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Haar
II. Hāār, n., –(e)s; –e; Härchen, lein; -: 1) die
auf der Haut der Säugethiere, ſo auch des Menſchen,
wachſenden röhrchenförmigen Faſern, und zwar ſowohl
eine ſolche einzelne Faſer, als auch die Geſammtheit
derſelben als Bedeckung des Körpers oder eines Körper-
theils, bei den Menſchen ohne Zuſatz nam. des Haup-
tes, das Haupt-H.: Der Fuchs hat rothes H.; Ein Kanin-
chen mit weißem H.; Dieſes Pferd hat braunes H. ꝛc.; Je-
mand hat blondes, braunes, ſchwarzes, helles, dunkles, rothes,
graues, weißes, weiches, ſtarres, ſtruppiges, krauſes,
lockiges, langes, kurzes H.; Lobte . . mein dem Flachſe glei-
ches H. G. 1, 162; Das übervolle, ſtrotzend braune, krauſe
H. 10, 295 ꝛc.; Er bekommt ſchon (einzelne) graue H–e;
So lang ich ihn kenne, hat er ſchon graues H.; Wenn Phi-
lipp’s graueH–e weiß ſich färben. Sch. 255b; Die H–e
ſind (oder: das Haar iſt) ihr nach der Krankheit ausgegan-
gen, ausgefallen, aber ſie wachſen (es wächſt) ihr ſchon wie-
der; Der Friſeur ſchneidet einem Herrn das H., ſchert es,
kräuſelt, brennt es ꝛc., macht [ordnet ꝛc.] einer Dame das
H., kämmt, ſtrählt es, theilt es ab, flicht es in Zöpfe, wickelt
es auf, lockt es ꝛc.; Jemand trägt eignes, fremdes H., vgl.
Perücke; Die H–e ſind ihr aufgegangen, fallen auf die
Schulter; Bleich, mit aufgelöſtem H. Sch. 53a ꝛc.; Eine
Jungfrau .., die noch in H–en und im Kranze gehet [ohne
Haube, ſ. d.]. Luther 8, 129b. Oft ſprchw., in Ver-
bindungen und Redensarten, z. B.: a) Rothes H., kein
gutes H.; Krauſes H., krauſer Sinn; Lange H–e, [Frauen
haben] kurze Gedanken. Goltz 2, 135; Kurze H–e ſind bald
gebürſtet ꝛc. b) H–e auf den Zähnen haben, mannhaft
ſein; Du biſt ein entſchloſſener Kerl, Soldatenherz
H. auf der Zunge. Sch. 113a; Menſchen, von denen die
Alten ſagten, ſie hätten H–e auf ihrem Herzen. Gutzkow Bl.
1, 11 ꝛc. c) Das Haar richtet ſich Einem empor; ſteht,
geht, ſteigt zu Berge, bolzgradeauf; grauſt, krauſt ſich ꝛc.,
vor Angſt, Schrecken; Etwas treibt Einem die H–e zu
Berge, macht die H–e ſträuben ꝛc. d) Sich die H–e (aus)-
raufen, vor Verzweiflung ꝛc. Sich (einander) in den
H–en liegen, ſich ſtreitend balgen; Sich bei den H–en
haben; Einem, ſich (einander) in die H–e wollen, fahren,
fallen, gerathen ꝛc.; Nicht lang eins bleiben, ſondern mit
einander H. und Brot eſſen. Fiſchart B. 7a ꝛc. H–e laſſen
(Luther 8, 123a; Lichtwer 106 u. o.), ſeltner: hergeben
(36), Schaden, Verluſt leiden. Den Leuten die H–e
zuſammenbinden (Gotthelf G. 26 ꝛc.), zuſammenknüpfen (Sch.
