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brauchen
Brāūchen, tr. (mit Acc. oder Gen.):
sowohl:
1) Etwas anwenden, benutzen, sich einer Sache bedienen; als auch
2) einer Sache bedürfen, sie nöthig haben, in beiden Fällen auch: Gebrauchen, doch so, daß heute für 1 dies, für 2 das einfache Zw. gegewöhnlicher ist: Du gebrauchst eine Brille, die du bei deinem guten Auge eigentlich noch nicht brauchtest, und wirst sie so lange gebrauchen, bis du sie wirklich b. wirst; Benutzt es immer und braucht es nie! Kapper Chr. 2, 104 etc.; doch wird wie angedeutet dieser Unterschied nicht immer beobachtet, wie denn das Part. gebraucht zu beiden Zeitw. gehören kann; der Vorschlag Eberhardt’s aber, in dieser Form für die Bed. 1 den Accus., für 2 den Genit. festzustellen, ist eine vom Sprachgebrauch nicht anerkannte Subtilität. Die nahe Berührung beider Bed. und Formen zeigen Beisp., wie: Der Geistlichkeit . . ., die | es leicht als Werkzeug gegen uns gebrauchte [1]. G. 13, 263; Als ein gefühllos Werkzeug braucht [1] ihr mich. 283; Was wir uns bei diesen Worten denken, welche wir öfters b. [1 und 2: aus Bedürfnis anwenden] werden. 31, 31; Wer Vieles b. [1] will, gebrauche Jedes | in seiner Art. 13, 207; Er weiß die Menschen zu b. [1] und er handelt oft weise, weil er sie meist zu Zwecken gebraucht etc. [1]. Lewald Ferd. 1, 267; „So möcht ich Henkers doch wissen, was für Hexereien [Accus.] du brauchst [1].“ Hexereien? Braucht [2] keiner Hexereien [Genit.]. Sch. 118a. Seltner findet sich gebrauchen in der Bed. 2: Ich gebrauche [mir fehlen] noch hundert Thaler etc.:
1) B., anwenden, benutzen etc.:
a) gw. mit Accus.: Daß, falls du mich reizest, Gewalt ich b. kann. Chamisso 3, 313; So unverschämt . . ., nicht einmal einen Vorwand zu b. Forster Br. 2, 464; Wie er die Leidenschaft dieses jungen Mannes zu b. weiß. G. 10, 5; Sie halten die Herrschaft | īn ewigen Händen | und können sie b., | wie’s ihnen gefällt. 13, 71; Sich weitere Geschicklichkeit zu verschaffen, da er Das nicht b. kann, was er in vollem Maße besitzt. 15, 6; Brauchte . .. derbe Ausdrücke. Gutzkow 3, 156; Ein Vogel . . ., der seine Flügel nicht braucht. Heinse A. 1, 143; Brauche meinen Namen nicht zum Dolche gegen mich. Hölderlin H. 1, 63; B. [machen] Sie doch keine Umstände! L. 1, 265; Brauche deine Jugend. Lichtwer 263; Braucht euer Ansehn doch; bedeutet ihn! Sch. 355a; Das Mädchen ist hübsch und trotz allen Teufeln muß ich sie b. [vgl. mißbrauchen]. 147b; Braucht [Habt] Respekt und wisst, mit wem ihr redet. Stilling 1, 117 etc. Hier könnte überall gebrauchen stehn (Daß sie . .. nie ihren Witz gebrauchten. Börne 2, 163 etc.), vgl. im Part.: Er hatte die Worte murmelnd gebraucht [gesprochen]. Chamisso 3, 228; Der . .. keinen Rock gebraucht (,,verbraucht“ Ramler L. 112), seit er im Dienste steht. Lichtwer 130 etc.; Die vielgebrauchten [Federn]. G. 6, 93; Ungebraucht. Heinse A. 2, 189; Lewald Wandl. 1, 194 etc.
