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recken
II. Récken, tr.:
machen, daß Etwas eine größere Ausdehnung in die Länge bekommt und so weiter reicht als ursprünglich (vgl. dehnen 1 und das dort Gesagte und strecken):
1) durch Einwirkung von innen heraus und so auch refl., z. B.: Wenn man das Leder stärker reckt (2), als es sich r. will, so reißt es; Was sich hier aus einander reckt, | Das hat Alles in Einem gesteckt. G. 3, 139 etc. und bes. oft von dem (menschl. oder thierischen) Körper und Theilen des Körpers (versch. 2): Den Körper, die Glieder oder sich nach dem Schlaf r. (und strecken oder dehnen), vgl. räkeln; Gähnend und wie nach gehaltener Mittagsruhe sich r–d. Gutzkow R. 1, 16 etc.; Das Haupt in die Höhe (oder empor-) r.; Frösche . ., die eine warme Nacht | aus ihrem Teich die Köpfe r. macht. W. 12, 183; Des Meeres Bewohner | r. ihr Haupt aus den Fluthen. Zachariä Tag. 8 etc., vgl.: Ein Hügel mit Ruinen auf kühn gerecktem Haupt. Reithard 60; Die Hände gen Himmel r. und beten. Stilling 1, 149; Er reckt seine Hand über das Meer und erschreckt die Königreiche. Jes. 23, 11; 5, 25; Recke deine Hand aus mit deinem Stabe über die Bäche! 2. Mos. 8, 6 ff. und so denn auch: Also reckte Moses seinen Stab gen Himmel (9, 23), über Ägyptenland (10, 12); Der König reckte den goldenen Zepter in seiner Hand gegen Esther. Esth. 5, 2; zu Esther. 8, 4 etc.; Jsegrimm .. reckte die Tatzen. G. 5, 286 etc.; Das [etwa: das Chor der Todten] reckt nun, es will sich ergetzen sogleich, | die Knöchel zur Runde [zum Rundtanz]. 1, 183; [Der Adler] reckt die Flügel [zum Flug]. 2, 60 etc.; Den Hals neugierig r.; Alle Hälse reckten sich, alle Augen waren auf die Bahn gerichtet. Kohl Irl. 1, 419; Der arme Mensch verdreht mit Dehnen und mit R. | sich Hals und Fuß. W. 11, 222 etc.; Das Ohr (s. d. 8b), die Ohren r. (und spitzen), in die Wüste (Sch.), auf alle Seiten (W.) r. etc.
2) durch etwas von außen Wirkendes (vgl. ziehen): In den Reckwalzen (s. d.) die Eisenbarren r., auch (s. 1): Indem die Barre sich allmählich reckt und länger wird. Karmarsch 1, 600 etc.; Das Zurichten des weißgaren Leders besteht darin, daß man sie nach dem Anfeuchten über eine Eisenstange reckt (stollt). 2, 569, s. richten 1; Der Zeug ist schon verschnitten, ich werde einflicken oder r. müssen. L. 7, 447; Einen r.: auf die Folter spannen. .. „Man reckt sonst den Dieb“ etc. 5, 337; Gefänglich gesetzt, gestreckt und gereckt. Luther SW. ³, 34 etc., zuw. auch mit noch nicht fertig vorhandnem Obj.: Mit zwei weit gereckten Schritten. W. 11, 253 etc.
Anm. Goth. rakjan, ahd. rachjan, rechjan, rcchen (s. Graff 2, 363), mhd. recken, reken, am wahrscheinlichsten nach Wackern. und Schm. mit der Ableitung recht (s. d.) urvrwdt mit lat. regere, dagegen nach Maßmann von goth. rikan, aufhäufen, vergrößern etc. oder als Intensiv von ragen (s. d.) nach Weigand Syn. 1, 271, der, davon noch versch., eine Verstärkungsform von regen annimmt, in der Stelle (s. 1) G. 1, 183 (?).
Zsstzg. vgl. die von strecken, z. B.: Āūf- [1]:
1) in die Höhe, empor-r. (vgl. aufrichten), z. B.: Dein grader Leib bleibt immer aufgerecket. Logau 1, 8, 99 etc.; Wie ein aufgereckter Löwe jagest du mich. Hiob 10, 16; Ein Drache in fürchterlichen Windungen aufgereckt. G. 30, 447 etc.; Die Hand a. gen Himmel. 2. Mos. 9, 22; 2. Macc. 14, 34 (betend); Wenn zum Versprechen eines Anlehns erfordert würde, daß man es .. mit aufgereckter Hand wiederholt etc. Möser Ph. 2, 122 etc.; Finger a., nam. Etwas gelobend, schwörend, z. B. Berlichingen 209; Uhland V. 94; Werder Ar. 5, 32 etc. und meton. (veralt.): Ein aufgereckter Eid. HSachs 3, 2, 25c; 27c etc.; ferner (veralt.): Die Hand mit der Fahne, die Fahne (in der Hand) a., hoch emporhalten; Mit sieghafter Hand und aufgerecktem Fähnlein. Mathesius Chr. 2, 112a; Franck Weltb. 137b; Mit aufgerecktem Panier. Luther 2, 524b etc.; Den Kopf a., eig. und übertr., s. Schm. 3, 39; Mit aufgerecktem Hals. Hagedorn 2, 214; Luther 4, 449a etc.; Die Ohren a. Fleming J. 308a; G. 2, 175; Opitz 2, 253; V. 4, 144 etc., ferner: Jede Faser recke sich auf [empöre sich etc.] zum Grimm und Verderben. Sch. 110a etc.