400; Stumpf 420b; 603a), ſie an einander hetzen ꝛc.
e) Bei den H–en [mit Gewalt] Einen zurückhalten. Engel
1, 60; zu Etwas ziehen. L. 11, 495; oft: Etwas, z. B.
einen Witz, Vergleich ꝛc. bei den H–en herbeiziehn, im Ggſtz.
des Ungezwungnen, Natürlichen ꝛc.; Einen bei den H–en
[zu packen] kriegen; Die Unruhe hat mich heute wieder an
allen H–en. G. Stein 1, 171 ꝛc.; bergm.: Erz bei den
H–en kriegen, finden ꝛc. f) Mehr Schulden als H–e
auf dem Kopf haben, ſehr viele, vgl. Pſ. 40, 13; 69, 5.
g) Sich kein graues H. um Etwas wachſen laſſen, ſich
keine Sorge um Etwas machen; Daß ſie ſich nur darum
graue H–e wachſen ließen! G. 9, 27 = Daß ſie nur darum
ein graues H. anflöge. 35, 28. h) Ein H. in Etwas fin-
den. Benedir 6, 38 ꝛc., auf Etwas ſtoßen, was es Einem
verleidet. i) Mit Haut (ſ. d.) und H., ganz und gar.
k) H. als Bez. des Kleinen, Geringen, Kleinlichen,
Unbedeutenden, Unwichtigen ꝛc.: H–e ſpalten, klauben,
Etwas mit kleinlicher Genauigkeit, minutiös treiben,
vgl. haarklein. Einem kein H. krümmen, nicht das
Geringſte zu Leide thun; Mein Jupiter | beſchützt mir
jedes H. Sch. 15b ꝛc. Sein Leben ꝛc. hängt an einem H.
[an einem Faden, iſt in der größten Gefahr] ꝛc.
Das Gewicht eines H–s wird .. den Ausſchlag geben. Schlegel
Sh. 6, 262 ꝛc. Es iſt kein gutes H. an ihm; Jſt an dir
abſcheulichem Menſchen nun wohl irgend ein echtes H.? Gutz-
kow Lenz5; Kein gutes H. an Einem laſſen, ihn als grund-
verdorben ſchildern; Er hat nicht ein H. [vgl. Ader] von
ſeinem Vater ꝛc. Konnten mit der Schleuder ein H. treffen.
Bibel ꝛc. Nicht (um) ein H. breit, nicht ein H. weichen,
fehlen ꝛc., ungw.: Das Werk iſt gerückt kein H. lang [ſt.
breit]. Rückert Mak. 1, 47; Aufs H., auf ein H., ganz
genau; Aufs Härchen. B. 66b; Aufs H. hin. Sch. 183a;
Bis aufs H., Härchen; Bei einem H., um ein H., beinahe,
es fehlte faſt Nichts daran. Bei Komparativen: (Um)
ein H., um ſehr Wenig; (um) kein H., um Nichts, in
Bezug auf den Abſtand und Unterſchied ꝛc.; Ein Mann,
an dem nur ein H. gut iſt. Claudius 5, 81; Man iſt kein H.
gebeſſert. Forſter B. 1, 165; Bin kein H. | weiter als ich
war. G. 6, 170; Ich bin nicht um ein H. breit höher. 11,
73; Jeder Theil, der ſich ein H. vergäbe, hätte Unrecht. 14,
252; Nicht ein H. anders. 23, 171; Um ein H. war die
Zeichnung verpudelt. Stein 1, 53; Es iſt kein H. an Keinem
unter euch, das nicht in die Hölle fährt. Sch. 123a; Um eines
H–es Breite zu weit gegangen. G. 2, 84; Die Möglichkeit,
die kümmert ihn kein H. W. 12, 26; Wußte ſich aufs H. |
ſo ſchnell zu wenden. 11, 92; Sie glich in dieſem Stück
Frau Klaren auf ein H. 184 ꝛc. 2) mit Ew. zuw. als
Bez. einer Perſon: Sobald ſie von der Alten | berichtet
iſt, das gelbe H. [der gelbhaarige Hüon] ſei da. W. 20,
104 ꝛc.; Der Burſche war ein flottes H., | verloren bald ihr
Kränzlein war. Waldau (Prutz DM. 1, 1, 141), vgl. Kopf
u. deſſen Zſſtzg., z. B. Krauskopf, ein luſtiger Kopf ꝛc.