b) seltner mit Genit., wie oft bei Luther, z. B.: 4. Mos. 10, 2; Pred. 9, 9; Spr. 10, 16; Weish. 2, 6 etc.; Du wolltest auch ihrer b. und mauertest sie ein. G. 31, 5; Wie, wenn wir sein jetzt brauchten in der Noth? Sch. 540b; Nicht b. Verständige also des Reichthums. V. Th. 16, 23 etc. So früher auch oft refl. (vgl.: sich bedienen): Der . .. sich alles Ueberflusses und Muthwillens . .. braucht. Eppendorf 4; 64 U. v., selbst noch: So brauch’ dich deines Rechts. Lichtwer 244. Beide Fügungen haben sich bei „gebrauchen“ länger gehalten: Gebrauchst du deiner Zeit, so hast du gnug gelebt. Cronegk etc., nam. refl., was früher oft = haben war: Dieses Thier gebraucht sich vieler Würm. Ryff Th. 18 etc.; Fischart Bienk. 1a; Keisersberg Pilg. 154; Luther 8, 15b; Schaiden- raißer 5b; 44b; 56a; Stumpf 308a; 604b; Zinkgräf 1, 151; 178; 284; 298; 305 etc., selbst noch: Die so sich sein ge-b. Leibnitz Erinn. 2; Als deren wir uns ... ge-b. L. 11, 86; Und gebraucht sich Dessen genügsam, | was sie zuvor aufsparte. V. Hor. 2, 10; Ar. 3, 175; Gebrauche dich der Zeit. Weichmann 2, 122 etc. Zuw. auch ohne Genit. (s. Schmeller 1, 244): Der immer sich so königlich gebrauchte [gebarte, trug,etc.], | als sei er gleich zum König schon geboren. FSchlegel Al. 27.
2) bedürfen (selten: gebrauchen), persönl. und unpersönl., mit Genit. oder Accus.; auch mit nachfolgendem Satz, theils mit „daß“, theils und gw. mit Infin. und ,,zu“ (mund- artl. auch ohne ,,zu“, s. Anm.). Für die wechselnde Fügung vgl.: Um Leichentücher | für dich zu spinnen, | brauchst du die Göttin [Accus.], | doch sie nicht dein [Genit.]. Pfzer 41.
a) persönl. mit Accus.: Die Götter b. manchen guten Mann | zu ihrem Dienst. G. 13, 27; 4, 11; Die Bücher, die ich von Ihnen habe,brauche ich noch; ich brauchte sogar noch eins oder zwei mehr . . Als wenn Sie ihre Bücher nicht selbst brauchten. L. 12, 175; Mein Unglück braucht noch- Vorwurf. Sch. 585a [iron.: Das fehlte dazu noch] u. ä. m. Zuw. mit örtlichen Präp., mit Accus., mit leiser Nüance statt des gewöhnlichern Dativs: Wenn die Engländer viel Volk auf ihre Schiffe b. [haben müssen]. Hebel 3, 101. Vgl.: Daß man ihn auf die Wiegkammer gebrauchen kann. Hackländer Hdl. 2, 24; Solch Harz . .. wird auch in die Wundarznei und Salben gebraucht. Stumpf 606b etc.
b) mit Genit.: Man braucht nicht des Goldes. Salis; Ein schwankendes Gebäude braucht des Erdbebens nicht, um übern Haufen zu fallen. Sch. 114 a; Jch brauche deines Beistands. 647b; 357a; Werner Kr. 1, 21 etc.
c) mit nachfolgendem Satz: Wofern er eine Brücke gewusst, | was brauch’ ich, daß er mir den Weg durchs Feuer preiset? W. 15, 90 (gw. unpersönl. s. f); Ich brauchte es nicht so künstlich anzulegen. G. 10, 21 u. o. (Über die Form des Part. s. Anm.). Ferner unpersönl. = es ist nöthig, bedarf etc.:
d) mit Accus.: Es brauche hundert Jahre, | um es mit Würde zu erneuen. G. 6, 94; Bereitung braucht es nicht voran. 11, 60; Hier braucht es ... keine Zauberworte. 12, 73; 39, 439; Was braucht’s dir Denkmal? 31, 3; 10, 206; Es braucht ein großes Beispiel, die Armee | ihm nachzuziehn. Sch. 374b; 332a; Es braucht nur einen Schluck. W. 11, 67 etc.
