Maßen
II. Māßen (vralt., s. Benecke 2, 210 ff.):
1) tr.: abmessen, in gehörigem Maße, in der passenden Weise, dem innern Wesen gemäß darstellen etc.: Wunderbar, daß er [Homer] . . sein Schreiben, Sprüch, Sentenzen also geschicklich „gemasset“ und gestellt hat, daß sie sich auf einer jeden Zeit, eines jeden Alters Gebräuch, Sitten und Institut so eigentlich reimen, als wär in so langer Zeit keine Änderung nie geschehen. VII etc. —
2) (s. 1) tr. und refl.: mäßigen (s. d.):
a) tr.: Wend ab das Bös, | wöllst unser Elend m. Ps. 138, 5 etc. —
b) refl.: Doch können’s sich nicht m. 49, 5; Darum euch maßt, | das Unrecht lasst! 62, 5 etc., und nam. mit Genit.: sich in Bezug auf das Genannte mäßigen, beherrschen, oft auch: sich desselben enthalten, dessen entbehren: Die, so sich der Unkeuschheit nicht massen. Sp. 162a; Wer sich sein selber nit kann m. Es. 259b; Wer .. sich der Sünden nimmer maßt. Ps. 6, 3; Ohn dich muß ich mich aller Freuden m. [entbehren]. 2, 228 Z. 37; 3, 268 Z. 25 etc., s. andre Belege Br. 462.
Zsstzg.: Án-:
1) tr. (vralt.), s. [1]: Etwas in der Maße, d. h. in der Art und Weise von etwas Andrem machen, nachahmen: Daß eine Frau gleichsam eine Königin im Jmmenkorb ihres Hauses seie, welche mit An- ordnung aller Arbeit, Fürsorg der Speis und Aussendung des Gesinds an die Arbeit den Immenkorbkönig anmase. 3, 1, 502 Z. 26); Nun ist ein Ding .. desto .. gefährlicher, so viel es näher ein wahrhaftig Ding anmaßt und doch dasselbig Ding nicht ist, als Konterfei und Meß[ing] Silber und Gold a. etc. Sprchw. 1, 123 u. v. (s. 1, 405 und 369b); Eine angemaßte [fälschliche] Geschrift. 379a; Den angemaßten [angenommenen] Zorn fallen lassen. 2, 384, auch: Sich dergleichen nicht a. [anmerken lassen]. Arg. 2, 210. Dazu: Die Kunst ist eine Äffin und Anmaßerin der Natur. Spr. 2, 107; Kinder sind des Vaters Stützen, Spiegel der vergangnen Jugend, Anmaßung seiner Gebärden. Garg. 67a etc. —
2) tr. und refl.:
a) Ich maße mich einer Sache an, ich eigne sie mir zu, nehme sie für mich in Anspruch, bemächtige, bediene mich derselben (vergl. annehmen 9): Wo eine lederne Zeit sich deiner anmaßt. Fr. 1, 119; Doch will ich des alten Freundes Recht des freien Sprechens wieder traulich mich a. 5, 219; Wie sie .. der Geduld im Leiden | sich allzeit angemaßt. Bibl. 5, 152); Soviele sich des Namens der Mäcenaten angemaßt. 11, 84; Die Römer, die sich dieser Tugend angemaßt. Ph. 10, 372; Hügens und Vondelen, so gar einer hohen Art zu schreiben sich angemaßet. Vorr.; Der sich dieses Titels in der That a. könnte. 4, 182; Daß ich mich dieser Kommission anmaße. 13, 544; A. 2, 772; Poet. 15; 2, 44 Z. 11); Kraft eines Vorrechts, dessen die Geschichtschreiber sich von je angemaßt haben. 1, 176; Welche sich der Ehre anmaßten, ihn auszukleiden. 2, 45 etc., heute gw. mit dem Nebenbegriff des Unberechtigten, Unbefugten und der Uberhebung: aus seinen Schranken heraustretend, etwas Einem nicht Zukommendes sich nehmen, sich desselben bemächtigen (s. c), z. B.: Daß Einer sich der Führung anmaßte und zum Haupt aufwarf. 