Faksimile 0909 | Seite 1731
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zerren Zerr-Zerren er Zerrenerei zerrenig
Zérren: I. tr.:
Hüttenw. = zer-rennen (s. d.). II. intr. (haben): veralt., mundartl. (wohl Tonw.) zankend kreischen, schreien etc., z. B.: Da flucht, lästert, plärret, zerret, schreiet und speiet er also. Luther SW. 26, 2 etc.; „Zärren“. Stalder 2, 465 und Zsstzg. z. B.: Sie zerrten Beide schrecklich über den Hauptmann ab. Gott- helf Sch. 228; Was dann aber auch an einem solchen Abend .. eine Mutter abzerrt, man glaubt es nicht, wenn man es nicht gehört hat. G. 265 etc. Dazu wohl: Zerrer = Zaritzer (s. d. und Schnarre 3a). III. (s. zehren, Anm. u. Schm. 4, 281) tr., auch ohne Obj. oder intr. (haben) und refl.:
1) reißend ziehn:
a) mit bloßem Obj.: Der Schuster . ., der das Leder mit den Zähnen zerrt, bis es so weit langt etc. Tieck DQ. 2, 439 etc. und bildl.: Sie [die Phänomene] nach der Erklärung [modelnd] z. und verstümmeln. G. 40, 7 etc.
b) (s. a) mit prädik. Ew.: Das Leder lang recken und z.; Den Mund breit z⁴etc.
c) (s. a) mit abhäng. Präpos., entsprechend dem Wo, z. B.: Zerrte ihn am Fell, biß ihm in die Tatzen. Tieck A. 1, 147 etc. und bes. dem Wohin (alphab.): Zerrt unnützeste Gespinnste | lange sie an Licht und Luft. G. 12, 31 etc.; Einen aus dem Haus auf die Straße z.; Das Feuer aus einander zu z. und zu dämpfen. G. 17, 61; Die Leidenschaften .. die Alles aus einander z., was.. wohldenkende Menschen zusammenzuhalten wünschen. 77; Aus allem Zusammenhang gezerrt. Keller gH. 1, 238 etc.; Einen oder Etwas in den Koth z.; Man zerrt das koncentrierte Talent in die Zerstreuung. G. 22, 285; Wenn wir Alles, was in der Bibel steht, in ein System z. wollen. 14, 254; Was könnt’ es uns helfen, sie [die Schöne] in 3 Theile zu z.? W. 15, 106 etc.; Einem die Kleider vom Leibe z.; Sie haben .. von einander gezerrt 2 Herzen, die Gott an einander band. Sch. 205a etc.
d) refl.: Sich mit Einem (herum) balgen und z. etc.
e) intr. mit an, z. B.: Der Köter .. | zerrt bald an meines Herrchens Rocke, | bald an dem Degen etc. B. 32b; Andre z. dran [an dem Armen] und melken, | wie an dem licben Vieh. Claudius 3, 29; Da man an seinen Lebensverhältnissen nicht so viel zupfen und z. .. soll. G. 15, 15; Der Eigenname eines Menschen ist nicht etwa wie ein Mantel, der bloß um ihn her hängt und an dem man allenfalls noch zupfen und z. kann. 21, 238; Zog und zerrte so lange an einem Stücke, bis es herunterrutschte. Grimm M. 191; Hartmann N. 1, 180; Prutz GschTh. 384; An dem Mantel der christl. Liebe zu ziehen und zu z., bis er endlich lang genug war etc. Ob. 2, 130; Da zerret an der Glocke Strängen | der Aufruhr. Sch. 80a; Simrock (Echtermeyer 83) etc.
f) intr. (s. e) ohne an, z. B.: Wenn Eines hier aus [hierhin] zerrt, das Andre dort aus, das Eine als Beute betrachtet, was es erzerret, das Andere als Raub, was man ihm abgezerret. Gotthelf U. 2, 63; Es [das Roß] wuchtet erdwärts, zerrt und haut. Lenau Sav. 88 etc.
g) (s. f) im subst. Infin.: Mit vielem Ziehen und Z. | bracht’ er [Reineke] die Keile heraus. G. 5, 138; 14, 28; 27, 179 etc.: Ich hör euch .. | ein Z. hin, Herr Richter, Z. her. HKleist Kr. 72 etc.
