Faksimile 0590 | Seite 582
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Gier
III. Gīēr, f.; 0; -: heftiges, unmäßiges Begeh-
ren, ſinnliches Verlangen nach Etwas: Beflügelt | den
Schritt mit jäher G. Beck Heim. 120; Noch Dies ihm abzu-
fodern des Herzens G. ihn treibt. Chamiſſo 3, 316; Stillte
des gereizten Hungers G. 4, 90; 84; 165; Mit ſüßer G.
im Liebesbette . .. der zarten Schönheit Blume zu pflücken.
Heinſe A. 1, 122; Die zügelloſe G. Rückert 1, 352; Sch. 24a.
Anm. S. Begehren und Geier, Anm. Nbnf. (vgl.
Zier, Zierde ꝛc.): Gierde, f.; –n: das wie das Vor-
kommen der Mz. zeigt mehr vereinzelnd und daher auch
wohl ſchwächer als G. iſt, —: Hier [bei dem durſtigen Trin-
ker] nehmen die andern Sinne alle an der Gierde Antheil.
Engel 7, 205; Gierde nach Erweiterung der Marken. Fall-
merayer Or. 2, 33; Des Bauchs | Gierden fröhnend. WHum-
boldt 3, 57; Er würde mit Gierde und vermuthlich mit Glück
den Pinſel ergreifen. Merck’s Br. 1, 244; Vor Gierde blind.
Rückert Roſt. 107a. Auch = Ggſt. des Begehrens: Lieb-
ſtes Herze, ſchönſte Zierde, | meine Wolluſt, meine Gierde.
Schottel 835 ꝛc. Bei Luther auch n.: Das Begier. 3, 21;
Das Begierde. 1, 38a, und die Ableit.: Das Fleiſch be-
gierdet wider den Geiſt. Poſt. 2. Dagegen das m.: Der
ſtraffgeſpannte G. Tiedge Ep. 1, 180, wohl auf einem
Druckf. beruhend.
Zſſtzg. theils mit Bſtw., die nam. den Gegenſtand,
wonach man gierig ſtrebt, oder den Grad der Gier
durch einen Vergleich ꝛc. bezeichnet, theils mit der Vorſ.
Be, wovon wieder ebenſo mit Bſtw. Zſſtzg. gebildet
werden (ſ. Be-G. 3), z. B.: Be-: 1) Bring die B. zu
ihrem ſüßen Leib | nicht wieder vor die halbverrückten Sinne.
G. 11, 145; Folgte B–de dem Blick, folgte Genuß der B.
1, 225; Mit unnatürlicher B. Humboldt Anſ. 1, 32; Voll
B. nach deinem Blut. Platen 4, 294; Geblendet von B.
Rückert Roſt. 85a; In des Eifers heftiger B. | vergaß ich ꝛc.
Sch. 504a; Schon nähert ſich dem zauberiſchen Rund | mit
zitternder B. ſein zugeſpitzter Mund. W. 11, 255 ꝛc.
2) häufiger: B–de, das auch, außer wie B., namentl.
in Mz. die mächtigen Regungen des Herzens, die Lei-
denſchaften, und beſonders auch naturgemäßes Verlan-
gen bezeichnet, während Gier und B. zumeiſt das Über-
triebne, Krankhafte andeuten: Auch der Mäßigſte empfin-
det von Zeit zu Zeit B–de nach Speiſ’ und Trank, aber der
Unmäßige verſchlingt die Speiſen mit Gier ꝛc., vgl. 3 und
Zſſtzg., nam. Liebes-G.: Die B–de nach (ſeltner: zu)
Etwas, dichtriſch u. in gehobner Rede auch mit Gen.:
Seine B–den beberrſchen, mäßigen ꝛc.; Seinen B–den fröh-
nen, den Zügel ſchießen laſſen ꝛc.: Laß dem Gottloſen ſeine
B–de [den begehrten Gegenſtand] nicht. Pf. 140, 9;
Kreuzigen ihr Fleiſch ſammt den Lüſten und den B–den. Gal.
5, 24; Dich beherrſchen der B–den Mächte. Chamiſſo 4, 165;
B–de nach Angriff. Engel 8, 17; Des wilden Zerſtörers
B–de. G. 5, 109; So tauml’ ich vor B–de zu Genuß | und
im Genuß verſchmacht’ ich nach B–de. 11, 142; 17, 299;
Aus nie zu ſättigender B–de des Beſitzes. 15, 8; Ein ...
Mann ohne Leidenſchaften, ohne B–de. 39, 291; Ein Greis,
der jugendliche B–en verräth, iſt . . ein ekler Gegenſtand. L.
6, 503; B–de nach Glück und Reichthum. Lichtenberg 4, 108;
Wofür du einen Ekel haſt, dazu hab’ ich eine B–de. Olearius
Perſ. Roſenth. 1, 9; Nachdem die B–de des Tranks und der
Speiſe geſtillt war. V. Od. 1, 150; Gemeiner Liebe, | die
von B–den lebt und im Genuß verraucht. W. 12, 183 ꝛc.
3) in Zſſtzg, mit Bſtw. = Gier, wo im Allgemei-
nen alſo 4 Formen vorkommen: Gier, Gierde, Begier,
Begierde, ſ. auch Gierigkeit und vgl. das Folgende,
wie 2. Blūt-: Gier nach Blut, Blutdurſt: Eurer
Feinde Blutgier. Sch. 410a; Blutgierde. Klinger Th. 2,
360; Blutbegier. L. 2, 313; Blutbegierde ꝛc.
