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frei
Frēī, a.; –est:
ledig von Dem, was als Einschränkung, Hindernis, Zwang, als Hemmendes und Drückendes, als eine auf Etwasruhende Last, Verpflichtung etc. gilt. 1) das Komplement zur Bezeichnung für Dasjenige, dessen Abwesenheit das Ledigsein bewirkt, steht mit von (seltner im Genit.) oder als Bstw. in Zsstzg., vgl. ohne und die Zsstzg. von los, die jedoch nur die Abwesenheit von Etwas bez., nicht Dies als etwas Hemmendes, Drückendes etc.: F. von Fehlern; F. war nimmer der Fehl’ ein Geborener. V. Hor. 2, 35; Kein Mensch ist fehler-f. F. von Fesseln; Unser Wesen | fremder Fessel f. gemacht. Rückert G. 6, 409; Den fessel-f–en Geist. Sch. Mus. 28 etc. Des Mißtrauens f. Droysen Y. 1, 170; Den deine Gunst .. | des Feindes f. und los und ledig hat gemacht. Gryphius 528; So sind wir alles Sinnens f. Tieck 2, 169; F. des Verderbens [unbeschädigt]. V. Od. 12, 98; Wo ich mich von der Jurisprudenz f. und dem Studium der Alten verbunden erklären wollte. G. 21, 36; F. der Steuer. Opitz 2, 265 v. 710; F. von Abgaben, Arbeiten, Beschwerden, Fieber, Geschäften, Heuchelei, Kummer, Lasten, Mängeln, Schmerzen, Schuld, Schulden, Strafe, Sünden, Tadel, Verdacht, Verpflichtungen, Wunden etc.; seltner: Von Eiden f. [sich nicht dadurch gebunden fühlend]. Platen 6, 30. So auch: Abgaben-, Arbeits-f. etc., z. B.: Ahnungs-f–e [-lose] Geister. Beer Arr. 171; Baum-f–es Thal. Platen 4, 319; Begierde(n)-f–es Herz. Voigts H. 51; W. 12, 106; Dienst-f–er Landmann. Hagedorn 1, 106; Dunst-f–er Himmel. Humboldt KlSch. 1, 104; Erdstaub-f–e Gewänder. Rückert N. 35; Seine muskelstarken, magern, fett-f–en .. Glieder. Liebig Th. 81; Jene Entgegnung gebühr-f. einzurücken. Heine Lut. 1, 69; Kerker-f–es [loses] Haar. Mühlpforth H. 4; Kosten-f–e Reise; Die Leidens-F–en. Hölderlin H. 1, 68; Liebe-f. Sch. G. 2, 91; Schaden-f. [unbeschädigt]. Gryphius 526; Einen Hof schatz-f. [frei vom Schatz, steuer-f.] machen. Möser Ph. 1, 238; Schnee-f–e Steinplatte. Humboldt KlSch. 1, 62; Schoß-f–e [steuerf–e, Ggstz. schoßbare] Einwohner; Schul-f–e Nachmittage. Pröhle J. 57; Sorgen-f–er Leiermann. Göckingk 1, 199; Steuer-f–e Güter. Sch. 797a; Schuß- und stich-f., f. von oder sicher vor Schüssen und Stichen; Schneid.: Ein Kleid ist stich-f., fertig genäht, so daß es nicht mehr den Stichen der Nadel ausgesetzt ist, also nur noch aufzubügeln; Die stickstoff-f–en Bestandtheile des Thierkörpers. Liebig Th. 41; Gedanken sind zoll-f. und straf-f. Luther 6, 384a; Vorurtheils-f–e Übersicht. G. 39, 381; Mit wechself–er Lust und schattenloser Wonne. Haller (11) 291; Wolken-f–es Angesicht. Platen 2, 35; Zins-f–e Wohnung; Zügel-f. Schottel 1003; Zweifels-f. [ohne Zweifel]. Nicolai 2, 90 etc. 2) ohne Komplement, überall mit der angegebnen Bedeutung, doch mit verschieden nüanciertem Sinn, je nachdem die mehr oder minder sich geltend machende Abwesenheit des Hemmenden etc. sich auf körperliche, räumliche, staatliche, geistige, sittliche Verhältnisse etc. bezieht, also z. B. = ungebunden, ungehindert, unbeschränkt, unabhängig; los und ledig von Fesseln, Bedrückendem, von Einengendem, von Schranken, z. B. auch von denen des Anstands, der Sitte, von Knechtschaft, von Dienstbarkeit, von Abhängigkeitsverhältnissen, von einer Anklage, von Strafen, von Gefahr, von Beschäftigung, von zu leistender Zahlung, überhaupt einer bestimmten Verpflichtung durch etwas davon Ausnehmendes enthoben; selbständig, sich nicht oder doch nicht streng an Etwas bindend, nicht durch fremde Bestimmung eingeengt, sondern sich so bewegen oder bewegen könnend, wie man es selbst will; so