2) zunächst mit Z. (s. 1), dann auch verallgemeint: in ähnl. Weise Einen nicht in Ruhe lassen, ihn quälen, nicht zufrieden lassend, reizen etc.: Einen oder einen Hund oder: sich mit ihm z. (oder zergen); Ich will ihn trillen, z. B. 288b; Er zerrte seine Gespielin so lange, bis diese nachgab und zu ihm kniete und ihm vorlas. G. 17, 235; Wird so lange gezerrt und getrillt, bis etc. FHJacobi 5, 45; Sich nicht zupfen, foppen, anzapfen, z. .. lassen. V. 2, 208; Den .. Greis . . zerrt er, närrt er etc. Ar. 1, 49 etc.; auch: Einen ungezerrt lassen; Auch Löwen brauchen Glimpf, doch aber „ungezärret“. Weichmann 1, 28 etc.; Das ewige Z. und Necken etc. (s. Gezerre).
3) Dazu (zumeist von Zsstzg.):
a) Eine un- ausstehlich freundliche Zerrung [der Mienen etc.]. H. 11, 309 etc.
b) Dem Häßlichzerrer besserer Naturen. G. 6, 158, s. ver-z., vzl. Zerrerei. Zsstzg. (vgl. die von reißen und ziehen), z. B.: Áb- (versch. II): Einem Etwas a., s. [1f] etc.; Du sollst dein Herz davon a. [losreißen]. Keisersberg Has 15d; Sie zerrte sich mit aller Kraft .. von der Wand ab. Immermann M. 4, 161. nam. [2]: Einen a.; Der Völker Anlaufen und Anzarren mit Geduld ertragen. Olearius Ros. 10b.
An-: Āūf-:
1) mit Gewalt aufreißen, öffnen: Die Augen a. Franck Parad. 31b; Sie ,, zärten“ ihm das Maul auf. Keisersberg Par. 209a; Schaudernd strebt | die Thür sie auf-zu-z.; | sie reißt und rüttelt. Reithardt 143.
2) zerrend emporziehn: Auch den dunkelsten [Grund] an das heilige Licht auf-zu-z. Wilbrandt Kleist 169. Āūs-: Unkraut a. Keisersberg Post. 181b; Dem heiß ich a. all seine Adern. Keller Fastn. 596¹⁵; Sie wußte nicht, wie sie das Maul sollte krumm genug a. Weise Erzn. 399 etc. Dúrch-: hindurchzerren, -schleppen: Wie eine solche reitende Batterie sich durch die . schlammigen Hügel d. mußte. G. 25, 57. Em- pōr-: auf-z. 2. Ent-: Einem die Beute e., zerrend entreißen. Er-:
1) (veralt.) statt des Grundworts: Wie der Schuster, das Leder e. Fischart Garg. 104a; Ich erzerr ihm sein gelbes Haar. Keller Fastn. 452²³ etc.
2) Etwas durch Zerren bekommen, gewinnen, s. [1f]. Fórt-: In Fesseln ward ein Löwe fortgezerrt. Krummacher; Freilich zerrt mir der kleine Ruschelkopf auch die Mutter mit fort [nach, ins Grab]. L. 12, 498. Hêr- etc.: Niemals bin ich von einer solchen Ungewißheit hin- und hergezerrt worden. G. 26, 8 etc.; Die eig. Streitfrage wird sich wohl bis zur Bildung eines neuen Ministeriums hin-z. [hinziehen, hinschleppen]. Heine 8, 225; Daß man die Schriftstellen aus ihrem Zusammenhange reißet . ., zu seinem Sinne hinzerret. Zimmermann Nat. 83 etc.; Man zerrte so den guten Namen des treffl. Gellert .. hin und wi(e)der [her]. G. 21, 98; 27, 375 etc.; Welche Hexe .. sich Kühe melkt durch Ständer, | daß die Nachbarin Blut statt Milch heraus- zerrt. V. (Wackern. 2, 903⁶); Die nicht der umständlichen Pracht von Tempeln und Opfern bedürfen, um ihn [Gott] an ihre Herzen herbei-zu-z. G. 31, 19; Die Zuschauerschaft aus der Betäubung des Mordspektakels in den Zustand der Lustigkeit hinüber-zu-z. Schütze Hamb. 57; Einen herum-z. G. 15, 177; W. 34, 304 etc.; Sich mit den Mägden herum-z. Möser Ph. 1, 48 etc. Nāch-: zerrend nach-schleppen, -ziehn. Nōth-: (veralt.) nothzüchtigen (s. d.), Partic.: Nothgezerrt und genothzerrt. Schm. Ver-: verunstaltend, entstellend zerren, z. B.:
1) tr.: Sein Gesicht v. Bahrdt 3, 138; Ein verzerrtes Bild. Gehler 1, 99 ff.; 4, 131 etc.; So hat man denn, nach falscher Analogie eines Magnetstabes, das Licht auch in 2 Pole verzerrt. G. 27, 329; Verzerrt zu werden in eine Karikatur. Gutzkow B. 8 (Gervinus Sh. 1, 120); Des Romanlesens.., das alle einfache, natürliche Gefühle in ihnen verzerrt. Klinger Teutsch. 53; Rabner 4, 160; Die edle Einfalt der Schrift muß sich .. von den s. g. witzigen Köpfen .. ins Lächerliche ver-z. lassen. Sch. 102a; Bei jenem geist-v–den Spiele. 172b; Daß durch eine so fehlerhafte Veranstaltung das beste Naturell in ein moralisches Mißgeschöpf verzerrt werden müsse. W 5, 193 etc.
