ganz
† Gánz, a.: ſo beſchaffen, daß alle zugehörigen
Theile vorhanden und zur Einheit verbunden — ſind
oder doch ſo vorgeſtellt werden, vgl. All und gänzlich.
Zunächſt als Ew.: 1) heil (ſ. d.), Ggſtz.: entzwei ꝛc.:
Das Glas ſiel, doch blieb es g.; Keinen g–en Rock anhaben;
Zerbrochnes g. machen; G–es [unzerſtoßnes] Gewürz; [Der
Gaul] iſt noch gut, er iſt noch g., | es fehlt ihm Nichts als
nur der Schwanz. Chamiſſo 3, 209 ꝛc. — 2) im Ggſtz.
eines Theils, Bruchs: die zu Grunde gelegte Einheit
— welche freilich ſelbſt ein Theil, ein Bruch ſein,
andrerſeits aber auch mehreres Einzelne zur Geſammt-
heit zuſammenfaſſen kann — ſo erfüllend, daß Nichts
daran fehlt, vgl. nam. den Ggſtz.: halb (eig. und
uneig.), ſ. 4c: Zwei halbe Flaſchen ſind ſoviel wie eine
g–e; Er hat zwei g–e und drei halbe Flaſchen getrunken,
verſch.: Er hat g–e zwei Flaſchen getrunken, zur Hervor-
hebung des geſammten Quantums als einer Einheit;
Ein g–er Heerestheil vergebens aufgeopfert. G. 4, 175;
Eine g–e halbe Stunde. Stein 1, 220; Den g–en halben
Tag. Gotthelf Sch. 310; Daß der Adler g–e 30 Tage [einen
g–n Monat] brüte. L. 1, 156 ꝛc., auch (ſ. Ein IIAnm.e):
G–er 9 bis 10 Tage. 12, 498; 23; 332; Lichtenberg 4,
450; G–er 33 Jahre. Möſer Osn. 1, 196; Tieck N. 5,
29; W. 22, 272; G–er 50 Reichsthaler. Engel 1, 97 ꝛc.,
und in umgekehrter Stellung mit leichter Nüance (ſ.
o.): Fünf g–er Jahre. G. 26, 200; Lichtenberg 4, 386;
Neun g–er Stunden. Stilling 2, 45 ꝛc. — Die g–e Bibel
[in ihrer vollſtändigen Ausdehnung von Anfang bis zu
Ende] auswendig wiſſen; Die g–e Nacht kein Auge zuthun;
Das g–e Haus [in allen ſeinen Räumlichkeiten] durch-
ſtöbern; Das g–e Dorf [alle Einwohner] verſammelt ſich;
G. Rom ſpricht davon; Seine g–e Kraft aufbieten; In die-
ſem einen Zug erkenne ich den g–en Menſchen; Gott lieb
haben von g–em Herzen, von g–er Seele. 5. Moſ. 6, 5;
In dieſer g–en Schilderung. Fichte N. 7; So Vieles iſt an-
jetzo halb, | ich bin aus g–em Stücke. Freiligrath 2, 248;
Daran ſage ich keine g–e Unwahrheit [Es iſt etwas Wah-
res daran]. G. 10, 24; Verſicherten, es ſei der g–e leib-
hafte Vater. 15, 225 [vollkommen ſo wie Dieſer, ſo
daß Nichts dran fehlt, — ſo auch: Du biſt der g–e
Karl. Sch. 112a u. v., vgl. 4c]; Er iſt ein g–er Jäger.
G. 8, 298 [hat alle die Eigenſchaften, die zu einem
Jäger gehören]; Einer der wenigen g–en Menſchen. 14,
189; 163; Sei ein g–er Kerl und mache deinen Weg
ſtracks! 9, 289; In zerfahrener Zeit ein g–er Poet. Prutz
Woch. 57; Wo man den Falſchen von dem Treuen | gehörig
unterſcheiden kann, | den Unerſchrocknen von dem Scheuen,|
den halben von dem g–en Mann. Uhland 128 ꝛc.; Jeder
Umſtand kommt dem andern da zu Statten | und trägt das
Seine bei, die Sache rund und g. zu machen. W. 20, 244.
