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drehen Um-Drehen Um-Drehen
Drêhen, tr., refl., intr. (haben):
um etwas unbewegt Bleibendes im Kreise, allgemeiner in einer geschlossnen krummen Linie, oder in einem Bogen derselben bewegen.
1) tr. und refl.:
a) eigentl.: Den Bratspieß, die Segel, den Kopf, Hals, sich d.; Das Rad um die Achse d.; Die Planeten d. sich um ihre Axe und um die Sonne etc. (s. um-d.); Die Augen d. (= rollen. FSchlegel Al. 38; große Augen d. = machen. Schubart 3, 117; = verdrehen. Hebel 3, 117; V. Ant. 1, 350 etc.).
b) übertr.: Das, worum sich Etwas dreht = die Hauptsache, der Angelpunkt: Die um den Eigennutz als um die große Achse (s. d.) Alles zu d. suchen. Kant Sch. 46; Die . . . Achsen, um die sich das . . . Jahrhundert dreht. Gutzkow Lenz 34; Die Angel, um die euer Staat sich dreht, | wie eine Thür. Müllner 4, 37 etc., zuw.: Die artigen Gesänge, worauf sich Alles dreht. G. 24, 101; Zelter 2, 160 etc.
c) Sich d., nam. im Tanz: Laß sie sich d. und laß du uns wandeln. G. 1, 21; Woman ohne Rasten sich mit Liebchen dreht. 6, 78 etc. (s. g u. Dreher 3).
d) Sich d., sich hin und her wenden, ehe man anEtwas herangeht, zögern: Ich drehte mich und drückte mich. G. 29, 269; Gotthelf Sch. 256 etc.
e) mit angegebner Richtung: Etwas, sich vorwärts, rückwärts, seitwärts, nach vorn, nach hinten, links, rechts, hin und her, nach Einem hin, von ihm fort, weg d.; Den Kopf von Einem weg, ab, seitwärts d., ihm den Rücken d. (Zu-d. W. 20, 61; Dreht ihm Händ’ und Füß’ auf den Rücken. V. Od. 22, 172); Die Segel, den Mantel, sich nach dem Wind d.; Der Wind dreht sich nach Norden; Er dreht sich hin, er dreht sich her. Chamisso 3, 210; Er dreht sich links, er dreht sich rechts . .. Er dreht sich wie ein Kreisel fort. 94; Eine wächserne Nase, die man von jeher hingedreht hat, wohin man wollte. Danzel 43; [Die Buche], die . .. die Wurzeln aufwärts dreht. Gotter 1, 94; Da verräth sich’s [das Laster] im todtenblassen, eingefallnen Gesicht und dreht die Knochen häßlich hervor. Sch. 111b; Ihr redend Auge scheint ihm Etwas zu gestehen, | und wenn sie es erröthend wegzudrehen, | versuchen will, mit unsichtbarer Hand| ein Amor es auf ihn zurückzudrehen. W. 11, 175; 15, 46 etc., s. (her)um-d. Dazu auch: Einem das Schwert aus der Hand d. [winden, es durch Drehen aus der Hand bringen etc.], und refl.: Indem sie sich . .. aus seinen Armen lachend dreht. W. 11, 212; Langsam drehten (s. d) die Leute zum Essen sich herbei [bewegten drehend sich hinzu]. Gotthelf G. 95; Darum drehte er unbemerkt sich zur Thür hinaus. Musäus M. 2, 34; Und dreht sich weg und geht. Nicolai 1, 21 etc., vgl.: Als der Pfad sich plötzlich um eine Ecke drehte. WHumboldt 3, 84; Dort, wo des Hügels Fuß sich aus dem Auge drehet. Nicolai 1, 242 etc.
