Faksimile 0272 | Seite 264
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Gedanke
Ge~dánke, m., –n (–ns); –n; –n-:
Ggstd. des Denkens, Erzeugnis des Denkvermögens, Vorstellung, die ein denkendes Wesen als solches hat, und nam. in Mz. zusammenhängende Reihe solcher Vorstellungen. Nach dem engern oder weitern Umfang des Denkvermögens und nach seinen versch. Richtungen und Beziehungen hat auch G. eine mehrfache nüancierte Bed.: 1) als thätige Außrung des Verstandes und als bestimmter, klar bewußter Ausdruck des denkenden Geistes, im Ggstz. zu „Gefühl“ und „Empfindung“, wie sie z.B. auch dem Thier als sinnliche innre Erregungen durch äußre Eindrücke zukommen: G–n waren fern, er war nur Schmerz. Chamisso 4. 101; Daß in der Einen Alles schon deutlicher, umgrenzter G. ist, was in der Andern noch unbestimmbares, zartes, ergreifendes Gefühl bleiben muß. Forster Ans. 2, 315; Glaube weit, eng der G. G. 4, 2; Der Hudel hat keine G–n mehr, sondern nur Gelüste. Gotthelf Sch. 96; Hegel Log. 31; Jetzt fiel der Thierheit dumpfe Schranke | und Menschheit trat auf die entwölkte Stirn | und der erhabne Fremdling, der G., | sprang aus dem staunenden Gehirn. Sch. 24a; Süße Liebe denkt in Tönen, | denn G–n stehn zu fern. Tieck etc. 2) darnach bez. einerseits G. als das höchste Geistige das wahre Wesen der Dinge: Die reine Wissenschaft .. enthält den G–n, insofern er ebensosehr die Sache an sich selbst ist oder die Sache an sich selbst, insofern sie ebensosehr der reine G. ist. Hegel Log. 11. Daher im prägnanten Sinn, wie Geist (s. d.), Weltgeist: Den G–n [s. 4a] ausgesprochen .., daß der Nus [νoȫς], der G., das Princip der Welt, daß das Wesen der Welt als der G. zu bestimmen ist. 12; Hoch über der Zeit und dem Raume webt | lebendig der höchste G. Sch. 88a. 3) andrerseits aber macht sich die Ansicht des „gemeinen Menschenverstands“ geltend, „daß G–n nur G–n seien, in dem Sinne, daß erst die sinnliche Wahrnehmung ihnen Gehalt und Realität gebe“. Hegel Log. 5, und so wird G. oftsinnvwdt. mit Einfall, Einbildung, zuw. selbst mit Hirngespinnst: Dies war kein Einfall, kein G. mehr, es war ein entschiedener Plan. G. 30, 10; und oft G., als bloß Gedachtes, im Ggstz. zu seinem Ausdruck im Wort und seiner Ausführung in der That: G–n sind zollfrei. Sprchw. (Luther 6, 326b; 384a); Der schreckende G. wird zum Wort, | die Höll’ erfasst es und das Werkzeug naht | und der G. wird zur That. MBeer Arr. 85; Das Alles muste zum G–n, zur Sprache kommen. G. 25, 129; Gieb den G–n, die du hegst, nicht Zunge, | noch einem ungebührlichen die That. Schlegel Haml. 1, 3 etc. 4) von Vorstellungen des Verstandes, Kopfes (s. d.):
a) vgl. Jdee: Wagtest du zu denken ihn, den großen, den schrecklichen G–n: Ewigkeit. Chamisso 4, 193; Ein froh Gesicht, das den großen G–n deiner Schöpfung noch einmal denkt. Kl.; Die Unsterblichkeit ist ein großer G. Ders.; Mich scheucht ein trüber G. ..., du redest umsonst heitre G–n mir zu. Ders.; Wär der Gedank’ nicht so verwünscht gescheit, | man wär versucht, ihn herzlich dumm zu nennen. Sch. 343b; Ein G. geht mir bei. G. 13, 10; schießt mir durch den Kopf, das Gehirn. Gutzkow R. 8, 343; Klinger F. 17; Blitzschnell wie der G.; Der G. ist mehr schimmernd als wahr; Neue, originelle, schöpferische, fruchtbare, kühne, feine G–n; Derselbe G. in andrer Einkleidung; Einen G–n weiter ausführen; Der erste G. ist nicht immer der beste; Keines G–(s) mächtig; Der G. an dein Schicksal, über dein Schicksal etc.
b) der Ggstd. des Denkens: Du warst mein Gedanke bei Tag und bei Nacht.
c) nam. Mz. die Gesammtheit der Einen beschäftigenden Vorstellungen = Sinn: Etwas liegt Einem immerfort, schwer in den G–n; sich Etwas aus den G–n schlagen; seine G–n beisammen haben, zusammennehmen, sammeln; seine G–n sind zerstreut; sich Etwas in G–n vorstellen; Das ist mir nicht in die G–n gekommen; In ihren G–n ist sie schon gnädige Frau (s. e).
