Märe
Mǟre, f.; –n; Märchen, lein; –n-, Märchen-:
1) (unverkl.) die Kunde, Botschaft, Nachricht von Etwas:
a) allgem.: Nimmermehr | ward mir süßere M. kund. H. 1, 309 etc., — ferner in Bezug auf Etwas, das von sich reden macht, und zwar:
b) eine neue Zeitung, Neuigkeit etc.: Da kam die M. denn brühsiedendwarm zu uns. H. 1, 1, 12; Daß sie sich einer so unwahrscheinlichen M. so unvorfichtig überlassen haben. Br. 2, 101; So bleibe doch noch einen Augenblick, | um mir erst gute Mär zu sagen. 11, 59; „Was bringt Er denn? Verlange sehr“ — | Ich wollt’, ich hätt eine frohere Mär! 125; Er erzählte ihr den Spaß .. Das Mädchen brachte die M. lachend weiter. 19, 90; Da denn viel über eine M. [ein Gerücht] gesprochen wurde, daß etc. 25, 224; Es sind M–n, | nicht Märchen [s. 2d]. Nichts ist wahr, wenn sie nicht Wahrheit wären. Sch. 160; Und hören die Kölner die frohe Mähr’, | sie werden illuminieren. Verm. 1, 211; Evangelium .. heißt auf deutsch gute Botschaft, gute M., gute neue Zeitung, gut Geschrei, davon man singet, saget und fröhlich ist. SW. 63, 100; 56, 108 ff.; Trankst du die bittre Mär’ hinab [wenn du die trübe Geschichte gehört]. Gd. 16; Fr. 26; Ich bring’ euch eine M. und meine Mär’ ist schlimm. 84; 53; Mak. 1, 115; 5b; 61a etc.; Mich sendet mit der frohen M. | dein treuer Fēldherr. 57a; Sie rufet das Dorf herbei zu der Mähr [das Wunder zu vernehmen]. 362; Leg. 2, 171; N. 392; 443; Während die Erschütterung der vernommenen Mär den Einen sprachlos niederstarren lässt. Par. 1, 103 etc. —
c) die Erzählung einer denkwürdigen Begebenheit aus der Vergangenheit — in Liedern, Sagen etc.: Von seinen M–n lasst mich melden. 1, 107; Die Kunde von ihr klingt fast wie die Mär von dem versunkenen Eilande Atlantis. M. 1, 27; Die Ältesten im Dorf’ erzählen sich | von diesem Baume schauderhafte M–n. 57a; Viel Wunderdinge melden die M–n aller Zeit | von preiswerthen Helden etc. N. 1; Hier hat die Mär’ ein Ende, Das ist der Nibelungen Noth. 2316; Als wär’ es eine Mär’ aus alten Tagen. 221; Ich erzählte ihnen also die alte M., Phaeton sei ein Sohn des Sonnengottes gewesen etc. Luc. 3, 432 etc. —
d) zuw. (s. c): etwas Erdichtetes, Unwahres (vgl. Fabel etc.): Die alten bekannten Gründe, so schlußrichtig und bündig sie mir auch vorkommen, sind den Sophisten unsres Jahrhunderts zu Spott und M. geworden. 5, 703; So haltet Ihr’s für eine M. | und mich für eine Träumerin. 1, 263 etc., häufiger vrkl. s. 2c u. d. —
2) Märchen:
a) (s. 1b) etwas vom Gerücht Verbreitetes, ein Gerücht, Stadtgespräch etc.: Das Märchen davon verbreitet sich sogleich und alle Welt nimmt Theil an diesem zärtlichen Ehepaar. 20, 233; Mademoiselle fängt an, ein wenig schwer zu werden. Man erzählt die lustigsten Märchen. . . Wenn die Personen nicht lächerlich von selbst wären, so gäb’ es keine hübschen Märchen. 29, 273; 275 etc., wobei oft der Begriff der ausschmückenden Erdichtung, des Unwahren etc. hervortritt (s. d): [Da] ist Viel geschehen, was die Menschen weit und breit | so gern erzählen, aber Der nicht gerne hört, | von dem die Sage wachsend sich zum Märchen spann. 12, 164; Daßdiese Märchen, die in London’s Gassen | den gläub’gen Pöbel ängsten, bis herauf | in deines Staatsraths heitre Mitte steigen etc. 418b; Hast du auch etwa von dem schönen Märchen gehört, daß die Fischweiber zu Rom einander erzählten, um sich das mächtige Wunder zu erklären, warum etc. 27, 303 etc. —
