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Gefühl
Ge~fühl; m., –(e)s; –e: das Fühlen (ſ. d.), der
Sinn des Fühlens und das Gefühlte: 1) körperlich:
a) das über den thieriſchen Körper verbreitete Empfin-
dungsvermögen, deſſen Organ das Nervenſyſtem iſt.
b) inſonderheit der Taſtſinn: Die Nervenwärzchen der
Fingerſpitzen ſind der Hauptſitz des G–s. 2) geiſtig: das
innre Empfindungsvermögen, wodurch man ſich derauf
die Nerven geſchehnen Eindrücke und der. dadurch her-
vorgebrachten Verändrungen bewuſſt wird; Bewuſſtſein
des Zuſtands, in den man durch eine Empfindung ver-
ſetzt worden; das Erregtſein der Seele durch Eindrücke
und die dieſer Erregung entſprechende Stimmung; oft
als dunkles, aber ſichres inſtinktartiges Bewuſſt-
ſein der klaren Einſicht, dem Denken (ſ. d. 1a und Ge-
danke 1) entgegengeſetzt: Das G. der Luſt, Unluſt, des
Schmerzes, der Angſt, der Furcht, der Scham haben; Ein Ge-
fühl der Ehrfurcht, der Dankbarkeit gegen Jemand haben;
Gefühl für Anſtand, für Sitte, für Recht und Unrecht haben;
Ohne G. [hart, unempfindlich gegen menſchliche Regun-
gen] ſein; Kein G. haben; Etwas mit G. vortragen [mit
Ausdruck, der zeigt, daß man das Vorgetragne empfin-
det]; Etwas widerſtreitet meinem G., meinem ſittlichen, äſthe-
tiſchen, ſprachlichen G.; Mein G. iſt dagegen, obgleich ich
keine Gründe anzugeben weiß; Verſchiedne G. durchwogen
meine Bruſt; Seinen G–en keine Worte geben können; Alſo
rangen in ihm .. mit Empfindung G. und Liebe mit Liebe.
Baggeſen 1, 94; Bei gewöhnlichen Menſchen wird durch ein
dunkles G. erſetzt, was ihnen an klarem Urtheil abgeht. Fichte
N. 33; Ich ſoll .. Sachen ſchreiben, die den Kopf bereichern
können und immer wird, wenn ich Sie vor mir denke, meine
Sprache Ausdruck des G–s und richtet ſich an Ihr Herz. Forſter
Br. 1, 389; 2, 107; A. 2, 315; Wenn das G. ſich herz-
lich oft in Dämmrung freut, | ſo genüget heitre Sonnenklar-
heit nur dem Geiſt. G. 6, 343; Ich habe keinen Namen | da-
für! G. iſt Alles. 11, 151; Ich habe kein G. an der Natur
[keinen Sinn dafür, mich mit ihr zu beſchäftigen ꝛc.].
14, 63; Ein wahres G. ſeiner ſelbſt. 73; 18, 267; 39,
128; 40, 91; Z. 1, 107; Den Verſtand des Herzens haben
Wenige, Wenige das ſichere G., was Andern wohlthun, was
ſie verletzen könnte. Gutzkow R. 8, 441; Keine kalten Ver-
ſtandesſpitzbuben, ſondern Schufte von G. Heine Verm. 1, 5;
Die rohen Seelen zerfließen | in der Menſchlichkeit erſtem G.
Sch. 56a; 76b; In ſeines Nichts durchbohrendem G–e.
254b; Folge deinem erſten G. 386a; Das Herz gefällt mir
nicht, das ſtreng und kalt | ſich zuſchließt in den Jahren des
G–s [der Jugend, wo das G. zu herrſchen pflegt]. 449a;
Dumpf brüllten ſie [die Ochſen], als hätten ſie G. der Un-
gebühr. 522a; Alſo kein G. für mich, die ich in ihm nur denke!