5, 182; Wenn die geistliche Hand der weltlichen Zügel sich anmaßt. 5, 64; Die Scheu Ottiliens, sich jener heiligen Gestalt anzumaßen. 15, 205; Zum ersten, daß er sich Das anmaßet [s. c], er möge die Lehre Christi ändern . .; zum andern, daß er sich der Gewalt anmaßet zu binden und entbinden. 6, 526au. b; Warum maßest du dich’s denn an? SW. 60, 92; Diese maßeten sich des Armenschutzes an. Ph. 1, 258; Eines fremden Namens maßet sie sich an. Woch. 133; Deiner heiligen Zeichen, oWahrheit, hat der Betrug sich | angemaßt. 76b; Nicht unwürdig hab ich mich | des Bundes angemaßt mit deiner Tochter. 588b; Jch will mich keines Ruhms a., Prinz, | der mir nicht zukommt. 607b; Wenn nüchterne Beschränktheit sich der Poesie anmaßt. Mißd. 32; Indeß der stolze Eduard .. | sich angemaßt des Titels und des Throns. Sh. 8, 277; Du klagst . ., | daß Niemand unter mir unsterblich werden kann, | ich maße mich allein des Rechts zum Himmel an. 1, 252; Sich des Urtheils a. GsN. 1, VII; Kühn genug .., sich einer Unabhängigkeit anzumaßen, die etc. 5, 82; 6, 77; 14, 23; 100; Die Akademie ist weit entfernt, sich einer genauern .. Einsicht in Geheimnisse . . anzumaßen. 174; 31, 445; Die Betrüger und Alle, die sich unsers Namens a. Luc. 1, 441; Als .. Byzanz sich etlicher seiner Zölle anmaßte. 1, 302 etc. Dagegen vralt.: Sich Jemandes a. [annehmen]. A. 2, 1153 etc. —
b) Sich a., mit Jnfin. und „zu“: sich unterfangen, erkühnen, sich Etwas herausnehmen etc.: Willst du dich a., einen Mann mit Schmeicheleien zu fangen? 126b; Ich maßte mich an, o Vorsicht, die Scharten deines Schwertes auszuwetzen und deine Parteilichkeiten gut zu machen. 143a; Du maßest dich an, mir Ehrfurcht abzufordern. 314a; Wenn ich mich anmaßte, einen Vater zu trösten. SchJ. 1, 189); Ein Zimmerer, welcher sich anmaßt, | aufzuthürmen ein Haus. Th. 7, 45; Daß alle diese Gegenstände weit schöner wären, wenn sich die Kunst nicht angemaßt hätte, die Natur ihrer Freiheit .. zu berauben. 4, 61 etc. —
c) Ich maße mir Etwas an (vgl. annehmen 8), im Sinne von a (s. d., schon bei die heute gewöhnlichste Fügung: So glaube ich doch, daß ich Das, was den Redner unterscheidet, .. mir als ein Eigenthum a. [für mich in Anspruch nehmen] darf, da ich in der Bewerbung darum mein ganzes Leben zugebracht. Pflicht. 1, 2; Wo der Soldat sein angebornes Recht auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaßt. 9, 225; Schwemmt ersäufend sie [die Tyrannei] von ihrem Grunde, den sie sich anmaßt. 243; Eine entschiedene Individualität, deren Tugenden man sich nicht a. [aneignen] konnte und in deren Fehler zu fallen man fürchten mußte. 21, 60; Ganz ausschließlich kann sich keine Dichtart Etwas a. [aneignen]. 32, 208; Wir maßen uns über dies sein Hauptverdienst kein Urtheil an. 39, 291; Ich weiß nicht welche scientifische Wäscherei hatte sich den Namen der Wissenschaft angemaßt. 3, 197; Ehe er einen so entscheidenden Ton sich anmaßt. 8, 30; Was maßest du dir an, | mir falsch Orakel betrüglich zu verkündigen? (b). 473a; Den Thron, | den jetzt das Haus von Lancaster sich anmaßt. Sh. 8, 188 etc. —