b) (s. a) der Ggstd. des allgemeinen Geredes, des Stadtgesprächs etc.: Werde ich .. nicht das Märchen des Landes werden? 468a; Das unbescholtene Mädchen | .. war nun das Märchen des Tags. 1, 252; Sollen wir morgen das Märchen des Hauses werden? 17, 47; Sobald erst Ihr Verhältnis zum Herrn Grafen Selvar das Märchen der ganzen feinen Gesellschaft wird. E. 327; M. 2, 109; 4, 81 etc. —
c) (s. 1c) eine Erzählung, ein Geschichtchen: Der Kaiser und der Abt. Ich will euch erzählen ein Märchen gar schnurrig. 66a etc., gew. aber mit dem hinzutretenden Begriff, daß das Erzählte dem Gebiet der Phantasie angehört, vergl. nam.: Das Märchen ist eine Begebenheit aus dem Reich der Phantasie, der Traumwelt, dem Feenland, mit Menschen und Ereignissen aus dem wirklichen verwebt und mitten durch Hindernisse und Irrwege aller Art von feindselig entgegenwirkenden oder freundlich befördernden unsichtbaren Mächten zu einem unverhofften Ausgang geleitet. Je mehr ein Märchen von der Art und dem Gang eines lebhaften, gaukelnden, sich in sich selbst verschlingenden, räthselhaften, aber immer die leise Ahnung eines geheimen Sinnes erweckenden Traumes in sich hat, je seltsamer in ihm Wirkungen u. Ursachen, Zweck u. Mittel gegen einander zu rennen scheinen, desto vollkommner ist .. das Märchen. 19, 254 etc.; Märchen aus 1001 Nacht etc. Märchen noch so wunderbar, | Dichterkünste machen’s wahr. 1, 136; Blaue Märchen. 33, 85; Dieses Märchen [phantastische Erzählung] meines künftigen Jugendganges ließ ich [als Knabe] mir gern wiederholen. 20, 34; Ich mache mir 100 Grillen u. Märchen [dTräume, Phantasiegebilde], was Alles daraus erfolgen könne. 19, 16; Weißt du das Märchen mit dem Medusenkopf? Der Anblick macht Steine. 166a; Märchen, womit uns ehemals unsre geliebte Amme einzuschläfern pflegte. 1, 54; 10, 5; 55 etc. —
d) auch indem der Begriff des bloßen Phantasiegebildes, dem es an Wesenheit fehlt und dem in der Wirklichkeit Nichts entspricht, schärfer hervortritt: etwas Erdichtetes, Unwirkliches, Unwahres etc., vgl. Fabel: Einem ein Märchen aufbinden 2, 239; Köhl. XVI etc.), aufheften R. 2259) etc.; Wir können daher annehmen, daß jene Sage ein Märchen war. Lut. 2, 92; Daß die alte Sage kein Märchen ist. M. 4, 67; Die Jägersagen vom Sich-Eingraben und Erstarren der Schneehühner sind Märchen. 551; Die Lehren der Schrift über Adam .. sind wissenschaftlich durchaus unhaltbare Märchen. Köhl. 83; Die Trennung der farbigen Strahlen in 7 runde .. Bilder ist ein Märchen, das .. in der Wirklichkeit gar nicht darzustellen ist. 39, 314; 38, 91 etc.; Was singst du hier für Heuchelei | von Lieb’ und stiller Mädchentreu? | Wer mag das Märchen hören? 1, 171; Auf die Länge kann dieses Märchen nicht halten. 10, 22; 25; 81; Es ist ein Märchen, eine poetische Fiktion. 