Tieck N. 2, 120; Wofern ihr .. Gefühl noch habet von Un-
recht. V. Od. 2, 139; Das leiſeſte G. W. 11, 156; Aus
einem wenig zarten G. 207 ꝛc. 3) perſonifiziert: Noch
ſeh ich .. ihr zu, ganz Auge [ſ. d.], ganz [ſ. d.] G. w. 12,
240; So ward das Mädchen .. ganz Herz, ganz G. G. 9, 326.
Anm. Mundartl. auch ohne die Vorſ. Ge: Die Na-
tur .. | donnert jugendliche kräft’ge Fühle | dir ins Herz.
Koſegarten Rh. 1, 44 ꝛc., vgl.: fühl-, gefühl-, fühlungs-los.
Zſſtzg. unerſchöpflich nach den folgenden, vgl. füh-
len und Empfindung: Ādels-: das Gefühl, daß man
zum Adel gehört, vgl. Korporations-G. Gutzkow R. 9,
252 Angſt-: Dies A. .. wird ſich löſen. G. 13, 308.
Erd-: irdiſches. 1, 4. Fēīn-: feines G.: Dich-
teriſches F. Gervinus Sh. 1, 25; 2, 312; Freiligrath H. XI;
O über das F. der Damen! Heine Reiſ. 2, 18. Frōh-:
frohes G., Freude. G. 21, 278. Gêgen-: das
einem andern Gefühl entgegengeſtellt wird. B. 357a,
ein Gefühl als Erwidrung eines uns bewieſenen. Merck’s
Br. 2, 267. Gemēīn- [1a]. Gílde-: vgl.
Adels-G. G. 19, 21. Glǘ́cks-: In der Wonne des
ſüßeſten G–s. Stahr R. 1, 205. Hōch-: hohes, er-
habnes Gefühl, Enthuſiasmus ꝛc.: Mit der Schwärmerei
der H–e hauszuhalten. W. 12, 35; G. 6, 103; Sch. 474a.
Klēīn-: kleinliches Gefühl, ſ. Hoch. G. Heine Lut.
1, 24; Börn. 248. Korporatiōns-: Gilde-G.
Kürnberger Am. 265. Kráft-: Gefühl der Kraft.
Börne 1, 287. Lándſchafts-: für Landſchaftszeich-
nung ꝛc. Immermann M. 1, 297. Līēbes-: 4, 82.
Ménſchen-: G. 2, 69 ꝛc. Míß-: ein falſches
Gefühl; noch öfter, im Ggſtz. von Wohl-G.: ein
unangenehmes, Mißbehagen. Dronſen Y. 3, 6; G. 18,
223; 27, 52. Mít-: ein Gefühl, inſofern ſich darin
Übereinſtimmung mit dem eines Andern, Theilnahme
mit ſeinem Geſchick zeigt, Sympathie: Du haſt .. | dem
letzten Seufzer M. erwidert. G. 13, 291; Der Ahnung heil’-
ges, fernes M. | iſt nur ein Märchen. 292; Wie ruft nicht
erſt bedrängter Jugend Kummer | die M–e hilfsbedürftig an.
308; Weinte mit, | bewegt von M–en. 10, 302; 15, 282;
Wir erfreuten uns an dem M. dieſer Ehre. 20, 229; Sch.
54b; Sie läſſt nun an den Freuden | des zartſten M–s ihr
Herz vollauf ſich weiden. W. 20, 238; 223; 11, 193 u. o.
Mūth-: vgl. Kraft-G. G. 13, 278. Nāch-:
das von etwas Vergangnem nachbleibende Gefühl, der
Nachhall eines Gefühls. G. 1, 47; Doch wir finden keine
Zeit, ſolchen Erinnerungen und N–en unwillig uns hinzuge-
ben. 18, 314; Verſchmilz auch Gram und Leiden | in ſüßes
N. [o Wehmuth]. Salis 18. Natūr-: ein natür-
liches. G. 27, 368. Pflícht-: Gefühl Deſſen, was
Pflicht iſt. Heine Verm. 1, 64. Schām-: Kein Sch.
haben; Das Sch. verleugnen. Schmérz-: Ggſtz.