d) nam. Mz., eine Reihe zusammengehörender, sich aus einander entwickelnder Vorstellungen: G–n über die Lage Europa’s; Seinen G–n nachhängen, Audienz (Gehör) geben; in G–n vertieft oder auch: in G–n, in tiefen G–n [an Etwas Andres], was dem Sinn nach oft gleichbedeutend wird mit: ohne G–n, in Zerstreutheit; vgl.: Scharrt, wie ohne | G–n, mit dem Kolben in den Sand. Chamisso 4, 129; War so ideenreich, daß er ordentlich g–nlos sein konnte. König Jer. 1, 21.
e) Meinung, Ansicht auch über Zukünftiges (s. c): Jch that Das, in dem G–n, daß es dir erwünscht wäre etc., meist in Mz.: Nach meinen dummen G–n; Hohe G–n von sich haben; Auf andre, bessere G–n kommen, (ver)fallen, bringen; Jch will dir meine G–n darüber mittheilen; Ich hahe so meine G–n [Vermuthung etc.] über den Diebstahl, aber ich nenne Keinen. So auch: Sich G–n machen = Vermuthungen, Verdacht hegen, aber auch von sich aufdrängenden Bedenklichkeiten: Mach dir darüber keine G–n [Sorgen] etc. (s. auch 5). 5) G. aber auch von Vorstellungen des Begehrungsvermögens, des Herzens (s. d.) = Wille, Wunsch, Absicht, Plan, Entschluß, Vorhaben etc.: Jch gehe mit dem G–n um, das Haus zu verkaufen; Aus dem Herzen kommen arge G–n. Matth. 15, 19; Alle ihreG–n sind, daß sie mir Übels thun. Ps. 56, 6; Sich G–n auf Etwas [Hoffnung es zu erlangen] machen; Wenn wir nur noch einen G–n auf einander [uns zu heirathen] haben wollten. Miller Siegw. 406; Auch sie hatte noch eine hintere Reihe von G–n [Absicht im Hinterhalt, Hinter-G.]. König Jer. 3, 18; Friedliche (Friedens-) G–n hegen etc.
Anm. Nbnf.: Der Gedanken. Klencke Gsp. 2, 114; häufiger im Gen.: Saß der Dichter | an dem Webstuhl des G–ns. Heine Rom. 73; s. Haupt-G. u. v. Zuw. auch G. fem.: Jhm hier eine G. und da eine Wendung .. abzustehlen. L. 5, 39; Diese oder jene G. 3, 21; 7, 262; 292; 330; 8, 233 etc., (masc. z. B. 7, 351 etc.), vgl. ferner Dank 1. Auch die Verkl. findet sich: Um das Gedankchen her pflanz Korybantenchöre. Lichtenberg 4, 373; Gedänkchen. Rückert 2, 258; Ihm Gedank’ mit Gedänkelchen spießend. Droysen Ar. 3, 44.
Zsstzg. vielfach, z. B.: Ādler-: Senke nieder. | A. dein Gefieder. Sch. 6a.
Allerwélts-: Gutzkow R. 9, 251 etc.
Bābel-: G. 31, 3 = Gedanke, einen Thurm wie den zu Babel zu errichten.
Blítz-: schneller Gedanke. Gotthelf U. 2, 134 etc.
Brúmmbär-: Rank Arm. 113. Būß-.
Gārnichts-: Ich dachte meine süßesten G–n. Heine Sal. 1, 234 etc.
Grúnd-: Typus oder G. Burmeister Gsch. 355 etc.
Hāūpt-: Diese Entwicklung eines H–s geschieht am natürlichsten .. durch einen Gegen-Gedanken. G. Zelt. 2, 122 etc.
Hínter-: unausgesprochner Gedanke, Absicht im Hintergrund, Arrière-Pensée. Heine Lut. 1, 77; 2, 74; 215 u. o.
Hínterhalts-: Hinter-G. Danzel 26.
Hōch-: G. 10, 231.
Jrr-: Heine Verm. 1, 302.
Lícht-: Chamisso 3, 324; Sch. 49b.
Míß-: Der M., alle Welt zu verzerrbilden. Jahn M. 115.
Mönchs-: Klinger F. 81.
Nácht-: Halbgereifte | N–n wälzt er im Gemüthe. Platen 4, 295; N–n von Young etc.
Nêben-: s. Haupt- G.; Nebenabsicht.
Rǘckhalts-: Hinter-G. Gutzkow R. 1, 98.
Spīēl-: Luther 6, 387a.
Tāg-: s. Nacht-G.: War sein T., war sein Traum. Hölty 17.
Tōdes-: Gedanke an den Tod.
Trāūm-: Die Gedanken, die er denket, sind nicht, wie unsre alten T–n. W. 28, 8.
Un-: Ein einziges Theater für ganz Berlin sei ein U. Zelter 3, 206 etc.
Vōr-: früherer, voraufgegangner Gedanke. Auerbach Dorf. 4, 322 etc. Wāhn- u. v. ä.