Faksimile 0089 | Seite 911
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scheu Scheue)
Schēū, I., a. –(e)st:
1) in zaghaftem Bangen vor Etwas zurückschreckend und es zu meiden suchend: Vor welchen ich schreckhaft floh wie das scheue Wild des Gebirges. Cham. 4, 287; Sie ist ja so sch. wie ein Eichhorn. G. 8, 141; Die Rosse durchsprengten ihm sch. das Gefilde. V. Jl. 6, 38 etc., auch (einigermaßen belebt): Wenn der Stamm zum Himmel eilet, | sucht die Wurzel sch. die Nacht. Sch. 55a; Die Scham geblößt von den heimlichen und sch–en Dingen. Immermann M. 4, 246 etc.; ferner in Bezug auf Persönl.: Sch–er Blick (Sch. 29a; W. 11, 165), Hinblick (Thümmel 3, 9); Sch–es Auge (Sch. 111b), Ohr (1004a); Sch–er Fuß (W. 10, 19); Sch–e Flucht (Cham. 4, 125) etc.; Bis sch–e Zartheit [person.] kühner wird. FSchlegel Luc. 74 etc.; Sich sch. zurückziehn. Hettner Lit. 2, 475; Sch. werden; Einen (G. 13, 110; Rückert Rost. 47a), die Rosse (Zach. 12, 4) sch. machen; Die Säue machten durch ihr Gegrunze die Elephanten sch. Rüstow gK. 368 etc.; Sch. vor (Nicolai 8, 199; Waldau N. 2, 109 etc.) vralt.: für (Opitz 2, 125; Wackern. 2, 404⁰) Etwas sein, machen, werden und nam. so entsprechend mit Bstw. in Zsstzg. (s. III, 1): Arbeits-sch–e Flüchtigkeit. W. 5, 9; So ist er augen- und wunder-sch.; er will seine Handlungen nicht lassen prüfen. H. R. 9, 450; Bestimmungs- und arbeit-sch–e Lebensart. Hegel 17, 53; Blitz- [oder donner-, gewitter-]sch–e Pferde. König Leb. 2, 66; Der Metzger „Blut-Sch.“ Hebel 3, 363; Busch-sch–es Wild, sch. ins Gebüsch fliehnd und übrtr. (s. kopf-sch.): Mein Sohn ist busch-sch. genug. Wenn er einen blöden Hofmeister bekommt, so ist’s aus mit ihm. IMRLenz Hofmeister 1, 3; Eh(e)-sch. V. 1, 144; Aus ehrfurcht-sch–em Munde. WHumboldt Son. 79, den Ehrfurcht sch. und stumm macht; Die freuden-sch–e Zunft| geschwollner Stoīker. W. 3, 16; Manches hand-sch–e Roß. Spindler V. 2, 349, das vor der berührenden Hand zurückscheut (s. u.: kopf-sch.); Was macht dich [Hirsch] hunde-sch.? Hagedorn 2, 236; Kampf-sch. Freiligrath Ven. 44; Kopf-sch–e Pferde, den Kopf nicht berühren lassend. Falke Th. 2, 33 etc. (s. hand-sch.); übrtr. (s. buschsch.): Einen kopf-sch. machen. Gutzkow R. 5, 192, stutzig; mißtrauisch etc.; mundartl. auch (s. Schm. 2, 318) = schwindlig im Kopf; Leute-sch. Gotter Sch. 288 etc., auch: Er ist ein Leutescheu (II) und hat die Leutescheu (II). Jahn M. 45 etc.; Der licht-sch–e Uhu. Bronner 1, 134; G. 31, 22; Sch. 199a; L. 11, 515 etc., auch (II): Dem Zeugnisse eines Lichtscheus trauen. 10, 219 etc.; Menschen-sch., s. leute-sch.; Bei Oberflächlichen und Mühe- sch–en. DViertelj. 1, 1, 243; Neuerungs-sch–e Grammatiker. V. Ländl. 2, 477; Pöbel-sch–e zarte Ohren. Heine Verm. 1, 126; Das Reh-Sch–e in dieser Natur. Auerbach D. 4, 93 (sch. wie ein Reh) etc.; Die sonnen-sch–e Verschwörung. Sch. 528a; G. 31, 169 etc. s. licht-sch.; Thaten-sch. Gartenl. 10, 138a; Lewald W. 2, 64 etc.; Tinten- sch. L. 13, 408 etc.; Ich bin so wasser-sch. als ein [vom tollen Hund] Gebißner. G. 13, 206, s. III; Welt-sch–e Büßer. Fallmerayer Or. 2, 20 (s. leute-sch. etc.); Blickte mich wild-sch. an. 1, 202 (wild und sch. od. sch. wie Wild); Die winter-sch–en Schwalben. Wackern. 2, 526³⁰; Wunder-sch., s. augen-sch. etc.
2) (mundartl.) wie schiech (s. Anm.) häßlich, schlecht etc.: Da sieht’s denn schon gewaltig sch. um unsre Lehre aus. G. 14, 254. I. m., –(e)s; –(e):
1) vereinzelt st. III (s. 3):
a) abstr.: Bei allem Sch. vor Alltäglichkeiten. V. Georg. V etc.; Nur möcht ihm der Rost des Knaben-Sch–es [der knabenhaften Sch.] noch nicht abgerieben sein. Musäus Ph. 4, 189.
b) konkret: etwas Sch. Erregendes (Scheuche), z. B.: Gegen einen solchen Hasen giebt es leicht einen Feld-Sch. IP. 3, 123; Einen strohlumpenen Vogel-Sch. G. 9, 163; Fischart B. VII; Haug EpSp. 22 etc.