Wonne-G. ꝛc: G. 13, 311. Schȫnheits-: für
Schönheit. Sēīn-: Gefühl des Daſeins, der Exi-
ſtenz. Schubart 2, 330. Sélbſt-: das Gefühl des
Zuſtands, worin man ſich ſelbſt befindet, namentl. des
eignen Werths, ſ. fühlen 2c: Was nach ihrem S. [eig-
nen Gefühl] einzig wahr iſt. Engel 8, 222; Mit anmuthi-
ger Trauer und innerlichem ſchmerzlichem S. G. 18, 23; In
Götter-S. | jedes Tags genießen. 2, 170; Inſofern wir
Handlungen moraliſch beurtheilen .., werden wir wenig Ur-
ſache haben, auf unſere Sittlichkeit ſtolz zu ſein ..; inſofern
wir ſie äſthetiſch beurtheilen, iſt uns ein gewiſſes S. erlaubt.
Sch. 1132a; Mit großem S. W. 15, 121. Sprāch-:
das inſtinktmäßige Bewuſſtſein Deſſen, was dem Geiſt
einer Sprache gemäß iſt. Tákt-: Gefühl für Takt.
Táſt- [1b]. Trótz-: KriegeriſchesT. G. 22, 107.
Trūg-: trügendes. W. 11, 248. Un-: Fehlen
des Gefühls: So zeigt ſich auch bei Manchen eine Vorliebe
für gewiſſe Farben, bei Andern ein U. für Harmonie. G. 37,
54; Einſt fliegt von Herz und Ohr | des U–es Nebel. V. 4,
41. Vāterlands-: Gefühl fürs Vaterland, Pa-
triotismus. G. 22, 107. Vóll-: ein volles, Einen
ganz erfüllendes Gefühl, vgl. Vollgenuß ꝛc. Gutzkow
R. 8, 283. Vōr-: das auf etwas Künftiges ſich
beziehnde und ihm vorausgehnde Gefühl, Ahnung:
Im V. von ſolchem hohen Glück, | genieß ich jetzt den höch-
ſten Augenblick. G. 12, 290; Laß mir dieſer Wonne V. 13,
276; 39, 47; Alle die V–e [Ahnungen], die ich jemalg
über Menſchheit .. gehabt . ., finde ich in Shakeſpeare’s
Stücken erfüllt. 16, 228; Schützt meine V–e! Gotter 2,51;
Meine dunkle Ahnung .. Das V. eines Unglücks. Heine Lut.
2, 26; Sch. Muſ. 52; V. 3, 136 ꝛc. Ungew.: Bei
einem großen V. ſeiner ſelbſt. G. 39, 96 = vorwiegendes
Selbſtgefühl. Vorāūs-: Vor-G.: Mit richtigem
V. Gutzkow Unt. 2, 4, 666a. Wāhrheits-: Gefühl
für W. Heinſe A. 2, 70. Wáld-: wie man es im
Waldzuhabenpflegt. Immermann M. 1,440. Wīēder-:
Gefühl des erneuten Lebens, der Wiedergeburt ꝛc. (un-
gewöhnl.). H. 9, 366. Wōhl-: Gefühl des Wohl-
ſeins, des Wohlbehagens, vgl. Miß-G.: überkam mich
ein freudiges W. Auerbach Tag. 51; 213; W–e, ein Wort
von neuer Zuſammenſetzung, von lieblichem Klange und reich-
haltiger Bedeutung. B. 364a; Hölderlin H. 1, 21; Zu dem
körperlichen W. Sch. 694a; Tſchudi Th. 567. Wónne-:
wonniges. WHumboldt 3, 83; W. 23, 55. Zārt-:
zartes Gefühl, nam. für das Schickliche, Delikateſſe:
Das Z. beleidigen; Ein innres Z. G. 22, 197; Der reinen
Seele Z. Sch. 476a; Wo nimmt es wohl Pervonte her, |
daß unſer Eine ſich von Z–en nähre? [nur zarte Gefühle
in der Liebe, nicht greiflichere Beweiſe verlange.] W.
12, 36 u. v. ä.