Faksimile 0333 | Seite 325
Faksimile 0333 | Seite 325
Faksimile 0333 | Seite 325
Du
Dū: perſönl. Fw. der zweiten Perſon, ohne
Unterſchied des Geſchlechts dekliniert: Du; dein(er); dir;
dich; Mz.: Ihr; euer (eurer); euch; euch. 1) Du, urſpr.
für jede angeredete Perſon geltend (ſo in der Bibel),
iſt mit Ausbildung der Rang- und Standesunterſchiede
durch andre Anreden beſchränkt und gilt im Allgem.
jetzt nur noch einerſeits als Stufe zwiſchen dem grob
klingenden Fw. der dritten Perſon in der Ez. und dem
vornehmern und förmlichern der Mz. (ſ. Er und Sie,
wie z. B. Erwachsne oft Kinder, Lehrer ihre Schü-
ler, Herrſchaften ihre Dienſtboten mit „Du“ anreden,
aber mit „Sie“ angeredet werden, z. B.: (Görge:) Ich
bin oft eiferſüchtig auf Sie geweſen. (Edelmann:) Du haſt’s
auch Urſache gehabt. G. 10, 111 ꝛc.), andrerſeits da, wo
die geſellſchaftlichen Konvenienzen zurück- oder nicht
hervortreten, zuw. in raſchem Wechſel mit andern
Anrede-Fw., vgl. z. B. G. 9, 54 ff.; Sch. 200a; 201b;
Jch höre hoffend ſchon voraus, wie mich dein erſtes Du be-
grüßt. | O wäre ſchon die bange Zeit um dieſes ſtolze Sie
herum. Platen 2, 56; Matthiſſon Anth. 8, 108 und um-
gekehrt: Nur einmal noch möcht’ ich dich ſehen | und ſinken
vor dir aufs Knie | und ſterbend zu dir ſprechen: | Ma-
dame, ich liebe Sie! Heine Lied. 202 ꝛc. Vgl. auch Ihr
als Anrede, z. B.: Märten: Er machte mich neugierig.
Edelmann: Man ſagt, Ihr ſeid’s manchmal. Märten: Ver-
zeihen Sie! G. 10, 149 ꝛc. Das „Jhr“ gilt danach
für mehrere Perſonen, die man einzeln mit „Du“
oder mit „Ihr“ anredet (Ihr habt nur einen Narren an
mir, ich hab euer ein ganz Dutzet. Zinkgräf ꝛc.); dagegen hat
man keine beſondere andre Anrede als Kompler für Per-
ſonen, von denen man einzelne duzt, andre mit „Sie“
anredet. 2) Mit Einem (auf) du und du ſein, ſtehn =
auf vertrautem Fuß (vgl. duzen), z. B. Chamiſſo 5, 78;
G. 11, 110; Mörike N. 513; Prutz Muſ. 3, 234; Waldau
Nat. 3, 206. 3) der Dativ (ſogen. Dativus ethicus)
wird oft mehr oder minder pleonaſtiſch beigefügt, um
durch die Beziehung auf den Angeredeten das Geſagte
eindringlicher und lebhafter hervorzuheben: Das iſt dir
eine ordentliche Luſt. G. 10, 201; 7, 52; Mehr Troſt und
Glück, als du dir [= für dich] hoffen kannſt. 8, 110; Da
iſt dir juſt der vermaledeite Graben dazwiſchen. Sch. 107b;
[Ich] war dir ein armer hungriger Tropf. 117a; Sind dir
gar lockre, leichte Geſellen. 319b; Stilling 1, 119 u. v.;
ebenſo in der Mz. euch: Denkt euch! ꝛc. 4) Mir
Nichts, dir Nichts = ohne weitre Umſtände, ohne Weit-
res: Die ſich mir Nichts, dir Nichts entſchließt, zum Teufel
zu fahren. G. 6, 338; 12, 184; Euch friſchweg, wie Ihr
vom Pferd geſtiegen, | mir Nichts, dir Nichts, wie einen Zie-
genbock | abthun zu laſſen. Sch. 589a; Die nahmen den Ge-
henkten mir Nichts, dir Nichts ab. Hebel 3, 104; 151; 167;
489 u. v. Seltner: So wegen mir Nichts und dir
Nichts [= um Nichts und wieder Nichts] kommt man
aber nicht ſo früh. Gotthelf G. 247 ꝛc. 5) im Selbſt-
geſpräch, wo der Sprechende und der Angeredete Eins
ſind, kann „ich“ und „du“ wechſeln, z. B.: Was
ſchüttelt dich nun? was erſchüttert den treuen feſten Sinn?
Ich fühl’s ꝛc. G. 9, 224; Wär’s möglich? könnt’ ich nicht
mehr, wie ich wollte? | . .. Und was iſt dein Beginnen?
haſt du dir’s | auch redlich ſelbſt bekannt? . . . Den fürcht’
ich nicht ꝛc. Sch. 362 u. v. (ſ. 7). 6) ſehr oft wählt
man in allgem. Sätzen die lebendigere Form der An-
rede einer beſtimmten Perſon (du ſt. „man“ ꝛc.),
z. B. in Sprchw.: Sag mir, mit wem du umgehſt, und
ich will dir ſagen, wer du biſt ꝛc.; ferner: Wo wir ... uns
bemühten, hinüberzuſpringen. Aber Das war umſonſt.