f) Etwas d., es wenden, oft: es dadurch anders erscheinen lassen, anders gestalten, verändern (s. g) etc. und so auch refl.: Ein Schalk kann die Sache d., wie er’s haben will. Sir. 19, 22; Etwas d. und deuten. Luther 8, 74a; 6, 116a; Zelter 2, 70; Etwas d. und wenden. Merck’s Br. 1, 193; Mörike N. 580; Sie wußte es richtig so zu d., daß der Hof Wind bekam. Gutzkow R. 2, 155; Einen Liebeshandel | fein einzufädeln, gut zu d. Gotter 1, 51; So dreht sie Jeden zu Mißförmigkeit. V. Sh. 1, 411; Gewohnt, des Sultans Herz nach ihrer Lust zu d. W. 20, 293 etc.; Der Wind (Freiligrath Garb. 95), das Glück (Alxinger D. 288; W. 11, 137) dreht sich etc.; Mußte mich d. und wenden und manche Lage versuchen, bevor ich in meine natürliche kam. Thümmel 1, 5; Es gilt, sich zu d. und zu wenden für Kunst. Chamiso 3, 235 u. o. (vgl. sich schmiegen und biegen etc. = sich den Verhältnissen anpassen).
g) Etwas d., es durch D. (a) erzeugen, vgl.: Stricke zu einem Seil d., zusammen-d., und: Ein Seil aus drei mächtigen Stricken gedreht. G. 9, 49; Ein hart, ein lähnig (s. d.) gedrehtes Tau; Schnüre, Zöpfe, Tüten, Pillen d., zuw. auch: Kränze d. Göckingk 2, 86 (gw. winden), nam. oft = drechseln (s. d.): Man kann’s aus Elfenbein | nicht schöner d. W. 11, 90; auch: Redensarten (Prutz Woch. 93), Komplimente, Bolzen (s. d. 1) d.; ein Tänzchen (s. c) d. G. 1, 101 etc.; Einem einen Zopf (Gutzkow Bl. 1, 364), ein Esels- ohr (Mörike N. 64) d., ihn zunächst durch eine Geste verhöhnen; Einem eine Nase d. Forster Br. 2, 132; Gutzkow R. 5, 469 u. o., ihm Etwas aufbinden (vgl. bohren 1f u. deuten 5 u. Hörner-Dreher).
2) intr.:
a) mit leichter Nüance statt des Trans., z. B.: In Metall, in Bernstein d. (drechseln) etc.; Nun kommen die Drehmeister und deuteln und d. an dem Worte etc. Zelter 5, 367, oder mit leicht ergänzbarem Obj.: Die [den Faden] d–de oder drillende Hand der Spinnerin. Kohl Irl. 2, 268 etc. Auch: Schlingen wir fröhlich den d–den Reihen. G. 1, 21 = den uns drehenden, oder den Reihen, worin wir uns drehen etc.
b) mit leicht ergänzbarem sich (s. d. 6) nicht bloß im Partic. und subst. Infin.: Wir werden alle d–d [schwindelig] wie die Schafe. Immermann M. 1, 191; Die Freude macht d–d, wirblicht. L. 1, 539, Es wird mir d–d vor den Augen. Sch. 653b etc. Dein Lied ist d–d [dreht sich] wie das Sterngewölbe. G. 4, 22; Das tolle Wirbeln der d–den Sterne [beim Feuerwerk]. Lewald Wandl. 4, 91 etc. Weil die Schafe das D. [den Schwindel, Drehkrankheit] haben. Ferd. 1, 366; Nur Eins bleibt fest . .. durch aller Nichtigkeiten Wirbel-D. WHumboldt Sonn. 27 etc.; Das Walzen und D. (s. 1c) einzulernen. G. 21, 217; 1, 158; Eine gewisse Vorsicht, ein D. und Wenden (s. 1d). Sch. 2, 46; Nahmen ohne viel Knicksens und D–s (1d) ihre Plätze ein. Zelter 2, 240 etc. Auch in andern Zeitformen, z. B.: So schießt es [das Schiff dahin] und so dreht (1a) es. Freiligrath 1, 335 ff.; Alles dreht (1a) im Kreis. G. 3, 142; 11, 171; Es mag den Jüngern dabei der Kopf gedreht [geschwindelt] haben. 14, 254; Da drehten (1c) die Pärchen allzumal. 2, 213; 10, 162; W. 15, 31; Vreneli drehete [zögerte 1d] und meinte etc. Gotthelf U. 1, 323; Ums Haus herum d. und sich bedenken. 201; Die Sterne, | die unter deinen Füßen d. (1a). Haller 182; Müssen die Planeten | alle d. (1a) um dich. Rückert 1, 261; Steh fest, wenn schwindelnd Alle d. 6, 114; Mein Hirn dreht. V. Sh. 3, 275; 229 u. ä. m.