e) mit Genit.: Ich bekenn’s, braucht’s keiner Zeugen. Alexis H. 2, 3, 194; Als ob das noch Fragens brauchte. Engel 12, 75; Es braucht Dessen nicht. 15, und so oft zur Vermeidung des doppelten „es“ (doch s. G. 15, 65: Sie machen kein Geheimnis daraus und es braucht es auch nicht), während anderseits auch das eine „es“ oft mit „Das“ vertauscht wird: Das braucht es nicht. Sch. 282a; 341b; Es brauche Das nicht zwischen dir und ihm. 361b etc.
f) zuw. mit nachfolgendem „daß“: Es braucht’s nicht eben just, daß Einer tapfer ist. G. 7, 59; Es braucht nicht, daß Ihr immer zusammen seid. Hippel 12, 34; Es braucht wohl, daß wir um Vergebung bitten. Rank Arm. 108 etc. (gw.: Es thut, ist nöthig, daß etc.; oder persönl.: Man braucht nicht grade tapfer zu sein, und in bejahenden Sätzen: Wir müssen wohl um Vergebung bitten.)
g) oft mit „zu“ und passivem Inf.: Es braucht nun gezeigt zu werden, daß etc. Sch. 966b; am gewöhnlichsten mit: nicht, nur, kaum etc.
Anm. In der Verbind. von brauchen mit Inf. fällt zuw. das „zu“ aus, so nam. bei Auerbach: Ich geh nicht weg, da brauch’ ich nicht wiederkommen. Ab. 281; Daß ich mich nicht verkaufen brauch. Dorf 4, 43; 52; Leb. 2, 337 u. o. Aber auch, nam. bei vorstehndem Infin., bei Andern: Todtschlagen brauch’ ich ihn nicht. Alexis H. 2, 1, 190; Wandern braucht ihr nicht. Rückert 2, 234 etc. Damit zusammen hängt die ganz gewöhnl. Doppelf. des Part. (wie bei den andern Hilfszeitw. ohne „zu“, s. dürfen, können, sollen etc.; auch: Ich habe dich gehn heißen, tanzen sehn, singen hören etc.): Hätte sie’s nie zu erfahren brauchen. Gutzkow R. 5, 164 u. o. [st. gebraucht]. Mundartl. auch mit Uml., nam. im Konj. Imperf.: Dann braucht’ ich auch kein Pfarrer zu werden. Auerbach D. 1, 222; 174; Rank Arm. 25; Ryff Th. 61 etc.; ferner: Die Gebruchteren = Geübteren. Zwingli 3, 6 u. ä. m. Die Bed. 1 ist die ältre, schon goth. brukjan stammverwdt. das lat. fruor, genießen, wozu fructus, Frucht etc. gehören. Brauchung, f.; –en. Ryff Th. 30, selten.
Zsstzg. s. Ge-b. unter 1 und 2; die mit betonter Vors. lassen sich sowohl von brauchen, wie von gebrauchen bilden und fallen im Part. auch formell zusammen, z. B.: Áb-: Nimm dir, was du davon ab(ge)brauchen kannst; Münchhausens Genie hatte sich in der Meinung seines Wirthes rascher abgebraucht [abgenutzt]. Immermann M. 2, 51; 3, 248; 4, 248; Abgebrauchte [abgenutzte] Kunstgriffe etc.
Āūf-: einen Vorrath zu Ende brauchen, brauchend aufzehren etc.: Was wohl Kind und Enkel nicht aufbraucht. V. 1, 55; Die letzten Überbleibsel der Altarkerzen wurden dort aufgebraucht. Kinkel Erz. 150; Sch. G. 2, 211.
Āūs-: Etwas zu Ende brauchen, so daß es erschöpft ist, ver-b.: Die Arznei a.; Der ausgebrauchte Theil von uns. Haller 162; Das kahle ausgebrauchte Griechenland. Hettner grR. 304; Gotthelf Geld 325.
