Faksimile 0517 | Seite 509
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Gefühl
Ge~fühl; m., –(e)s; –e:
das Fühlen (s. d.), der Sinn des Fühlens und das Gefühlte:
1) körperlich:
a) das über den thierischen Körper verbreitete Empfindungsvermögen, dessen Organ das Nervensystem ist.
b) insonderheit der Tastsinn: Die Nervenwärzchen der Fingerspitzen sind der Hauptsitz des G–s. 2) geistig: das innre Empfindungsvermögen, wodurch man sich derauf die Nerven geschehnen Eindrücke und der. dadurch hervorgebrachten Verändrungen bewusst wird; Bewusstsein des Zustands, in den man durch eine Empfindung versetzt worden; das Erregtsein der Seele durch Eindrücke und die dieser Erregung entsprechende Stimmung; oft als dunkles, aber sichres instinktartiges Bewusstsein der klaren Einsicht, dem Denken (s. d. 1a und Gedanke
1) entgegengesetzt: Das G. der Lust, Unlust, des Schmerzes, der Angst, der Furcht, der Scham haben; Ein Gefühl der Ehrfurcht, der Dankbarkeit gegen Jemand haben; Gefühl für Anstand, für Sitte, für Recht und Unrecht haben; Ohne G. [hart, unempfindlich gegen menschliche Regungen] sein; Kein G. haben; Etwas mit G. vortragen [mit Ausdruck, der zeigt, daß man das Vorgetragne empfindet]; Etwas widerstreitet meinem G., meinem sittlichen, ästhetischen, sprachlichen G.; Mein G. ist dagegen, obgleich ich keine Gründe anzugeben weiß; Verschiedne G. durchwogen meine Brust; Seinen G–en keine Worte geben können; Also rangen in ihm .. mit Empfindung G. und Liebe mit Liebe. Baggesen 1, 94; Bei gewöhnlichen Menschen wird durch ein dunkles G. ersetzt, was ihnen an klarem Urtheil abgeht. Fichte N. 33; Ich soll .. Sachen schreiben, die den Kopf bereichern können und immer wird, wenn ich Sie vor mir denke, meine Sprache Ausdruck des G–s und richtet sich an Ihr Herz. Forster Br. 1, 389; 2, 107; A. 2, 315; Wenn das G. sich herzlich oft in Dämmrung freut, | so genüget heitre Sonnenklarheit nur dem Geist. G. 6, 343; Ich habe keinen Namen | dafür! G. ist Alles. 11, 151; Ich habe kein G. an der Natur [keinen Sinn dafür, mich mit ihr zu beschäftigen etc.]. 14, 63; Ein wahres G. seiner selbst. 73; 18, 267; 39, 128; 40, 91; Z. 1, 107; Den Verstand des Herzens haben Wenige, Wenige das sichere G., was Andern wohlthun, was sie verletzen könnte. Gutzkow R. 8, 441; Keine kalten Verstandesspitzbuben, sondern Schufte von G. Heine Verm. 1, 5; Die rohen Seelen zerfließen | in der Menschlichkeit erstem G. Sch. 56a; 76b; In seines Nichts durchbohrendem G–e. 254b; Folge deinem ersten G. 386a; Das Herz gefällt mir nicht, das streng und kalt | sich zuschließt in den Jahren des G–s [der Jugend, wo das G. zu herrschen pflegt]. 449a; Dumpf brüllten sie [die Ochsen], als hätten sie G. der Ungebühr. 522a; Also kein G. für mich, die ich in ihm nur denke! Tieck N. 2, 120; Wofern ihr .. Gefühl noch habet von Unrecht. V. Od. 2, 139; Das leiseste G. W. 11, 156; Aus einem wenig zarten G. 207 etc. 3) personifiziert: Noch seh ich .. ihr zu, ganz Auge [s. d.], ganz [s. d.] G. w. 12, 240; So ward das Mädchen .. ganz Herz, ganz G. G. 9, 326.
Anm. Mundartl. auch ohne die Vors. Ge: Die Natur .. | donnert jugendliche kräft’ge Fühle | dir ins Herz. Kosegarten Rh. 1, 44 etc., vgl.: fühl-, gefühl-, fühlungs-los.
Zsstzg. unerschöpflich nach den folgenden, vgl. fühlen und Empfindung: Ādels-: das Gefühl, daß man zum Adel gehört, vgl. Korporations-G. Gutzkow R. 9, 252
Angst-: Dies A. .. wird sich lösen. G. 13, 308.
Erd-: irdisches. 1, 4. Fēīn-: feines G.: Dichterisches F. Gervinus Sh. 1, 25; 2, 312; Freiligrath H. XI; O über das F. der Damen! Heine Reis. 2, 18.
Frōh-: frohes G., Freude. G. 21, 278.
Gêgen-: das einem andern Gefühl entgegengestellt wird. B. 357a, ein Gefühl als Erwidrung eines uns bewiesenen. Merck’s Br. 2, 267. Gemēīn- [1a].
Gílde-: vgl. Adels-G. G. 19, 21.
Glǘ́cks-: In der Wonne des süßesten G–s. Stahr R. 1, 205.
Hōch-: hohes, erhabnes Gefühl, Enthusiasmus etc.: Mit der Schwärmerei der H–e hauszuhalten. W. 12, 35; G. 6, 103; Sch. 474a.
Klēīn-: kleinliches Gefühl, s. Hoch. G. Heine Lut. 1, 24; Börn. 248.
Korporatiōns-: Gilde-G. Kürnberger Am. 265.
Kráft-: Gefühl der Kraft. Börne 1, 287.