17, 47; 240; 314; Die albernsten Märchen vorzubringen. 23, 314; Es sind Mären, | nicht Märchen. Nichts ist wahr, wenn sie nicht Wahrheit wären. Sch. 160; Mich soll das Märchen blenden?! 198b; Mein Märchen? Wollte Gott! . .. | Ich wünschte, daß ich Märchen nur erzählte | und sagen dürfte, Alles war ein Traum. 584a; Tiefere Bedeutung | liegt in dem Märchen meiner Kinderjahre, | als in der Wahrheit, die das Leben lehrt. 347b; Od. 23, 23; Zur Abendkürzung .. ein Märchen (c) zu erzählen. | Ein Märchen nennt er es, wiewohl es freilich mehr | als Märchen war. 20, 150; Vor deren Augen hier geschah, | was ihr ein Märchen däucht. 12, 25 etc. —
3) Märlein, z. B.:
a) (2c): Man erzählte mir neulich ein Märlein. 1, 28; Dankbar für gesungene Märlein. 3, 33; Ein zeitverkürzendes Märlein. Ov. 1, 203 etc., vgl. (vralt.): Von den Fabeln oder „Merlin“ [Asop’s]. 5, 268b. — Schwzr.: Dem Stummen [Taubstummen, Tauben] ein Märle sagend. 427b, sprchw. von vergebl. Mühe und in Doppelverkleinrung: Aus einem Gedichtchen oder Märleinchen. R. 3, 302, zur Bez. eines kleinen unbedeutenden Kindermärchens. —
b) (2d): Es dauchte sie ihre Wort eben als wären’s „Merlin“. 24, 11; B. 209b; Da funden sich so viel „mehrlin“, Lügen etc. 8, 13b; Halten’s für Fabeln und „Merlin“. 259b; SW. 64, 247; Daß sie den Bericht der Weiber, denen der Auferstandene zuerst erschienen war, für Märlein hielten. 18, 305 (s. 24, 11) etc., auch: Durch die Gott und sein Dienst ein albern Märlein ward. 1, 176 etc. —
4) dazu (s. 2): Märchenhaft, a.: in der Weise eines Märchens, der Märchen- oder Traumwelt angehörig, phantastisch, traumhaft, wunderbar etc.: Sah wie märchenhafte lichte Funken | Leuchtkäfer schwirren. 91; Die uns .. unsanft aus jenen märchenhaften selbstgefälligen Träumen aufweckten. 20, 75; Verhältnisse welche ganz märchenhaft zu sein schienen. 21, 113; 22, 2; So giebt man in Dunkeln alles übrige Wunderbare zu, man lässt ihn sein märchenhaftes Wesen treiben. 27, 194; 33, 118; 18, 8; Da fährt ein Schifflein, märchenhaft | vom Abendroth beglänzet. Rom. 40 etc.; Die Märchenhaftigkeit der wildfremden Erscheinung. Reis. 3, 104; Das alte Venedig in seiner Märchenhaftigkeit. Unst. 2, 27; So haucht Melbye in seinen größeren Konceptionen im höhern Maße den Schiffen Leben, Traum, Märchenhaftigkeit ein. BB. 327 etc.
Anm. Ahd. mâri (n., f.), mhd. mere (n., f.), von den gleichlautenden Ew.: „in Jedermanns Munde“ etc. (s. 2, 68—79 und mehr 3e), vgl.: goth. mêrjan, ahd. märran, Etwas verkündigen, bekannt machen und noch mund- artl., wie im (1590) 164c: Was mag der Märe sein? etc., z. B. in der Mauschelspr.: „Nu, was der Mär?“, sagt Mausche etc. Gv. 293 = was ist los, was giebt’s? Es ist Nichts der Mär [los] mit ihm etc., s. mehr 3e etc. — Die Schreibw. Mähr etc. ist häufig, auch in den meisten der oben angeführten Belege. Dazu: So mähren [fabeln etc.] sie doch von gewaltigen Riesen. M. 50, 2, 606 ff. u. vralt. Vermärt: berühmt etc. Lautmär, f.; Gerücht u. — a.: ruchbar etc. 2, 606 ff. u. 516; Die lautmörige Stadt Troja. 10a, die berühmte etc.