— Ferner z. B.: G–e und halbe Geſchwiſter. Möſer
Ph. 4, 339, jene von väterlicher und mütterlicher, dieſe
nur von einer Seite. — Mundartl. auch ſt. all, indem
das Einzelne zur Geſammtheit und Einheit verbunden
gedacht wird: Die g–en Soldaten, vgl.: das g–e Heer;
Die g–en Grenzen (Matth. 2, 16), Armeen (Bettina 1, XI),
Thäler und Berge (Kohl A. 2, 110), Abenteuer (Michaelis
200) ꝛc. — 3) an 2 ſchließt ſich das ſächl. Hw.: Das
G–e, mit unbeſt. Artikel aber (ſ. II. Ein Anm. a):
Ein G–es; Ein großes G–e, ſeltner: G–es, vgl. V. Jen.
Lit. (1804) 1, 190, z. B. Rechenk.: Zwei Halbe ſind ein
G–es; Vier Halbe ſind zwei G–e, ſind zwei Ganzen gleich ꝛc.;
Zwanzig G–e [Seidel Bier]. Zachariä 1, 61 ꝛc.; oft in
Charaden: Das G–e; Mein G–es = das ganze Wort
des Räthſels, im Ggſtz. der einzelnen Silben ꝛc. —
Das Werk wird nur im G–en verkauft [keine einzelnen Theile
davon]; Im G–en genommen [wenn man nur das Ge-
ſammte veranſchlagt, nicht auf das Einzelne eingeht,
vgl.: in Bauſch und Bogen, im Großen] ꝛc.; Erſt
durch die Ferne erſcheint das Vereinzelte als großes G–es
und Einheitliches. Auerbach SchV. 22; Ein umfaſſendes
G–e. Danzel 429; Hier iſt aller Theil und getrennte Schön-
heit verſchmäht und das G–e erklärt aus dem G–en. Ger—
vinus Sh. 1, 22; „Du nennſt dich einen Theil und ſtehſt
doch g. [2] vor mir.“ Beſcheidne Wahrheit ſprech’ ich dir. |
Wenn ſich der Menſch, die kleine Narrenwelt, | gewöhnlich
für ein G–es hält, | ich bin ein Theil ꝛc. G. 11, 56; Das
Wohl des Einzelnen bedenken, | im G–en auch das Wohl zu
lenken. 6, 40; Wie ſich Haß und Lieb’ gebar | und das All
nun ein G–es war | und das G–e klang. 7, 193; Ich über-
nahm das Innere, du das Äußere und was ins G–e geht.
15, 9; Aus dieſen .. Blättern ein für uns und Andere er-
freuliches G–e zuſammenſtellen. ebd.; Ein hübſches G–e. 10;
22; Daß aus den fremdeſten Elementen ein täuſchendes G–e
entgegentritt. 18, 193; Erſchien mir entweder ein wunder-
liches neues G–e oder der Theil elnes ſchon Vorhandenen.
22, 235, Aus deſſen Seele die Theile in ein ewiges G–es
zuſammengewachſen hervortreten. 31, 5; Sie hatte ange-
nehme Einzelheiten, welche aber ein unangenehmes G–e bil-
deten. Heine Verm. 1, 22; Ein freies G–e. H. R. 7, 169;
Ein harmoniſch geordnetes G–e. Humboldt K. 1, 4; 6; Es
giebt nichts Einzelnes in der Sprache, jedes ihrer Elemente
kündigt ſich nur als Theil eines G–en an. WHumboldt 3,
252; So zertrennte Stücke in ein raumerfüllendes G–e zu-
ſammenfaſſen. L. 11, 143; Ein verbundeneres G–e. Sch.
119a ꝛc. — So auch Zſſtzg., z. B.: Lagerungs-
G–es. Burmeiſter Gſch. 175; In einem Natur- G–en. Hum-
boldt K. 1, XIII; Von dem Urſprunge des Welt-G–en.
Kant PhRel. 165 ꝛc. — 4) G. als adv.. nam der Bed.
von 2 entſprechend = durchaus, vollſtändig, in allen
Stücken ꝛc. (vgl. gänzlich): Er hat nicht g. [ſ. b] Recht,
aber du haſt g. Unrecht; Er iſt g. außer ſich, g. entzückt;
Etwas g., mit Haut und Haar auffreſſen; G., mit Leib und
Leben, | hat er dem Teufel ſich ergeben; Das iſt die g. natür-
liche Folge; Etwas g. Neues; Ich komme g. gewiß; „Ihr
denkt, ich ſei der Abt von Sankt Gallen.“ | G. recht. B.