Lándschafts-: für Landschaftszeichnung etc. Immermann M. 1, 297.
Līēbes-: 4, 82.
Ménschen-: G. 2, 69 etc.
Míß-: ein falsches Gefühl; noch öfter, im Ggstz. von Wohl-G.: ein unangenehmes, Mißbehagen. Dronsen Y. 3, 6; G. 18, 223; 27, 52.
Mít-: ein Gefühl, insofern sich darin Übereinstimmung mit dem eines Andern, Theilnahme mit seinem Geschick zeigt, Sympathie: Du hast .. | dem letzten Seufzer M. erwidert. G. 13, 291; Der Ahnung heil’ges, fernes M. | ist nur ein Märchen. 292; Wie ruft nicht erst bedrängter Jugend Kummer | die M–e hilfsbedürftig an. 308; Weinte mit, | bewegt von M–en. 10, 302; 15, 282; Wir erfreuten uns an dem M. dieser Ehre. 20, 229; Sch. 54b; Sie lässt nun an den Freuden | des zartsten M–s ihr Herz vollauf sich weiden. W. 20, 238; 223; 11, 193 u. o.
Mūth-: vgl. Kraft-G. G. 13, 278.
Nāch-: das von etwas Vergangnem nachbleibende Gefühl, der Nachhall eines Gefühls. G. 1, 47; Doch wir finden keine Zeit, solchen Erinnerungen und N–en unwillig uns hinzugeben. 18, 314; Verschmilz auch Gram und Leiden | in süßes N. [o Wehmuth]. Salis 18.
Natūr-: ein natürliches. G. 27, 368.
Pflícht-: Gefühl Dessen, was Pflicht ist. Heine Verm. 1, 64.
Schām-: Kein Sch. haben; Das Sch. verleugnen.
Schmérz-: Ggstz. Wonne-G. ꝛc: G. 13, 311.
Schȫnheits-: für Schönheit.
Sēīn-: Gefühl des Daseins, der Existenz. Schubart 2, 330.
Sélbst-: das Gefühl des Zustands, worin man sich selbst befindet, namentl. des eignen Werths, s. fühlen 2c: Was nach ihrem S. [eignen Gefühl] einzig wahr ist. Engel 8, 222; Mit anmuthiger Trauer und innerlichem schmerzlichem S. G. 18, 23; In Götter-S. | jedes Tags genießen. 2, 170; Insofern wir Handlungen moralisch beurtheilen .., werden wir wenig Ursache haben, auf unsere Sittlichkeit stolz zu sein ..; insofern wir sie ästhetisch beurtheilen, ist uns ein gewisses S. erlaubt. Sch. 1132a; Mit großem S. W. 15, 121.
Sprāch-: das instinktmäßige Bewusstsein Dessen, was dem Geist einer Sprache gemäß ist.
Tákt-: Gefühl für Takt. Tást- [1b].
Trótz-: KriegerischesT. G. 22, 107.
Trūg-: trügendes. W. 11, 248.
Un-: Fehlen des Gefühls: So zeigt sich auch bei Manchen eine Vorliebe für gewisse Farben, bei Andern ein U. für Harmonie. G. 37, 54; Einst fliegt von Herz und Ohr | des U–es Nebel. V. 4, 41.
Vāterlands-: Gefühl fürs Vaterland, Patriotismus. G. 22, 107.
Vóll-: ein volles, Einen ganz erfüllendes Gefühl, vgl. Vollgenuß etc. Gutzkow R. 8, 283.
Vōr-: das auf etwas Künftiges sich beziehnde und ihm vorausgehnde Gefühl, Ahnung: Im V. von solchem hohen Glück, | genieß ich jetzt den höchsten Augenblick. G. 12, 290; Laß mir dieser Wonne V. 13, 276; 39, 47; Alle die V–e [Ahnungen], die ich jemalg über Menschheit .. gehabt . ., finde ich in Shakespeare’s Stücken erfüllt. 16, 228; Schützt meine V–e! Gotter 2,51; Meine dunkle Ahnung .. Das V. eines Unglücks. Heine Lut. 2, 26; Sch. Mus. 52; V. 3, 136 etc. Ungew.: Bei einem großen V. seiner selbst. G. 39, 96 = vorwiegendes Selbstgefühl.
Vorāūs-: Vor-G.: Mit richtigem V. Gutzkow Unt. 2, 4, 666a.
Wāhrheits-: Gefühl für W. Heinse A. 2, 70.
Wáld-: wie man es im Waldzuhabenpflegt. Immermann M. 1,440.
Wīēder-: Gefühl des erneuten Lebens, der Wiedergeburt etc. (ungewöhnl.). H. 9, 366.
Wōhl-: Gefühl des Wohlseins, des Wohlbehagens, vgl. Miß-G.: überkam mich ein freudiges W. Auerbach Tag. 51; 213; W–e, ein Wort von neuer Zusammensetzung, von lieblichem Klange und reichhaltiger Bedeutung. B. 364a; Hölderlin H. 1, 21; Zu dem körperlichen W. Sch. 694a; Tschudi Th. 567.
Wónne-: wonniges. WHumboldt 3, 83; W. 23, 55.
Zārt-: zartes Gefühl, nam. für das Schickliche, Delikatesse: Das Z. beleidigen; Ein innres Z. G. 22, 197; Der reinen Seele Z. Sch. 476a; Wo nimmt es wohl Pervonte her, | daß unser Eine sich von Z–en nähre? [nur zarte Gefühle in der Liebe, nicht greiflichere Beweise verlange.] W. 12, 36 u. v. ä.