Plumps! lagſt du [lag man, der Springende] und ward
ein Geziſch und Gelächter über dir ꝛc. Sch. 107b u. ä. m.
So auch Wechſel zwiſchen du und ,,man“ (ſ. d.),
z. B.: Erſt haſt du zwiſchen Kaſtanienbäumen die weite
Ausſicht . .. Wie hohe Buchenwände Einen einſchließen.
G. 14, 67; Wenn man es einigermaßen zurechtrücken
möchte, ſo drängt ſich . .. eine Menge zu, begegnet dir auf
jedem Schritt. 23, 176; Man mache den Verſuch . .. und
ihr werdet erſchrecken. 31, 75 ꝛc. 7) die Volksſprache
ſchiebt oft Wendungen mit „du“ zur Verlebendigung
und Hervorhebung von etwas Bewundernswerthem ꝛc.
ein, zuw. ſelbſt neben Fw. der erſten oder dritten Per-
ſon (vgl. 5): Ich nicht faul, ſprang auf den Wanſt | und
nun bohrt er mit dem Fänger | und dem Meſſer, was du
kannſt [= aus allen Kräften] | ihn ſo lang in Bruſt und
Kehle ꝛc. Müllner 2, 35 [der Bohrende ſpricht gleichſam
zu ſich ſelbſt: Bohre, was du kannſt!]; Daß er. ..
ihn . . . in die Kutſche packt und fort mit ihm, jagſt du nicht,
ſo gilt’s nicht, nach Straßburg. Sch. 658b ꝛc. 8) bei
abhängigem Jnfinitiv mit zu kann dieſelbe Form eines
perſönl. Fw. zweimal hintereinander ſtehn müſſen,
obgleich man mit Rückſicht auf Wohllaut ſolchen Zu-
ſammenſtoß lieber vermeidet: Ich freue mich, mich mit
dir unterhalten zu können; Ich rathe dir, dir einen Pelz
mitzunehmen ꝛc. Infin. ohne „zu“ aber, z. B. nach
laſſen, ſehen, heißen ꝛc. ſind in dieſem Falle ſehr hart und
kommen kaum vor, vgl.: Ich ſehe ihn ſich wälzen vor
Lachen; Ich ſehe, wie du dich vor Lachen wälzeſt. Laß
ihn ſich freuen; Laß mich froh ſein ꝛc.; ferner: Wer heißt
dich denn in fremder Gegenwart mir die lächerlichen Ehren
meines Standes anthun, mir Lüſtre geben, ſich [ſt. dich]
zum Schemel meiner Würde machen? Gutzkow R. 5, 83 ꝛc.
9) Du als Hw., vgl.: Sein zweites Jch ꝛc.: Nur Du
und dein andres Du wiſſen [davon]. Chamiſſo 5, 37; Mein
zweites liebes Du! Göckingk Lieb. 62; Willſt du mein Du
ſein? mein ewiges, ſüßes Du? Immermann M. 3, 77; Liebe,
in der das Ich in dem geliebten Du untergehen möchte. Lewald
Ferd. 2, 36; Nur in der Antwort ſeines Du kann jedes Jch
ſeine unendliche Einheit ganz fühlen. FSchlegel Luc. 221;
Dein Du ſoll mir Zeuge ſein. Voigts H. 302 u. o.; Gott,
dieſes Ur-Ich und Ur-Du zugleich. IP. 36, 40 ꝛc. Scherzh.
auch Mz.: Es thut mir leid fürs Ich und ſeine großen Her-
ren, | daß vor dem sum und cogito | man fand auf Erden
Du’en ſchon und Er’en [zweite und dritte Perſonen].
Baggeſen 4, 26. Ferner: Da ſaß ich .. ., ich blaugemän-
teltes Ihr (d. h. mit „Ihr“ angeredete Perſon]. V.
Br. 1, 33. Auch als masc.: Der herrliche Perthes iſt
mir ein anderer Du geweſen, wie Chamiſſo 6, 4 an Hitzig
ſchreibt = ein anderer Hitzig ꝛc.; Daß dein Freund gleich-
ſam der andere Du ſei. Gryphius S. 18.
Anm. a) Mundartl. finden ſich (ſ. 9) Verkleinerungen,
ſo ſchwzr.: Duli. Stalder 1, 76, vgl. plattd.: Mien leiwes
Duking! [Mein liebes Du-chen.] FrReuter, dei Reiſ’ nahBelli-
gen 1855 S. 16. b) ſtatt des gw.: Wenn ich du [an
deiner Stelle] wäre ꝛc. (vgl.: Du biſt ich ſelbſt, wie ich ge-
ſtrebet habe . .. Ich bin du ſelbſt, das Bild auf meinem
Grabe. Chamiſſo 3, 161; Sie iſt brav, aber ſie iſt nicht du
[kommt dir nicht gleich]. Temme ſchw.M. 2, 53) heißt es
ſchwzr.: Wenn ich dich wäre, z. B. Peſtalozzi 1, 50; Gott-
helf Sch. 392; G. 33; 169; Wenn ſie ihn wäre. 235;
U. 1, 330; Ich bin darum nicht Euch. G. 13; Iſt’s ihn
wohl? 155; Das iſt ihn . . . Nein, es iſt ihn nicht. 366;
Es hat mir geſchienen, es ſei dich. 159 ꝛc., vgl. Herrig 18,
127 ff. c) Fortlaſſung des du und andrer perſönl. Fw.,
zumal bei den Hilfszeitw., wo die Perſonen ſchon durch die
Form unterſchieden ſind: Biſt untreu, Wilhelm, oder todt?