wirkend, wie ohne Einwirkung von außen und Hemmung es dem Wesen des Gegenstands gemäß ist; unbefangen, nicht blöde, ungezwungen, offen, ehrlich, rückhaltlos, ungekünstelt, natürlich etc.; auch: nicht beschränkend, ungehinderte Bewegung und Selbstbestimmung verstattend etc.; auch räumlich: nichteingeschlossen, nicht versperrt, verdeckt, nicht an Etwas anstoßend und anrührend, sondern für sich allein stehnd, isoliert; unbesetzt, ungehindert Allen offen stehnd, Jedem zugänglich, Keinem ausschließlich gehörend, unverwehrt, erlaubt etc. Bsp. zu dem Angegebnen findet man in den oft mehrdeutigen Verbindungen von f. mit Hw. und Zeitw., s. Antrieb, Arm, Aussicht, Blick, Brief, Busen, Eingang, Ellbogen, Fall, Faust, Feld, Fuß, Geist, Geleit, Gut, Hafen, Hand, Handel, Herz, Himmel, Jagd, Kunst, Lauf, Leben, Lied, Luft, Meer, Meißel, Messe, Miene, Pinsel, Platz, Presse, Raum, Rede, Reichsstadt, Rücken, Sonne, Sprache, Staat, Stadt, Stück (von f–en Stücken), Stuhl, Stunde, Tisch, Übersetzung, Überzeugung, Verfassung, Volk, Vortrag, Wahl, Wärme, Wille, Zeit, Zutritt etc. —; Ausgehn, sich bauen, bearbeiten, bewegen, geben, gestehen, haben, halten, heraussagen, lassen, liegen, loosen, machen, predigen, reden, setzen, spielen, sprechen, stehen, übersetzen, zeichnen etc. Hier also nur wenige Anführungen: F. wie ein Vogel in der Luft, wie ein Aar. Kohl A. 3, 219; wie die Luft, wie Wolken. G. 7, 191 etc. Das schlug ich ihnen nun f. [ohne Weitres, kurz] und gut rund ab. Berlichingen 205; Ebenso versteckt, heimlich, hinterlistig und boshaft gegen grausame Herren, wie offen, f., theilnehmend und dienstwillig gegen den leidenden Freund. Burmeister gB. 2, 157; F. will ich sein im Denken und im Dichten, | im Handeln schränkt die Welt genug uns ein. G. 13, 183; Laß uns .. den Freund auf die Höhe führen, damit er nicht glaube, dieses beschränkte Thal nur sei unser Erbgut, der Blick wird oben f–er und die Brust erweitert sich. 15, 24; Damals galt’s, ein eng veraltet Haus | mit einem neuen f–ern zu vertauschen. 6, 365; Dem Entschluß nach f., dem Gefühle nach befangen. 22, 132; Bist du nicht eben so f., so edel geboren als Einer in Deutschland, unabhängig, nur dem Kaiser unterthan und du schmiegst dich unter Vasallen? etc. 9, 26 (vgl.: reichs-f.; F–e Reichsstadt etc. und s. 3a); Verändre deinen Entschluß, aber aus dir selbst, aus f–em, wollendem Herzen. 15, 285; Wie beschämt gesteh ich, daß | ich dir mit stillem Widerwillen diene ... Mein Leben sollte | zu f–em Dienste dir gewidmet sein. 13, 4; „Und wird sie f. solch einen Bund erwählen?“ | Ein großes Übel dränget sie zur Wahl. 306; Die f–e Liebe nicht die Ehe; | die stete Wahl und keinen Zwang. Hagedorn 3, 26; Der Blöde wird f–er und f–er. Heine Lied. 110; In Sprichworten und nicht f. [offen] heraus antworten. Hippel Ehe 136; Nur zu! F. heraus mit der Sprache! Lichtenberg 5, 425; Auf f–er [offner] Straße. Lichtwer 249; Wenn dich beim Lesen f–er [sich nicht streng an die Schranken der Sitte bindender] Lieder | zu leicht ein geiler Kützel sticht. Nicolai 1, 257 [milder als: frech, die Schranke überschreitend]; Der Mann ist wacker, doch nicht f–en Standes, | kein eigner Mann kann Richter sein in Schwytz. Sch. 528b; Freiheit liebt das Thier der Wüste, | f. im Äther herrscht der Gott. .. Doch der Mensch ... allein durch seine Sitte | kann er f. und mächtig sein. 56b; Der Mensch ist f. geschaffen, ist f., | und wär’ er in Ketten geboren. . .. Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, | vor dem [geistig] f–en Manne erzittert nicht. 88a; Wenn ich ihm Zehn stelle, lässt er mich f.-ausgehen; giebt ja jeder Verleger seinem Sammler das zehnte Exemplar gratis [frei]. 118b; Wir Unterwaldner stehen f. [freiwillig, aus freien Stücken] zurück. 528b; F. im Geben, | wie Minen Indiens. Schlegel 6, 102, s. freigebig; Nun sieht er f. [offenbar], | daß etc. Tieck 2, 210; F. [unverwehrt] war’s, f. bleibt es auf ewig | auszugeben ein Wort, vom heutigen Stempel gemünzet. V. Hor. 2, 356 etc. 3) Substantivisch:
a) Der, die F–e, eine freie, un- abhängige Person, z. B. im Ggstz. des Sklaven, des Leibeignen, des Vasallen; nam. auch: Einer, der unmittelbar von Kaiser und Reich abhängt (s. 2, G. 9, 26); ferner: ein geistig Unabhängiger: Ein geistig F–er fügt sich solchem Zwange nie; Herrenlos ist auch der Frei’ste nicht ... Drum haben unsre Väter .. die Ehr’ gegönnt dem Kaiser .. und wie die andern F–en seines Reichs | sich ihm zu edelm Waffendienst gelobt. Sch. 529b etc. In Bezug auf das deutsche Recht giebt es mannigfache Arten von Freien (s. Schm. 1, 606 und vgl. II. Frei), vgl.: Das Wort f. ist ein relativer Begriff und es giebt in statu civili soviele Arten von Kur-F–en [Wahl-F–en], Noth-F–en und Freigebornen, daß es wegen seiner wenigen Bestimmung ganz unbrauchbar ist. Möser Ph, 4, 248; Es sei nun, daß er sich diese Hode, um nicht von dem Landesherrn als biester-f. gefangen .. zu werden selbst erwählt oder seiner unterhabenden Gründe halber zu wählen genöthiget worden, wovon die Ersteren Kur-F–e, die Letztern aber Noth-F–e genannt worden. 3, 298; 1, 333; Osn. 1, 70; Peter-F–e. 73; Die sogenannten Wetter-F–en. 74; Dael- und Karols-F–e. 75; Ich bin edel-f. [frei, von edler Geburt]. Simrock Nib. 771; Höchst-F–e, bei denen Eltern und Großeltern schon eine freie Geburt gehabt; Mittel-F–e, bei denen diese zum Theil erst Freigelaßne waren, s. Glück Pand. 2, 153. Die semper-f–en [vgl. Send, sendbar] Wilden. IP. 22, 92; Arg- oder Biester-F–e, s. Biester II etc.
b) Das F–e, vgl. 2, z. B.: Das F–e [Ungezwungne] in seinem Wesen gefällt; Er hat etwas F–es [Offnes] im Blick etc.; nam. auch: das freie Feld im Ggstz. des z.B. von den vier Wänden oder der Stadtmauer etc. eingeschloßnen Raumes: Wie schön ist’s im F–en!; Dem bloßen Eintritt in das F–e, wie wir tiefbedeutsam in unsrer Sprache sagen. Humboldt K. 1, 7 etc., auch übertr.: Diese Lehre kann nur Demjenigen wahr vorkommen, der sich in einer solchen gemachten Verwirrung gefallen mag; Jedem hingegen muß sie falsch erscheinen, der aus dem F–en kommt oder ins F–e gelangt. G. 39, 140; Daß wir Gottlob aus dieser Enge hin- aus im F–eren sind. H. 13, 341 etc. Bergb.: Eine Zeche fällt ins F–e, wenn sie vom Besitzer verlassen wird etc. und danach auch sonst: Wie es nun dem Ersten Besten erlaubt ist, eine solche völlig ins F–e gefallene Sache wieder zu ergreifen. G. 19, 276, s. Schmeller 1, 607.
Anm. Goth. freis, ahd. frî etc., vgl. freien II, Anm. S. auch Möser Ph. 2, 330 und frank, frech etc. Mund- artl. als adv. zur Verstärkung dienend. Schm. 1, 606; Stalder 1, 396 und z. B. Gotthelf G. 75; 165; 166; 180; 384 etc., vgl. freilich. Über die vieldeutigen Beziehungen von f. vgl.: Wir untersch. im Deutschen nachdrücklich genug f–e Handlungen (physische) von freiwilligen Handlungen (moralischen). .. Der Mensch kann seiner Freiheit, aber nicht seiner Freiwilligkeit beraubt werden. Wenn wir doch auch zu der bürgerlichen Freiheit ein besonderes Wort hätten! Eine Handlung, die ihren Grund in dem Willen hat, ist freiwillig; wenn ihrer Ausführung kein physischer Widerstand entgegen ist, so ist sie frei (physisch), wenn sie der Willkür eines Andern nicht unterworfen ist, so heißt sie bürgerlich frei. Mendelssohn 4, 1, 101.