d) das Partic. (s. c): Angemaßt, pass.: Kein angemaßtes Recht. 3, 337; Aus angemaßter Macht. 1, 108; Die angemaßte Kron’. Sh. 8, 194; Dieses selbstangemaßte Vorrecht. HambTh. 399 etc., und akt. (s. e): der sich etwas angemaßt hat: Sein [Gottes] angemaßter Leutenant [Stellvertreter, der Papst]. B. 135b; Mein angemaßter Richter. 3, 307; Ich als ein angemaßter Dichter. 3, 299 etc. —
e) das Partic.: A–d, sich Etwas a–d, anmaßlich (s. d.), arrogant (s. c), sich unbescheiden mehr als man zu leisten im Stande beimessend etc.: Wie groß diese Unternehmung, ja wie sie a–d sei. 31, 59; Mit a–dem Dünkel. 32, 118; Die a–dsten Urtheile, Beurtheiler etc. Dazu als Fortbild. (s. Orth. 67 und vgl. flehentlich, hoffentlich, wissentlich etc.): Das Schwert, | das dieses Erb’ anmaßentlich beherrscht. Joh. 1, 2D9 1. —
f) (s. e) Anmaßung, f.; –en: a–des Wesen, Thun, Treiben: Wo Anmaßung mir wohlgefällt? | An Kindern, — ihnen gehört die Welt. 3, 20; Was die Franzosen Tournure nennen, ist eine zur Anmuth gemilderte Anmaßung. 176; Allesvoller Anmaßung, voll weltlichen und geistlichen Hochmuths. 4, 253; Daß er mancherlei Anmaßungen dadurch zu mildern weiß, daß er sie .. auf die Geliebte bezieht, sich vor ihr demüthigt. 254; Anmaßung, womit der Dichter selbst das Unwahrscheinliche gebieterisch ausspricht. 20, 56; Ein erklärter Feind aller falschen Anmaßungen, aller Marktschreierei etc. Luc. 1, 418 etc. — (selten) gliedern (s. d.), mit Gliedmaßen versehen: Das Teutoburger Waldgebirg .. wie ein ungeheurer aus Gebirgen gegliedmaßter Auerstier. Herm. 51, vgl. vralt.: Zart geliedmasiert. G. 1, 92 etc. — ermessend, aus Gründen, die Einen anmuthen, Einem wahrscheinlich dünken, schließen, — vgl. vermuthen, das auch auf Gründen des Gefühls st. des Ermessens beruhn kann, und gissen etc.: Um Das, was sie nur muthmaßte, zu bestätigen. 19, 317; Woraus ich einige Aufmerksamkeit auf mich hätte m. können. 21, 269; Was sie davon, Jeder auf seine Weise, gemuthmaßt haben. Ph. 3, 10; Länger .. halt ich mein quälendes M. über die Ursachen deines Schweigens nicht aus. HV. 36; Wenn ich recht muthmaße, daß du .. eine Neigung aufopferst. 21, 195; Sich auf eine Behandlungsart historischer Gegenstände verstehen, bei welcher nicht rechts und nicht links gemuthmaßt (bald möchte ich sagen „muthgemaßt“) und mit Gewißheit, Wahrscheinlichkeit, Möglichkeit Hokuspokus getrieben wird. H. 14, vgl.: Woraus hat er denn Das muthgemaßet? Lind. 4, 299 etc., auch: Muthmaßte auf die Götter. 4, 167; Auf den Vesuv würde man m., wenn etc. Pind. 65 etc. Vralt. auch: tarieren, s. 1, 678b und 2, 212a, ferner: Fried zu begehren und alles Das anzunehmen, was die Römer „mutmaaßen“ [verlangen, ihnen anmuthen sein etc.] würden. 164a etc. — Dazu: So verlieren sich die Erklärer in den seltsamsten Muthmaßungen. Sab. 476; Eine Muthmaßung, die ich für Nichts in der Welt als für Vermuthung gebe. Ph. 13, 270; Die ungegründete aber für mich allemal schmeichelhafte Muthmaßung. 3, 418; 390, s. Konjektur.
Glīēd-: Mūth-: Work in progress
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