder mitleidig betrachten; M. mit Etwas haben, z.B.: Die Schwächen tadeln, den Schwachen bemitleiden wir. Börne 1, 299; Das bemitleidende Achselzucken des Kleinsinnes. Fichte 6, 334; Selbst die Fertigkeit zu bemitleiden (erlauben Sie mir das schweizerische Wort). Mendelssohn (L. 13, 48); Ich bemitleidete das zwangvolle Leben der Großen. Thümmel 2, 182; Besser beneidet als be- Sanders, deutsches Wörterb. II. mitleidet. Sprchw., auch: Besser Neid als M.! etc. Sēēlen- [2]: häufiger Seelenleiden (s. d., vgl. Herze- L.): Jedes S. hat seine warmen Thränen. Börne 2, 275. Stérbe- [2]: Erst eben lebt’ ich, ach, in St–e! | starb eben erst und Tod war Lebensfreude. Freiligrath Ven. 34 etc., ebenso: Todes-L., tiefes, bis zum Tod betrübendes Leid.
Über-: Überdruß, Ekel, z. B.: Als der Zundelfrieder bald alle listigen Diebsstreiche durchgemacht und fast ein Ü. daran bekommen hatte. Hebel 3, 263 etc., ähnlich: Nicht aus Maßleide des Gewinns, sondern weil ihr den Verdruß der Müh und Sorgen, so darbei ist, gescheuet. Zinkgräf 1, 208, ahd. mazleidî, mhd. mazleide, fem., schwäb. als masc.: Der Maßleid, zsgstzt aus goth. mats, ahd., mhd. maz, Speise, noch bei Brant Narr. 110a, v. 71 und 211 (vgl. engl. meat und Anm. zu II. Mast, Messer, Mus und Mett) und ahd. leidî, mhd. leide (f.), das Gefühl, daß Einem Etwas leid, zuwider ist, s. leiden 2 und 3, häufiger das Ew. Maßleidig: satt, überdrüssig, zunächst von Speisen, dann allgem. s. Schm. 2, 626; Stalder 2, 200; Warum du immer so maßleidig [verdrossen] aussiehst. Auerbach D. 4, 185; Gotthelf Sch. 309; Wenn die Hund maßleidig und unlustig werden zu der Speis. Ryff Th. 11; Was geröstet | schon „masleidige“ Gäste auf stützende Arme zurückruft. V. H. 2, 158; Des Abscheus, des Ekels, der Maßleidigkeit. Wurm Spr. 21 etc., vergl. auch: Träge mißleidiges Ding! Spindler Jud. 1, 115 etc. Wínter- [2]: Leid, Ungemach, das der Winter verursacht: Mit dem langen Lied ihr W. versingen. Opitz 1, 126 u. ä. m.