B. 13a; Sollſt uns nicht nach Weine lechzen. G. 1, 113
u. o. (ſ. Herrig 18, 104 und vgl. „Der“ 3c). Hieran
ſchließen ſich in der ältern wie noch in der Volksſpr. Formen
wie: willtu, ſolltu, hörſtu [= hörſt du] ꝛc., wozu
auch das „s“ = ihr zu erwähnen iſt, ſ. Schmeller 1, 118 ff;
134; Hier ſeid’s gut geborgen. Gutzkow R. 1, 144; Seid’s
denn ganz auf den Kopf gefallen, daß ihr ꝛc. Tieck Nov. 7,
176 ꝛc. d) über die Formen: Deinet-, euret-
(eurent-) halb(en), wegen, willen ꝛc., neben: um dein (er)
ſelbſt willen ꝛc. ſ. T. und halben ꝛc. Die Formen deiner,
euer ſind gewöhnlicher als dein und eurer (z. B. G. 18, 344).
e) zu den perſönl. Fw. können als Appoſ. Hw. oder ſub-
ſtant. Ew. treten, gw. nachſtehnd und zwar bei der erſten
und zweiten Perſon im Nom. ohne, in abhängigen Kaſus
meiſt und bei der dritten Perſon faſt immer mit dem Artikel:
Ich Armer!; Du prophet’ſcher Vogel du! G. 1, 90; Herein,
o du Guter, du Alter herein! 139; Ei du himmliſcher Vater
.. Ei du mein! [Gott ꝛc.] Sch. 130b; Was mich den
Armen quält. G. 1, 70; Dir, dem Freunde, reich ich dieſe
Gabe; Er, der Reiche, bettelt vor den Thüren; Ich denke
dein, des Freundes ꝛc. (vgl. „Dein“ 3c). Verſchieden davon
iſt bei „du“ (Mz. ihr) der vorſtehnde oder eingeſchobne
Vokativ: Freund, dir reich ich dieſe Gabe; Dir, Freund,
ꝛc. Ohne Artikel iſt für die Ew. die ſtarke Form gramma-
tiſch am richtigſten und in der Ez. auch durchaus gw. (Ich
Ärmſter! Du lieber, lieber Landsknecht! Chamiſſo 3,
218 ꝛc.); aber in der Mz. herrſcht Schwanken und ſogar
gw. die ſchwache Form, vgl.: Wir jungen Leute. G. 21,
230; Wir junge Geſellen. 247; Wir Jünger n. 20, 217;
Wir muntern Deutſchen. Hagedorn 3, 159; Wir Kurz-
ſichtigen. Thümmel 2, 110 ꝛc. und neben: Ihr edl e Frauen.
Chamiſſo 3, 218; Ihr Deutſch e. Hebel 3, 449; Ihr ſchwarze
Seelen. L. 1, 135, z. B.: Ihr ſchwarzen Äugelein. G. 1,
122; Ergreift ihn, ihr eiſernen Schergen! 141; Kehrt zu
mir, ihr lieben armen Kleinen. 208; Ihr dumpfen
Glocken. 11, 33; Ihr armen Städter. V. 3, 118 ꝛc., ſ.
„Beid“ 3 ꝛc. u. vgl.: Sie auch werden ſogleich dir Gehen-
den Frevel erſinnen. V. Od. 2, 368, wo: „Dir, dem
Gehend en, oder: Dir Gehendem“ korrekter ſein dürfte;
Mir Fragenden. 24, 474; 21, 115; vgl.: Was bleibt
mir Unglücklichem? G. 16, 95; ferner: Lieben [51b:
„Liebe“] Freunde! es gab ſchönre Zeiten. Sch. 1, 222. Die
ſtarke Form gilt jetzt meiſt nur, wo die Appoſ. als ſolche
ſtärker hervortritt und nicht mit dem „wir“ u. „ihr“ gleich-
ſam verſchmilzt: Wir armen Leute; Wir, arme Leute, ꝛc.
= Wir, die wir arme Leute ſind ꝛc. f) über den all-
mählichen Wechſel der Anredewörter und die dadurch bezeich-
neten Abſtufungen ſ. z. B. Th. Nölting, über den Gebrauch
der deutſchen Anredefürwörter in der deutſchen Poeſie.
g) dem „du“ entſprechen in den verwandten Sprachen ähnliche
Formen; die Mz. gehört andrem Stamm an.