Faksimile 0763 | Seite 755
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heucheln
Hēūcheln: 1) intr. (haben):
a) (veraltend) Einem h., liebkosend schmeicheln. Hiob 40, 22; Weish. 14, 17; [Der Löwe] lecket die Fußstapfen Mentoris, als ob er ihm heuchlet oder sich liebet. Eppendorf 53 etc. So noch: Auf, Maienlüftchen, aus den Blumenbeeten! | wo deine Küsse Florens Töchter röthen, | wo du so liebetraulich allen heu- 95* 4)) chelst | und Duft entschmeichelst. B. 4a; Schäfer weihen ihm [dem Gott des Schlafs] Gesänge, | er heuchelt ihrer Zärtlichkeik. uz 2, 81 etc.
b) meist mit dem Sinn der Verstellung, des Unwahren: Einem h., ihn durch Schein und angenommenes Wesen täuschen, um ihn für sich einzunehmen etc.: Heuchelten ihm mit ihrem Munde und logen ihm mit ihrer Zunge. Ps. 36, 78 etc. Zuw. auch: Wie heuchelt sich der Thor, der keiner Tugend Kraft, | kein wahres Mitleid fühlt und scheint sich tugendhaft. Hagedorn 1, 65. Auch: Gegen, vor, veralt. mit (Spr. 29, 5) Einem h. Oft absolut: H., sich mit Rücksicht auf Personen besser, liebevoller, frömmer stellen als man ist; aus Begierde zu gefallen anders sprechen und handeln als man denkt. Ps. 5, 10; 35, 16; Spr. 29, 5 etc. Ubertr. auf Sachen (s. 2): Nicht mehr lernt die Wolle mit allerlei Farbe zu h. [anders als sie von Natur ist, zu scheinen]. V. Ländl. 1, 161 (s. 2). 2) tr. (s. 1b): durch Verstellung den Schein des Daseins von etwas nicht Vorhandnem bewirken, er-h.: Einem, vor Einem, gegen Einen Liebe, Haß, Mitleid, Furcht, Tugend, Frömmigkeit h.; Indem ich immer noch Kälte und Gelassenheit heuchelte. G. 18, 157; Mit erlogener Heiterkeit oder geheucheltem Schmerz. 313; Unter vollen, aufrichtigen Bitten des Ehepaars um baldige Wiederkunft und einer halben, geheuchelten Zusage beider Gäste. 167; Ein leeres, Theilnahme h–des Antheil-. nehmen. 19, 146; Unter dem Schilde eines geheuchelten Druckorts. 29, 186; Der zierliche Topf nimmt manchen Strauch, manche Zwiebel auf, um in winterhafter Häuslichkeit den Sommer zu h. 32, 117; Heuchelt eine schuldlose Miene. Sch. 202b; Befiehlt mir gleich ...die Pflicht, | .. daß ich mein wahres Herz vor ihm verberge: | ein falsches hab ich niemals ihm geheuchelt. 334b; Der geheuchelte Eifer. W. 9, 63; Daß Rezia den spröden Blick nur heuchelt. 20, 114 etc., auch: Von dir, der zur einzelnen Schlange geheuchelt [die Schlangengestalt annehmend], | fremde Waffen bewegt. V. Ov. 2, 114. 3) dazu das verneinte Partic.: Ungeheuchelt, a.: aufrichtig, wahr etc.: Ungeheuchelte Treue; Jch sprech es aus, ich sprech es ungeheuchelt. G. 6, 379 etc. 4) refl. (s. 2): Daß der Schmerz sich oft zu Wollust heuchelt. W. 3, 201, sich heuchelnd dafür ausgiebt, dazu umgestaltet.
Anm. S. Hauch, Anm.
Zsstzg. z. B.: Áb-, tr.: Einem Etwas a., durch Heuchelei es von ihm erlangen; Wiewohl ich . . ein großer Schalk gewesen . . ., | will ich doch Gott sein Himmel hie | abschälken und a. nie. Fischart Eulensp. 273; Günther 389 etc. An-, tr.: Etwas heuchelnd, nur dem Schein, nicht dem Wesen nach annehmen: Da . . das angeheuchelte Christenthum mit dem alten Adam bisweilen recht grell kontrastiert. Heine B. 61; MBeer Br. 182 etc. Āūf-, tr.: ungewöhnl.: Die nicht in immer aufgewärmten, Andern | stets aufgeheuchelten Gefühlen schwelgen. LSche- fer Laienbr. 133, die Andern heuchlerisch oder unwahr aufgedrungen werden. Dúrch-, refl.: sich mit Heuchelei durchschlagen, durchbringen: Versuche nur dein Glück! | und hast du dich recht durchgeheuchelt etc. G. 34, 331. Eīn-, refl.: Sich bei Einem e., heuchlerisch einschmeicheln etc. Entgêgen- [1]: Wie sie ihm freundlich mild entgegenheuchelt. MBeer Arr. 55. Er-, tr.:
1) [2]: Sie lehrt ihn, die eine Art von Empfindungen nach ihrer wahren Stärke verbergen, die andre in einer falschen Stärke e. Engel 7, 203; Die Welt will, daß man sie betrüge | durch ein erheuchelt fromm Gefühl. Herwegh 14; Von erlognen Thaten und erheuchelten Schmerzen zu prahlen. Vogt Köhl. 12 u. o.
2) durch Heuchelei erwerben: So wuste er .. sich die höchsten Lobpreisungen zu e. B. 403b; Hilfe und Rettung will er entweder e. und erlügen oder erzwingen und erstehlen. Pestalozzi 1, 226 etc. Vor-, tr.: Einem Etwas v., heuchelnd vorreden, vormalen etc.: So heuchelst du mir Vertrauen vor? G. 10, 205; Merke wohl, du hast uns eine | jener Huris vorgeheuchelt. 4, 92 etc.