Faksimile 0854 | Seite 846
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Jungfer
Júngfer, f.; –n; (–chen, lein), Jüngferchen, lein; –n-:
die abgeschliffne Form für „Jungfrau“ (s. d. und Anm.):
1) eine unverheirathete weibliche Person von unverletzter Keuschheit. In der gehobnen Rede und wo die so bez. Person eine hohe ist, gilt „Jungfrau“ (s. d. 1 und 3), nicht J., außer wenn Dies, doch immer nur im gw. Leben, als Prädikat erscheint: Lukrecia Borgia soll schon im zwölften Jahr nicht mehr J. gewesen sein; Diana blieb ewig Jungfrau etc. Ver- alt.: O du J. Königin! Grimm M. 233, (vgl. 2): Laß sie die J. doch gewähren! HKleist Kr. 85; Man sehe die große Dame! Sonst wissen sich J–n Ihrer Herkunft noch glücklich, wenn sie Herrschaften finden. Sch. 203b; Wo man ehrbare J–n vorbeigeht. V. 2, 159; Es sind nicht alle J–n, die einen Kranz tragen. Sprchw. Die Verkl. gilt auch von den höhern bürgerlichen Ständen oft mit iron. Nebensinn: Knäbchen, Stutzerchen, Mäcenate, Jüngferchen. Ramler (Guhrauer 2, Beil. S. 3); Das Jüngferchen [meine, des Pfarrers, Tochter] kleidet sich immer | zephyrlich. V. 1, 54 etc. Bes. zu beachten ist „J.“ als Titel vor Nicht-Eigennamen, z. B.: J. Naseweis, wie können Sie Ihrer Tante eine solche Frage stellen? Benedir 2, 258; Ich war wohl J. Eigensinn. B. 111a etc. = naseweises, ein eigensinniges Mädchen etc., minder gw.: Die Tante J. [statt: die J. Tante]. Blumauer 1, 144 etc., ferner: Alte J. (vgl. Hagestolz), eine unverheirathete weibliche Person, die über die Zeit des Heirathens hinaus ist und die nach dem Volkswitz verdammt ist, Affen (s. d. 1g) zur Hölle zu tragen etc.: Plauderhaftigkeit und Kammermädchen gehören zusammen wie Frömmigkeit und alte J–n. Benedix 7, 209; Ein reizbares und recht apartes altes Jüngferchen. Gutzkow R. 6, 128; Als J. zu veralten. W. 11, 183 etc.
2) (s. 1) eine Dienerin von höherem Range als die gw. Dienstmädchen: Werde doch J. bei meiner Mama! Dich liebt sie besonders, | dich vor den Mädchen des Dorfs und der Stadt feinhändigen Jungfraun. V. 2, 71; „Laurette“, | spricht sie zu ihrer Magd ... Das Mädchen, das die Hälfte seiner Rolle | in diesem Augenblick verlor . . . Die J. sah so gut und ehrlich aus. W. 11, 185–187 etc., s. Zsstzg. und vgl.: So [schlecht] hätt’s doch keine Jumpfre [Dienstmädchen]. Gotthelf G. 201.
3) (s. Jungfrau 2) übertr., nam. als Prädik., zur Bez. alles Reinen, Unverletzten, z. B.: Sein Bruder, diese Festung ist noch eine reine J. etc.; burschik.: Eine J., ein Student, der von der Hochschule zieht, ohne gepaukt, gesessen, losgelegt und Schulden gemacht zu haben. Vollmann etc.
4) in andrer Bed. steht J. zuw. von Männern zur Bez. weibisch zimperlichen Wesens, vgl. die iron. Anrede: Liebes J–lin Bäpstlin! . Ja, ja, J. Bäpstlin! Luther 8, 240b, etwa = (iron.): du unverletzt-reiner, unverdorbner Papst!, wie im Gegensinne J. auch zuw. eine feile Dirne, Hure bez., s. 17a und Verjungfern, Spiel-J. 5) J–n werfen, schießen, s. Bämmeln, Anm. 6) scherzh.: Warmflasche, vgl. Bettwärmer. 7) ein Klotz, woran Verbrecher geschmiedet sind und den sie gehend in den Arm nehmen müssen (gleichsam als Liebste etc.). 8) Die eiserne J., (veralt.) eine Maschine, die einen ihr zugeworfnen Menschen mit scharfen schneidenden Armen packte und tödtete, vgl.: Die Jungfrau .., | das hämisch grause Mordgerüst, | das mancher Armer schon geküsst. Oehlenschläger Gd. 164. 9) Bauk., Handramme. 10) Botan.:
a) Nackte J., Zeitlose, Colchicum autumnale, auch das ähnliche Bulbocodium vernum.
b) J. in Haaren, im Netze, im Grase, Nigella, s. Braut in Haaren.
c) Verfluchte J., Wegwart, Cichorium intybus, s. 17a. 11) Chem., Trichter, ölige von wässrigen Flüssigkeiten zu sondern. 12) Hüttenw., ein das Vorbeifließen der Schlacke hinderndes Stück Eisen am Schlackenblech des Hoh- ofens, s. Dame, Anm. 13) Mühlenb., eine Art vorzüglicher Mühlensteine. 14) Münzw., Glühvorrichtung für die Metallplatten. 15) Schiff., Jungferblock (s. d.). 16) weidm., J–n machen, beim Zerwirken des Wilds das Schloß öffnen und die Hintertheile aus einander drücken, um das Gescheide herauszuheben. 17) Zoolog.:
a) J., verfluchte J., Drachen-, Spinn-, Wasser-J., Libelle, Libellula, vgl. die Bez.: Drachen-, Wasser-Hure etc.
b) Jüngferchen, numidische J., s. Jungfrau 4.
Anm. In der Volksspr. die Ausspr. „Jumfer“ und so Jümferlein“. Daumer H. 1, 286. Als Titel mit der Zeit wechselnd, vgl. Fräulein, Mamsell etc.
Zsstzg. vielfach, meist zu 1, vgl. Jungfrau1, z. B.: Brāūt-: B–n sind Jugendgespielinnen, welche die Braut zum Schmuck, zum Blumenstreun, zur feierlichen Umgebung einladet. V. 1, 199, Kranz-J.
Chōr-: eine Nonne insofern sie im Chor singt. Dráchen- [17a].
Erb-: die ein Lehensgut erbt. Erbvergl. Beil. 23 ff. Hāūs- [2]: Haushälterin, Schaffnerin etc. Kámmer- [2]: aufwartende Dienerin einer vornehmen Dame in den Zimmern, vgl. Kammerkätzchen. Heinse A. 2, 225 etc.
Klōster-: Nonne.
Kóst-: Pensionärin. Kránz- (fland 9, 1, 107),
Kränzel-: Braut-J. Waldau N. 3, 210; Kränzeljungfrau. Musäus M. 2, 26. Küchen- [2]: Köchin. Heine Reis. 2, 414. Lāden- [2]: Ladenmamsell, in Kaufläden den Verkauf besorgend. Kinkel E. 203. Pútz- [2]: IP. 36, 95. Sónnen- [17a]: Goldschimmernde S–n, wie er sie genannt hatte, schwebten und schwankten. G. 18, 331. Spīēl- [4]: Venedig, allwo er mit etlichen Sp–n bekannt wurde. Ersch 44, 1387. Spínn- [17a]. Stāāt- [2]: (veralt.) Dienerin, der die Garderobe etc. anvertraut ist. Gryphius 268. Wásser- [17a]: Die großäugige W. Tschudi Th. 48. Wírthschafts- [2]: Wirthschafterin, u. ä. m., s. Spate.