2) Das Maul a. [empor-r–d aufsperren] und den Leuten zur Kirchen rufen. Fischart Garg. 155a; Stehen mit aufgereckten Mäulern da. G. 7, 362; Soviele Rachen reckt | es [das Gerücht] auf. Sch. 39a etc. Aūs-:
1) [1] vgl. ausstrecken: Die Hand, den Arm a., sehr oft Bibel und z. B.: Sie recket die Hand aus, der Gabe zu nahn. G. 1, 141; Des Freundes Hand . ., | die, sehnlich ausgereckt, dich nicht erreicht. 13, 218; Genius, mit ausgereckter Hand | zu seinem Schutz. W. 12, 170 etc.; Die Hand mit dem Stabe etc., den Stab (2. Mos. 8, 16; 1. Sam. 14, 27), Stecken (Richt. 6, 21), die Lanze (Jos. 8, 18 ff.) a. etc.; Die Krallen reckt er aus [der Drache]. Kinkel 23 etc.; Die Finger a., zum Schwur etc.; Die Nase oben a. [aus dem Wasser, gw.: herausstecken etc.]. Stumpf 611a etc.; Sich schläfrig a.; Da kann sich meine Seele a. [erweitern]. Klinger Th. 2, 271; Vom Felsen, der gar hoch sich übers Meer ausreckt. Werder Ar. 5, 57 (selten) etc.
2) [2] Das Leder a.; Einen, seine Glieder auf der Folter a.; Die ausgereckten, wackelnden hexametrischen in kürzere straffere jambische Glieder zusammengezogen. B. 243a; Seine Individualität durch die Folterschrauben der neuen philosophischen Fordrungen selbst auszurecken, bemüht. G. Sch. 3, 197; Als Prokrustes die Großen verkleinerte und die Kleinen so lange ausreckte, bis sie in sein eisernes Gleichheitsbett paßten. Heine Lut. 1, 155; Ein so ausgerecktes Gleichnis. -L. 6, 235; Den Staatskörper zu einem Anagramma aus-zu-r. IP. 8, 74 etc.
3) intr. (weidm.) Der Hirsch hat ausgereckt oder vereckt (s. d.), sein Geweih ist völlig ausgewachsen. Laube Br. 240. Empōr-: auf-r., z. B.: Die Köpfe e. Schmidt-Phiseldeck 1; W. Luc. 6, 156 etc.; Das Ohr e. Logau 1, 168, 19 etc. Ent- [1]: Mir eben aus dem Schacht | der Zeiten gar zu trutzig | entreckt es [das Unthier der alten Sage] Schweif und Tatz. Freiligrath Garb. 82. Entgêgen- [1]: Einem die Hand e.; Wohin ich sehe, reckt sich mir aus der Dunkelheit Etwas entgegen. Tieck 6, 190. Hêr-, Hin- etc. [1]: Horchten mit hingerecktem Ohre. W. 27, 227; Werden die alten Verleumdungen aus den modrigsten Schlupfwinkeln ihre Schlangenköpfchen hervor-r. Heine Lut. 1, 11 etc. Ver-, intr. (sein): krepieren (vgl. Reck-, Streckebein 2), von Vieh, z. B. Gotthelf Sch. 134; Hebel 3, 75; Lichtenberg 4, 332; Hund, der wegen übergroßen Durstes ver-r. wollte. Olearius Baumg. 30a; Hier liegt er, wie eine Katze verreckt. Sch. 140b etc. und so höchst verächtl. von Pers.: Daß sie die Leiche des gefallenen Kriegers ein Schlacht- opfer, die des an einer Krankheit Gestorbnen ein verrecktes Aas nannten. WhMüller Ngr. 1, XXXIX; Sch. 133b etc. und in Flüchen: Alle Kalfakter müssen ver-r.! Pestalozzi 1, 42 etc. Bei Altern auch unverächtl.: Die graue Treu verreckt [stirbt, schwindet hin]. Opitz; Der deutschen Redlichkeit, | so jetzt ver-r. will. Ders.; Die Frömmigkeit verreckt. Tscherning etc. und selbst noch: Wie jetzt im Winter die fruchttragenden Bäume aussehen wie die verreckten [abgestorbnen]. JP.