3) Drehung, f.; –en (so auch vonZsstzg.), z.B.: Daß er die gewaltsamsten Drehungen und Wendungen machen muß, um seinen Aristoteles mit durchzubringen. L. 7, 351 etc.
Anm. Ahd. drâjan, mhd. drajen etc. Urvwdt. lat. torqueo (drehe), terebro (bohre) etc. und ähnl. griech.; zu Grunde liegt vielleicht der Ton des gedrehten Kreises etc. Ableit., z. B. Draht, drillen, Driesel etc. und die folg. Wörter.
Zsstzg., vgl. die von drechseln etc., z. B.: Áb-: = abdrechseln: Walzen .. von Eisen, genau cylindrisch abgedreht. Karmarsch 1, 206; Wenn ein mäßig langer Gegenstand nur auf seinem Umkreise abgedreht werden soll. 555 U. V.; Noch Etwas von der Walze a. Ferner: Einem Vogel den Kopf, das Genick a. Goltz 2, 12; auch: Hätte ihm fast das Herz abgedreht (vgl. abfressen). Gotthelf U. 2, 331; Einem das Geld a. 145, listig abnehmen [1f]; Einen Knopf .., der mit Schrauben sich lässt ab- und andrehn. Talvj 2, 146; Drehte die Barke sich .. dwars ab. Scherr Nem. 2, 138; Als der Wind die Segel blähte und wir vom Lande abdrehten. Willkomm Wald 90 (Ggstz. bei -d.); Dann drehte sie sich plötzlich ab [1e] und ging davon. Zchokke 1, 223; V. Hor. 1, 15; Mit dem Kopf von ihrem Räuber abgedreht. Heinse K. 1, 355, weggewendet; Der gute Schubarth windet und dreht [müht] sich ab. Zelter 3, 16 etc.; Abgedreht = abgeviert (s. d.), abgedrechselt, verschlagen: Der pfiffige abgedrehte Kammerdiener. Holtei Nobl. 1, 212.
Án-: An diese Fäden dreht der Weber die Fäden des neuen Zettels an. G. 19, 50; Einem Etwas, ein Näschen [1g] an-d. Müller 6, 104; Verbesserungen. H. 4, 21 etc., s. ab-d.; Eine abgebrauchte Peitschenschnur mit Garn a. Goltz 1, 358; Allmählich hub er an | sich näher anzudrehen [1e]. B. 22a; Wie ich nun nach und nach von einer Sache angedreht wurde [gleichsam an den Spieß, gefesselt etc.]. Gotthelf 5, 234; 250 etc.
Āūf-: Den Knopf auf den Stocka., drehend darauf befestigen. Eine Schraube, die Thür (G. 15, 99); Eine Hundelinie (Münchhausen 27); Eine Schnur a., das Zu- oder Zusammengedrehte auflösen, öffnen. Einem Etwas a., aufheften, aufbinden, weißmachen. Zelter 2, 324 etc., vgl. veralt.: Daß sie den unschuldigen Wein beschuldigen und die Ursach aufdrächen [ihm Schuld geben] ihrer Missethat. Frank Last. F. 2b.
Āūs-: Einem Etwas a., aus der Hand [1e] es ihm entwinden. Gotthelf U. 2, 179; Sich a. [1e], entwischen, entschlüpfen. Luther 3, 441b; 6, 28b; Die Schraube hat sich (ist) ausgedreht, dreht, schraubt nicht mehr; Cylindrisch ausgedreht, ausgedrechselt. Winckelmann 255b etc. Bēī- (Schiff.): die Segel so stellen, daß das Schiff liegen bleibt. Bobrick 110a, Ggstz.: Ab-d., vgl. I Back.
