Faksimile 0574 | Seite 566
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Geil
I. Gēīl, a: in Bezug auf Wachsthum und Ver-
mehrung von allzu üppiger Kraft erfüllt, nam.: 1) in
Bezug auf Pflanzenwachsthum: Ein g–er [allzufetter,
in manchen Gegenden auch nur: fetter, viel Dungkraft
enthaltender] Boden; Ein Baum, die Saat wächſt g., vgl.
Geilhorſt; Dort übergrünte ſich ſchon g–es [üppig wuchern-
des] Neſſelkraut. Alexis Dor. 1, 5; Ein g–er Schuß und
Trieb aus edler Wurzel. Immermann 12, 112; Düngen ſie
zu ſehr, ſo wird die Frucht zu g. Möſer Ph. 1, 346; Indem
der allzug–e Überwuchs des Hauptſtammes durch die ins
Nebengewächs abgeleiteten Säfte zurückgehalten und bezähmt
wird. Muſäus Ph. 1, 112; Erheben ſich .. in g–er Üppig-
keit mächtige Baumgruppen. Prutz DM. 1, 1, 577; Je
üppiger alſo das Wagner’ſche Unkraut in der allgemeinen Zei-
tung wucherte, deſto nöthiger ward es, in ſeine allzu-g–en
Sprößlinge einen ſcharfen Hieb zu führen. Vogt Köhl. 23 ꝛc.
2) vom Fleiſch: a) allzufett und daher widerlich
ſchmeckend, riechend, vgl. galſtrig: Daß dies [das
Schweine-] Fleiſch im mindeſten Nichts von dem g–en Ge-
ſchmack hatte, den es wohl in Europa zu haben pflegt. Forſter
R. 1, 238. b) (veralt.) Das überflüſſig g. [wilde]
Fleiſch in Schädigung der Naſen. Ryff Sp. 134a. 3) in
Bezug auf Empfindungen und Triebe lebender Weſen:
a) wählig (ſ. d.), muthwillig-munter, in härtrem
Sinn: übermüthig: Löcken, wie die g–en Kälber. Jer. 50,
11; 31, 18; Da er aber fett und ſatt ward, ward er g.
5. Moſ. 3, 215. b) von ſtachelnder, kitzelnder, zur
Befriedigung anreizender Begier erfüllt: Wartet des
Leibes, doch alſo daß er nicht g. werde. Röm. 13, 14; Wenn
die jungen Wittwen g. worden ſind wider Chriſtum, ſo wollen
ſie freien (ſ. c). 1. Tim. 5, 11; Wo Armuth, Schand’ und
Gram die g–en Schlemmer ſtäupt. Lichtwer 200; Der aufs
Empfangen iſt g. Rückert Mak. 2, 160; Ihr eigen freche,
g–e, ungeſtüme Bewegnis des Gemüths als ſeind: Trunken-
heit, Zorn, unordentliche Liebe. Schaidenreißer IIla; Wenn er
dem g–en Kitzel eines Augenblicks zehn Jahre eures Lebens
aufopfert. Sch. 105a; Die g–e [gierige] Zeit, | immer Kin-
der gebärend, immer Kinder verſchlingend. Schubart 2, 65 ꝛc.
c) (ſ. b) im engern, heute gewöhnlichſten Sinn in
Bezug auf den Kitzel der Wolluſt: von übermäßigem
Geſchlechtstrieb erfüllt, oder davon zeugend, ihn
erregend: Ein g–er Bock (ſ. d. auch von Menſchen);
Überraſcht bei g–en Küſſen. Alxinger D. 136; So ein g–er
Vogel, daß er wohl in einem Ritte 20—30mal auf die
Sieke ſpringt und ſie betritt. Döbel 1, 67; Die g–e Wolluſt
kürzt die kaum gefühlten Tage. Haller 50; Wenn dich beim
Leſen freier Lieder | zu leicht ein g–er Kitzel ſticht. Nicolai 1,
257; 192; Der g–en Feie Gunſt genoſſen. 2, 94; So g.
wie ein Affe. Schlegel Sh. 6, 296 u. .
Anm. Ahd., mhd. geil, veralt., in der Bed. mu-
thig, kühn. Theuerdank 5; lebhaft, froh, munter (von Perſo-
nen, z. B.: Die ſittſamen Gebärden, | die g–e Höflichkeit.
Opitz (1690) 2, 178, von ſeiner Sylvia; ſtolz (Opitz 1, 15
v. 193). Vgl. Gala, Galan ꝛc. Zunächſt liegt wohl
das goth. gáiljan, froh machen, aber man darf vielleicht auch
lat. valere (kräftig ſein) herbeiziehn, vgl. das ſvw. wählig;
frz. vaillant, galan ꝛc., ſo daß es denn mit „wohl“ (ſ. d. u.
vgl. nam.: Wolluſt), „wollen“ ꝛc. ſtammvwdt. ſein würde,
wenn man nicht lieber, wie bei Galle (ſ. d.), den Begriff
des Überfließens als Grundbed. annehmen will. Vgl. auch das
mundartl. ſinnvwdte. „gelbſch“. Frommann 3, 273.