67b; G. wahr, aber nicht die g–e Wahrheit. Börne 3, 68;
Theilweis iſt der Menſch allem Theil gleich, g. nur ſich, der
Natur und Gott. Burmeiſter gB. 2, 99; Zum erſten Mal ..
umfaß ich meines Glückes Fülle g. .. Vergeſſen g. muſſt’ ich
den einen Sohn, | wenn ich der Nähe mich des andern freute.
Sch. 492a; Hatten für die Sach’ nur ein halbes Herz, |
wollen’s mit Niemand g. [ſ. b] verderben. 322b, und oft
im Ggſtz. zu halb: Dem Publikum, welches die Beſchul-
digungen g. oder halb glauben dürfte. Fichte N. 2; Daß du
ſie ſo weder halb noch g. [durchaus nicht gehörig, nicht
halb, nicht heil] erfahren, Das hat wohl nicht anders ſein
können. L. 12, 466; Daß mein voriger Brief weder halb
noch g. war. 547; 3, 167; Sprichſt nicht halb, nicht g.
Tieck N. 5, 287. — a) verſtärktes g.: Iſt das Elend
voll g. über uns gekommen. Hausblätter (56) 1, 360; G.
und voll durchdrang ihn eine unausſprechliche Empfindung.
Immermann M. 4, 85 ꝛc.; Dieſer Plan gefiel Stillingen g.
und zumalen nicht. Stilling 3, 111 ꝛc. — b) nam. aber
oft: G. und gar, z. B.: Eine Rolle, die ich durchzufüh-
ren | ſo g. und gar verdorben bin. Sch. 261a; G. und gar
verwandelt. W. 11, 224 ꝛc.; Was wahr und ſchön, beſchäf-
tigt | mich g. und gar. HB. 1, 22 ꝛc. Selten in umge-
kehrter Stellung: Glaube mir gar und g. G. 3, 29. —
Verneinungen werden nach allgm. hochd. Gebrauch
durch gar verſtärkt, während ſie bei g. die dadurch be-
zeichnete Ausdehnung und den Umfang beſchränken,
vgl.: Er hat Das gar nicht ſo geſagt, — Er hat Das nicht
g. ſo geſagt; Das iſt gar nicht wahr, — nicht g. wahr; Er
vertraut gar Keinem, — Keinem g.; Zieh dich zurück, aber
g. brich den Verkehr nicht ab, und nimm dir nicht vor, gar
nicht mit ihm umzugehen; So g. war er mir doch nicht recht.
Engel 1, 97 ꝛc. — Doch findet ſich g. ſtatt gar, z. B.:
G. kein Leid. Opitz 1, 133; Wurde g. nicht zornig. Zinkgräf
2, 48; 1, 19 ꝛc., und ſo ſelbſt noch: Wäre ſo ein Ge-
danke g. nicht unvernünftig geweſen. Engel 12, 136; Es iſt
uns g. nicht möglich. G. 8, 43; So war doch eigentliche
Kindereinfalt g. nicht unter ihnen. Hölderlin H. 1, 139;
Reiske (L. 13, 173) ꝛc., doch gilt im Allgm. hier nur:
Gar oder: G. und gar, z. B.: Das taugt nun g. und gar
Nichts. G. 10, 209 u. v., vgl.: Das iſt nicht g. und gar
[nicht g.], aber doch größtentheils erlogen ꝛc. — c) das
Adv. ſteht oft neben Hw., zur nachdrücklichen Hervor-
hebung: G. Heiterkeit ſein ꝛc., keine andre Empfindung,
keinen andern Sinn haben, darin ganz aufgehn ꝛc.:
So ward das Mädchen von Kopf bis zu den Sohlen g. Herz,
g. Gefühl. G. 9, 326; Ich ſtehe | g. Ohr, g. Auge, g.