Eīn-: Nun beginnt das E. [des neuen Zettels]. G. 19, 50, s. An-d.; Eine vertiefte Rinne eingedreht. Karmarsch 2, 56, durch Drehn in Etwas hineinbringen; Sich e. [1c]: sich einschleichen, einschmiegen. Luther 6, 211b. Empōr- [1e]: Den Kopf e. etc.
Ent-: Einem Etwas e. V. 3, 4 = entwinden; Mit entdreheten [abgewandten] Augen. Ov. 2, 33 etc. Entgêgen- [1e]: Der zwei Herzen .. sich schwesterlich entgegendreht. Pfefel Po. 3, 63. Fórt- [1e]. Hêr-, Hín- etc. [1e]: Was die Leute nun aus dieser einfachen Geschichte herausgedreht [1g] haben. Voigts H. 287; Sich im Kreise herumdrehen. G. 38, 6; Diese Offenheit, wie hübsch sie sich zur Frechheit herumgedreht hat. Sch. 104a etc.
Nīēder-: Da die andern Thier’ ihr Antlitz n. Opitz 1, 35 etc. —I.
Um-: drehend umwenden:
Jeden Pfennig u., eh man ihn ausgiebt; Wie man die Hand umdreht [im Nu]. Forster Br. 2, 613 u. v.; Den Spieß u., den Angreifenden mit seinen Waffen, Gründen etc. bekämpfen; Der Renommist dreht [sich] um und .. eilt aus dem Gemach. Zachariä 1, 62; Das Blatt dreht sich um (Forster Br. 1, 317 etc.), die Sache gestaltet sich anders; Dreht die Welt sich um? Tieck Cymb. 5, 5 [Ist Alles verkehrt?]; Dein Gehirnchen soll sich im Schädel u. [staunen, Etwas nicht fassen]. Sch. 108a; Das Herz im Leibe, das innerste Leben dreht sich Einem um. Immermann M. 2, 159; Gutzkow R. 4, 446 [Man empfindet tiefen Schmerz]; Sähe das die alte Fürstin, sie drehte sich im Grabe um. 1, 258; Kinkel Erz. 162; Einem das Wort im Munde um-d. [verdrehen 1f]. L. 12, 483; V. Ant. 1, 23; Rein unschuldiges Thun u–d. zu sträflicher Handlung. Eberhard Küchlein 6, 29. Zuw. auch: Das Blümlein dreht und neigt sich im leisen Windhauche um und um. Auerbach Ab. 234. II.
Um-: (selten) drehend umschreiten. Börne 2, 96. Ver-:
falsch drehn, durch Drehn aus der gehörigen Lage etc. bringen, s. Verkehren 2a: Einen Schlüssel, die Augen, ein Wort, das Recht, Einem den Kopf ver-d. etc.; Alles zu v., aus seiner natürlichen Lage zu richten und auf den Kopf zu stellen. Fichte 8, 54; Indem er ihm einen Finger auswärts dreht ... der verdrehte Finger schmerzt. G. 30, 423; Meine Klage . . in eine Blasphemie verdrehet. Pfeffel Po. 3, 106; Nie verdreht sich ihm der Pol. V. 3, 222; Verdrehte [verkehrte] Ansicht; Der Kerl ist verdreht = verrückt, verschroben; Die andau- ernde Verdrehtheit seiner Seele. Keller gH. 2, 313 etc.; Mißdeuter, Verdreher. Arndt Ber. 8; Augen-(Gutzkow R. 1, 256 = Frömmler) Rechts-, Wort-Verdreher; Die moralischen Augenverdrehereien. Prutz DM. 1, 2, 316 etc.; Eine Lüge aus Halbwahrheit und Verdrehung spinnen. Tieck DrBl. 2, 82 etc. Zuw. auch ohne Nebensinn des „Falschen“, z.B.: Wie unser Knoten sich v. [verwickeln] und lösen solle. Nicolai 1, 223, vgl. auch: Wenn man es falsch verdreht. Sch. 102b. Vōr- [1e]. Wég- [1e]. Zū- [1e]: auch = durch Drehen schließen, Ggstz. auf-d. Zurück- [1e]. Zusámmen- [1g] u. ä. m.