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Du
: persönl. Fw. der zweiten Person, ohne Unterschied des Geschlechts dekliniert:
Du; dein(er); dir; dich; Mz.: Ihr; euer (eurer); euch; euch.
1) Du, urspr. für jede angeredete Person geltend (so in der Bibel), ist mit Ausbildung der Rang- und Standesunterschiede durch andre Anreden beschränkt und gilt im Allgem. jetzt nur noch einerseits als Stufe zwischen dem grob klingenden Fw. der dritten Person in der Ez. und dem vornehmern und förmlichern der Mz. (s. Er und Sie, wie z. B. Erwachsne oft Kinder, Lehrer ihre Schüler, Herrschaften ihre Dienstboten mit „Du“ anreden, aber mit „Sie“ angeredet werden, z. B.: (Görge:) Ich bin oft eifersüchtig auf Sie gewesen. (Edelmann:) Du hast’s auch Ursache gehabt. G. 10, 111 etc.), andrerseits da, wo die gesellschaftlichen Konvenienzen zurück- oder nicht hervortreten, zuw. in raschem Wechsel mit andern Anrede-Fw., vgl. z. B. G. 9, 54 ff.; Sch. 200a; 201b; Jch höre hoffend schon voraus, wie mich dein erstes Du begrüßt. | O wäre schon die bange Zeit um dieses stolze Sie herum. Platen 2, 56; Matthisson Anth. 8, 108 und umgekehrt: Nur einmal noch möcht’ ich dich sehen | und sinken vor dir aufs Knie | und sterbend zu dir sprechen: | Madame, ich liebe Sie! Heine Lied. 202 etc. Vgl. auch Ihr als Anrede, z. B.: Märten: Er machte mich neugierig. Edelmann: Man sagt, Ihr seid’s manchmal. Märten: Verzeihen Sie! G. 10, 149 etc. Das „Jhr“ gilt danach für mehrere Personen, die man einzeln mit „Du“ oder mit „Ihr“ anredet (Ihr habt nur einen Narren an mir, ich hab euer ein ganz Dutzet. Zinkgräf etc.); dagegen hat man keine besondere andre Anrede als Kompler für Personen, von denen man einzelne duzt, andre mit „Sie“ anredet.
2) Mit Einem (auf) du und du sein, stehn = auf vertrautem Fuß (vgl. duzen), z. B. Chamisso 5, 78; G. 11, 110; Mörike N. 513; Prutz Mus. 3, 234; Waldau Nat. 3, 206.
3) der Dativ (sogen. Dativus ethicus) wird oft mehr oder minder pleonastisch beigefügt, um durch die Beziehung auf den Angeredeten das Gesagte eindringlicher und lebhafter hervorzuheben: Das ist dir eine ordentliche Lust. G. 10, 201; 7, 52; Mehr Trost und Glück, als du dir [= für dich] hoffen kannst. 8, 110; Da ist dir just der vermaledeite Graben dazwischen. Sch. 107b; [Ich] war dir ein armer hungriger Tropf. 117a; Sind dir gar lockre, leichte Gesellen. 319b; Stilling 1, 119 u. v.; ebenso in der Mz. euch: Denkt euch! etc.
4) Mir Nichts, dir Nichts = ohne weitre Umstände, ohne Weitres: Die sich mir Nichts, dir Nichts entschließt, zum Teufel zu fahren. G. 6, 338; 12, 184; Euch frischweg, wie Ihr vom Pferd gestiegen, | mir Nichts, dir Nichts, wie einen Ziegenbock | abthun zu lassen. Sch. 589a; Die nahmen den Gehenkten mir Nichts, dir Nichts ab. Hebel 3, 104; 151; 167; 489 u. v. Seltner: So wegen mir Nichts und dir Nichts [= um Nichts und wieder Nichts] kommt man aber nicht so früh. Gotthelf G. 247 etc.
5) im Selbstgespräch, wo der Sprechende und der Angeredete Eins sind, kann „ich“ und „du“ wechseln, z. B.: Was schüttelt dich nun? was erschüttert den treuen festen Sinn? Ich fühl’s etc. G. 9, 224; Wär’s möglich? könnt’ ich nicht mehr, wie ich wollte? | . .. Und was ist dein Beginnen? hast du dir’s | auch redlich selbst bekannt? . . . Den fürcht’ ich nicht etc. Sch. 362 u. v. (s. 7).