Entzücken, g. | Bewunderung. Sch. 262b; Er iſt g. Gluth,
g. liebenswerthe Flamme, g. Leben. IESchlegel U. v. —
Ferner mit nachfolgendem Artikel: Es iſt g. [vollkom-
men] ein Ort, um Jtalien .. kennen zu lernen. Platen 7,
50 ꝛc., häufiger mit dem beſtimmten: Das iſt g. der Ort
dazu; Er iſt g. der Mann dazu [g. dazu angethan]; Er
iſt g. der Vater [vgl. 2: der g–e Vater]; Er iſt g. das
Gegentheil; Er hat g. dieſelben Anſichten; Das iſt g. der
verkehrte Weg [ſ. d]. Novalis 1, 108; Schien ſo g. der
Mann, | der helfen kann. W. 11, 76; Es hat g. das An-
ſehn, als würd’ es ſo kommen; Er hat g. die Wahrheit, aber
nicht die g–e Wahrheit geſagt ꝛc. — Zuw. nur durch
leichte Nüance von dem dann gewöhnlichern attribut.
Ew. (ſ. 2) verſchieden: Viele Maler brachten g. ihr [ihr
g–es] Leben bloß mit Kopieren zu. G. 31, 68; Da lagt ihr
g. den Tag. Opitz 1, 145; Die Äugelein .., die g. mir die
Seele bezaubern. V. 1, 113 [die Bezaubrung iſt eine
vollſtändige; die g–e Seele = der Zauber füllt ſie voll-
ſtändig]; G. den Tag ward ihnen das Joch um die Nacken
erſchüttert. Od. 3, 486; G. durchtrieb ich die Nacht. 12,
429; Unter dem Fußtritt | ſchütterte g. die Inſel. Myth. 1,
159, und dann ſelbſt abhängig von Präp.: Jſt mir aus
g. meinem Herzen leid. Luther 1, 421a ꝛc., welcher Ge-
brauch jedoch als ungw. und Gallicismus zu bezeichnen
iſt, ſ. Halb, Anm. 3. — Umgekehrt zuw. die Form
des Ew. ſtatt des Adverbs (vgl. recht): „Eine g. [ſ. 5]
gute Art von Fürſten.“ .. Was man gewöhnlich eine g–e
gute Art von Fürſten zu nennen pflegt. W. 7, 35, vgl.:
In gleicher bänglichen [ſtatt: in gleich bänglicher] Lage.
Thümmel 6, 48. — d) man achte auf den Unterſchied,
der entſteht, wenn g. zu dem attrib. Ew. oder zum
Zeitw. gezogen wird: Er hat g. [beſitzt in vollem Maß]
die verdrehten Anſichten ſeiner Mutter; Er hat die g. ver-
drehten Anſichten ꝛc. — Zuw. nur mit geringer Nüance:
Das iſt g. der — oder der g. — verkehrte Weg; nam.
neben „ander“: G. eine andre [Eine g. andre] Frage
aber iſt es, ob ꝛc. Fichte 7, 5; Man wird ein g. andrer
Menſch. G. 10, 112; Die Stimme ſchweigt, es läſſt ſich g.
eine andere hören. H. R. 7, 7; Hat g. ein ander Geſicht.
W. 15, 26 ꝛc., ſ. Gar 2b. — 5) das Adv. verliert —
nam. als Beſtimmung von Ew. und Adv. — in der
Sprache des Umgangs ſeinen Ton und damit ſeine
eigentliche intenſive Kraft und bez. nur einen mittel-
mäßigen Grad: Ein g. nettes Mädchen; Laß nur, es iſt ſo
g. gut; Ein g. hübſch geſchriebner Brief (vgl. Schm. 2, 58).
Anm. Im eig. Sinn ohne Steigrung, doch um einen
der Ganzheit ſich mehr nähernden Grad zu bez.: Der Herzog
und ich kriegen uns täglich lieber, werden täglich g–er zuſam-
men. G. (Merck’s Br.); Man lieſt muntrer fort als im Grie-
chiſchen, ſieht Kompoſition, Rede und Handlung g–er. Merck’s
Br. 1, 43 (H.), vgl.: Wir waren Beide zu g. [meiſt: zu ſehr]
Das, was wir waren. W. 16, 32. — Ahd. ganz, kanz,
Abſtammung unſicher.
Zſſtzg.: Ecker- (Riemer Stockf. 85), Eīchel-
(Friſch; Müllner 3, 81; Karſchin 380): durchaus ganz, ſo
daß Nichts daran fehlt, vollkommen unverletzt. —
Un-: von Stahl und Eiſen = riſſig. Karmarſch 3, 345;
434 ꝛc.; Ugw.: Als das Reich unganz wurde. Jahn M. 52.
Work in progress
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