Zsstzg. s. 1 und 3a, ferner z. B.: Dēīch-: von der Arbeit zur Erhaltung eines Deichs frei.
Gást-: Gäste frei, d. i. unentgeltlich bei sich aufnehmend und sie aufzunehmen, zu bewirthen bereit und erfreut, gastfreundlich, s. kost-f.: 1. Petr. 4, 9; Ein g. Dach für diese Nacht zu finden. G. 2, 150; Er pflegte sie g. V. Od. 15, 187; Zum Beginn g–er Vertraulichkeit. 21, 35 etc. Einem un-g–en Wirthe. Kant Sch. 41. Im Wortspiel: G. will er sein, | lässt, damit er Dies erlange, Keinen in sein Haus hinein. Logau (L. 5, 175) = frei von Gästen.
Gēīstes-: dem Geist nach, geistig f.: Von allen G–en in jubelndem Chorus begrüßt. HHerz 52.
Jünglings-: jugendfrisch, sich als Jüngling frei bewegend etc. G. 23, 181.
Júnker-: frei wie ein Junker: Und wird dadurch j. von Kirchensorge, von Bürgerlast etc. Luther 6, 29b.
Kóst-:
1) die Kost, Beköstigung frei, d. i. unentgeltlich habend: Mit all seinem Volk k. gehalten. Stumpf 109b.
2) sie frei gewährend, gast-f. Sir. 31, 28; Das gallisch Volk ist ... in Essen und Trinken k. Stumpf 144b; Gegen den Gästen k. 145a etc. Versch.: Kosten- f. [1]. Póst-: frankiert, so daß kein Postgeld zu entrichten ist. L. 13, 8. Rēīchs- [2; 3a]: Einen reichs- und weltfreien, Gott allein unterworfenen Herrn. HKleist E. 1, 63; Möser Ph. 1, 237. Sáttel- [2; 3a] (Rechtsspr.): S–e Höfe, im Ggstz. von dienstbaren oder unterthänigen, s. Sattelhof. Schāīn- [1]: frei von Schein; aber auch: nur dem Schein nach frei. G. 3, 346. Schúß-: frei, d. h. geschützt, sicher vor dem Schuß (vgl.: den Rücken frei haben): Ob er gleich sch. steht und auch vorher überlegt hat, daß ihn die Kugel nicht trefsen kann. Mendelssohn 4, 1, 40. Uber-: allzufrei. G. 2, 270; 22, 223. Un-: Ggstz. von frei: U., vollführ’ ich nur ein strenges Muß. G. 6, 372; Mir wird unf. [ängstlich beklemmend]. 165; Die U–en [Leibeignen]; U–e Bauerngüter etc. Vōgel-:
1) frei, ungebunden wie ein Vogel: Woran wir andern sorglos und v. in der Welt herumtreibenden Menschen nicht den geringsten Anstoß nehmen. W. 23, 66, vgl. 72 (selten, s. 2).
2) frei, d. i. Jedem preisgegeben wie ein Vogel in der Luft, geächtet, vgl. Klagel. 3, 52; Frei wie der Vogel sei der deutsche Sänger, | und mög’ er v. auch sein, ihn schützt der Gott. Chamisso 3, 371; Stoßt zu! der Kerl ist v. G. 11, 96; Als außer dem Gesetz und v. behandelt. 22, 281; Tyrannen | sind v. Platen 6, 36 etc.
Anm. Vgl.: Ihr Leib und Gut freiet er als die Vögel unter den Lüften. Aventinus, s. Schm. 1, 607. Wälder-: frei in den Wäldern lebend. Heine Sal. 1, 190. Wélt-: s. reichs-f. Wíld-: in wilder Ungebundenheit lebend. Freiligrath 2, 264. Wíllens-: in Dem, was man will, sich selbst bestimmend: Das geistige, w–e und selbstbestimmende Dasein. Burmeister gB. 1, 241; W. bei der Wahl. Heine Sal. 1, 42 etc. Zēīt-: an keine bestimmte Zeit, kein bestimmtes Zeitmaß gebunden: Der Choral, der an sich z., obwohl nicht taktlos, ist. G. Zelt. 2, 125 u. ä. m.