3) etwas Haar-Ahnliches, z. B.: Die Haken und
H–e des gediegenen Silbers [im Ggſtz. zu den ſtärkern
„Zacken“]. G. 19, 317 (ſ. Haarſilber) ꝛc., nam. auch
an Pflanzen die feinen Fäſerchen: Der gemeine Ehren-
preis hat am Stengel zwei gegenſtändige Reihen von H–en ꝛc.,
vgl. Braut in H–en, Nigella sativa ꝛc.; Goldnes H. ſ.
Goldhaar ꝛc.; ferner von den Zweigen und Blättern
der Bäume, von den die Hügel ꝛc. bekleidenden Pflan-
zen ꝛc.: Es ſträubt entſetzt das grüne H. des Hügels ſich.
Dingelſtedt 250; Durchs H. der Weide zitternd. Freiligrath 1,
284; Schon grünt das Wieſenland | und das H. der Wäl-
der. Fürnſtein (ſ. G. 32, 299); Welch ein Morgenwölkchen
webet | durch der Tannen ſchwankend H.! G. 12, 302; Der
Birke hangend H. 13, 296; EvKleiſt 1, 58; So ein Baum
ſchüttelt die H–e im Sturm. Hebel 3, 467; Der Cedern
dunkles H. Novalis 1, 51; Gewinnen .. die Wälder ihr H.
Ramler 206; Vom H–e der Bäume | troff Feuer. Schubart
2, 63 ꝛc. Forſtw.: Ein Hügel ſteht in H–en, iſt ganz
mit Bäumen bewachſen ꝛc. 4) Gärb.: (ſ. 1) die
Seite der Haut, wo das Haar geſeſſen, Ggſtz. Aas (ſ.
d. 2e): H. und Aas, außen und innen. 5) Sei-
denſpinn.: (ſ. 3) ein roher um ſich ſelbſt gedrehter
Seidenfaden, Haarſeide. 6) Weber., Tuchſcher.:
(ſ. 3) die Zaſern der Wolle ꝛc., die rauhe Seite: H.
[die linke] und Grund [die rechte Seite] des Tuchs; Das
Tuch aus den H–en rauhen, aus den H–en ſcheren, zu halben
H–en ſcheren ꝛc.; H. des Flauſches; H. des Sammtes (ſ.
Pohl) ꝛc.
Anm. Bair.: Das H., wie hochd., neben: Der H. (vgl.
3) = Flachs, auch Spinn-H., wie ahd. haru, mhd. har,
ſ. Schm. 2, 224; Brem. Wörterb. 2, 599, vgl. Harplüs =
Werg, ſ. Flauſch, Anm. Grundbed. wohl: Faſer (ſ. d.) und
vgl. Haſe, Haſel.
Zſſtzg. nam. zu 1, z. B. nach den verſch. Thieren,
z. B.: Biber-, Fuchs-, Haſen-, Pferde-H. ꝛc., ferner nach
den verſch. Körpertheilen, z. B.: Achſel-, Bart-, Haupt-
oder Kopf-, und zwar Vorder-, Hinter-, Seiten-H., Scham-
H–e, an den Schamtheilen; Schwanz-od. Schweif-, Stirn-,
Feſſel- oder Köthen-, Kamm-H. [Mähne] eines Pferds ꝛc.;
ferner nach der Farbe, der Weichheit und ähnlichen
Eigenſchaften, z. B.: Flachs-H., hellblondes, weiches;
Fuchs-H., rothes; Gold-H., glänzend blondes; Das lichte
Kaſtanien-H. Heinſe A. 2, 198; Raben-H., ſchwarzes. B.