Dúrch-: Alle Mittel der Welt d.
Fórt-: weiter-b: Die Medicin f. Ge-: s. o. Míß- (⏑–⏑): von Etwas einen Mißbrauch, eine falsche, schädliche, schlechte Anwendung machen: Du sollst den Namen des Herrn nichtm. 5. Mos. 5, 11; Und die dieser Welt brauchen, daß sie derselben nicht m. 1. Kor. 7, 31; Der sich eben brauchen und m. ließ, wie es grade das Spiel mit sich brachte. G. 18, 29; Sie m. ( ⏑–⏑) die Geduld. Chamisso 3, 107 etc. Ein Mädchen m. (sich mit ihr fleischlich vermischen, zumal sie nothzüchtigen). V. 2, 8 etc. Schon diese Beisp. etc. zeigen die Fügung mit Accus. und Genit.; diese heute die seltnere, z. B. noch: Daß ich Jhrer wohlthätigen Zärtlichkeit mißbrauche. Engel 12, 80; Die Frau mißbrauchet (⏑ –⏑) ihrer Gaben. Hagedorn 2, 285; Um seiner zu m. König Kl. 2, 350; Doch du mißbrauchst (⏑ –) des unbegrenzten Rechts, | das dir die Schönheit giebt. W. 20, 324 etc. Mundartl. auch wohl der Dativ: Als könnten sie Einem ungemerkt und ungestraft m. Gotthelf Gld. 23. Die Doppelbetonung ist bereits angedeutet; für –– lässt sich die des Hw. Mißbrauch geltend machen, für –⏑ die Stellung des „zu“ beim Infin. (s. o. König; Sch. 106b und oft) wie bei allen untrennbaren Zsstzg. mit unbetonter Vorsilbe, vgl. z. B. ,,aufzuschreiben“ (– –⏑) und ,,zu beschreiben“ etc. (⏑⏑–⏑), im Part. aber findet sich die Doppelform: Gemißbraucht u. Mißbrāūcht, z. B.: Ward diese Gabe gemißbraucht. G. 14, 272; Mit Recht [hat] der Graf deine Gutmüthigkeit auf eine verruchte Weise mißbraucht. 10, 85; 9, 104 etc.; Der Mensch hat größtentheils | gemißbraucht (⏑ ⏑) diese Kraft. Alxinger D. 205; Wer Blut gemißbraucht (⏑ ⏑), büßt durch Blut. Werner Kr. 1, 79; Ward | die Friedlichkeit des Kamels mißbraucht (⏑ –). Rückert Morg. 1, 154; Ach, schon schwören sich, mißbraucht (⏑ –) zu frechen Flammen, | meine Geister wider mich zusammen. Sch. 4b etc. Selten findet sich eine dritte Form: Ach, warum wird dieser Segen | so erbärmlich mißgebraucht. Brockes 9, 21; vgl. Miß. Dazu: Guter Herrn Mißbrauchung. Zinkgräf 1, 336 etc. Der Mißbraucher eines Guts etc.
Nāch-: Ich habe gebadet und muß noch eine Kur n.; Vergeben Sie, daß ich Ihnen dieses Wort nachgebrauche. L. 1, 587.
Nīēß-: den Nießbrauch von Etwas haben: Das von dem Stiefvater genießbrauchte Vermögen wird dem mündigen Sohn ausgezahlt; Es zu vervollkommnen und zu n. Musäus Ph. 2, 180; Der Nießbraucher.
Ver-:
1) brauchend verwenden: Alles zu nützen und zu ver-b. G. 30, 34; Ich muß nun einmal so verbraucht werden wie ich bin etc. Mundartl.: Er verbrauchte [fertigte ab] die Frau mit uneinläßlichen Redensarten. Gotthelf Sch. 356.
2) zu Ende brauchen, aufbrauchen, abnutzen: Der keinen Rock verbraucht, seit er im Amt steht. Ramler L. 112; Abgesehen von ihrer Verbrauchtheit. Tieck Nov. Kr. 4, 32 etc.