Dīēnſt-: das Verlangen zu dienen, ſtärker als Dienſt-
fertigkeit: Sie hofften ein wenig zu viel von meiner Dienſt-
begier. W. 15, 2; Sch. 494b. Ehr-: Bei ſo vieler
wahrer Ehrbegierde. Lichtenberg 4, 108; Die Ehrgier läſſt
ihn nicht ruhn. Eß-: Eßbegierde (Appetit).
Flūg-: So rennt es fort mit wilder Flugbegierde [das
Muſenroß im Joch]. Sch. 98a. Fréß-: Freßgier.
Géld-: Eine große Geldgier. Kohl E. 3, 36, ſ. Gold-
G. Genúß-: Warum die Genußbegierde in ihrer
größten Hitze ſo leicht zu der grimmigſten Wuth wird. Engel
8, 325; 7, 191. Góld-: Die Goldgierde. Klinger
241; Aus Goldbegierde. V. Myth. 1, 301. Hāb-: In
unerſättlicher Habgier; Die lärmende Habgierde zu beſchwich-
tigen. Börne 2, 302. Hēīß-: heiße Gier, Heißhun-
ger ꝛc.: Der Alte ſtürzte mit einer förmlichen Heißgier auf
ihn ein. Kühne Fr. 283. Jāgd-: In der Jagdgier Hitze.
Alxinger D. 14. Lérn-: Die Lernbegier des Schülers
zu befriedigen. Līēbes-: In Liebesgier (vgl. Luſt-,
Mann-Gier); Lebensfürſt, dich will ich loben | hier und
droben | in der reinſten Liebsbegier. Stilling 4. 186.
Lúſt-: Hat Luſtbegier [Verlangen nach Luſt] die Eifer-
ſucht verſchlungen. W. 20, 293. Mánn-: Das Mäd-
chen leidet an Manngier, iſt mann-gierig, -ſüchtig, -toll.
Mórd-: Blut-G.: Dich frevelhafter Stahl, den
Mordgier auf mich zückte. Sch. 30a. Nēū-: das Ver-
langen, Neues (Neuigkeiten) zu erfahren: Die Neugier
auf dieſe Herrlichkeiten war um ſo größer, als ꝛc. Mügge
Norw. 1, 97; Nicht Neugier rath ich Dir, die giert nur
nach dem Neuen, | doch Neuluſt, die ſich wohl des Neuen mag
erfreuen. Rückert W. 4, 42; Sie haben, ich muß geſtehn,
mir eine Neugier gegeben, | die bis zur Ungeduld geht. W.
15, 18; Um meine Neugier aufzuſchrauben, | haſt du dein
Beſtes gethan. 20, 41 u. v. Mit ihren eigentlichen Lehr-
ſätzen hielten ſie zurück und reizten dadurch die Neugierde.
L. 11, 68; Was ſoll die dumme Neugierde auf die Fremde? Mö-
rike N. 321; Verfaſſer der „Neugierden“ eines Weltenbürgers.
W. 17, 159 ꝛc. Seine Rede ſpannte | die edle Neube-
gier des Ritters. Alxinger 134; L. 1, 175; Sein Blick, ſein
Ton reizt | ſeine Neubegier. W. 11, 242; 5, 134 ꝛc.
Wieviel Anhänger die bloße Neubegierde verſchaffen kann.
L. 11, 68; 23; Nicolai 1, 239; Platen 4, 281; Die Neu-
begierde ſpielt, die Wißbegierde zielt, | die Wißbegierde ſchaut,
die Neubegierde ſpielt. Rückert W. 4, 19 ꝛc. Rách-:
Jetzt hat in ſeinem Herzen Rachgier, jetzt wieder Liebe den
Überſchwung. Engel 8, 360; 354; Luther 6, 315a ꝛc.
Stolze, blinde Rachbegier. Weiße (L. 6, 219); Straf- und
Rachbegierde. Engel 7, 235; 191. Rāūb-: Die Raub-
gier; Man iſt es von der Raubbegierde der gelehrten Hum-
meln ſchon gewohnt, daß ſie ſich von fremder Arbeit nähren.
Mendelsſohn 42, 67. Vergrȫßerungs-: Unauf-
hörlich durch die Vergrößerungsbegierde ihrer unkatholiſchen
Nachbarn geängſtigt. Sch. 883b. Wíß-: das Verlan-
gen nach Wiſſen, vgl. Lernbegierde: Die Neugier, die
Wißbegierde des Kindes. G. 17, 267 u. auch: Stu-
dien, auf die ſich oft ſein jugendlicher Enthuſiasmus mit einer
gefräßigen Wißbegier warf. FSchlegel Luc. 122; Die Wißgier.
Göckingk 1, 265. Wólfs-: Gier, wie ſie der Wolf
hat: Sie vereinigen mit der römiſchen Wolfsgier auch die
Schlangenliſt Karthago’s. Heine Lut. 2, 48; 133.
Wúnſch-: gieriger Wunſch; Glückſelig iſt, der .. ſtill
ohne Wunſchgier lebt. Lichtwer 275. Wūth-: wü-
thende Begier: Regt es tolle Wuthbegier. G. 1, 203 ꝛc.