2) refl.: Der Mund (Burmeister gB. 2, 147), der Zug im Gesicht (L. Samps. 2, 7), das Gesicht, die Miene verzerrt sich. 3) adjekt. Partic. pass.:
a) Die ausgestopften vierfüßigen Thiere sind meistentheils sehr mißgestaltet, die Vögel sind weniger verzerrt. Forster A. 1, 61; Fouqué Dr. 1, 60; Das durch seine innere falsche Natur immerfort Verzerrte zur Ordnung und Einheit zusammenzuzwingen. Görres (Wackern. 4, 1175³⁴); G. 19, 381; 31, 23; Eine häßlich verzerrte Alteweiberfratze. Heine 13, 128; Heinse A. 2, 87; Waldau N. 1, 210 etc.
b) Als wirkliches, ungeheucheltes und unverzerrtes Leben. Ense D. 5, 313 etc.
c) Verzerrtheit und Verleugnung hieß ich Sitte. Glaßbrenner Verk. 6; Zerstöret nicht| mit der Verzerrtheit unsrer feinen Zeit die reine paradiesische Natur. Oehlenschläger Corr. 14. 4) Doch werde ich den Verzerrern [Karikaturzeichnern] niemals verzeihen, daß sie mir die Bilder vorzüglicher Menschen so schändlich entstellen. G. 19, 357. 5) Mit welchen Verzerrungen von Seelenstärke! 9, 326; Bei aller geflissentlicher Verzerrung. Ense D. 5, 201; Gervinus Lit. 5, 577; Putlitz W. 48; Ich will es ihm vormalen in allen Verzerrungen des Todes. Sch. 199betc. 6) (schwzr.) mit dem Frisierkamm („Verzerrer“) kämmen. Stalder 2, 469, wohl zu zier (s. d.) gehörend. zerrend zerzausen, zerreißen etc.: Werden auch mich wohl Hund’ ..| gierig z. B. 235a [zerfleischen. V. Il. 22, 66]; Zerzerrt, zerzaust. G. 12, 251; Keisersberg Höll. Löw. 60a; Post. 138b; Dich hätten die Hunde zerzerret. Schaidenreißer 58b [14, 37]; Daß er zerzerret ihr Kleid. Simrock N. 619; 900 etc. Zerret sie den Nachen | einem Strudel zu. Nicolai 4, 113. Schon zerret es [das Volk] mich am Saume meines Kleids zurück. Platen 4, 180 etc.
Zer-: Zū-: Zurück-:
Zérr~er, m.:
s. zerren II; III 3b und Zsstzg.
~erēī, f.; –en:
das Gezerr (s. d.): Ich werde Ihnen und mir keine Z–en machen mit Freihalten und nicht. Auerbach Leb. 1, 67, die Frage hin und her zerren etc.; Parlamentarische Z–en, Wahlumtriebe. Demokr. St. 194; Die ewigen Z –en quälen und necken mich unaufhörlich. HKöster LL. 245.
~ig, a.:
(mundartl.) zum Zerren (s. d. III 2) geneigt: Wunderlich, grämisch und z. Schm., vgl. auch: Das schlechtste Bauerndeutsch, und noch dazu so zerricht, | so närrisch, so voll Schleims etc. Meerheim (Gervinus Lit. 3, 280).