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Hunger
I. Húnger, m., –s; uv.; -:
1) eigentl., die aus Leere des Magens entstehende quälende Begier nach Speise: H. haben, fühlen, verspüren; Vom H. gequält werden; H. leiden; Den H. mit Etwas stillen; Die Belagerten aßen vor H. Baumrinde; Vor H. oder H–s sterben, seltner: Die H–s ja auf allen Gassen schmachten. H. R. 7, 175, vgl.: Die vor H. verschmachten. Klagel. 2, 19 etc.; Bittrer (Simrock G. 79), furchtbarer, gelliger (s. d.), gieriger, heftiger, heißer, jäher, nagender, quälender, schrecklicher, unersättlicher, wüthender H.; Mit heißem H., mit dem H. eines Wolfs (s. Wolfskrankheit), über Etwas herfallen; H. nach Fleisch, Brot etc.; H. [personif.] ist der beste Koch, macht rohe Bohnen süß etc. Sprchw.; Meine vier bösen Strafen, als Schwert, H. [Hungersnoth], böse Thiere und Pestilenz. Hes. 14, 21; 1. Mos. 41, 36 etc.; H. und Kummer. Hiob 30, 3; Ausgeworfen vom Meer, in H. und Kummer und Nacktheit. B. 250a; Es ist der H., der aus mir spricht. Chamisso 3, 226; Stillte des gereizten H–s Gier. 4, 90; Was man, zumal unter den höhern Klassen, H. nennt, ist meistens mehr ein Appetit nach H., als der eigentliche Bedürfnis-H. Lichtenberg 5, 479; Den bellenden H., welchen das strenge Fasten des langen Tages erregt hatte, durch den Schlaf zu betäuben. Musäus M. 1, 99; Wie fest wir ihn geschnürt, wir konnten nicht dem Hund | des H–s wehren, daß er widerbelle. Rückert Mak. 2, 125; Wölfen gleich .., herausgestachelt von des H–s Wuth. Sch. 33b etc. 2) übertr., das heftig nach Befriedigung strebende gierige Verlangen (vgl. Durst), z. B.: Der Ritter sättiget der Augen H. nur | und scheint des andern zu vergessen. Alxinger D. 191; Sein Gespräch hat mich „Gesättigt?“ ... Nein .. den heißen H. nur gestillt. L. Nath. 3, 3; Hat aber euer H. sich verloren, | so stillt nun auch den H. unsrer Ohren. Nicolai 2, 7 etc., oft mit „nach“, selten statt dessen mit Genit. oder „auf“, auch wohl mit bestimmendem Ew. oder mit Infin. und „zu“: Amos 8, 11; Eine Art von unnatürlichem wissenschaftlichen H. G. 19, 20; Der H. eitlen Rauches. Haller; Wie soll ich meinen H. nach Empfindung stillen? Leisewitz Jul. 9; Für [vor] H. nach edlen Thaten schmachten. 45; Warum hat meine Seele den unersättlichen H., den nie zu erstillenden Durst nach Können und Vollbringen? FMüller F. 143; Mein H. nach Rache. Sch. 707b; Der heiße H. nach Glückseligkeit. 134b; Überschwänglicher H., Menschen zu beglücken. Stilling 4, 121; Heißer H. nach der süßen Frucht | der Minne [hatte] jedes edlere Gefühl in seiner Brust verdrungen. W. 11, 145 etc.
Anm. Goth. huhrus, ahd. hungar, mhd. hunger.
Zsstzg., vgl. Gier, z. B. mit dem Gegenstand, wonach man H. empfindet, wie: Fleisch-H. Campe Rob. 89, und übertr.: Geld-H.; Glühend von Wahrheits-H. Stilling 4, 61 etc., außerdem z. B.: Hēīß-: heißer, ungemein heftiger Hunger, auch als ein krankhafter Zustand (s. das folg. und Freßfieber), oft übertr.: Kupplerin! so hast du sie deiner Kehle, deinem unersättlichen H. hingegeben [geopfert]. G. 17, 242; Freute er sich an meinem H. nach Kenntnissen, der sich nun bei der krankhaften Reizbarkeit völlig fieberhaft äußerte. 21, 145; Aus H. nach grenzenloser Erfahrung. 25, 170; Sein unersättlicher H. nach einem gestaltlosen Urschönen. W. 23, 279; Mit H. über Etwas herfallen etc.
Húnds-: Heiß-H., wobei der Kranke wieder ausbricht.
Jǟh-: der Einen plötzlich befällt: Daß ihn oft in der Nacht ein J. plage. Auerbach D. 4, 194.
Ochsen-: krankhafter Heiß-H., der Ohnmachten bewirkt (Bulimia), vgl. Ochsenfieber.
Wínter-: Einen entsetzlichen Wolf mit aller Schnelligkeit des gefräßigsten W–s. Münchhausen 21.
Wólfs-: Heiß-H., Ochsen-H.: Sie bekam durch Gottes Strafe einen W., daß sie sich ganz nicht ersättigen konnte. Hammer RH. 309; Hat von seinem Ritt rechten W. mitgebracht. Holtei Nobl. 1, 115 etc.