6) sehr oft wählt man in allgem. Sätzen die lebendigere Form der Anrede einer bestimmten Person (du st. „man“ etc.), z. B. in Sprchw.: Sag mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist etc.; ferner: Wo wir ... uns bemühten, hinüberzuspringen. Aber Das war umsonst. Plumps! lagst du [lag man, der Springende] und ward ein Gezisch und Gelächter über dir etc. Sch. 107b u. ä. m. So auch Wechsel zwischen du und ,,man“ (s. d.), z. B.: Erst hast du zwischen Kastanienbäumen die weite Aussicht . .. Wie hohe Buchenwände Einen einschließen. G. 14, 67; Wenn man es einigermaßen zurechtrücken möchte, so drängt sich . .. eine Menge zu, begegnet dir auf jedem Schritt. 23, 176; Man mache den Versuch . .. und ihr werdet erschrecken. 31, 75 etc.
7) die Volkssprache schiebt oft Wendungen mit „du“ zur Verlebendigung und Hervorhebung von etwas Bewundernswerthem etc. ein, zuw. selbst neben Fw. der ersten oder dritten Person (vgl. 5): Ich nicht faul, sprang auf den Wanst | und nun bohrt er mit dem Fänger | und dem Messer, was du kannst [= aus allen Kräften] | ihn so lang in Brust und Kehle etc. Müllner 2, 35 [der Bohrende spricht gleichsam zu sich selbst: Bohre, was du kannst!]; Daß er. .. ihn . . . in die Kutsche packt und fort mit ihm, jagst du nicht, so gilt’s nicht, nach Straßburg. Sch. 658b etc.
8) bei abhängigem Jnfinitiv mit zu kann dieselbe Form eines persönl. Fw. zweimal hintereinander stehn müssen, obgleich man mit Rücksicht auf Wohllaut solchen Zusammenstoß lieber vermeidet: Ich freue mich, mich mit dir unterhalten zu können; Ich rathe dir, dir einen Pelz mitzunehmen etc. Infin. ohne „zu“ aber, z. B. nach lassen, sehen, heißen etc. sind in diesem Falle sehr hart und kommen kaum vor, vgl.: Ich sehe ihn sich wälzen vor Lachen; Ich sehe, wie du dich vor Lachen wälzest. Laß ihn sich freuen; Laß mich froh sein etc.; ferner: Wer heißt dich denn in fremder Gegenwart mir die lächerlichen Ehren meines Standes anthun, mir Lüstre geben, sich [st. dich] zum Schemel meiner Würde machen? Gutzkow R. 5, 83 etc.
9) Du als Hw., vgl.: Sein zweites Jch etc.: Nur Du und dein andres Du wissen [davon]. Chamisso 5, 37; Mein zweites liebes Du! Göckingk Lieb. 62; Willst du mein Du sein? mein ewiges, süßes Du? Immermann M. 3, 77; Liebe, in der das Ich in dem geliebten Du untergehen möchte. Lewald Ferd. 2, 36; Nur in der Antwort seines Du kann jedes Jch seine unendliche Einheit ganz fühlen. FSchlegel Luc. 221; Dein Du soll mir Zeuge sein. Voigts H. 302 u. o.; Gott, dieses Ur-Ich und Ur-Du zugleich. IP. 36, 40 etc. Scherzh. auch Mz.: Es thut mir leid fürs Ich und seine großen Herren, | daß vor dem sum und cogito | man fand auf Erden Du’en schon und Er’en [zweite und dritte Personen]. Baggesen 4, 26. Ferner: Da saß ich ..., ich blaugemänteltes Ihr (d. h. mit „Ihr“ angeredete Person]. V. Br. 1, 33. Auch als masc.: Der herrliche Perthes ist mir ein anderer Du gewesen, wie Chamisso 6, 4 an Hitzig schreibt = ein anderer Hitzig etc.; Daß dein Freund gleichsam der andere Du sei. Gryphius S. 18.