2) in Zsstzg., s. I, z. B.: Blut-, Leute-, Licht-Sch. etc. = ein Blutscheuer etc.
3) nam. (s. 1): Áb-:
a) (s. 1a) tiefe Abneigung, wonach man mit Widerwillen und Ekel sich von Etwas abwendet, es von sich stößt (s. abscheuen 1): Die Moralphilosophie setzt der Begierde den A. entgegen. Engel 7, 175; Als Begierde, Das, was ihr gut scheint, an sich zu ziehen oder als A., das wirklich oder vermeinte Böse zurückzustoßen. W. 24, 118; 12, 251 etc.; A. vor (Forster R. 1, 163; G. 39, 89; Sch. G. 2, 113; W. 2, 57; 17, 107 etc.), vralt.: für (Forster R. 1, 184; Kant Anthr. 241; Mendels- sohn 4, 1, 444 etc.), ferner: gegen (Forster R. 1, 177; G. 24, 4; 22, 385; Thümmel 1, 10); an (Klinger 2, 151; Sch. 993a) Jemand oder Etwas etc., seltner m. objekt. Genit. Kl. 11, 198; Zesen Sims. 1, 377. Veralt. auch fem. 481; Mathesius Chr. 1, 33b; Opitz Poet. 30 etc.
b) (s. 1b) etwas A. (a) Erregendes, z. B. von Pers. Arndt E. 152; Gellert 3, 56; Gutzkow Bl. 1, 362; Mich zu einem A. ehrlicher Leser zu machen. L. 3, 442; Samps. 2, 3. Daß sie bei diesem A. [Abscheulichen, Agisth] lebt. IESchlegel 1, 414; V. H. 1, 341 etc. und sachl.: Mir ein A. | ist der unkußliche Kuß. V. 3, 76. III. f.
(~e); 0:
(s. II, 1 und 3):
1) abstrakt: ein banges Gefühl, das Einen von Etwas fern hält, ihn davon zurückschreckt etc. Ohne oder sonder (alle) Sch.; Fromme (Sch. 80a), heilige Sch. (G. 4, 171; 38, 16); ehrfurchtsvolle (6, 211), fromme (Rückert Erb. 2, 22) Sch–e etc.; Scham und Sch. bei unsern Einrichtungen hegen und pflegen. G. 18, 184; Stumm [ist] die Ehrfurcht und die Sch–e. Rückert Mak. 1, 211; Vor seiner Furcht und Sch–e löst sich mir | das Herz. Sch. 475b etc. Subjekt. Genit.: Ihre [dieser Thiere] Sch–e. Winkell 2, 588; Sch–e oder Scheuigkeit [der Pferde]. Falke 2, 274; Die furchtsame Sch. des sittsamen Mädchens. FSchlegel Flor. 53 etc.; objekt. Genit.: Vor Sch. der Dornen und Hecken. Jes. 7, 25; Verlassen hatte euch die zarte Sch. | der Menschen. Sch. 408b etc., vgl.: Sch. haben vor Etwas. G. 39, 230; Aus (Rückert Morg. 1, 108), in (Fallmerayer Mor. 1, 53; WHumboldt 3, 17) Sch.; ohne Scham und Sch. (Lichtwer 15) vor Etwas etc.; Die zarte Sch. gegen einen Liebhaber. G. 18, 205 etc. und mit Jnfin. und „,zu“: Daß das Volk eine Sch. hatte, sich ins Wasser zu begeben. 1 Macc. 16, 6 etc. Auch (s. I) in leicht zu mehrenden Zsstzg., nam. entsprechend dem „vor“: Die Arbeits-Sch., die Faulheit. Gotthelf Sch. 324; In der anerzogenen Denk-Sch. Wurm Spr. 23; Leute- (Ense T. 2, 324); Menschen-; Methoden- (G. 39, 118); Prügel- (Heine Reis. 4, 118) Sch.; Weil Rede-Sch. die Zungen denn euch bindet. Schlegel Sh. 7, 247; Wich voll Todes-Sch. zurück. B. 151b; Die Wasser-Sch. (hydrophobia) .. ist entweder ein Symptom der Hundswuth oder kann auch manche andere Nervenkrankheiten begleiten. Bock Diagn. 315 etc.
2) veralt. (s. 1 und II, 3b) etwas Sch. Erregendes, Etwas oder Jemand ist Einem eine Sch. [Gräuel, Scheusal, vgl. Scheuel] 3 Mos. 11, 10.
Anm. S. nam. Schm. 3, 338 ff.; mhd., obrd. schiech, sch., auch = garstig etc.; z. B. Spindler V. 1, 41; 176; 2, 142 etc.; schiehen, sch. werden, sich scheuen; ahd. sciuhan. mhd. schiuhen, schiuwen, scheuen, scheuchen, vgl. noch mundartl. Partic. (= gescheuet): geschiechen. Auerbach B. 21; geschiehen. SClara EfA. 1, 451; geschoche(n). Gotthelf G. 248; 326; geschohen. Stumpf 363a etc., s. auch: Die scheuchen [scheuen] Hengste. Weichmann 1, 24 etc. Hierzu: Scheuche; scheuchen (mundartl.: scheu(ch)tern. Mandelslo 47b; Olearius Reis. 276b etc.; schächen. Wein- hold etc.); schüchtern etc.