13b; Silber-H., weißes ꝛc.; Sein bräunliches Schmacht-
auge, ſein ſeidenweiches Eichhörnchen-H. Voigts H. 60; Mit
rothen Wangen und blondem Kraus-H. Freitag Soll 1, 112;
Locken-H.; Die Höflinge mit langem Ringel-H. W. 11,
203 ꝛc.; Die Schlangen-H–e ſchüttelnd . . die finſtern Höl-
lengeiſter. Sch. 426b, vgl. 58bꝛc.; ferner z. B.: Blä́t-
ter- [3]: Die Weiden in langen B. KGroth 67.
Blǖthen-: Noch im B–e [in der Jugend]. Herrig
14, 99; Obwohl ſich der Scheitel mit des Alters | B–e mir
deckt. Kl. Od. 2, 122 (vgl. 104 und blüthenweiß).
Bórſten-: Die das Grund-H. überragenden B–e des
Haſenbalgs ꝛc. Bréch-: bei den Perückenmachern
ſchlechtes Haar, das zwiſchen das gute dreſſiert und
nachher abgebrochen wird. Déck-: die kurzen Haare,
welche den Körper bedecken, z. B. beim Pferde im
Ggſtz. der langen Kamm-, Schwanz- und Stirnhaare.
Fêder-: Milch-H. Frāūen-: ſ. o., auch [3]
Name mehrerer Pflanzen, z. B.: Adiantum Capillus
Veneris, Venus-H. ꝛc. Fǖhl-: Taſthaare, bei
Einigen Bez. der langen Haare an Augen und Maul.
Gāūch-: Milch-H., ſ. Gauchbart: Bis die Gauchshaar
herauswollen. Philander 2, 77. Glánz-: glänzendes
Haar: Das lichtbraune G. Gutzkow Zaub. 1, 58. Góld-:
ſ. o., auch Name mehrerer Pflanzen, ſ. Frauen-H.,
Chrysocoma. Grúnd-: ſ. Borſten-H.; Das fein-
wollige G. des Schaf-Fließes ꝛc. Gärb.: die in der Haut
verborgnen Wurzeln der Haare. Hēīden-: Haar
neugeborner [alſo noch nicht getaufter] Kinder, ſ. Hei-
dendreck, übertr.: die erſten Federn der jungen Tau-
r
ben ꝛc. Húnds-: ſ. o.; ſprchw.: H–e auflegen
[was gegen den Biß toller Hunde angerathen wird, ſ.
Rolenhagen Fr. 229], das Heilmittel in Dem ſuchen,
was das Ubel verurſacht hat, z. B. gegen den Katzen-
jammer Wein trinken ꝛc., ſ. L. 11, 656. Júng-
fer-: ſ. o., auch Name mehrerer Pflanzen, z. B.
Polytrichum; Hordeum marinum ꝛc. Kamēl-:
ſ. o. und vgl. Kamelgarn. Króll-: das gekräu-
ſelte Pferdehaar, wie es zu Polſtern ꝛc. dient: Polſter-
ſitze von Dunen und K–en. Willkomm Banko 2, 90.
Láng-: langes, herabhängendes Haar. G. 30, 474.
Mílch-: zarte, weiche Haare, nam. die erſten
Barthaare, vgl. Milchbart: Hatte M–e im Bart und
Flachshaare um die Schläfe. G. 9, 45. Auch Feder-,
Gauch-, Staub-H. Pfêrde-: ſ. o., nach Adelung
im engern ⏑inn die längern Schwanzhaare im Ggſtz.
der Roßhaare, als der kürzern am übrigen Leibe (?).
Schêr- [6]: die erſten Abſchnittlinge des geſchornen
Tuchs. Sómmer-: des Sommerbalgs, Ggſtz.
Winter-H. Spīēß-: ſpitzes, ſteifes Haar, Bor-
ſten-H. Stāūb-: Milch-H. Stēīn- [3]:
St–e⏑ von einem ſo feinen Gewebe, wie die Daunen einer
Schwanfeder. Kohl I. 2, 402. Vēnus-: Frauen-H.
Wínd-: weidm., feine Windleine an den Schlei-
fen der Dohnen. Döbel 2, 223. Wínter-: ſ.
Sommer-H.