Anm. a) Mundartl. finden sich (s. 9) Verkleinerungen, so schwzr.: Duli. Stalder 1, 76, vgl. plattd.: Mien leiwes Duking! [Mein liebes Du-chen.] FrReuter, dei Reis’ nahBelligen 1855 S. 16. b) statt des gw.: Wenn ich du [an deiner Stelle] wäre etc. (vgl.: Du bist ich selbst, wie ich gestrebet habe . .. Ich bin du selbst, das Bild auf meinem Grabe. Chamisso 3, 161; Sie ist brav, aber sie ist nicht du [kommt dir nicht gleich]. Temme schw.M. 2, 53) heißt es schwzr.: Wenn ich dich wäre, z. B. Pestalozzi 1, 50; Gott- helf Sch. 392; G. 33; 169; Wenn sie ihn wäre. 235; U. 1, 330; Ich bin darum nicht Euch. G. 13; Ist’s ihn wohl? 155; Das ist ihn . . . Nein, es ist ihn nicht. 366; Es hat mir geschienen, es sei dich. 159 etc., vgl. Herrig 18, 127 ff. c) Fortlassung des du und andrer persönl. Fw., zumal bei den Hilfszeitw., wo die Personen schon durch die Form unterschieden sind: Bist untreu, Wilhelm, oder todt? B. 13a; Sollst uns nicht nach Weine lechzen. G. 1, 113 u. o. (s. Herrig 18, 104 und vgl. „Der“ 3c). Hieran schließen sich in der ältern wie noch in der Volksspr. Formen wie: willtu, solltu, hörstu [= hörst du] etc., wozu auch das „s“ = ihr zu erwähnen ist, s. Schmeller 1, 118 ff; 134; Hier seid’s gut geborgen. Gutzkow R. 1, 144; Seid’s denn ganz auf den Kopf gefallen, daß ihr etc. Tieck Nov. 7, 176 etc. d) über die Formen: Deinet-, euret- (eurent-) halb(en), wegen, willen etc., neben: um dein (er) selbst willen etc. s. T. und halben etc. Die Formen deiner, euer sind gewöhnlicher als dein und eurer (z. B. G. 18, 344). e) zu den persönl. Fw. können als Appos. Hw. oder substant. Ew. treten, gw. nachstehnd und zwar bei der ersten und zweiten Person im Nom. ohne, in abhängigen Kasus meist und bei der dritten Person fast immer mit dem Artikel: Ich Armer!; Du prophet’scher Vogel du! G. 1, 90; Herein, o du Guter, du Alter herein! 139; Ei du himmlischer Vater .. Ei du mein! [Gott etc.] Sch. 130b; Was mich den Armen quält. G. 1, 70; Dir, dem Freunde, reich ich diese Gabe; Er, der Reiche, bettelt vor den Thüren; Ich denke dein, des Freundes etc. (vgl. „Dein“ 3c). Verschieden davon ist bei „du“ (Mz. ihr) der vorstehnde oder eingeschobne Vokativ: Freund, dir reich ich diese Gabe; Dir, Freund, etc. Ohne Artikel ist für die Ew. die starke Form grammatisch am richtigsten und in der Ez. auch durchaus gw. (Ich Ärmster! Du lieber, lieber Landsknecht! Chamisso 3, 218 etc.); aber in der Mz. herrscht Schwanken und sogar gw. die schwache Form, vgl.: Wir jungen Leute. G. 21, 230; Wir junge Gesellen. 247; Wir Jünger n. 20, 217; Wir muntern Deutschen. Hagedorn 3, 159; Wir Kurzsichtigen. Thümmel 2, 110 etc. und neben: Ihr edl e Frauen. Chamisso 3, 218; Ihr Deutsch e. Hebel 3, 449; Ihr schwarze Seelen. L. 1, 135, z. B.: Ihr schwarzen Äugelein. G. 1, 122; Ergreift ihn, ihr eisernen Schergen! 141; Kehrt zu mir, ihr lieben armen Kleinen. 208; Ihr dumpfen Glocken. 11, 33; Ihr armen Städter. V. 3, 118 etc., s. „Beid“ 3 etc. u. vgl.: Sie auch werden sogleich dir Gehen- den Frevel ersinnen. V. Od. 2, 368, wo: „Dir, dem Gehend en, oder: Dir Gehendem“ korrekter sein dürfte; Mir Fragenden. 24, 474; 21, 115; vgl.: Was bleibt mir Unglücklichem? G. 16, 95; ferner: Lieben [51b: „Liebe“] Freunde! es gab schönre Zeiten. Sch. 1, 222. Die starke Form gilt jetzt meist nur, wo die Appos. als solche stärker hervortritt und nicht mit dem „wir“ u. „ihr“ gleichsam verschmilzt: Wir armen Leute; Wir, arme Leute, etc. = Wir, die wir arme Leute sind etc. f) über den allmählichen Wechsel der Anredewörter und die dadurch bezeichneten Abstufungen s. z. B. Th. Nölting, über den Gebrauch der deutschen Anredefürwörter in der deutschen Poesie. g) dem „du“ entsprechen in den verwandten Sprachen ähnliche Formen; die Mz. gehört andrem Stamm an.