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grauen
II. Grāūen, intr. (haben) und refl.: vor etwas
Unheimlichem Furcht, Schauder und Abſcheu haben,
ſtärker als das verkl. Graueln, ſchwächer als Grauſen
(ſ. d. II.): 1) unperſ.: a) mit Dat.: Es grauet mir
vor Etwas; Fürchte dich nicht und laß dir nicht g., das Land
einzunehmen. 5. Moſ. 1, 21; Heinrich! mir graut’s vor dir!
G. 11, 207; Jch mag nicht hin, mir graut es vor dem
Orte. 36; Es mußte Einem g., wenn man im Dunkeln hin-
eintrat. 40, 50; Mir grauet vor der Götter Neide. Sch.
57a; Graut dir vor dieſem Karl? ekelt dir ſchon vor dieſem
matten Gemälde? 111b; Da rufen ſie den Geiſt an in der
Noth, | und grauet ihnen gleich, wenn er ſich zeigt. 335b;
Vor deſſen Athem ihr | nicht minder als vor Peſt und Ausſatz
graut. W. 11, 183; Mir graut, es nur zu denken. 12, 309.
b) mit Accuſ.: Es graute die frömmſten Mönche vor
der Vermeſſenheit. Alexis H. 1, 1, 291; Eichendorf Lärm
33; Freiligrath Pol. 1, 37; Kl. Od. 2, 137; Tieck NKr.
3, 335; Werner Febr. 146; 164; Oſtſ. 1, 15 ꝛc.
2) refl.: Müßte man ſich doch g., zu Bett zu gehn. Alexis
H. 1, 1, 110; Sich vor Kraft und Tugend g. Körner 26b;
Wann du vor Blut dich grauſt. L. 3, 335 ꝛc. 3) intr.
perſ.: Ich graue [ſchaudre vor Angſt] immer, wenn ich’s
höre. Stilling 1, 64 und übertr.: Wann .. die Thäler noch
von Eiſe g. [ſtarren, oder düſtern? ſ. I. Anm. und
vgl. Grauſen II. 2], | der Hügel ſchon ſich ſonnig hebt.
Uhland 17, am häufigſten im Partic.: Mit g–dem
Abſcheu. Merck’s B. 2, 24; Damajanti auch ging g–d.
Rückert N. 73 ꝛc. und in Zſſtzg., z. B.: Ahnungs-
g–d [bange Ahnung empfindend], todesmuthig | bricht
[uns] der große Morgen an. Körner 23a; Dieſe ahnungs-
g–de Gewitterruhe vor der Schlacht. Stahr Par. 2, 111 ꝛc.
4) der Infin. als ſächl. Hw. auch mit Mz., wie
Gräuel, die Empfindung ſelbſt und der ſie erregende
Ggſtd., doch der Bed. nach von dieſem verſch., viel-
mehr wie Schauer (ſ. d.) ſowohl eine angenehme, als
auch eine widerwärtige Empfindung bezeichnend, ſ.
Grauſen. Pſ. 55, 6; Ihr beugt ein Mann mit liebevollem
G., | ein Weib die Knie. G. 6, 54; Ein ähnliches Entſetzen
überfällt uns. . . Um das G. loszuwerden, das wir dabei
empfinden, verwandeln wir es ſogleich in Tadel, in Abſcheu.
22, 278; 11, 152; Sie war ſo ſchön und doch ein Graun.
Heine Lied. 9; Wenn er | die G. ſeiner Gegenwart .. zu
Popanzen aufſtellen wird. .. Das ſind nur leere Schrecken.
Sch. 15a; O Nacht des G–s! 32b; Es faßte mich mit wolluſt-
vollem G. 46a; Mit ahnungsvollem G. 30a; Raubt Salo-
monis Siegel, der Geiſter Graun. V. 3, 130; Aber ſie ſelbſt
ein entſetzliches Graun [Ungethüm]. Od. 12, 87; Das an-
genehme G., das uns beim Eintritt in den dunkeln Labyrinth
eines dichten Gehölzes befällt. W. 1, 9; Ein leiſes G. ſchleicht
um unſre Bruſt, | doch ſtört es nicht, erhöht nur unſre Luſt.
12, 135 ꝛc. So auch Zſſtzg.: Mit dem frommen Kin-
der- G. KGroth 39; Über Flamm- und Schauder- G.
G. 12, 103; Im ſchwarzen Nachtgraun. Sch. 663a; Wo
Todes-G. du zuvorſahſt. V. Od. 20, 21; Welch ein
Schauer von Seligkeit, welch Wonne-G. flog durch alle
Fühlungen meiner Seele! Tieck A. 2, 25 ꝛc.
Anm. Ahd. grûên, mhd. gruwen, veralt., mundartl.
greuen. Waldis Pſ. 100, 1 ꝛc., vgl.: Wenn ein häßlicher
Kobold .. über die Wiege herein gräuet [Grauen macht?].
Gotthelf U. 2, 97.
Zſſtzg, ſ. die v. I. u. von Schauern u. Grauſen,
z. B.: Áb-: veralt. [4] Abſcheu. An-: tr.:
Schwarz wie das Grab graute mich eine troſtloſe Zukunft
an. Sch. 190b. Durch-: tr.: Die Knechtenſchaar ſaß
kalt durchgraut. Heine Lied. 73; Ich ſprach zu ihm, von
Schreck durchgraut. Meißner Gd. 73 ꝛc. Er-: intr.
(ſein): Daß vor keinem Kampf ſie mehr ergraut. WHum-
boldt 1, 351; Die Natur ergraut vor ſolchem Bette | bei
Abgeſchiednen. Tieck Cymb. 4, 2; Dürftet nicht ob mir e.
Uhland 293; 207. Um-: tr.: Wenn Todesgewande
den Thron ihr | donnergewebt umgraun. Baggeſen 1, 5 ꝛc.