Zsstzg. meist wie auch beim Grundw. in der Form Märchen und (was unbez. bleibt) in Bed. [2c], die oft nahe an [2d] grenzt, theils nach dem Erzähler, theils nach dem Inhalt, theils nach den Pers., denen —, dem Ort, wo —, der Zeit, wann es erzählt wird, — z. B.: Wer wird solche Altweibermärchen [2d] glauben? etc.; Die Ammenmärchen von Geistern schrecken ihn aber nicht mehr. Arnim 17; Das Gräuseln, womit Ammenmärchen in später Abendzeit die Kinder zu Bette jagen. Kant Anthr. 46; In dem Berge, aus welchem nach unsern Ammenmärchen die kleinen Kinder geholt werden. Keller gH. 1, 255; Platen 4, 42; W. 18, 112; 19, 173 etc.; Mit historischen Bonmots und Chronikenmärchen .. gewürzt. G. 32, 84 etc.; Jrische Elfenmärchen von Grimm; Feen- und Rittermärchen. G. 27, 431; Kant SchE. 18; W. 12, 274 etc.; Gleich dem unterirdischen Zauberhund in dem Geistermär- chen. Sch. 112b; Haus- und Kindermärchen von Grimm; Heiligenmärchen [Legenden als Phantasiegebilde]; Kindermärchen. Cham. 3, 275 etc.; Wodurch deine Erzählung so schleppend u. einschläfernd wird als ein altes Kunkelstubenmärchen. W. 1, 193; Erzählt er Liebesmären und süße Worte. Platen 4, 264; Ostermärlein und närrische Gedicht. Matthesius Lthr. 63a; Das Pfaffenmärchen kenn’ ich [2d, das von den Pfaffen in Umlauf gesetzte alberne Gerücht]. Sch. 356a; Die albernsten Pöbelmärchen [s. Volk-M.] und Kinderfabeln. Heinse A. 1, 277; Waldmeister Brautfahrt, ein Rhein-, Wald- und Wander- märchen von ORoquette; Die abenteuerlichsten Wundergeschichten, Ammen- und Rittermärchen. W. 32, 386; Luc. 1, 53 etc.; Ein so läppisches Rockenstubenmärchen. W. 18, 118; Diese Sagmär [1c Legende]. Matthesius Wag. 103; Dieser euer Muhmen gutes Sagmärlein [Geschichtchen etc.]. Pr. 42; Diese tanzenden Seemärchen der pompejanischen Bilder. Schwegler 2, 280; Spinn(stuben) märchen; Die beste Neuigkeit verliert, sobald sie Stadtmärchen [2a] wird. Sch. 166b; Uns Beide dadurch zum Stadtmärchen [2b] von Antiochia zu machen. W. 17, 39 etc.; Das Gerüchte, | das Unglücksmärchen [2a] gern verbreitet und verziert. 20, 322; Volksmärchen der Deutschen von Musäus; Es ist Weibermäre [1d, albernes unwahres Gerede], daß ein besonderer Schlüssel dazu gehöre. H. R, 7, 381 etc., Ein alter Mann und das Weihnach tmärchen zu glauben! Sch. 129b; Ich las also hier ausführlich, was mir von den Tagen der Kindheit her, bis ins Jünglingsalter heran, als Weltmär- chen [eine gleichsam märchenhafte Erzählung der Welt- ereignisse] im Allgemeinen vorgeklungen. G. 32, 330; Wintermärchen. W. 11, 5; Und zum König bringt man die Wundermär [1b]. Sch. 63a u. v. ä.
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